DR. THOMAS BUHK, HAMBURG
HIV und illegal - in Deutschland eine tödliche Kombination?


Dr. Thomas Buhk, Hamburg, mit Patient "XY"

Die Forderung nach Zugang zur HIV-Therapie für alle, gilt auch für Deutschland. Doch hierzulande sind Menschen ohne Papiere vom Gesundheitssystem faktisch ausgeschlossen. Das ist insbesondere für HIV-Ärzte eine verzwickte Situation. Die lebensrettenden Medikamente sind vorhanden, aber man kann sie nicht einsetzen. Das Engagement mancher Ärzte kann im Einzelfall größeren Schaden verhindern, es bleibt allerdings immer ungenügende Improvisation.

Irreguläre Migration gibt es weltweit. Offiziellen Schätzungen zufolge leben ca. 40 Millionen Menschen auf unserem Globus ohne Aufenthaltsstatus. Für die Europäische Union geht man von 4,5-6 Millionen Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung aus. In Deutschland leben vermutlich rund 1 Million Menschen ohne Papiere und in meiner Heimatstadt Hamburg sind es ungefähr 100.000. Exakte Zahlen kann es aus der Natur der Sache heraus nicht geben. Die Menschen ohne Papiere wollen unerkannt bleiben.

HIV OHNE PAPIERE

Ulla Schmidt: "Überall Zugang zur HIV-Therapie"


Gesundheitsministerin
Ulla Schmidt fordert
bezahlbare Aids
Medikamente

"HIV-Infizierte müssen überall auf der Welt Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln haben", betonte die deutsche Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bei der Eröffnung des diesjährigen Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongresses in Frankfurt. Bei dieser Forderung dürfte Frau Schmidt an afrikanische Länder gedacht haben, in denen immer noch viele Menschen keinen Zugang zur HIV-Therapie haben. Doch auch bei uns gibt es HIV-infizierte, die keinen Zugang zur Therapie haben, nämlich die illegalen Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung. Von Seiten des Ministeriums sind keine Aktivitäten zu verzeichnen, diesen Menschen den Zugang zur HIV-Therapie zu erleichtern. Oder galt die Forderung von Frau Schmidt vielleicht doch nur für andere Länder und nicht für Deutschland?

Wenn man davon ausgeht, dass ca. 1-2% der Migranten ohne Papiere HIV-positiv sind, kommt man rechnerisch auf ca. 10.000 bis 20.000 in Deutschland und auf 1.000-2.000 Menschen in Hamburg, die mit dieser chronischen Infektionskrankheit leben müssen. Diese Menschen haben keinen Zugang zu unserem Gesundheitssystem. Die HIV-Infektion ist aber nur ein Teil der medizinischen Problematik der illegalen Migration, denn der Zugang zum Gesundheitssystem in Deutschland ist Menschen ohne Papiere bei jeder Erkrankung verwehrt.

Dieser Ausschluss ist ein vielschichtiges Problem, das nicht nur medizinische Aspekte hat, sondern auch humanitäre und soziale Bereiche berührt.

Humanitäre Aspekte. Das Recht eines jeden Menschen auf freien Zugang zum Gesundheitssystem hat in Deutschland Grundrechtscharakter. Es wird u.a. durch das Grundgesetz, den UN-Sozialpakt und die Europäische Sozialcharta von 1961 gestützt. Die Gewährung dieses Zuganges genießt höchste Priorität.

Medizinische Aspekte. Der Ausschluss von kranken Menschen aus dem Gesundheitssystem erhöht das Risiko einer Verschlechterung. Es erhöht das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko der betroffenen Personen. Bei Infektionskrankheiten trägt die Nicht-Behandlung zu einer Verbreitung der Infektion bei. Unbehandelte HIV-Infektionen mit einer hohen Viruskonzentration im Blut sind infektiöser als behandelte mit keiner bzw. einer geringen Viruslast.

Soziale Aspekte. Die Exazerbation von Erkrankungen führt häufig zu Schwäche und Komplikationen. Menschen sterben an Komplikationen, an denen man bei entsprechender Behandlung nicht sterben muss oder sie kommen dann unversichert doch noch zum Arzt bzw. in die Klinik. Dies erfolgt allerdings in der Regel sehr spät, was nicht nur das individuelle Leid dieser Menschen erhöht, sondern auch die Kosten für das Gesundheitssystem und damit für die Allgemeinheit. In der Regel bleiben die Krankenhäuser oder Ärzte auf diesen Kosten sitzen, da niemand dafür aufkommen will.

DEUTSCHE RECHTSLAGE

In Deutschland besteht gesellschaftlicher Konsens darüber, dass jeder Mensch das Recht auf Zugang zu unserem Gesundheitssystem hat, sei es der Hartz-IV-Empfänger, der Obdachlose, der Mensch im Gefängnis und auch der Asylbewerber. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§1) sind alle Ausländer leistungsberechtigt - explizit auch die Ausreisepflichtigen. Der §4 schränkt die medizinischen Leistungen auf die Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie Schwangerschaft ein. Im §11 ist geregelt, dass für den Arzt eine Übermittlungspflicht zur Ausländerbehörde besteht. Auch im Aufenthaltsgesetz ist im §87 die Meldepflicht an öffentliche Stellen festgesetzt. Menschen ohne Papiere können deshalb faktisch keine medizinischen Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, ohne die Ausweisung zu riskieren. Hinzu kommen noch Barrieren auf Seiten der illegalen Migranten selbst, nämlich zum einen die Angst vor Gefängnis und Abschiebung, zum anderen sprachliche und kulturelle Differenzen.

HAMBURG - DAS TOR ZUR WELT

Die Bundesarbeitsgruppe Gesundheit schlägt vor:

Politische Schritte

  1. Die einschlägigen gesetzlichen Melde- und Datenabgleichspflichten soweit einzuschränken, dass die betroffenen Personen ihr bestehendes Recht auf Gesundheitsversorgung ohne Gefahr von Statusaufdeckung in Anspruch nehmen können.
  2. Die Untersuchungs- und Behandlungskosten einer ärztlichen Versorgung sind durch öffentliche Mittel zu finanzieren.
  3. Es ist sicherzustellen, dass medizinische und humanitäre Hilfe nicht als Beihilfe zum illegalen Aufenthalt bewertet oder in sonstiger Weise von staatlichen Repressionen bedroht wird.

Finanzierungskonzepte

  1. Fondmodell. Ein neu zu schaffender Fond, der durch öffentliche Mittel aus Bund und Ländern, sowie Zustiftungen (Kirche, private Spenden, Spenden der Pharmaindustrie für teure HIV-Medikamente) gespeist wird, kommt für die Kosten einer gesundheitlichen Basisversorgung eines engen Kreises von bedürftigen Nichtversicherten auf.
  2. Geschützte Vermittlung von Krankenscheinen. Menschen ohne Papiere wird eine Chipkarte ‚Samariter' zur Verfügung gestellt, mit der sie Arztpraxen oder Krankenhäuser zur medizinischen Basisversorgung aufsuchen können. Die Behandlungskosten werden von den Gesundheits-, Sozial- und Ausländerbehörden finanziert. Möglicherweise kann der Gesetzgeber die gesetzlichen und privaten Krankenversicherer verpflichten, einen finanziellen Beitrag zu leisten.
  3. Netz von speziellen Anlaufstellen (Karitas/Diakonie/Spezialpraxen). In allen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern werden Anlaufstellen für Menschen ohne Papiere eingerichtet. In diesen Einrichtungen können sie medizinische Basisleistungen erhalten oder auch zu Fachärzten weiter überwiesen werden. Finanzierung wie unter 2.

Ausführlicher Bericht der Bundesarbeitsgruppe unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/sl.php?id=223

In Hamburg, das sich gerne mit dem Beinamen "Tor zur Welt" schmückt, sind die Türen für Migranten ohne Papiere ebenso vernagelt wie auch in anderen Städten, wo der Innensenator nicht Nagel heißt. Immer wieder kommen Menschen ohne Papiere und Krankenversicherung mit einer HIV-Infektion zu uns ins Infektionsmedizinische Centrum (ICH) in Hamburg. Häufig findet man eine fortgeschrittene Erkrankung mit den Stigmata aus alten Zeiten, Kaposi-Sarkomen, zerebrale Toxoplasmosen oder Lungenentzündungen. Der weitere Weg ist dann klar. Zur Behandlung der opportunistischen Infektionen und der HIV-Erkrankung muss der Aufenthalt legalisiert werden, was mit Hilfe eines Rechtsanwaltes und der Erwirkung einer Duldung bei Menschen im Stadium AIDS auch recht zuverlässig funktioniert. Schwieriger ist es bei HIV-positiven Menschen ohne AIDS. Eine HIV-Therapie, die das Fortschreiten zum Stadium AIDS verhindert, kostet monatlich rund 1.300,- € ohne Labor- und Arztkosten. Das kann kaum jemand dauerhaft selbst bezahlen.

ÄRZTE MIT EINEM BEIN IM KNAST

"Für uns Ärzte ist diese Situation verzwickt. Sollen wir abwarten bis früher oder später die AIDS-definierende Erkrankung auftritt? Das ist jedoch medizinisch unsinnig, denn bei schlechter Immunlage geht Abwarten mit einem hohen Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko einher.

In diesem ethischen Dilemma versuchen manche Ärzte, für einzelne bedrohlich kranke Menschen HIV-Medikamente zu organisieren. Juristisch gesehen, gibt es da allerdings einige Schwierigkeiten. Ärzte haben kein Dispensierrecht, d.h. sie dürfen Medikamente (Ausnahme Ärztemuster) weder lagern noch an Patienten ausgeben und schon gar nicht Medikamente, die von anderen Patienten zurückgegeben wurden. Des Weiteren würde sich der Arzt dabei dem Verdacht aussetzen, einer ‚illegalen Person' zu helfen und damit in den Verdacht der ‚Schlepperei' geraten.

ANONYMER ZUGANG WICHTIG

In politischen Diskussionen um die Ausgrenzung der illegalen Migranten vom Gesundheitssystem wird gerne darauf verwiesen, dass es diesen Menschen ja frei steht, ihren ‚Status ohne Papiere' aufzugeben, um dann medizinische Leistungen durch das Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen. Doch ist die Lösung dieses Problems wirklich so einfach? Darf das Grundrecht auf eine medizinische Basisversorgung für Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung an die Offenlegung ihres ‚Status ohne Papiere' gebunden werden?

Ein Grundrecht existiert bedingungslos und aus sich heraus. So wie man einem Fisch das Wasser in dem er lebt nicht nehmen kann, so kann man ‚Menschen ohne Papiere' die Aufgabe ihrer Anonymität nicht zur ‚conditio sine qua non' machen. Die Lösung aus diesem Dilemma sollte vielmehr lauten, "Menschen ohne Papiere' muss die medizinische Basisversorgung durch anonymen Zugang zum Gesundheitssystem ermöglicht werden.

Es bedarf einer strikten Trennung einerseits der Verfolgung von Menschen ohne gültige Papiere und andererseits der Gewährung des Zuganges zu medizinischen Leistungen. In Bezug auf die Erlangung medizinischer Hilfeleistungen darf der fehlende Aufenthaltsstatus keine ausschließende Rolle spielen.

LICHT AM HORIZONT?

In der Koalitionsvereinbarung der gegenwärtigen großen Koalition wurde am 11. November 2005 ein Prüfauftrag zum Thema "Illegalität" beschlossen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte und das Katholische Forum ‚Leben in der Illegalität' haben eine Bundesarbeitsgruppe aus Sachverständigen aus Wissenschaft, der kommunalen Verwaltung, der Medizin, der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände und verschiedener nichtstaatlicher Organisationen ins Leben gerufen und vor kurzem im November 2007 einen Bericht mit dem Titel "Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere in Deutschland - ihr Recht auf Gesundheit" publiziert. Darin wird festgestellt, dass "Menschen ohne Papiere" de facto keinen ungehinderten Zugang zur medizinischen Versorgung haben. Ihre medizinische Versorgung ist defizitär.

Für welches der Modelle der Gesetzgeber sich entscheidet oder ob es ein Mischmodell sein wird, ist noch unklar. Die angestrebte Regelung muss jedoch in jedem Fall einen Rechtsanspruch begründen und sie sollte bundesweit einen bezahlbaren und niedrigschwelligen Zugang bieten. Nur so ist eine menschenwürdige gesundheitliche Versorgung von Frauen, Männern und Kindern ohne Papiere gewährleistet. Ferner sollte die Regelung sicherstellen, dass die bestehenden gesetzlichen Kostenregelungen ohne weiteres von den Behörden vollzogen werden können oder alternativ eine öffentliche Finanzierungsform realisiert wird. Und sie sollte eine Praxis etablieren, die sicherstellt, dass Menschen ohne Papiere hinreichend über ihre Rechte informiert sind.

Dr. Thomas Buhk
Infektionsmedizinisches Centrum Hamburg (ICH)
Grindelallee 35 · 20354 Hamburg
E-Mail: buhk@ich-hamburg.de

Materalien

Der Text der Bundesarbeitsgruppe "Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere in Deutschland - ihr Recht auf Gesundheit" ist ab November/Dezember 2007 über das ‚Deutsche Institut für Menschenrechte' erhältlich und wird bestimmt als download zur Verfügung stehen:
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de

Bericht d. Bundesministeriums des Inneren: Illegal aufhältige Migranten in Deutschland (Febr. 2007):
http://www.emhosting.de/kunden/fluechtlingsrat-nrw.de/system/upload/download_1232.pdf

Materialien durch IPPNW:
http://www.ippnw.de/Soziale_Verantwortung/Flucht_&_Asyl/ Norbert Cyrus:

Aufenthaltsrechtliche Illegalität in Deutschland
http://www.forum-illegalitaet.de/Materialien/04_Expertise_Sachverst_ndigenrat_Cyrus.pdf

Weitere Materialien vom katholischen Forum:
http://www.forum-illegalitaet.de/Materialien/materialien.html

Patient R B-M: Keine Versicherung - keine weitere Diagnostik

Am 30. Januar 2001 hat R B-M (*1966 in Ecuador) die Notfallambulanz eines Krankenhauses in Hamburg aufgesucht. Der aufnehmende Arzt schrieb in dem Notfallbericht: "Patient hatte eine Woche Durchfall. Seit zwei Tagen Erbrechen und kein Durchfall mehr. Jetzt starke Kopfschmerzen, habe seit einigen Tagen nichts mehr zu sich nehmen können." Es erfolgte eine laborchemische Untersuchung, die eine milde Anämie (Hb 9,4 g/dl) und leicht erhöhte Entzündungszeichen (CRP 14 mg/dl) erkennen ließ. Der zuständige Arzt ließ noch die Nasennebenhöhlen röntgen (Normalbefund) und entließ den Patienten dann mit den Diagnosen: "Gastroenteritis, Cephalgia, Anämie unklarer Genese".

Eine Woche später (am 6. Februar) wird der Pat. in das gleiche Krankenhaus durch einen niedergelassenen Arzt mit der Diagnose "Cerebrales Anfallsleiden (3. Anfall), Anämie unklarer Genese" eingewiesen. Der diensthabende Neurologe untersucht den Patienten grob orientierend und kann keine klinischen Zeichen eines stattgehabten Krampfanfalles entdecken. Die Indikation einer Notfallbehandlung sei nicht gegeben. Eine weitere Diagnostik wird aufgrund des unklaren Versicherungsstatus nicht vorgenommen.

Freunde des Patienten sind mit der erneuten Entlassung unzufrieden und schätzen den allgemeinen Zustand von R B-M als ernst und beängstigend ein. Am gleichen Tag suchen sie mit der gleichen Einweisung das Krankenhaus Alten Eichen in Hamburg auf. Hier erfolgte dann eine erneute neurologische Untersuchung wegen eines "fraglichen Zustands nach einem Krampfanfall". Der Patient wurde beobachtet und neurologisch untersucht. Der Befund: "Kein Zungenbiss, kein Einnässen, keine fokal neurologischen Ausfälle, anamnestisch Z.n. Krampfanfall". Eine stationäre Aufnahme oder weitere bildgebende Diagnostik des Patienten erfolgt wieder nicht.

Drei Tage später schließlich wird der Patient leblos in seiner Wohnung aufgefunden. Die dann erfolgte Sektion ergab den Befund einer cerebralen Cryptococcose (Pilzbefall des Gehirnes) bei bestehender fortgeschrittener HIV-Infektion. Der Patient verstarb wohl an den Folgen eines erneuten schweren Krampfanfalles durch Ersticken.

Fazit: Die cerebrale Cryptococcose gehört zu den AIDS definierenden Erkrankungen, bei rechtzeitiger Diagnosestellung ist diese Erkrankung mittels einer antimykotischen Therapie behandel- und heilbar. R B-M lebte bereits einige Jahre ohne Aufenthaltstitel in Hamburg, seinen Freunden in Hamburg und seiner Familie in Ecuador war seine HIV-Infektion nicht bekannt, ob er selber davon wusste bleibt unklar. Er arbeitete als Tänzer und Transvestit und hat sich unregelmäßig in der Prostitution ein Zugeld verdient. Ernste gesundheitliche Probleme traten erst kurz vor seinem Ableben auf. Aus Angst vor Abschiebung zögerte er einen Arzt aufzusuchen. Nachdem er in einer Notsituation in der Notaufnahme des Altonaer Krankenhauses eine erste medizinische Hilfe erhielt und nicht abgeschoben wurde, ließ er sich überreden, zu einem niedergelassenen Arzt, den Freunde kannten, zu gehen. Der wiederum vermutete nach ausführlicher Fremdanamnese einen stattgehabten cerebralen Anfall und empfahl unabhängig von der Gefahr einer möglichen Abschiebung eine stationäre Diagnostik dieses angenommenen schweren Ereignisses. Der weitere Verlauf ist oben beschrieben. Dieser Fall macht klar, wie fatal es sein kann, wenn Menschen ohne Papiere aus unserem Gesundheitssystem ausgeschlossen sind.

Bei R B-M ging es um die Folgen einer nicht behandelten HIV-Infektion, es hätte auch eine Tuberkulose sein können, eine Syphilis, eine Krebserkrankung oder eine Herzrhythmusstörung. In anderen Fällen folgt aufgrund der sehr späten Interventionsmöglichkeit ein langer Aufenthalt auf einer Intensivstation.

Patient A.B.: AIDS und keine Therapie

Den Patienten "A.B." kenne ich seit September 1998. Wir lernten uns über die Zentrale Beratungsstelle (ZBS) in der Max Brauer Allee in Hamburg kennen. Dort hat eine Gruppe von Assistenzärzten aus unterschiedlichen Krankenhäusern in Hamburg ehrenamtlich alle zwei Wochen an einem Donnerstag Abend eine Sprechstunde für HIV-positive MigrantInnen eingerichtet. Unterschiedliche Gruppen in Hamburg (z.B. Basisprojekt, stay alive, Fluchtpunkt, die Caritas, die Gesellschaft zur Unterstützung von Gefolterten und Verfolgten, der ZBS selbst u.a.) schickten uns Patienten. Die ZBS war und ist der Gesundheitsbehörde unterstellt und unterstützte unsere Arbeit dadurch, dass wir das System der Notfallkrankenscheine der ZBS für unsere Patienten übernehmen durften. Auch das Hamburger Spendenparlament hat unser Projekt finanziell unterstützt, so dass z.B. Laborleistungen mit diesen Geldern finanziert werden konnten.

‚A.B.' wurde über das Basisprojekt zu uns geschickt. Er war obdachlos, stammt aus Tschechien und arbeitete als Stricher in Hamburg, wo er bereits seit 6 Jahren lebte. 1998 war er 34 Jahre alt. Seine Deutschkenntnisse sind recht gut. Von seiner HIV-Infektion erfuhr er bereits 1989. In unsere Sprechstunde kam er, weil er schwerwiegende gesundheitliche Probleme hatte, seine Beine waren stark geschwollen und auf der Haut - insbesondere den Beinen - waren viele bläulich-violette knotige Verhärtungen zu sehen. Er hatte auch etwas Luftnot beim Treppensteigen, im Mundrachenraum war ein weißlicher Belag zu sehen und er klagte über wässrige Durchfälle, die bereits seit einigen Monaten bestanden.

Die Diagnosen waren für einen im HIV-Bereich arbeitenden Arzt augenscheinlich: Die Beine waren infolge eines ausgeprägten Kaposi-Sarkom Befalles durch ein Lymphödem derart geschwollen. Kaposi-Sarkome können auch in der Lunge vorkommen, vielleicht war dies auch die Ursache der bei kleinster körperlicher Anstrengung auftretenden Luftnot. Der Mundrachenraum war voller Pilz. Die Durchfälle können bei fortgeschrittener Immunschwäche durch unterschiedliche Keime hervorgerufen werden. Diagnose: Fortgeschrittene HIV-Infektion mit ausgeprägter Immunschwäche im Stadium AIDS.

Die laborchemische Analyse bestätigte nicht nur diese Diagnose, sondern förderte noch eine weitere Diagnose zutage. Die Helferzellen, ein wichtiger Baustein des Immunsystems, wurden mit 15 Zellen pro Mikroliter sehr niedrig gemessen - normal sind 500 bis 1.000. Ab unter 150 Zellen pro Mikroliter geht man von einer relevanten Immunschwäche aus, die ihn der Gefahr unterschiedlicher auch lebensbedrohlicher Erkrankungen aussetzt. Als Zufallsbefund wurde anhand der Laboruntersuchung noch eine aktive Syphilisinfektion diagnostiziert.

Wir haben die Situation für ‚A.B.' selbstverständlich als sehr dringend eingeschätzt und umgehend die Syphilistherapie eingeleitet, den Mundrachenpilz mit einem Antipilzmittel behandelt, wie auch eine Prophylaxe in Form eines Antibiotikums begonnen, die ihn vor zwei schweren Infekten (PCP, Toxoplasmose) schützen soll. Der Rechtsanwalt, den ‚A.B.' aufsuchte, sah keine Chance für ‚A.B.' eine Duldung aus humanitären Gründen zu erwirken, geschweige denn einen Aufenthaltsstatus. In Tschechien gab es zu der Zeit keinen allgemeinen Zugang zur Therapie der HIV-Infektion.

Der Patient berichtete, dass er bereits 1993 für vier Monate in Hamburg über Freunde eine Zidovudin-Monotherapie erhielt. Aufgrund der fortgeschrittenen Immunschwäche und der dadurch bestehenden großen Gefahr des Auftretens weiterer lebensbedrohender Erkrankungen haben wir Ärzte für diese Ausnahmesituation beschlossen, dem Patienten aus humanitären Gründen eine antiretrovirale Kombinationstherapie zu organisieren. Vor zwei Jahren erhielt der Patient dann durch den Eintritt Tschechiens in die EU und einem engagierten Rechtsanwalt eine Aufenthaltsberechtigung.

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