HIV-heute: Erwartungen ans Leben

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Was erwarten Menschen, die mit HIV leben, in Deutschland heutzutage von ihrem Leben – wie sehen sie ihre Perspektiven für Gesundheit und Lebensqualität, Geld und Arbeit sowie Liebe, Sex und Familie? Dank der Fortschritte in der HIV-Behandlung ist die Lebenserwartung eines HIV-Patienten mittlerweile fast mit der Lebenserwartung der Allgemeinbevölkerung vergleichbar, wenn die Therapie bei einem guten Immunstatus möglichst früh nach Diagnosestellung begonnen wird – aber ist dieser Therapiefortschritt auch wirklich als langfristige Lebensperspektive bei allen HIV-Positiven angekommen? Das ist leider nicht der Fall, wie eine europäische Umfrage in fünf Ländern mit jeweils rund 100 HIV-Positiven zeigt.* Und das, obwohl HIV heutzutage eine gut therapierbare, chronische Infektion ist!

In Deutschland nahmen an der Online-Befragung 103 Menschen, die mit HIV leben (People Living with HIV, PLWHIV), und 510 Menschen aus der Allgemeinbevölkerung als Kontrollgruppe teil. Viele der befragten PLWHIV haben Ängste hinsichtlich Zukunft, Langzeitgesundheit und Stigmatisierung - es muss also noch intensiver über moderne HIV-Therapien aufgeklärt werden, um den Sorgen und Ängsten der HIV-Positiven zu begegnen.
Das Bewusstsein für das Thema Langzeitgesundheit sollte dabei im Fokus stehen: Es geht nicht mehr nur um die Lebenserwartung, sondern um die Erwartungen ans Leben.

GESUNDHEIT und LEBENSQUALITÄT

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Die Wahrnehmung über den eigenen Gesundheitszustand sowie die eigene Lebensqualität und Lebenserwartung werden von den HIV-Positiven schlechter eingeschätzt, als es tatsächlich sein müsste.

Die Angst vor einem kürzeren Leben hindert HIV-Positive daran, langfristig zu planen und lässt sie vermehrt im Hier und Jetzt leben.

Mehr als zwei Drittel (69%) der behandelten PLWHIV mit einer nachweisbaren Viruslast bewerten ihre Gesundheit als ausreichend oder schlecht, und nur fast die Hälfte (47%) der behandelten PLWHIV mit einer Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze schätzen ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut ein. In der Kontrollgruppe gab nur jede dritte Person an, ihren Gesundheitszustand als unterdurchschnittlich einzuschätzen.

Unter HIV-Positiven ist die Angst, nicht so alt zu werden wie Gleichaltrige, 4x höher im Vergleich zu HIV-Negativen. Sogar jeder 2. HIV-Positive unter 35 Jahren erwartet, kürzer zu leben als Gleichaltrige. Daher leben 97% der HIV-Positiven in der Gegenwart – nach dem Motto „carpe diem“ planen sie nicht für ihre Zukunft. Dieses Motto lebt jeder 3. aus Angst, zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr da zu sein. Das alles schlägt sich in der Wahrnehmung der Lebensqualität und im Lebensstil der befragten PLWHIV nieder: Im Vergleich zu Nichtinfizierten vermuten gleichaltrige HIV-Positive mehr als 2x so häufig, eine geringere Lebensqualität zu haben. Und jeder 2. HIV-Infizierte, der wenig Sinn darin sieht, etwas für die Gesundheit zu tun, begründet dies damit, dass er bereits krank ist und es daher keinen Vorteil bringt.

Der Fortschritt, den moderne Therapien und ihre stetigen Verbesserungen in den letzten Jahren erzielt haben, ermöglicht PLWHIV eine fast normale Lebenserwartung bei hoher Lebensqualität. Dieser Fortschritt ist jedoch in der Realität der HIV-Positiven noch nicht angekommen, obwohl ein Leben unter vergleichbaren Bedingungen wie bei HIV-Negativen möglich ist.

LIEBE, SEX und FAMILIE

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Die Angst davor, den Partner anzustecken trotz einer Viruslast unter der Nachweisgrenze, ist immer noch sehr hoch.

Durch die Unsicherheit über die eigene Langzeitgesundheit schränken sich HIV-Positive ein, wenn es um langfristige Beziehungen geht.

Liebe, Freundschaft und ein gesundes Sexualleben haben für HIV-Positive einen höheren Stellenwert im Leben als bei HIV-Negativen. Trotzdem halten Bedenken bezüglich ihrer HIV-Infektion viele PLWHIV davon ab, mit ihrem Partner Sex zu haben (56%). Insgesamt 88% haben Angst, den Partner beim Sex mit HIV zu infizieren. Selbst von jenen PLWHIV, deren HIV-Viruslast durch die Therapie nicht mehr nachweisbar ist, geben 81% die Angst vor Übertragung als Hindernis an, mit einem Partner Sex zu haben - und das obwohl bei zuverlässiger Unterdrückung der HIV-Viruslast unter die Nachweisgrenze durch die HIV-Therapie nahezu keine Ansteckungsgefahr besteht.

Mehr als die Hälfte (56%) der HIV-Positiven sieht für sich keine Langzeitbeziehung oder Ehe weil sie ihre Gesundheit nicht als langfristig einschätzen. HIV ist bei mehr als einem Drittel (44%) eine Hürde, eine Familie zu gründen, obwohl es sich viele ihrer Partner wünschen. Für 53% erschwert die Stigmatisierung von HIV die Partnersuche und 23% haben kein Interesse an einer Langzeitbeziehung.

Durch die Unsicherheit über ihre langfristige Gesundheit und niedrigere Erwartungen an ihre Zukunft, schränken sich HIV-Positive bei ihrer Lebens- und Familienplanung immer noch stark ein – diese Sorgen und Ängste können HIV-Positiven heute genommen werden.

GELD und ARBEIT

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Finanzielle Pläne haben für PLWHIV eine geringere Priorität.

Zukunftsängste und Angst vor Stigmatisierung halten HIV-Positive davon ab, einen neuen Job zu suchen.

In der Allgemeinbevölkerung haben eine gute Gesundheit, finanzielle Stabilität und ein abgesicherter Ruhestand eine höhere Priorität als bei HIV-Positiven. Insgesamt 44% der HIV-Positiven, die wegen ihrer Infektion keinen neuen Job annehmen, begründen dies mit ihrer Unsicherheit bezüglich ihrer langfristigen Gesundheit. Angst vor Offenlegung ihrer HIV-Infektion gaben 56% der PLWHIV als Grund an, keinen neuen Job anzunehmen.

Das Bewusstsein, dass ein Leben mit HIV heute ein normales und sorgenfreies Leben sein kann, in dem man seine Zukunft aktiv und positiv gestalten kann - und muss -, werden durch die pessimistische Wahrnehmung über den eigenen Gesundheitszustand und die Angst vor einem kürzeren Leben in den Hintergrund gedrängt.

Eigentlich sollte es nicht mehr nur um die Lebenserwartung gehen, sondern um die Erwartungen, die PLWHIV heute durch die moderne Therapie an ihr Leben haben können. Diese Erwartungen und die Lebensqualität müssen sich nicht mehr grundlegend von denen der Allgemeinbevölkerung unterscheiden.

DIE BEFRAGUNG

Wie die Befragung durchgeführt wurde

Die Online-Befragung von Menschen, die mit HIV leben, und Menschen aus der Normalbevölkerung wurde von November bis Dezember 2016 in fünf europäischen Ländern durch das Marktforschungsinstitut „Censuswide“ im Auftrag von Gilead durchgeführt. Neben Deutschland (103 HIV-Positive und 510 HIV-Negative) nahmen Frankreich (103 HIV-Positive und 516 HIV-Negative), Großbritannien (105 HIV-Positive bzw. 565 HIV-Negative), Italien (101 HIV-Positive bzw. 566 HIV-Negative), und Spanien (110 HIV-Positive und 566 HIV-Negative) teil. Die Auswertung wurde kürzlich auf dem Europäischen Aidskongress in Mailand/Italien vorgestellt. Der Fragebogen enthielt insgesamt zehn Fragen zu den Kernthemen Gesundheit und Lebensqualität, Liebe, Sex und Familie, sowie Geld und Arbeit.

Wer waren die Befragten?

Zielgruppe der Befragung waren Über-16-jährige, die hinsichtlich sexueller Orientierung und HIV-Status repräsentativ verteilt waren. In Deutschland war die Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) mit 47 HIV-Positiven und 101 HIV-Negativen MSM am größten, gefolgt von heterosexuellen Männern (HIV+ 36 und HIV- 207) und Frauen (20 HIV+ und 201 HIV-). 56 HIV-Positive und 156 HIV-Negative waren zwischen 16 und 34 Jahre alt, 42 bzw. 210 zwischen 35 und 54 Jahre und 5 bzw. 132 waren älter als 55 Jahre. Von den PLWHIV konnte bei 16 trotz antiretroviraler Therapie die Viruslast nachgewiesen werden, bei 52 lag die Viruslast mit Behandlung unter der Nachweisgrenze, 25 waren bereits diagnostiziert, aber aktuell nicht in Behandlung, 8 waren diagnostiziert, aber noch nie in Behandlung und 13 Befragte wählten „anderer“ als Behandlungsstatus. Ein HIV-Positiver erhielt die HIV-Diagnose vor weniger als einem Monat, bei 26 war die Diagnose 1-11 Monate und bei 57 1-9 Jahre her, 15 wurden vor 10-20 Jahren und 4 vor mindestens 21 Jahren diagnostiziert

*Censuswide Healthcare 2016. HIV is: Expectations from Life. Online-Umfrage unter HIV-Infizierten aus 5 EU-Ländern.


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