Anerkennung von Sexarbeit als Beruf!

Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.„Das Prostitutionsgesetz ist gescheitert“ – „Deutschland ist das Bordell Europas“ „Keine Frau verkauft freiwillig ihren Körper“ … Da muss man doch was tun! Das dachten wir uns auch. So viele Mythen, so viel moralische Empörung, so viel Angst. Wir – das waren Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aus dem ganzen Bundesgebiet, die sich, über einige hochmobile Kolleginnen und das Internet vernetzt, Anfang 2013 erstmals persönlich in Frankfurt trafen, um den Ernst der Lage zu besprechen.

Der konservative Backlash in Europa ist seit Jahren spürbar. Es wird nicht nur allen Ernstes diskutiert, ob man im Sexualkundeunterricht an Schulen das Thema gleichgeschlechtlicher Beziehungen nicht besser auslassen sollte, auch die Akzeptanz anderer „andersartiger“ Lebensentwürfe nimmt inzwischen eher ab als zu.

Rettung?

© stefan weis - fotolia
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Beim Thema Sexarbeit wird diese Ablehnung gern als „Rettung“ verkauft. „Rettung“ vor Ausbeutung und Zuhälterei heißt beispielsweise in Frankreich, dass zwei Kolleginnen, die für einander Sicherheitsanrufe bei Hausbesuchen entgegennehmen, beide als Zuhälterin der jeweils anderen im Gefängnis landen. Als „Rettung“ vor Gewalt gegen Frauen, als die Sexarbeit in Schweden grundsätzlich definiert ist, macht sich dort jeder Mann strafbar, der einvernehmlich sexuelle Dienstleistungen gegen Geld in Anspruch nimmt. Mit der Folge, dass Sexarbeiterinnen nur noch heimlich und versteckt arbeiten können, um ihre Kunden und damit ihre Lebensgrundlage nicht zu gefährden, Mittelsmänner bezahlen müssen und selbst für Sozialarbeit und Gesundheitsprävention kaum noch auffindbar sind.

Zwangsouting

München im Jahr 2013. Eine Routinekontrolle im Straßenverkehr. Nach einem Blick in die Datenbank gibt der Beamte der jungen Fahrerin ihre Ausweispapiere zurück – mit einem Grinsen. „Na, gehma anschaffen?“, fragt er die entsetzte Studentin. Ihr Beifahrer wusste bis dahin von ihrem Nebenjob nichts. Was in Bayern und anderswo bereits seit Jahren stillschweigend und ohne Rechtsgrundlage praktiziert wird – die flächendeckende polizeiliche Registrierung von Sexarbeitenden – möchte die Regierung nun gern bundesweit gesetzlich verankern. In einem Gesamtpaket mit weiteren repressiven Maßnahmen: als „Prostituiertenschutzgesetz“.

Wie wenig sicher unsere Daten sind, das wissen wir bereits aus der Praxis. Und welche Folgen ein Zwangsouting für eine Sexarbeiter_in hat, ebenfalls: von familiären Problemen über Diskriminierungen bei öffentlichen oder privaten Dienstleistern bis zum Verlust des bürgerlichen Hauptjobs oder dem Ende der Karriere des Lebenspartners.

Solange uns wirksame Antidiskriminierungsmaßnahmen und eine konsequente legale Anerkennung verweigert werden, ist unser bester Schutz die eigene Entscheidung darüber, wen wir wann von unserer Tätigkeit in Kenntnis setzen möchten.

Zwangsregistrierung

Angeblich aber soll diese Verletzung unserer Grundrechte nötig sein, um krimineller Ausbeutung und Menschenhandel in unserer Branche Herr zu werden. Fragt sich nur, wie genau das funktionieren soll. Denn bereits jetzt hat die Polizei in der Hälfte der Bundesländer die Möglichkeit, Bordellbetriebe und alle sich dort aufhaltenden Menschen jederzeit anlassunabhängig zu kontrollieren. Maßnahmen, in der sich Sexarbeiter_innen nicht selten selbst wie Verbrecher behandelt fühlen. Die Aussicht auf noch häufigere betriebsstörende Razzien ist es auch, was in Bayern und Baden-Württemberg als Druckmittel verwendet wird, um die aktive Anmeldung von Sexarbeitenden bei der Polizei schon jetzt auf „freiwilliger Basis“ durchzusetzen. Zu einer erhöhten Aufklärungsrate von Verbrechen gegen Prostituierte führt das nicht. Im Gegenteil: wer Polizisten in erster Linie als Vollstrecker diskriminierenden staatlichen Kontrollwahns wahrnimmt, wird sich in einer Notlage sicher seltener vertrauensvoll an die Exekutive wenden.

Als Mittel gegen Menschenhandel ist eine Zwangsregistrierung noch weniger geeignet. Ausbeuter werden die ersten sein, die „ihre Mädels“ bei den Behörden anmelden, um nicht aufzufallen. Dagegen wird sich eine Studentin, die als selbständige Escortdame ihr Studium finanziert, nicht anmelden, um einer strukturellen Stigmatisierung zu entgehen und ihr weiteres Berufsleben nicht zu gefährden. Sie begibt sich damit in die Illegalität, was sie leichter zum Opfer eventueller Straftaten macht – etwas, was die große Koalition mit ihrem Vorhaben vorgeblich verhindern will.

Selbstbestimmte Sexarbeit

Stichwort Menschenhandel: Derzeit das Totschlagargument gegen eine konsequente Anerkennung von Sexwork als legitime Berufswahl. Ausbeutung und Zwangsarbeit kommen allerdings in diversen Wirtschaftszweigen vor und dürfen selbstverständlich nirgendwo geduldet werden. Aber wer fordert schon, die Landwirtschaft, Gastronomie oder häusliche Pflege „abzuschaffen“, weil dort Menschen ausgebeutet werden? Strafgesetze und (vor allem in der Sexbranche) umfassende Kontrollbefugnisse der Polizei bestehen bereits. Was wir hier tatsächlich noch brauchen, sind Rechte für Opfer solcher Straftaten, zum Beispiel Entschädigungen und ein aussageunabhängiges Aufenthaltsrecht für Menschen aus Drittstaaten.

Wie in jedem anderen Beruf arbeiten auch in der Sexarbeit die meisten Menschen selbstverständlich selbstbestimmt. Der „Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung“ liegt nach offiziellen Angaben des Bundeskriminalamtes derzeit bei rund 500 Ermittlungsverfahren mit rund 600 Opfern pro Jahr, mit fallender Tendenz trotz steigender Polizeiaktivität. Die Anzahl an rechtskräftigen Verurteilungen liegt weit darunter. In der Bundesrepublik arbeiten mehrere hunderttausend Menschen, meist Frauen, in der Sexarbeit. Selbst bei einer hohen angenommen Dunkelziffer liegt die Zahl der tatsächlichen Opfer also im Promillebereich.

Ein Job wie jeder andere

Wie in jedem anderen Job gibt es auch in der Sexarbeit Motivationen von „Irgendwie muss ja das Geld reinkommen“ bis „Das ist mein Traumberuf“. Wenn Arbeitsrechte nur denjenigen zuständen, die sich in ihrem Beruf selbst verwirk-lichen, hätten Mitarbeiter_innen von Callcentern ein großes Problem! Maßnahmen zur „Zwangsrettung“ von Frauen, die Sexarbeit als beste für sie mögliche Option gewählt haben, helfen nicht, sondern machen uns nur das Leben schwer und verschlechtern unsere Arbeitsbedingungen. Antidiskriminierungsmaßnahmen und ein Abbau des gesellschaftlichen Stigmas dagegen nutzen sowohl aktiven Sexworkern als auch denjenigen von uns, die nach Alter-
nativen suchen und dabei die „Lücke“ im Lebenslauf erklären müssen.

BesD e.V.

Gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen von Escort bis Straßenstrich haben wir im Herbst 2013 schließlich den bundesweiten „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BesD e.V.) gegründet. Wir setzen uns ein für die wirkliche Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in der Sexbranche. Für eine konsequente rechtliche Anerkennung von Sexarbeit als Beruf statt diskriminierender Sondergesetze. Für Empowerment, Information und Weiterbildung statt Bevormundung durch eine Rettungsindustrie. Für den Erhalt der Vielfalt von Arbeitsstätten und Wahlmöglichkeiten statt Verbot von „Gangbang“ und Gruppensex. Für Arbeitsschutz und Mindeststandards in Bordellen statt moralisch motivierter Prostitutionsverhinderungsgesetze.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die nun von der Regierung angestrebte Erlaubnispflicht für Bordelle soll nicht etwa bundeseinheitlich faire Arbeitsbedingungen festlegen, sondern es soll jeder Kommune individuell überlassen bleiben, welche Auflagen – auch jederzeit nachträglich – ein Betrieb zu erfüllen hat. Hier geht es ganz offensichtlich nicht um gute Arbeitsplätze und Rechtssicherheit für „saubere“ Betreiber_innen, sondern um die Möglichkeit, unliebsame Bordelle jederzeit loswerden zu können.

Und gegen eine polizeiliche „Hurenkartei“, die so in Deutschland mit bekannten Konsequenzen zuletzt in den Vierzigerjahren geführt wurde, werden wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wehren. Unterstützen Sie uns dabei! http://berufsverband-sexarbeit.de/zwangsregistrierung-saemtlicher-sexarbeiterinnen-nicht-mit-uns/

Mehr über uns lesen Sie unter www.berufsverband-sexarbeit.de.

Ausgabe 4 - 2014Back

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