Ulrich Marcus, Robert Koch-institut, Berlin
HIV-Infektion bei Kindern in Deutschland
Ohne medizinische Intervention beträgt die Mutter-Kind-Übertragungsrate von HIV unter der Schwangerschaft, während und nach der Geburt (durch Stillen) ca. 15-45%. Mit den heute verfügbaren Interventionen – insbesondere der effektiven Therapie der Schwangeren – kann die Übertragungsrate auf weniger als 0,5% reduziert werden. Selten kommen andere Übertragungswege wie z.B. nosokomiale Infektionen, Bluttransfusionen oder sexueller Missbrauch vor. An die Möglichkeit nosokomialer Übertragungen und von Bluttransfusionen als Infektionsursache muss insbesondere bei im Ausland geborenen Kindern gedacht werden.
Die auch in Deutschland noch immer vorkommenden Mutter-Kind-Übertragungen sind in der Regel auf mangelhafte Umsetzung der als wirksam erkannten Interventionen und widrige äußere Umstände (z.B. späte Erstvorstellung kurz vor der Entbindung) zurückzuführen. Es gehört zu den erklärten Zielen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Mutter-Kind-Übertragungen von HIV zu eliminieren.1
Abb. 1 Herkunftsregion der Mütter von in Deutschland mit HIV diagnostizierten Kindern, 1999-2018, nach Jahr der Entbindung
Abb. 2 Vom Pädiater erfragte Hauptursache für Mutter-Kind HIV-Transmission
Deutsche Daten
Von 1999 bis Ende 2018 wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) 339 HIV-Diagnosen bei Kindern im Alter von 0-14 Jahren und einem Geburtsdatum zwischen dem 01.01.1999 und dem 31.12.2018 gemeldet (Datenstand Mitte 2019). Bei 322 Kindern wurde eine Mutter-Kind-Übertragung als wahrscheinlichster Übertragungsweg angegeben. Die folgenden Auswertungen beziehen sich auf diese 322 Kinder.
Von den 322 Kindern wurden 169 (52%) in Deutschland geboren, 141 (45%) im Ausland, und bei 12 (3%) Kindern konnte das Geburtsland nicht in Erfahrung gebracht werden. Die große Bedeutung von Migration für die Zahl der HIV-Diagnosen bei Kindern in Deutschland wird noch deutlicher, wenn man die Herkunft der Mütter betrachtet. Nur 84 (26%) der 322 Mütter stammten aus Deutschland, 115 (35%) aus Subsahara-Afrika (Abb. 1).
Bei den in Deutschland geborenen Kinder (n=169) erfolgte die HIV-Diagnose überwiegend (60%) im ersten Lebensjahr, weitere 23% wurden bis zum Alter von 2 Jahren diagnostiziert. Bei den übrigen 17% betrug der Diagnoseverzug zwischen 3 und 12 Jahre. Verzögerte Diagnosen bei Kindern sind in der Regel dadurch bedingt, dass die HIV-Infektion der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt unbekannt war. Dies ist der Fall, wenn entweder die empfohlene HIV-Testung in der Schwangerschaft nicht erfolgte oder die Infektion der Schwangeren erst nach dem HIV-Screening in der Frühschwangerschaft erfolgte und nicht vor der Entbindung entdeckt wurde. Die in den deutschen Mutterschaftsrichtlinien festgelegten Empfehlungen zu Untersuchungen während der Schwangerschaft wurden im Jahre 2007 aktualisiert. Die zuvor interpretationsfähige Empfehlung zum HIV-Screening wurde 2007 dahingehend präzisiert, dass jeder Schwangeren eine HIV-Testung empfohlen werden soll. Die Durchführung einer Testberatung (nicht aber der Test oder sein Ergebnis) soll im Mutterschaftsausweis dokumentiert werden.2 Vergleicht man die Zeiträume bis 2007 (mittleres Alter bei Diagnose 1,51 Jahre, Standard-Abweichung 2,76) und seit 2008 (mittleres Alter 0,94 Jahre, Standard-Abweichung 1,74) zeigt sich, dass die Diagnose im Zeitraum seit 2008 früher erfolgte. Auch eine Analyse der von den betreuenden Pädiatern erfragten wahrscheinlichen Hauptursachen für die Mutter-Kind-Übertragungen in diesen beiden Zeitabschnitten zeigt, dass die fehlende Kenntnis des HIV-Status der Mutter als wesentliche Ursache für die Mutter-Kind-Übertragung von knapp 60% bis einschließlich Geburtsjahr 2007 auf weniger als 25% für den späteren Zeitraum zurückging (Abb. 2). Insbesondere in den letzten Jahren, in denen der Anteil der infizierten Kinder von Müttern mit Migrationshintergrund angestiegen ist und durch vollständigeres Schwangerenscreening der HIV-Status der Mutter seltener unbekannt ist, erweist sich der für Migrantinnen oft komplizierte Weg ins medizinische Versorgungssystem als wichtige Barriere für eine weitere Reduktion von Mutter-Kind-Übertragungen.
1 WHO (2014): Global guidance on criteria and processes for validation: elimination of mother-to-child transmission (EMTCT) of HIV and syphilis. Geneva: WHO; 2014
2 Mutterschafts-Richtlinien[https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/19/#tab/historie/list/%2Finformationen%2Frichtlinien%2Fhistorie%2Fzurrichtlinie%2F19%2Fmit%2F10%2Fals
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Zugegriffen: 01.Juli 2019
HIV bei Kindern und Jugendlichen weltweit
Insgesamt lebten weltweit 2017 fast drei Millionen Kinder und Jugendliche mit HIV. Neun von zehn Betroffenen leben in Sub-Sahara Afrika.
In den letzten 10 Jahren hat sich viel getan. Im östlichen und südlichen Afrika sind peri- und post-natale Infektionen seit 2010 um 43% zurückgegangen und die PMTC-Prophylaxe um 61% gestiegen. Bei Neuinfektionen sind – auch wenn die Zahl numerisch fällt – junge Mädchen/Jugendliche im Alter von 10-19 Jahren am häufigsten betroffen.
Zahlen für 2017
• 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche leben mit HIV
• 430.000 Kinder und Jugendliche haben sich neu infiziert
• 130.000 Kinder und Jugendliche starben an Aids