12 th European Aids Conference, 11.-14. November 2009 in Köln
HIV in Europa: Osteuropa im Mittelpunkt

Switch auf QD Lopinavir/r-Tablette

Die IMANI-III-Studie ist endgültig ausgewertet: 31 Patienten aus den Studien IMANI I und II, deren Viruslast seit mehr als 96 Wochen mit der Monotherapie BID Lopinavir/r komplett unterdrückt war, erhielten nachfolgend 1x täglich Lopinavir/r als Tablette. Nach 48 Wochen lag die Viruslast bei 84% der Patienten nach wie vor unter 75 Kopien/ml. Bei 2 von 4 Patienten mit Wiederanstieg der Virämie wurden PI-Resistenzen nachgewiesen.

Gathe J et al. EAC 2009, Abstract PS4/5

Switch auf QD Darunavir/r

In der MONET-Studie war die Umstellung einer stabilen HIV-Therapie auf die Monotherapie 800/100 mg Darunavir/r (n=129) dem Switch auf Darunavir/r plus 2 NRTIs (n=127) nicht unterlegen: Nach 48 Wochen hatten in der ITT-Analyse 84% versus 85% Patienten <50 HIV-RNA-Kopien/ml. Bei 20 Patienten versagte die Monotherapie virologisch, meistens jedoch nur mit Blips von 50-200 Kopien/ml, die mit Umstellung oder Intensivierung wieder auf <50 Kopien/ml sanken.

Ripamonti D et al. EAC 2009, Abstract PS4/1

Induktion mit QD Darunavir/r

Eine initiale Therapie mit 1x täglich Darunavir/r scheint nicht zu funktionieren. Nach vier Wochen sank in einer Pilotstudie die Viruslast zwar bei allen 7 therapienaiven HIV-Patienten (Baseline 10.000-100.000 Kopien/ml und >100 CD4-Zellen/µl) um mindestens 1 Logstufe. Bei Woche 8 stieg die Viruslast jedoch bei 4 der 7 Patienten auf >400 Kopien/ml und bei Woche 24 hatten 2 der 4 verbliebenen Patienten <50 Kopien/ml. Darunavir/r-assoziierte Resistenzmutationen wurden nicht nachgewiesen. Nach Intensivierung mit 2 NRTIs erreichten wieder alle Patienten <50 Kopien/ml.

Patterson P et al. EAC 2009; Abstract PS4/4

Switch auf QD Atazanavir/r

In der OREY-Studie wurde die stabile HIV-Therapie bei 61 Patienten auf die Monotherapie 1x täglich Atazanavir/r umgestellt. Nach 48 Wochen lag die Viruslast bei 79% unter 400 Kopien/ml. Von den 15 Patienten, die die Monotherapie beendeten, hatten 9 ein virologisches Versagen. Bei 6 von den 9 war die Intensivierung erfolgreich, bei 1 Patienten wurde eine majore PI-Resistenzmutation nachgewiesen.

Pulido F et al. EAC 2009, Abstract PS4/6

Verankerungs-Hemmer VIR-576

Die erste klinische Studie mit VIR-576 ergab eine dosisabhängige Wirksamkeit: In einer
Dosiseskalationsstudie mit 18 therapienaiven HIV-infizierten Männern sank die Viruslast mit der höchsten verwendeten Dosis von i.v. 5 g/Tag innerhalb von 10 Tagen um 1,2 Logstufen. Die optimale Dosis scheint das jedoch noch nicht zu sein. Die Therapie wurde gut vertragen, schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten nicht auf. Nun wird zur Zeit eine subkutane Applikation für das Peptid entwickelt.

Schmidt RE et al. EAC 2009; Abstract PS10/4

TDF/FTC versus ABC/3TC: Toxizität

In der auf 96 Wochen angelegten ASSERT-Studie erhalten 385 therapienaive Patienten Efavirenz und entweder TDF/FTC oder ABC/3TC. In der ersten Auswertung nach 48 Wochen war die glomuläre Filtrationsrate (eGFR) nicht unterschiedlich, unter TDF/FTC trat jedoch eine moderate Verschlechterung der renalen tubulären Funktion auf. Die Knochendichte der Hüfte und Lendenwirbel nahm in beiden Gruppen ab, signifikant jedoch nur unter TDF/FTC. Dafür brachen mehr Patienten die Therapie mit ABC/3TC ab. In der ITT-Analyse war TDF/FTC wirksamer
(<50 Kopien/ml 71% versus 59%), in der OT-Analyse war der Unterschied geringer (96% versus 90%).

Stellbrink HJ et al. EAC 2009; Abstract PS10/1

MSM: Asymptomatische STD häufig

Insgesamt 18% der untersuchten HIV-negativen (n=100) und HIV-positiven (n=101) Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), einer Berliner Schwerpunktpraxis hatten asymptomatische anale und pharyngale Infektionen mit Neisseria gonorrhoeae und Chlamydia trachomatis, am häufigsten waren anale Chlamydien-Infektionen. Bei den HIV-negativen MSM konnten häufiger Chlamydien nachgewiesen werden als bei HIV-positiven MSM. Die Rate der Gonokokken-Infektion war in beiden Gruppen vergleichbar. Früher durchgemachte sexuell übertragbare Erkrankungen (ohne HIV) und ungeschützter Sex scheinen das Risiko für diese beiden asymptomatischen Infektionen zu erhöhen – nur 50% der untersuchten MSM-Population verwendeten Kondome.

Jessen H et al. EAC 2009, Abstract PS8/2

Fast pünktlich zum Karnevalsbeginn – um 11.30 Uhr am 11.11.2009 - begann der Europäische Aidskongress in Köln mit dem ersten Satelliten-Symposium. Themenschwerpunkte des Kongresses waren unter anderem der hohe Anteil an HIV-Infizierten in Europa, die von ihrer HIV-Infektion nichts wissen, die dramatisch ansteigenden Infektionszahlen in Osteuropa, vor allem in Russland unter den i.v.-Drogenkonsumenten, und die aktualisierten europäischen Leitlinien.

Trotz Schweinegrippe und Wirtschaftskrise besuchten mehr als 3.200 Teilnehmer aus allen Kontinenten den Europäischen Aidskongress. Die meisten der mehr als 2.800 europäischen Teilnehmer kamen aus Deutschland (513), UK (306), Spanien (288) und Frankreich (284). Aus Russland reisten 138, aus Rumänien 76 und aus Polen 40 Delegierte zum EAC 2009 an. Von den 632 eingereichten regulären Abstracts akzeptierte die European Aids Clinical Society (EACS) 426 (67%) und von den 43 als Late Breaker eingereichten Abstracts immerhin 16 (37%). Die EACS ermöglichte mit einem Stipendium 41 Ärzten, 11 Vertretern der Community und – das erste Mal – 41 Pflegekräften aus 20 verschiedenen Ländern den Besuch des europäischen Aidskongresses.

Die European Aids Clinical Society ehrte Nobelpreisträgerin Prof. Françoise Barré-Sinoussi, Paris/Frankreich

Die European Aids Clinical Society ehrte Nobelpreisträgerin Prof. Françoise Barré-Sinoussi, Paris/Frankreich (Abb. links) für ihre Grundlagenforschung und Prof. Schlomo Staszewski, Frankfurt (Abb. rechts: Prof. Peter Reiss, EACS, Dr. Veronica Miller, Washington/USA und Dr. Schlomo Staszewski) für seine klinische Forschung auf dem Gebiet HIV. Beide erhielten eine eigens für sie angefertigte Vase des Glaskünstlers Melvin Anderson, Amsterdam/Niederlande

Late Presenter schon bei <350 CD4-Zellen/µ

Die Zahlen waren nicht neu, die Prof. Jens Lundgren, Kopenhagen/Dänemark, als Co-Chair der „HIV in Europe Initiative“ vorstellte: Von den in Europa und den Nachbarländern lebenden geschätzten 2,5 Millionen HIV-Infizierten wissen viele nicht, dass sie infiziert sind – in der EU liegt die Rate bei durchschnittlich 50%, in Westeuropa sind es 30% und in den östlichen Nachbarländern 70%. Viele dieser Patienten werden erst diagnostiziert, wenn die Immundefizienz weit fortgeschritten ist (sogenannte „Late Presenter“). Neu ist jedoch die Definition der späten Diagnose: Statt wie bisher <200 CD4-Zellen/µl, wurde die Grenze auf <350 Zellen/µl erhöht – ein Tribut an den immer früher empfohlenen Therapiebeginn.


Kongresspräsident Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn, auf der Eröffnung des 12. EAC
Kongresspräsident Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn, auf der Eröffnung des 12. EAC


Diskussion der aktuellen europäischen Leitlinien
Diskussion der aktuellen europäischen Leitlinien

Russland tut nichts 

Die Zahlen sind erschreckend: In Ost-Europa und Zentral-Asien leben schätzungsweise 1,5 Millionen HIV-Infizierte und mehr als 80% der Infektionen sind auf gemeinsam benutzte Spritzen beim intravenösen Drogengebrauch und sexuelle Transmission von i.v.-Drogengebrauchern zurückzuführen. Mit 70% der HIV-Infizierten aus dieser Region liegt Russland ganz vorne (Steigerung der Neuinfektionen von 7/100.000 Bewohner im Jahr 1998 auf 307/100.000 Einwohner im Jahr 2008!), gefolgt von der Ukraine mit 20%. Craig McClure, früherer Chef der International Society, machte dafür die russische Regierung verantwortlich: Nach wie vor leugnen dort Gesundheitspolitiker wider besseren Wissens, dass Opioid-Substitution HIV-Infektionen verhindert. Die Substitutions-Therapie ist in Russland nach wie vor illegal und Nadelaustauschprogramme werden vom Global Fund finanziert.

Nächstes Jahr findet die Welt-Aidskonferenz in Wien statt – Russland sollte es laut McClure wegen der Diskriminierung von HIV-Infizierten nicht sein. In Wien werden alle Vorträge simultan ins russische übersetzt – hoffentlich werden damit auch die Personen erreicht, die die Verhältnisse in Russland ändern können.

Andrea Warpakowski, Itzstedt


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