Interview Mit Dr. Heiko Jessen, Berlin
STI – Fragen aus der Praxis

Die Diagnostik und Therapie von sexuell übertragbaren Erkrankungen gehört in vielen HIV-Schwerpunktpraxen zur Routine. Doch nicht alles ist Routine, immer wieder gibt es knifflige Situationen. Dr. Heiko Jessen, Berlin, kennt solche Probleme von vielen Seiten: als Vorstandsmitglied der DSTIG, als Wissenschaftler und als Arzt in der Praxis.

Dr. Heiko Jessen, BerlinDr. med. Heiko Jessen
Praxis Jessen2
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Akademische
Lehrpraxis der
Charité Berlin
Motzstraße 19 · 10777 Berlin
E-Mail: heiko.jessen@praxis-jessen.de

Wie häufig sind positive Befunde beim Screening von asymptomatische MSM?

Dr. Jessen: Wir schätzen, dass 50% aller STI in den drei Körperöffnungen asymptomatisch sind. In einer eigenen Untersuchung sowie in der PARIS-Studie des Robert Koch-Instituts, in denen mehrere Hundert MSM ohne Symptome konsekutiv gescreent wurden, konnten bei 10-15% der MSM Gonokokken und Chlamydien im Abstrich nachgewiesen werden.

Wie gefährlich sind unbehandelte Gonokokken- bzw. Chlamydien-Infektionen für den Betroffenen?

Dr. Jessen: Das ist eine wichtige Frage, doch leider wissen wir nicht, wie hoch die Rate der Spontanheilungen ist und wie häufig Komplikationen sind. Grundsätzlich haben die Betroffenen aber ein erhöhtes Risiko von Komplikationen wie Arthritiden, Infertilität etc. Aufgrund dieses zwar nicht bezifferbaren, aber doch relevanten Risikos ebenso wie aufgrund der möglichen Transmission auf Sexualpartner, halte ich eine Behandlung immer für indiziert.

Welche Bedeutung haben Mykoplasma genitalium und Ureaplasma urealyticum?

Dr. Jessen: Klinisch bedeutsam sind diese Keime als Erreger der nicht-gonorrhoischen Urethritis. Infektionen mit Mykoplasma genitalium verlaufen allerdings in 70-80% der Fälle asymptomatisch. Deshalb testen wir bei uns in der Praxis im Rahmen des STI-Screening auch auf Mykoplasmen. Bei einem positiven Befund wird behandelt, denn es kann zu Komplikationen wie bei Gonorrhoe und Chlamydien kommen. Ureaplasmen sind noch viel seltenere Erreger der nicht-gonorrhoischen Urethritis und ihre pathologische Bedeutung ist bislang unklar. Behandelt werden sollte hier nur bei Beschwerden.

Welche Bedeutung haben Blutuntersuchungen beim STI-Screening?

Dr. Jessen: Außer HIV Antikörpertest, gegebenenfalls sogar der HIV PCR, der Lues-Serologie und den Untersuchungen auf Hepatitis A, B und C gibt es keine sinnvollen Blutuntersuchungen auf STI. Chlamydien-Serologien haben in diesem Zusammenhang überhaupt keine Bedeutung.

Nicht selten bekommen Patienten die Nachricht, dass bei ihrem Sexpartner eine STI diagnostiziert wurde.

Dr. Jessen: Hier plädiere ich für ein ganz pragmatisches Vorgehen: Gleich behandeln! Das Warten auf Symptome oder einen positiven Befund ist nicht sinnvoll – zum einen verlaufen viele STI asymptomatisch, zum anderen möchte man dem Patienten die Beschwerden nicht zumuten und zum dritten möchte man weitere Sexualpartner des Patienten nicht gefährden. Auch der „Ping-Pong“-Effekt spielt eine Rolle. In jedem Fall sollte ein Abstrich bzw. eine Blutentnahme auch bei dem Partner erfolgen.

Welche Diagnostik ist bei rektalen Beschwerden indiziert?

Dr. Jessen: Grundsätzlich können alle genannten STI-Erreger auch eine Proktitis auslösen, d.h. ein PCR-Abstrich auf Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen sowie eine Lues-Serologie. Bei rektalen Infektionen kommen zusätzlich noch weitere Erreger in Frage, in erster Linie Shigellen, Campylobacter sowie Lamblien und Amöben. Früher politisch nicht korrekt als „Gay Bowel Syndrome“ bezeichnet. Gelegentlich können auch Entero-Erreger nach kondomlosen Analverkehr intraanale Beschwerden machen sowie Streptokokken der Gruppe B und/oder Pilze.

Wenn Chlamydien im Abstrich nachgewiesen wurden, ist in jedem Fall eine Serovar-Differenzierung notwendig?

Dr. Jessen: Ja, das sollte man immer veranlassen, denn die Therapiedauer beim sehr aggressiven Lymphogranuloma venerum, also die Infektion durch das Serovar L1-L3 beträgt 21 Tage. Beim positiven Chlamydien-Befund kann man die Therapie mit 10 Tagen 2x 100 mg Doxycyclin einleiten und wenn der Serovar-Befund entsprechend ausfällt, die Behandlung verlängern.



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