General Idea – Virale Strategien

File Magazine
FILE Megazine, 1973

„Wir zogen in die Geschichte ein, besetzten Bilder, entleerten sie ihrer Bedeutung und reduzierten sie zu Hülsen. Dann füllten wir diese Hülsen mit Glamour, der sahnigen Windbeutelunschuld von Hohlköpfen, der schlimmen Stille von Haifischflossen, die ölige Gewässer durchschneiden.“ (General Idea)

Die kanadische Künstlergruppe General Idea wurde 1968 von AA Bronson (geb. 1946 in Vancouver), Felix Partz (geb. 1945 in Winnipeg) und Jorge Zontal (geb. 1944 in Parma) in Toronto gegründet und bestand 25 Jahre, bis zum Aids-Tod von Partz und Zontal 1994.

Playing Doctor, 1992
Playing Doctor, 1992

Laut AA Bronson, der heute „Printed Matter, Inc.“, einen Verlag für Künstlerbücher und Multiples betreibt, entstand General Idea „in den Nachwehen der Pariser Studentenunruhen, aus den Überbleibseln von Hippiekommunen, Untergrundzeitungen, radikaler Pädagogik, Happenings, Love-Ins, Marshall McLuhan und der Situationistischen Internationale. Wir glaubten an eine freie Ökonomie, an die Abschaffung des Urheberrechts und an horizontale, basisdemokratische Strukturen, die die Architektur des Internets vorwegnahmen“.

SUBVERSIVE Strategien

Das Ziel von General Idea war, mit ihren Aktionen und Kunstobjekten nicht nur die relative kleine Öffentlichkeit des Kunstbetriebs zu erreichen, sondern auch die breite Masse. Zu diesem Zweck bediente sich die Gruppe der typischen Erscheinungsformen der Populär- und Medienkultur: Schönheitswettbewerbe, Messepavillons, Talkshows, aber auch Boutiquen, Tapeten und insbesondere Multiples wie Magazine, T-Shirts, Ballons, Anstecker und Postkarten – Kunstobjekte in unbestimmter Auflage, die nicht nur die traditionelle Vorstellung von einem künstlerischen Original sabotieren, sondern auch für ein größeres Publikum erschwinglich bzw. ganz umsonst erhältlich sind.

Die subversive Strategie des Kollektivs bestand in der Aneignung und Umfunktionierung von typischen Formen der Hoch- und Populärkultur. Dadurch stellten sie das Verhältnis von Kunst und Medien, Kunst und Markt oder Kunst und AIDS zur Diskussion – ganz im Sinne der klassischen Avantgarde-Forderung nach der Verbindung von Kunst und Leben.

LIFE / FILE

Das deutlichste Beispiel für die Herangehensweise, sich Erscheinungsformen der Massenmedien anzueignen, war das FILE Megazine, das von 1972 bis 1989 erschien. Der Name leitet sich vom bekannten LIFE Magazin ab, ebenso die gestalterische Aufmachung – nur dass statt Klatsch Theorie darinstand. Der Begriff „Glamour“ repräsentiert für General Idea dabei ebenso den Charakter der Kunstshow wie auch die Künstlichkeit unserer Kultur.

1975 veröffentlichten sie in einer FILE Ausgabe das sogenannte „Glamour Manifesto”, in dem sie weite Strecken von Roland Barthes’ Text „Mythen des Alltags“ verwendeten und ihn zu einem Übermythos namens „Glamour” umschrieben. Barthes hatte in seinem Text dargelegt, wie auch die moderne Gesellschaft von Mythen – der Werbung, des Rechts, der Wissenschaft usw. – geprägt ist. Sie illustrierten den Text jedoch mit für Hochglanz-Modemagazinen typischen Fotos.

In Projekten wie dem FILE Megazine wendeten General Idea die Strategie des „viralen Kunstwerks“ an: „Besonders das FILE Megazine sahen wir schon damals als eine Art Virus – ein Virus, das die Zeitschriftenkioske befällt und dort mit seinem Life-ähnlichen Format einen Zustand herstellt, den man als Simulakrum von Normalität bezeichnen kann” so AA.

AIDS /LOVE 

AIDS (Cadmium Green Light), 1988
AIDS (Cadmium Green Light), 1988

Die virale Strategie bestimmte in den folgenden Jahren die Arbeit der Gruppe, sie sollte jedoch in den 80ern eine ganz neue, prägende Bedeutung bekommen: denn ab 1987 bis zur Auflösung von General Idea 1994 – die wiederum durch ein Virus bewirkt wurde – war das zentrale Thema der Gruppe Aids.

Dabei wendete sie ihre Praxis des „Found Format“ – bekannte Werke der Kunstgeschichte in ihrem Sinne zu verändern – auf eine Ikone der Pop-Art an: Robert Indianas Schriftbild LOVE. Dabei ersetzten sie LOVE durch das Wort AIDS und ein Giftgrün der Schrift verdeutlichte den viralen Charakter. Zuerst nur als traditionelles Bild auf Leinwand hergestellt, multiplizierten sie es bald in Form von Aufklebern, Postern, als Tapete usw. – dadurch wurde es quasi ein zum Virus gewordenes Kunstwerk. Die nun harmlos erscheinende emotionale Botschaft der Hippiebewegung hatte sich in die Evozierung einer tödlichen Bedrohung – die freie Liebe in einen unkontrollierbaren Virus verwandelt.

Die Arbeit „Infected Mondrian” von 1994 wendet dieselbe Vorgehensweise an, nur subtiler: Statt einer Fläche in der zu erwartenden „reinen“ Grundfarbe Gelb (neben Blau und Rot) als Farbe erster Ordnung, mit denen Mondrian neben Schwarz, Grau und Weiß ausschließlich arbeitete, sieht der Betrachter ein Grün, das Bild wirkt dadurch wie von einer Krankheit infiziert.

AZT / PLA©EBO

Infected Mondrian #8, 1994 Courtesy Mai 36 Galerie, Zürich
Infected Mondrian #8, 1994
Courtesy Mai 36 Galerie, Zürich

One Year of AZT, 1991
One Year of AZT, 1991

Neben den AIDS Bildern entstanden auch verschiedene Installationen, die auch Alltag eines HIV-Infizierten zum Thema machten: So visualisierte General Idea in zwei miteinander verbundenen Installationen aus dem Jahr 1991 – „Ein Tag mit AZT“ und „Ein Jahr mit AZT“ – die tägliche bzw. jährliche Dosis von AZT Pillen, die in den 80er Jahren Aids-Infizierte einnahmen: dabei waren die Wände in einem Raum mit 1825 überdimensionierten Pillen in einer kühlen, klinisch wirkenden Rasterform, die Assoziationen an Kalender wie auch an Gedenktafeln weckt, komplett bedeckt. Auf dem Boden befanden sich – parallel ausgerichtet – fünf riesige Pillen, deren Größe an Särge erinnert. Der Raum wirkt dadurch eher wie ein Memorial für Tote als eine Stätte der Hoffnung auf Heilung.

Selbstporträts

Neben diesen, das Thema Aids konkret erfahrbar machenden Arbeiten realisierte General Idea zunehmend auch Selbstporträts – wie um angesichts der Epidemie, die meist in abstrakten Zahlen der Opfer gemessen wurde, auch an die Individuen zu erinnern, die da starben.

„P is for Poodle“ zeigt die drei Künstler karikaturhaft als Pudel – Sinnbild für überzüchtete und vermenschlichte Hunde. Die Individualität der Personen ist durch die gleiche Verkleidung mit den Pudelohren und die sich nur in der Farbe unterscheidende Anzüge stark zurückgenommen. Ein selbstironischer Kommentar zu Künstlichkeit unserer Kultur, von der sich auch General Idea selbst nicht ausnahm.

Auch das Selbstporträt „Doctors“ betont sowohl die Individualität wie auch die Gruppe als einen Organismus: Das Stethoskop wird zu einer Leitung oder Nabelschnur, die die drei Individuen verbindet, eine lebenswichtige Verbindung, die über den Köpfen schwebenden Pillen wie virale Ideen, wobei das Virale hier wohl für die Krankheit wie auch die Subversivität steht.

P is for Poodle, 1982
P is for Poodle, 1982

Individualität als Grenze

Der Tod von Felix Partz und Jorge Zontal 1994 bedeutete auch das Ende von General Idea. AA Bronson hat sich entschlossen, als Einzelkünstler weiterzuarbeiten.

„Nachdem Jorge und Felix starben, kämpfte ich damit, die Grenzen meines eigenen Körpers als unabhängigen Organismus zu finden, und mich außerhalb von General Idea zu befinden. Während der letzten fünf Jahre habe ich mich selbst wiedergefunden, ziemlich ähnlich wie das Opfer eines Schlaganfalls, und wieder die Grenzen meines Nervensystems kennenzulernen, wie ich ohne meinen erweiterten Körper funktioniere (nicht mehr drei Köpfe, zwölf Extremitäten), wie ich Möglichkeiten aus meiner reduzierten physischen Form erschaffe.“



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