Christian Hoffmann, Hamburg
Duale Therapie – The Long Run
Vor einem Jahr war ich noch vorsichtig, sah 2DR als „eine interessante Möglichkeit für die Zukunft“ und bemängelte, dass bislang nur der Verzicht auf Tenofovir-DF (TDF) und Abacavir untersucht worden war, nicht aber das Weglassen von Tenofovir-AF (TAF). An letzterem Kritikpunkt hat sich bislang nichts geändert. Es gibt bislang keine randomisierten Studien, in denen TAF weggelassen wurde. Dennoch hat sich in den letzten 12 Monaten bei den dualen Therapien einiges getan.
Insbesondere auf dem IAS in Mexiko in diesem Juli wurden viele wichtige Daten zu 2DR vorgestellt, die das Bild jetzt doch klarer erscheinen lassen. Mehr noch: es verdichten sich inzwischen die Hinweise, dass TAF nicht frei von Problemen ist.
Problem Gewicht
Die unter INSTIs zu beobachtende Gewichtszunahme scheint durch TAF jedenfalls deutlich verstärkt zu werden (Hill 2019, Venter 2019). In ADVANCE, einer großen randomisierten Studie an 1.053 therapienaiven Patienten in Johannesburg, war der Effekt unter TAF/FTC und Dolutegravir besonders ausgeprägt. Verglichen mit Dolutegravir und TDF/FTC und mit dem Standardregime aus Efavirenz/FTC/TDF nahmen sowohl Männer als auch Frauen deutlich mehr zu. Die Gewichtszunahme war vor allem bei Frauen einigermaßen besorgniserregend. Eine Zunahme von 9,2 kg nach nur 2 Jahren, versus 5,4 bzw. 2,8 kg unter den beiden anderen Armen, ist schon ein Wort. Ein Plateau scheint überdies nicht in Sicht, so dass man sich allmählich zu fragen beginnt, wo das eigentlich noch hinführen soll (Moorhouse 2019).
Mit „Return to Health“ (natürlich gibt es zu Beginn einer ART kachektische Patienten, bei denen es positiv zu bewerten ist, wenn sie zunehmen) dürfte das jedenfalls nicht mehr viel zu tun zu haben. Auch in Kombination mit Darunavir/c (Orkin 2018) und sogar im Rahmen einer PrEP scheint TAF gegenüber TDF die Gewichtszunahme zu verstärken (Spinner 2019).
Ist dies nun wirklich ein negativer Effekt von TAF oder ist es einer nach wie vor unbekannten Toxizität von TDF zuzuschreiben, die den ungünstigen Effekt der INSTIs lediglich „abmildert“? Auch wenn man diese Frage weiterhin in beide Richtungen beantworten kann und der Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko unklar bleibt: Es scheint an der Zeit, die Einstellung zu 2DR neu zu justieren.
Brauchen wir TDF oder TAF?
Brauchen wir TAF oder TDF wirklich noch? Ist die Zeit schon reif für ein Umsetzen der Patienten? In diesem Beitrag soll es hauptsächlich um die beiden heute zugelassenen Präparate gehen, nämlich Juluca® (Dolutegravir und Rilpivirin) und vor allem auch Dovato® (Dolutegravir und 3TC). Über Long-Acting mit Cabotegravir und Rilpivirin, aber auch über die neue (sehr interessante) MSD-Kombi aus Islatravir (MK-5183) und Doravirin wird zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden müssen.
Dolutegravir und Rilpivirin
Juluca®,
die fixe Kombination aus Dolutegravir und Rilpivirin, wurde 2018 als
erste duale Therapie bei vorbehandelten Patienten zugelassen. In zwei
großen Phase-III-Studien (SWORD I+II, n=1.024) wurde Juluca®
gegen die Fortführung einer erfolgreichen ART getestet. Im Juli
wurden die Daten über 100 Wochen vorgestellt (Aboud 2019).
Virologisches Versagen war sehr selten, INSTI-Resistenzen traten
überhaupt nicht auf. Nach 144 Wochen in einer Langzeitbeobachtung
haben bislang allerdings 6 (0,6%) der Patienten NNRTI-Resistenzen
entwickelt (van Wyk 2019), trotz strenger Einschlusskriterien:
maximal zwei Vortherapien, kein virologisches Versagen, keine
Resistenzen, keine Hepatitis B. Patienten also, bei denen man ganz
sicher kein Therapieversagen erwarten würde.
Abb. 1 GEMINI-1 und -2: Nebenwirkungen
Abb. 2 GEMINI-1 and -2: Virologisches Anspre-chen zu Woche 96 nach CD4-Zahl bei Therapie-beginn. Analyse FDA Snapshot und TRDF
Problem Nebenwirkungen
Ein weiterer Wermutstropfen: Nebenwirkungen führten eher zum Abbruch (7% nach 100 Wochen), auch milde Nebenwirkungen (häufig psychiatrisch) traten unter diesem 2DR-Regime häufiger auf. Letztlich ist auch deswegen immer noch unklar geblieben, für welche Patienten Juluca® eigentlich sinnvoll ist.
Das Kosten-Argument zieht jedenfalls nicht, der Preis ist teilweise sogar höher als für gängige Dreifachtherapien. Und Juluca® muss wegen Rilpivirin unbedingt zu einer Mahlzeit eingenommen werden, PPIs sind verboten – sofern man mögliche Patienten auf diese Dinge hinweist, winken viele eh ab.
Was sind die Vorteile? Gezeigt wurde bislang nur, dass es günstig für die Knochendichte ist, wenn TDF abgesetzt wird (McComsey 2017) – dies zeigte sich in vielen Studien allerdings auch bei einem Wechsel auf TAF oder Abacavir. Momentan scheint Juluca® vor allem sinnvoll zu sein, wenn man Nuke-frei behandeln und zum Beispiel die Progression einer Lipoatrophie verhindern will. Bezeichnenderweise sind dieses aber oft Patienten, die bereits zahlreiche Vortherapien erhalten haben, Resistenzen aufweisen und bislang eigentlich nicht in Frage kommen. WISARD, eine große randomisierte Phase-III-Studie mit Juluca® an vorbehandelten Patienten, in denen bestimmte Resistenzen erlaubt sind, läuft noch. Auf die Resultate darf man gespannt sein.
Dolutegravir und 3TC
Dovato®, die fixe Kombination aus Dolutegravir und 3TC, steht seit Anfang August in den Apotheken bereit. Die Zulassung für Patienten ab 12 Jahren (Körpergewicht von mindestens 40 kg), die keine Resistenzen gegenüber INSTIs oder 3TC aufweisen, basiert auf den beiden GEMINI-Studien. In diesen wurden Dolutegravir plus 3TC doppelblind mit Dolutegravir plus TDF+FTC an 1.433 therapienaiven Patienten mit einer Viruslast von weniger als 500.000 Kopien/ml verglichen (Cahn 2019). Nach 96 Wochen waren 89,5% versus 86% unter der Nachweisgrenze. Die Nicht-Unterlegenheit des dualen Arms wurde damit erreicht.
Bislang keine Resistenz
Beruhigend: Bei den wenigen Patienten mit Therapieversagen zeigte sich bislang keine einzige Resistenz. Auch bei hochvirämischen Patienten war die duale Therapie wirksam. Schwere Nebenwirkungen oder Nebenwirkungen, die zum Abbruch führten, waren gleich häufig, nur bei den „drug-related AEs“ zeigte sich ein leichter Unterschied nach 96 Wochen (20 versus 25%) ebenso bei einigen renalen und ossären Biomarkern (Abb. 1). In Mexiko wurden zudem erstmals die Daten von TANGO, einer großen, offen randomisierten Studie an 741 vorbehandelten Patienten vorgestellt. Nach 24 Wochen hatte die duale ART bei keinem einzigen Patienten versagt (van Wyk 2019).
Paradigmenwechsel?
Reicht
das jetzt, um eine Zeitenwende in der HIV-Therapie einzuläuten? Die
Tatsache, dass in GEMINI bei niedrigen CD4-Zellen unter 200 die
Ansprechraten schlechter waren (zumindest nach 48 Wochen: 79% versus
93%, bei allerdings kleinen Fallzahlen) hat zu intensiver Forschung
zur Frage geführt, ob es doch Hinweise auf eine schwächere Wirkung
geben könnte (Abb. 2). Befeuert werden diese Überlegungen durch
in-vitro-
Daten von Gilead, wo man weiterhin voll auf
Dreifachtherapien setzt. Im Gilead-Labor wurde die „Forgiveness“
von 2DR simuliert und gezeigt, dass bei mäßiger Adhärenz unter 2DR
im Vergleich zu Standardtherapien eher virologisches Versagen zu
befürchten sein könnte (Mulato 2019).
Aber grau ist alle Theorie. Ist dies letztendlich nur ein offensichtlicher (und vermutlich vergeblicher) Versuch von Gilead, Wasser in den 2DR-Wein zu schütten? Ich bin mir deshalb sicher, dass Gilead sich langfristig wird bewegen müssen. Warum nicht Bictegravir plus FTC? Die klinische Erfahrung mit 2DR zeigt bislang nämlich etwas anderes als die Labor-Simulationen.
Praxis-Daten
Real-World-Daten aus insgesamt 20 Studien und über 2.000 Patienten erbrachten auch abseits randomisierter Studien gute Ergebnisse für 2DR mit Dolutegravir plus 3TC oder Rilpivirin (Punekar 2019). Der virale Abfall unter Dovato® ist in den ersten Wochen praktisch identisch mit dem unter einem Standard-Regime (Gillman 2019). Auch mit ultrasensitiven Assays ließen sich im Blut keine Unterschiede in der Effektivität feststellen (Li 2019) ebenso wenig wie im Sperma (Charpentier 2019). Detaillierte Untersuchungen aus den beiden GEMINI-Studien zeigten unter Dolutegravir plus 3TC keine häufigeren Raten an Blips oder niedrigen Virämien. Gerade bei hoher Ausgangsvirämie war die Blip-Rate unter 2DR sogar tendenziell eher noch niedriger (Underwood 2019). Es gibt somit mittlerweile gute und ausreichende Daten, die einen relevanten antiretroviralen Unterschied zwischen 2DR und konventionellen Regimen als sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen. Was will man eigentlich noch mehr?
Fazit
Es ist einiges passiert bei den dualen Therapien. Außerdem, und das scheint mir fast noch wichtiger, zeigt sich mehr und mehr, dass TAF auch nicht ohne Probleme ist. Vom TDF wissen wir dies schon lange. Wenn man also Tenofovir weglassen kann, warum nicht weg damit? Nach den jetzigen Daten kommt 2DR mit Dolutegravir und 3TC erst einmal für Patienten ohne Resistenzen, virologischem Versagen und ohne Hepatitis B in Frage. Zu bedenken sind die Nachteile bzw. neuropsychiatrischen Nebenwirkungen von Dolutegravir, über die habe ich an dieser Stelle ebenfalls schon geschrieben (HIV&more 1/19; www.hivandmore.de/archiv). Nicht jeder Patient muss jetzt umgestellt werden.
Es wäre deshalb schön, wenn wir doch noch eine Studie bekämen, die eine bessere Verträglichkeit gegenüber TAF-haltigen Kombinationen zeigen könnte. Eine geringere Gewichtszunahme unter 2DR wäre mal ein Anfang.
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