Max Braun, Bad Aibling
Crystal Meth
Methamphetamin kann relativ einfach aus chemisch-pharmakologischen Grundstoffen wie Ephedrin oder Phenylaceton gewonnen werden. Neben dem hohen Suchtpotential zeigt die Droge häufig einen schnellen körperlichen Verfall und erhebliche Begleiterkrankungen der Konsumenten.
Geschichte
Methamphetamin wurde in kristalliner Form erstmalig 1919 in Japan halb-synthetisch aus Ephedrin gewonnen. Im Deutschen Reich wurde synthetisches Methamphetamin vor Kriegsbeginn ab 1938 unter dem Markennamen Pervitin® von den 1933 „arisierten“ Temmlerwerken in Berlin vertrieben. Die Substanz steigert die Risikobereitschaft und vermindert Hunger und Müdigkeit und erlangte deshalb als Tabletten oder mit Schokolade vermengt („Fliegerschokolade“, „Panzerschokolade“) für die Soldaten an der Front sehr bald erhebliche Bedeutung. Über 35 Millionen Tabletten wurden an die Wehrmacht geliefert und so bat z.B. der junge Soldat und spätere Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll bereits ab November 1939 regelmäßig in den Feldpostbriefen an seine Eltern um die Zusendung von Pervitin®, um den Kriegsdienst zu ertragen. Aufgrund der besorgniserregenden Berichte über massive Abhängigkeitserscheinungen bei Wehrmachtssoldaten wurde Pervitin® ab 1941 dann dem Reichsopiumgesetz unterstellt.
Nach dem Krieg wurde Methamphetamin noch bis in die 1970iger Jahre sowohl von der Bundeswehr als auch der NVA eingelagert bis die Substanz vorübergehend aus dem Blickfeld der deutschen Öffentlichkeit verschwand und 1988 endgültig vom Markt genommen wurde. Auf US-amerikanischer Seite und in Asien fand Methamphetamin noch wesentlich länger Verwendung, u.a. im Vietnamkrieg und versuchsweise bei der Behandlung von ADHS.
Erst Anfang der 1990er Jahre kamen wieder vereinzelt Berichte aus grenznahen Gebieten in Ostdeutschland über den Konsum von Crystal Meth an die Öffentlichkeit. Sie wurden aber überlagert durch die Berichterstattung über den verheerenden Konsum in den USA, insbesondere in den Trailerparks der weißen Unterschicht. Bekannt wurde die Substanz in Deutschland durch die vielfach nachgedruckten Bilder ausgemergelter amerikanischer Konsumenten (faces of meth) und die mehrfach ausgezeichnete US-Fernsehserie Breaking Bad (2008), in der sich der lungenkranke Chemielehrer Walter White – ursprünglich um seine Arztkosten zu bezahlen – in einen rücksichtslosen Methamphetamin-Händler wandelt.
Spätestens seit 2010 – wohl zeitgleich mit der Übernahme der Herstellung und Vertrieb von Methamphetamin durch eine gut organisierte vietnamesische Bevölkerungsgruppe in Tschechien – häuften sich auch wieder in Deutschland die Berichterstattungen über massiven Konsum – zunächst grenznah von „Tagestouristen“ in Sachsen und nachfolgend in Bayern.
Wirkmechanismus
Methamphetamin gehört zu der großen Gruppe der synthetisch hergestellten amphetaminartigen Stimulanzien (ATS). Vereinfacht gesagt wirken alle Amphetamine durch Hemmung der neuronalen Wiederaufnahme im Gehirn steigernd auf drei große Neurotransmittersysteme:
- Noradrenerg (Blutdruck steigernd, Bronchien weitend, aufputschend, Schmerz und Hunger unterdrückend)
- Dopaminerg (Wachheit und Konzentration steigernd, halluzinogen)
- Serotonerg (euphorisierend, entaktogen und empathogen: Steigerung von Stimmung, von Zugang zu sich selbst und zu anderen)
Bekannte Weck(Amphet-)amine, „Speed“, wie Captagon (Fenetyllin), AN1 (Amphetaminil), Ritalin (Methylphenidat) oder Vigil (Modafinil) wirken überwiegend dopaminerg und steigern damit besonders die Wachheit und Konzentration und werden daher gerne als „Gehirndoping“ in Prüfungssituationen oder als allgemeine Neuroenhancer zur Leistungssteigerung missbraucht.
Amphetaminartige wie Ecstasy (MDMA), bekannt aus der Party- und Rave-Szene der 1980er Jahre wirken schwerpunktmäßig serotonerg und zeigen entsprechend ihre zwischenmenschliche Wirkung (Loveparade: „Ich hab mich lieb – ich hab Dich lieb – wir haben uns alle lieb und tanzen die ganze Nacht“....)
Im Gegensatz dazu wirkt Methampetamin schwerpunktmäßig noradrenerg: Es steigert Blutdruck, Wachheit und insbesondere das Selbstwertgefühl und versetzt den Körper scheinbar in einen Kampfmodus (fight or flight) – ohne Schmerz und Hungergefühl aber eben auch ohne eine längerdauernde Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Tierversuche deuten darauf hin, dass Methamphetamin die zentrale Dopaminausschüttung im Motivationszentrum des Gehirns (Nucleus Accumbens) künstlich um das Fünffache des normalerweise maximal möglichen steigert und dadurch massiv in die Zielgerichtetheit der Handlungen des Konsumenten eingreift.
Im Entzug treten nach Absetzen der Dauerstimulation der obigen Transmittersysteme die typischen Mangelzustände auf mit nachfolgender lethargischer Erschöpfung, ausgeprägtem Hungergefühl, Dauermüdigkeit trotz Schlafmangel sowie allgemeiner depressiver Lustlosigkeit.
Pharmakologie
Methampetamin wird zumeist aus Ephedrin, einem amphetaminartigen Alkaloide, aus der weltweit vorkommenden strauchartigen Heilpflanzen der Gattung Ephedra („Meerträubel“) gewonnen. In der Regel wird das geruchslose Salz konsumiert, die freie Base ist eine ölige Flüssigkeit und kaum verbreitet. Die Einnahme erfolgt zumeist nasal oder in Wasser gelöst intravenös, kann aber auch geschluckt oder „geraucht“ (eigentlich verdampft) inhaliert werden.
Die Substanz durchdringt im Vergleich zu anderen Amphetaminen die Blut-Hirn-Schranke schneller und dringt –ebenfalls als Besonderheit – schädigend in das Nervenzellinnere ein. Sie wird über Cytochrom P450 CYP2D6 per N-Demethylierung verstoffwechselt und über die Niere ausgeschieden. Die therapeutische Dosis lag 1938 bei 30 mg/Tag, aktuelle Berichte über einen süchtigen Konsum von bis zu 3 g/Tag sind nicht ungewöhnlich (hundertfache Dosis!). Der Wirkeintritt erfolgt je nach Applikationsform innerhalb von Sekunden bis Minuten und hält über mehrere Stunden an. Wie bei vielen zentral wirksamen Substanzen stellt sich nach mehrmaliger Einnahme auch bei Methamphetamin ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Einer, gegebenenfalls kurzen und vorübergehenden Sensitivierung, folgen adaptive Umbauprozesse im Gehirn mit der Tendenz einer Wirkabschwächung. Es handelt sich um den cerebralen Versuch die neuentstandenen neuronalen Transmitter-Imbalancen wieder auszugleichen und neu einzujustieren. Ermöglicht wird dies über adaptive Prozesse wie Senkung der Rezeptordichte, Steigerung von Substanzabbau oder Reduktion von Transmitterproduktion und Ausschüttung. Als Ergebnis erfolgt ein, meist kontinuierlicher Wirkverlust (Toleranz) mit dem Zwang zur kontinuierlichen Dosissteigerung und der erheblichen Gefahr nachfolgender Gewöhnung, Kontrollverlust und Abhängigkeit.
Klinik
Die Wirkung wird subjektiv mit einer explosionsartigen Wachheit und dem Gefühl unendlicher Power beschrieben, selbst monotone Tätigkeiten (Hausputz) wirken attraktiv ebenso steigt die Bereitschaft zur sexuellen Paarung.
Objektiv kommt es zunächst zu einer Unterdrückung des Schlafbedürfnisses, zu Steigerung von Blutdruck, Puls und Bronchienweite, zu Mundtrockenheit, kalten Händen und motorischer Unruhe – Trippeln, Zähneknirschen, Grimassieren („Gesichtsfasching“), zu einer Steigerung des Redebedürfnisses („Laberflash“) sowie zu einer Steigerung der Risikobereitschaft (Aggressivität) bei objektiver Abnahme der zielführenden kognitiven Leistungsfähigkeit („Verspultheit“).
Längerfristig kommt es zu einer schnellen körperlichen und psychischen Abhängigkeit, einem schnellen körperlichen Verfall mit Gewichtsverlust, Zahnverlust, Akne sowie zu anhaltenden kognitiven Störungen in Form von
- Merkfähigkeitsstörungen – vermutlich durch den prinzipiell reversiblen Rezeptorverlust im Gehirn aufgrund erhöhten oxidativen intrazellulären Stresses.
- Paranoiden Psychosen aufgrund der frontalen dopaminergen Überstimulation
Epidemiologie
Weltweit geht man derzeit von über 25 Millionen Abhängigen aus, überwiegend in den USA und Asien. In Deutschland besteht nach wie vor eine ungleiche Verteilung mit einem Schwerpunkt entlang der grenznahen Regionen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Oberfranken, Oberpfalz und Niederbayern mit einer zunehmenden Tendenz auch im übrigen Bundesgebiet einschließlich Berlin. Die Polizei und die Drogenhilfe Sachsen berichten seit 2010 von kontinuierlichen Steigerungsraten um jeweils jährlich von 30 bis 100% (!) der aufgegriffenen Substanzmengen, der Zahl der Erstkonsumenten und der Zahl der akut Behandlungsbedürftigen (aktuell geschätzt >20.000). Der Preis variiert von 10 €/g im Landesinneren in Tschechien, über 30 €/g im Grenzgebiet bis zu 100 €/g in München oder Frankfurt/M.
Wie bei allen Drogen (außer Benzodiazepinen) sind auch bei Methamphetamin-Abhängigkeit meist Männer betroffen, allerdings liegt hier als Besonderheit ein besonders hoher Frauenanteil (>30%) vor, möglicherweise hilft Methamphetamin zumindest zeitweise eine „gelangweilte Überforderung“ (Haushalt, Kinder, Beruf, Sexualität…) besser zu ertragen.
Therapie
Der Erstkontakt zum Suchthilfesystem erfolgt meist über Suchtberatungsstellen oder dem Hausarzt. Aufgrund des besonders ungeplanten Zeitmanagements der Patienten wird eine zeitnahe Terminvergabe dringend empfohlen. Zunehmend erfolgt aber auch der Therapeutische Erstkontakt über polizeilich vermittelte Notaufnahmen in Psychiatrien oder Krankenhäusern (Psychose). Der klassische Behandlungsweg nach Erreichen einer ausreichenden Veränderungsmotivation ist zumeist eine mehrwöchige stationäre Entgiftung (Krankenkasse ->Entzug) und möglichst nahtlos(!) anschließend eine mehrmonatige stationäre Therapie (Rentenversicherung ->Rehabilitation) zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung in Abstinenz. Zunehmend erweitert sich das Behandlungsspektrum aber auch um teilstationäre und ambulante Therapieangebote die jedoch gefestigtere Patienten und ein stützendes Umfeld erfordern.
Weitere Schwerpunkte in der Therapie sind:
Abhängigkeit
Während der mehrmonatigen multiprofessionellen Therapie sollte der Patient die Grundlagen seiner Sucht erfahren und individuell das Bedingungsgefüge seines Konsums im Rahmen der therapeutischen Beziehung erkennen und entsprechende Strategien zur Rückfallprävention einüben. Wichtige Bestandteile insbesondere bei Selbst- und Fremdaggression sind auch Übungen zur Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit. Generell ist eine Selbstwertproblematik bei Amphetaminabhängigen in einer Leistungsgesellschaft zu vermuten. Ein Teil der Patienten hatte Methamphetamin konsumiert um leistungsfähiger zu sein, z.B. bei der Integration von Familie und Beruf. Hier kann die kreative Ergotherapie zu mehr Selbstfürsorge führen.
Meth mouth
Ein desaströser Zahnstatus, wohl auf Basis des reduzierten Speichelflusses in Kombination mit mangelnder Dental-Hygiene und Kauexzessen erfordert in der Regel die mehrmonatige Zusammenarbeit mit einem geduldigen Zahnarzt und birgt Probleme bei Therapieabbruch und Kosteneigenbeteiligung.
Crystal Akne
Entstanden wohl auf dem Boden Methamphetamin-induzierter Hauttrockenheit und Stresshormonausschüttung (Xerose und Steroidakne), aggraviert durch mögliche Manipulationen in der Psychose (Dermatozoenwahn) erfordert eine Aufklärung der Patienten, regelhaft Besserung unter „aktivem Zuwarten“.
Snorter warts, Hepatitis C und HIV
Nasaler Konsum schützt nicht vor Infektionen! Die Gefahr droht durch infizierte Geldscheine (gingen durch viele Hände ->Papillomavirus!) mit nachfolgender Ausbildung wuchernder Nasenwarzen. Ziel Zusammenarbeit mit Hautarzt.
Die Weitergabe von Nasenröhrchen (Geldschein, Silber, Strohhalm) ist durch blutende Mikroläsionen der Nasen-Schleimhaut ein hohes Infektionsrisiko auch für die Weitergabe von Infektionskrankheiten (HepC, HIV) ->Aufklärung dringend empfohlen (!)
Arterielle Gefäßschäden
Die dauerhafte Überstimulation mit Methamphetamin kann zu Blutdruckkrisen und überwachungspflichtigen Schäden führen, u.a. an Herzinnenwand, Nierenparenchym, Magenschleimhaut, cerebralen Aneurysmen mit Dauerkopfschmerzen. Regelmäßige RR-Kontrolle zu überlegen.
Langzeitpsychosen
Aufklärung über kausalen Zusammenhang zwischen cerebraler dopaminerger Überstimulation durch Methamphetamin und THC (zum „runterkommen“) und Halluzinieren und psychotischem Erleben. Erfordert oft eine frühzeitige und längerfristige Neuroleptika Gabe mit engmaschiger Diagnostik im weichem Setting sowie Aufklärung bezüglich der Angst vor medikamenteninduzierter Gewichtszunahme (->Aripiprazol?)
Depressionen
Aufklärung über die Möglichkeit eines anhaltenden serotonergen Defizits nach Entzug. Erfordert frühzeitige Antidepressive Behandlung (->SSRI? Bei Schlafstörungen ->Mirtazapin?)
Kognitive Defizite
Präsentieren sich u.a. in Merkfähigkeitsstörungen und Paralogischen Gedankengängen. Möglicherweise basierend auf Hippocampaler Rezeptorschädigung durch intrazelluläres Methamphetamin. Die Behandlung erfordert Geduld im Therapeutischen Team, langsame Bes-serung (neuronale Remodellierung) verspricht kognitives Training z.B. am PC.
Hypersexualität
Erklärt sich einerseits durch generellen „Bindungshunger“ bei vielen Patienten mit früher Traumatisierung oder Bindungsstörung (borderline) sowie durch die besondere, Methamphetamin bedingte Stimulation. Erfordert spezielle Patientenaufklärung (Ursache, Verhütung, Infektionen), möglichst Geschlechter getrennt und auch in der Gruppe, im stationären Setting unter besonderem Schutz der schwächeren Partner (meist der Frauen).
Aufmerksamkeitsdefizit, ADHS
Eine besondere Subgruppe stellen Patienten mit einem adultem ADHS dar, die ihre Amphetaminabhängigkeit möglicherweise im Rahmen einer missglückten Selbstmedikation erworben haben. Eine nachfolgende eigenverantwortliche Substitution mit z.B. Methylphenidat bei Abhängigkeit mit Kontrollverlust ist wohl nur selten indiziert. Doch könnte, nach Aufklärung, ein Therapieversuch mit Venlafaxin oder Atomoxetin in Kombination mit Verhaltenstherapie Linderung schaffen.
Einen weiteren Spezialfall stellen Amphetaminabhängige Mütter mit ihren aufmerksamkeitsdefizitären Kindern dar, die das vom Kinderpsychotherapeuten verordnete Methylphenidat für ihre Kinder verwalten sollen. Hier empfiehlt sich eine engmaschige Zusammenarbeit von Suchttherapeut und Kinderpsychotherapeut.
Essstörung
Medizinische
Aufklärung über den kausalen Zusammenhang zwischen
Methamphetamin-Absetzen und der
Gewichtszunahme. Hinterfragen des
Körperschemas besonders vor dem Hintergrund einer visualisierten
Welt und einer möglicherweise bestehenden Selbstwertproblematik.
Einsatz von Sporttherapie und Ernährungsschulung.
Freizeitverhalten, Glücksspiel
Ein Grundproblem vieler Suchterkrankungen ist die Rückfallgefahr besonders in der Freizeit. Methamphetaminkonsum ist häufig begleitet durch Automatenglücksspiel mit erheblichem Familien- und selbst zerstörerischen Potential. Hier ist das Erlernen einer sinnvollen, geplanten und spannenden Freizeitgestaltung ein weiterer Schlüssel zu dauerhafter Wiedererlangung von freier Selbstbestimmung durch Drogenabstinenz.