Interview mit Prof. Karl F. Mann, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
Abstinenz bleibt, Reduktion nur bei Alkohol akzeptabel
Viele Ärzte bemerken bei ihren Patienten riskantes Trinkverhalten. Was sollte man dann tun?
Prof. Mann: Wenn man erkennt, dass es da ein Problem gibt, sollte man es ansprechen und dem Patienten raten, den Alkohol zu reduzieren – sofern noch keine Abhängigkeit besteht.
Das klingt sehr einfach. Wie erfolgreich ist denn eine solche Kurzintervention?
Prof. Mann: Es gibt viele Studien zum Nutzen der Kurzintervention, allerdings sind die Bedingungen sehr unterschiedlich. Was man aber mit Sicherheit sagen kann, dass die Kurzintervention, also das Ansprechen des Problems und der ärztliche Rat signifikant besser ist als Nichtstun.
Bei Alkoholabhängigkeit kann der initiale Entzug laut Leitlinie auch ambulant erfolgen. Welchen Patienten kann man diese Möglichkeit anbieten?
Prof. Mann: Voraussetzungen für einen ambulanten Entzug sind, dass keine Krampfanfälle und/oder Delirien in der Vorgeschichte bekannt sind und – ganz wichtig – dass der Patient quasi in regelmäßigen Abständen beobachtet werden kann, z.B. durch Angehörige. Ferner sollte ein rund um die Uhr besetzter Notfalldienst erreichbar sein. In anderen Ländern ist dieses Vorgehen bereits seit längerem Standard. In Deutschland nimmt der ambulante Entzug langsam zu.
Erstmals wird in der Leitlinie die Reduktion der Trinkmenge als Alternative zur Abstinenz genannt. Wann sollte man das in Betracht ziehen?
Prof. Mann: Das erste und beste Ziel bei jeder Abhängigkeit ist die Abstinenz. Die Abstinenz stellt jedoch für viele Betroffene zumindest am Anfang eine so hohe Hürde dar, dass sie trotz besseren Wissens gar nichts dagegen tun. Die Reduktion der Trinkmenge ist daher besser als gar nichts und wurde in der Praxis auch immer schon empfohlen als Einstieg in die weitere Therapie oder zur Schadensminimierung. Jetzt haben wir Daten, die den Nutzen dieses Ansatzes belegen, und deshalb haben wir dies in die Leitlinie aufgenommen.
Bei der Reduktion der Trinkmenge kann man den Patienten laut Leitlinien neuerdings auch medikamentös unterstützen. Für welchen Patienten sind welche Substanzen geeignet?
Prof. Mann: Die Medikamente sind – und das möchte ich hier betonen – nur eine Teilstrecke auf dem Weg zu Reduktion oder Abstinenz. Zur Unterstützung bei der Reduktion der Trinkmenge ist Nalmefen zugelassen. Das Medikament wurde nach den neuen Vorgaben der EMA geprüft und hat Konsum und schwere Trinktage im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert. Den Effekt sollte man allerdings trotz Signifikanz nicht überschätzen. Die Wirkung ist eher moderat. Nalmefen ist in meinen Augen insbesondere für Menschen geeignet, die am Anfang einer Abhängigkeit stehen.
Acamprosat und Naltrexon sind seit vielen Jahren auf dem Markt und wurden damals zum „Erhalt der Abstinenz“ zugelassen. Das heißt die Patienten müssen entzogen sein. Im Prinzip kommt zumindest Naltrexon auch zur Reduktion der Trinkmenge in Frage, allerdings handelt es sich dann um einen „Off-label“ Einsatz. Die vierte Substanz Disufiram ist in Deutschland nicht mehr zugelassen und nur noch über internationale Apotheken erhältlich. Sie kann für eine kleine Gruppe von schwer Abhängigen hilfreich sein.
Beim Rauchen bleibt das Therapieziel Abstinenz. Warum?
Prof. Mann: Anders als bei Alkohol hat eine mäßige Reduktion des Rauchens in Studien keinen günstigen Einfluss auf Tabak-assoziierte Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit gezeigt. Deshalb bleiben wir in den Leitlinien bei der Forderung nach Abstinenz.
Wie ist der Stellenwert von Medikamenten bei der Raucherentwöhnung?
Prof. Mann: An erster Stelle steht hier – wie beim Alkohol auch – Beratung und Verhaltenstherapie. Nikotinersatzstoffe können beim Entzug helfen, dazu gibt es solide Daten. Daher eine klare Empfehlung in der Leitlinie. Buproprion und Vareniclin sind nach einem gescheiterten Versuch der erstgenannten Maßnahmen indiziert und haben ebenfalls einen in Studien nachgewiesenen Effekt.
Relativ neu ist ja die E-Zigarette...
Prof. Mann: Ja, die sogenannte E-Zigarette ist relativ neu. Es gibt einige Untersuchungen mit widersprüchlichen Ergebnissen. Zudem sind die Inhaltsstoffe von E-Zigaretten weder definiert noch im Einzelnen bekannt. Jeder Hersteller kann unkontrolliert zusetzen, was er will. Uns liegen Informationen vor, dass da sogar Alkohol mit verdampft wird zur Steigerung des Effekts. Aus all diesen Gründen geben die Leitlinien derzeit keine Empfehlung für die E-Zigarette.