Isabelle Suárez und Jan Rybniker, Köln
Epidemiologie der Tuberkulose
Jährlich erkranken weltweit schätzungsweise ca. 10 Millionen Menschen an einer Tuberkulose (Abb. 1). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unternimmt große Anstrengungen, um die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Doch seit mehr als zwei Jahren steht die Bekämpfung der Tuberkulose jedoch unter dem Einfluss der SARS-CoV-2 Pandemie. Im Jahr 2020 wurden nur 5,8 Millionen neue Tuberkulose-Fälle gemeldet, etwa 18% weniger als im Jahr zuvor. Insbesondere, strukturschwache Länder wie Indien, Indonesien und die Philippinen tragen laut WHO zum hohen Meldungsrückgang bei, was zeigt, dass der Zugang zu Diagnostik und Behandlung in weiten Teilen der Welt nach wie vor gravierend eingeschränkt ist.
Mehr Todesfälle
Als Folge der SARS-CoV-2 Pandemie stiegen auch die Tuberkulose-assoziierten Todesfälle – erstmalig seit 10 Jahren (!) – von 1,4 Millionen im Jahr 2019 auf 1,6 Millionen im Jahr 2021, vermutlich bedingt durch Restriktionen in „lock-downs“ und Überlastungen im Gesundheitssektor. Auch hier verzeichnen laut WHO die Länder Indien, Indonesien, Myanmar und die Philippinen den größten Anstieg der Tuberkulose-Todesfälle.
Abb. 2 Globaler Trend der gemeldeten Tuberkulose-Fälle, 2015-2021
Im Rahmen der sogenannten END-TB-Strategie der WHO war das Ziel für 2020, die Inzidenzrate global um 20% und die Todesfälle um 35% zu senken im Vergleich zum Jahr 2015 (Abb. 2). Dieses Ziel wurde leider weit verfehlt. In Anbetracht des Krieges in der Ukraine sowie anhaltender Konflikte in anderen Teilen der Welt, einer globalen Energiekrise und damit einhergehenden Folgen für die Ernährungssicherheit ist der Handlungsbedarf im Rahmen der END-TB-Strategie jedoch noch dringlicher geworden. Diese Faktoren werden wahrscheinlich in vielen Regionen Einkommensniveau, Ernährung sowie Zugang zu medizinischer Versorgung negativ beeinflussen und damit die Tuberkuloseausbreitung begünstigen.
MDR-Tuberkulose
Abb. 3 Geschätzte Todesfälle an Tuberkulose und an HIV weltweit, 2000-2021Quelle: Global Tuberculosis Report 2022, WHO
In der Regel ist die Tuberkulose gut behandelbar, allerdings stellen multiresistente Erreger („multi drug resistant“ MDR) eine Herausforderung dar: Es kommen nebenwirkungsreiche Reserveantibiotika zum Einsatz und die Behandlung ist meist langwierig. Im Jahr 2021 wurden 450.000 Fälle von MDR-Tuberkulose weltweit gemeldet, so dass es auch hier zu einem Anstieg kam. Insbesondere die HIV/Tuberkulose-Koinfektion ist eine gefürchtete Konstellation, die bei unbehandelter HIV-Infektion bei schlechtem Immunstatus mit hoher Mortalität einhergeht. Erfreulicherweise ist jedoch der Anteil der HIV/Tuberkulose-koinfizierten Personen weltweit weiterhin rückläufig (6,7% aller gemeldeter Fälle im Jahr 2021) (Abb. 3).
Tuberkulose in Deutschland
Die epidemiologische Entwicklung der Tuberkulose in Deutschland spiegelt die globalen Krisenherde und Migrationsströme wieder. Basierend auf den Konflikten im Nahen Osten und dem Krieg in Syrien kam es im Jahr 2015 zu einem deutlichen Anstieg der Tuberkulose-Inzidenz auf 7,1/100.000 Einwohner von 5,6/100.000 im Vorjahr. Effektive Screening-Maßnahmen der Gesundheitsämter konnten die Fallzahlen jedoch rasch stabilisieren. Bereits 2017 waren die Zahlen wieder rückläufig. Nationale und globale Reisebeschränkungen in der SARS-CoV-2 Pandemie ließen die Fallzahlen weiter sinken. Im Jahr 2020 lag die Tuberkulose-Inzidenz laut RKI auf dem niedrigsten Stand, der jemals in Deutschland gemeldet wurde (5/100.000 Einwohner).
Inzidenz rückläufig
Dass die Tuberkulose-Inzidenz in Deutschland stark von der Migration nach Deutschland abhängt, liegt auch zunehmend an den stetig sinkenden Fallzahlen bei Patienten, die in Deutschland geboren wurden. So liegt die Inzidenz bei dieser Bevölkerungsgruppe lediglich bei 1,8/100.000. Vor 10 Jahren war dieser Wert mit 3,6/ 100.000 noch doppelt so hoch (Abb. 4). In Deutschland geborene Patientinnen und Patienten sind häufig älter als 60 Jahre, während bei den im Ausland geborenen Patientinnen und Patienten ein Altersgipfel von 20-24 Jahren besteht. In beiden Gruppen sind Männer häufiger betroffen als Frauen.Dies sind wichtige epidemiologische Erkenntnisse, die bei der anamnestischen Abklärung von Risikopatientinnen und Patienten helfen können.
Abb. 4 Zeitlicher Verlauf der Tuberkulose-Inzidenz von 2002-2020, getrennt nach deutscher und nicht deutscher StaatsangehörigkeitQuelle: RKI
Extrapulmonale Tuberkulose häufig
Für die rasche Diagnosestellung und adäquate Therapie der Tuberkulose in Deutschland ist es wichtig, daran zu denken, dass deutlich mehr als ein Viertel aller registrierten Tuberkulose-Erkrankungen rein extrapulmonal sind und nicht über die Einsendung von Atemwegsmaterialien diagnostiziert werden können (28,6% in 2020). Die Tuberkulose kann jedes Organ befallen. Die häufigste extrapulmonale Manifestation findet man in den Lymphknoten, gefolgt von Pleura, dem Peritoneum bzw. dem Gastrointestinaltrakt und den Knochen. Lediglich 0,8% der Tuberkulosen betreffen das zentrale Nervensystem (Meningitis oder ZNS-Tuberkulome bzw. ZNS-Abszesse).
MDR-Tuberkulose in Ukraine
Wie oben beschrieben, bereitet die Ausbreitung resistenter M. tuberculosis Stämme zunehmend Sorge. In Deutschland hingegen ist die Fallzahl der resistenten oder multiresistenten Stämme (MDR-TB) relativ gering und über die beiden letzten Jahrzehnte stabil. Im Jahr 2020 wurden 79 Fälle mit einer MDR-Tuberkulose registriert. Jedoch muss man durch den Krieg in der Ukraine damit rechnen, dass es zu einer Zunahme von komplexen Tuberkulose-Fällen in den Kliniken und Praxen kommen wird. Mit ungefähr 70 Fällen pro 100.000 Einwohner ist die Inzidenz der Tuberkulose in der Ukraine deutlich höher als in vielen anderen Europäischen Ländern. Bei bis zu 30% der Isolate wird eine MDR-TB beobachtet.
Gerade in einem Niedrig-Inzidenzland wie Deutschland ist es wichtig, fächerübergreifend auf die Tuberkulose aufmerksam zu machen und regelmäßig über aktuelle epidemiologische Entwicklungen zu berichten. Es ist eine enge Zusammenarbeit aller Akteure gefragt.