Opioide: Fentanyl und Co. sind in Deutsche AIDS-Hilfe logoDeutschland angekommen

Bundesmodellprojekt RaFT der Deutschen Aidshilfe weist synthetische Opioide als gefährliche Beimengung in Heroin nach. Bundesländer und Kommunen müssen jetzt vorsorgen und Drogenhilfe stärken.

Fentanyl-Teststreifen © DAH
Fentanyl-Teststreifen
© DAH

Auch in Deutschland wird Heroin bereits mit lebensbedrohlichen synthetischen Opioiden gestreckt. Im Bundesmodell-Projekt RaFT der Deutschen Aidshilfe (DAH) wurden im letzten Jahr 3,6 Prozent von 1.401 Heroin-Proben positiv auf die Beimengung getestet. RaFT („Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen“) führte 2023 über sechs Monate Schnelltests in 17 Einrichtungen durch.

Synthetische Opioide wie Fentanyl und Nitazene sind billig zu produzieren und wirken sehr viel stärker als Heroin. Schon 2 Milligramm können tödlich sein (Heroin: 200 Milligramm). Wenn Konsumierende nichts von der Beimengung wissen, sind sie daher in Lebensgefahr. Auch bei bewusstem Konsum sind synthetische Opioide kaum sicher dosierbar.

Gefährlicher Trend

Im letzten Jahr kam es in Dublin zu 54 Drogennotfällen aufgrund von Nitazenen. In Birmingham verstarben im Sommer letzten Jahres 30 Personen am Konsum von Heroin, das synthetische Opioide enthielt. In Nordamerika haben die Substanzen aus dem Chemielabor Heroin schon fast vollständig verdrängt. Kürzlich warnte auch Interpol vor den neuen Substanzen.

RaFT dokumentierte nun Fälle vor allem in Hamburg sowie in Düsseldorf und Münster, aber auch in Berlin, Frankfurt, Hannover und Wuppertal gab es einige wenige positive Tests. Die verwendeten Schnelltests erlauben keine Aussage über die Menge des Stoffes in den untersuchten Proben. Einige Funde standen jedoch im Zusammenhang mit Drogennotfällen. In München wurde zudem kürzlich bei einer Personenkontrolle Heroin beschlagnahmt, das mit dem noch viel stärker wirksamen Carfentanyl versetzt war.

„Synthetische Opioide sind in Deutschland angekommen“, sagt Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe. „Es ist nun höchste Wachsamkeit geboten. Die Bundesländer sowie die Kommunen müssen dafür sorgen, dass Drogenhilfeeinrichtungen und Konsumierende vorbereitet sind.“

Maßnahmen implementieren

Angezeigt sind nun folgende gut erprobte Maßnahmen:

  • Das Notfallmedikament Naloxon muss unter potenziellen Ersthelfenden (Rettungsdienste, Drogenhilfemitarbeiter*innen, Polizei, Konsument*innen) verbreitet werden.
  • Mehr Drogenkonsumräume, wo in Drogennotfällen sofort geholfen werden kann, insbesondere in den Bundesländern, die bisher die nötigen Rechtsverordnungen verweigern – und längere Öffnungszeiten.
  • Konsument*innen müssen über das Risiko und mögliche Vorsichtsmaßnahmen aufgeklärt werden. Sie können zum Beispiel zunächst nur eine kleine Menge ihrer Substanz konsumieren (Dosissplitting), um die Wirkkraft zu testen und so Überdosierungen zu vermeiden.
  • Schnelltests auf Fentanyl müssen in Drogenhilfeeinrichtungen zum Standardangebot gehören und auch nach Hause mitgegeben werden.
  • Drugchecking-Angebote auch für Menschen, die Drogen im Nachtleben konsumieren. Dafür müssen die Bundesländer die rechtlichen Voraussetzungen schaffen.

Beratung und Risikominimierung

„Testangebote auf Beimengungen eröffnen in der Drogenhilfe die Möglichkeit, eine Beratung anzubieten und auf Basis von Fakten Risiken zu reduzieren“, sagt RaFT-Projektleiterin Maria Kuban. „Mit den Erfahrungen aus dem Projekt steht nun eine gut erprobte und erfolgreiche Vorgehensweise zur Verfügung.“

70 Prozent der Nutzer*innen nahmen das Angebot an, ihre Substanzen untersuchen zu lassen. Für die Schnelltests genügen winzige Mengen der Substanz als Abstrich vom Verpackungsmaterial. Konsument*innen müssen also auf nichts verzichten, wenn sie ihren Stoff untersuchen lassen.

Mehr Ergebnisse und Informationen: www.aidshilfe.de/pressemitteilungen



Appell an Bundesgesundheitsminister:
Versorgung mit HIV-Medikamenten sicherstellen

Angesichts eines mehrmonatigen Lieferengpasses bei FTC/TDF fordern Fachorganisationen Veränderungen bei Produktion und Monitoring.

© DAH/Renata Chueire© DAH/Renata Chueire


Die Bundesregierung muss Versorgungsmängeln bei HIV-Medikamenten konsequent vorbeugen. Dies ist die zentrale Botschaft eines offenen Briefes an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin (dagnä), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft HIV- und Hepatitis-kompetenter Apotheken (DAHKA) sowie der Deutschen Aidshilfe (DAH).

Offener Brief mit Forderungen

In dem Brief stellen die Fachorganisationen konkrete Forderungen auf, um die Versorgung mit Medikamenten in Deutschland weniger störanfällig zu machen:

  • Die Produktion unverzichtbarer Arzneimittel muss in Zukunft wieder verstärkt in Europa stattfinden. Die Politik muss entsprechende Möglichkeiten und Anreize schaffen.
  • Der Konzentration auf wenige Hersteller gilt es entgegenzuwirken. Welche Rolle hier Preis- und Rabattierungsmechanismen im deutschen Gesundheitssystem spielen, muss überprüft werden, um schädlichen Effekten gegebenenfalls entgegenwirken zu können.
  • Lieferengpässe müssen mit geeigneten Meldeverfahren und Warnsystemen früher festgestellt und öffentlich nachvollziehbar werden, damit die zuständigen Stellen schnell darauf reagieren.
  • Finanzielle Risiken und Nachteile, die Ärzt*innen und Apotheken durch Lieferengpässe bisher entstehen können (Regress und Retax), müssen verhindert oder verlässlich ausgeglichen werden.

Ausfall über mehrere Monate

Der Anlass für diesen offenen Brief: Über Monate war in Deutschland das Medikament mit den Wirkstoffen
Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil (FTC/TDF) nicht erhältlich. Es ist das einzige HIV-Präparat, das als Präexpositionsprophylaxe (PrEP) zugelassen ist. Tausende Menschen verloren zeitweilig ihren Schutz vor HIV, Therapien mussten umgestellt werden.

Nach einem ersten Ausfall bei einem Anbieter und Warnungen der medizinischen Fachorganisationen dauerte es Monate, bis das Bundesgesundheitsministerium Ende Januar offiziell einen Versorgungsmangel feststellte. Mittlerweile gab es zwar einige Lieferungen des Medikaments, von einer verlässlichen Verfügbarkeit kann aber noch lange nicht die Rede sein.

Politik muss Vertrauen zurückgewinnen

„Die zuverlässige Versorgung mit antiretroviral wirksamen Medikamenten von Menschen mit HIV-Infektion muss durch unser Gesundheitssystem sichergestellt sein, ebenso wie die medikamentöse Präexpositionsprophylaxe gegen HIV-Infektionen“, sagt Prof. Dr. Stefan Esser, Präsident der Deutschen AIDS-Gesellschaft.

„Dass ein lebenswichtiges HIV-Medikament über längere Zeit nicht mehr lieferbar ist, darf sich nicht wiederholen. Die Prävention hat Schaden genommen, viele Menschen wurden verunsichert und Risiken ausgesetzt. Jetzt muss die Politik die Versorgung langfristig sichern und Vertrauen zurückgewinnen“, erklärt Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe.

„Es ist unverständlich, dass die Politik trotz unserer Aufforderung zunächst nicht reagierte, obwohl wir explizit auf die Gefahr ansteigender HIV-Neuinfektionen hingewiesen haben“, meint Dr. Heiko Karcher, Vorstandsmitglied der dagnä. „Ein deutlich schnelleres und lösungsorientierteres Vorgehen wäre hier nötig gewesen“.

Erik Tenberken, Vorstand der DAHKA betont: „Pharmafirmen dürfen nicht den Anschein erwecken, lieferfähig zu sein, wenn sie es in Wirklichkeit nicht sind. Es braucht klare Definitionen der Lieferfähigkeit und Kontrollen. Die sichere Versorgung der Patienten muss an erster Stelle stehen, nicht die wirtschaftlichen Interessen der Hersteller.“

Der offene Brief ist hier zu finden: https://aidshilfe.de/sites/default/files/documents/2024-02-29_offener-brief_versorgung-mit-hiv-medikamenten-sicherstellen.pdf

Kontakt: holger.wicht@dah.aidshilfe.de



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