Ralf Otto-knapp, Berlin und Pia Hartmann, Köln
HIV/TB-Koinfektion
Die Behandlung der HIV/TB-Koinfektion ist eine interdisziplinäre Herausforderung und erfordert eine koordinierte Zusammenarbeit von Spezialisten. Bei der Behandlung sind neben dem klinischen Bild der Tuberkulose Immunstatus, ART und Medikamenten-Interaktionen zu beachten. Auch das Timing des ART-Beginns bei TB-Behandlung ist für potentielle Komplikationen von Bedeutung.
HIV-TB Besonderheiten im Röntgen Thorax | |
---|---|
CD4+ > 200/µl | CD4+ <200/µl |
„Typische” Befunde | „Atypische” Befunde |
Oberlappeninfiltrate | Unter- und Mittellappeninfiltrate |
Kavernen(etwa 4 x häufiger) | Pleuraerguss |
Pleurabeteiligung | Mediastinale Lymphadenopathie |
Intestinale Lymphknoten | |
CAVE: Normalbefund |
Es bedarf einer besonderen Expertise und Erfahrung, eine TB bei PLWH zu diagnostizieren und Interaktionen der komplexen Pharmakotherapie zu managen. Zudem ist nach Beginn der antiretroviralen Therapie (ART) das Risiko für ein Immunrekonstitutionssyndrom (TB-IRIS/tuberculosisimmune reconstitution inflammatory syndrome) erhöht, welches oft schwer von einem Nichtansprechen der TB-Therapie zu unterscheiden ist. In der Autorengruppe der TB-Leitlinie fand sich daher ein starker Konsens dafür, dass die Therapie der HIV/TB-Koinfektion in Kooperation mit Fachärztinnen und Fachärzten für Infektiologie oder HIV-Spezialistinnen und -Spezialisten mit der Zusatzweiterbildung Infektiologie oder HIV-Schwerpunkt geplant und durchgeführt werden sollte.
Diagnostische Fallstricke
Empfehlung zu
TB-Therapie bei PLWH
Die Standardtherapie der pulmonalen und extrapulmonalen TB bei PLWH unter ART soll prinzipiell den gleichen Therapiestandards wie bei Patientinnen und Patienten ohne HIV-Infektion folgen. Bei PLWH ohne ART oder mit dauerhaft schlechtem Immunstatus sollte die Dauer der Tuberkulosetherapie in Abhängigkeit vom klinischen Verlauf auf mindes-tens 9-12 Monate verlängert werden.
Bei PLWH mit TB präsentieren sich die Symptome sowie die klinischen und radiologischen Befunde (Abb. 1) häufig atypisch in Abhängigkeit von der Schwere des Immundefektes.4,5 Bei pulmonalem Befall finden sich mit fortschreitendem Immundefekt seltener Kavernen, entsprechend sind Sputumproben weniger verlässlich (bis zu 40% negativ). Husten ist oft nicht das führende Symptom. Andere klinische Symptome, wie Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsabnahme werden der HIV-Infektion zugeschrieben und so missinterpretiert.
Bei Verdacht auf pulmonale TB mit Kavernen im Röntgen Thorax und negativen Sputum/BAL Proben immer an HIV-Infektion mit paucibacillärer TB denken.
Mit Zunahme der Ausprägung des Immundefektes steigt das Risiko für extrapulmonale und schwere Formen der Tuberkulose (ZNS-/meningeale Beteiligung und/oder disseminierte TB)6,7, die einer intensivierten mikrobiologischen und radiologischen Diagnostik (CT, MRT) bedürfen.8 Die Sensitivität der Erregerdiagnostik kann durch den Einsatz der molekularbiologischen Schnelltestung gesteigert werden.9,10 Bei PLWH mit schlechtem Immunstatus müssen häufig vorkommende opportunistische Erreger bspw. nicht-tuberkulöse Mykobakterien abgegrenzt werden.
Therapie
Der Immunstatus und der Behandlungsstatus (ART naiv oder bereits unter ART) gehen bei PLWH in die Konzeption der Therapie ein. Grundsätzlich gilt: Die Standardtherapie der pulmonalen und extrapulmonalen TB bei PLWH unter ART wird wie bei Personen ohne HIV-Infektion durchgeführt (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid, Ethambutol für zwei Monate, gefolgt von Isoniazid, Rifampicin für weitere 4 Monate). Bei der Therapiedauer unterscheiden sich die Leitlinienempfehlungen für PLWH nicht grundlegend von denen für Menschen ohne HIV-Infektion. Gründe für eine Therapieverlängerung können vor allem eine schwere Erkrankung, z.B. ausgedehnter radiologischer Befund, Kavernen, hohe Erregerlast, Nichtansprechen der TB-Therapie nach 2-3 Monaten ohne zusätzliche Resistenzentwicklung, und spezielle extrapulmonale TB-Formen sein, z.B. Knochen- oder Gelenk-TB, TB mit ZNS-Beteiligung, miliare Ausbreitung. Bei dauerhaft schlechtem Immunstatus und der in Deutschland seltenen Situation, dass keine ART verabreicht wird, sollte ebenfalls eine Therapieverlängerung auf insgesamt 9-12 Monate erfolgen.11
Eine intermittierende Einnahme der Standardtherapie ist nicht empfohlen. Die Medikamente der Standardtherapie sollten sofern verträglich immer 30 Minuten vor dem Frühstück eingenommen werden, um die Bioverfügbarkeit der Substanzen zu verbessern. Die Einnahme von Isoniazid sollte bei PLWH immer mit Vitamin B6 (Pyridoxin) kombiniert werden. Der Dosierungsrechner für die Standardtherapie auf der Internetseite des DZK ist auch für PLWH geeignet und wird im Falle einer Aktualisierung der Therapieempfehlungen angepasst.
Therapieverkürzung?
Die WHO hat in einer rapid communication eine Therapieverkürzung der Standardtherapie auf vier Monate beim Einsatz von Rifapentin anstatt von Rifampicin und Moxifloxacin anstatt von Ethambutol (4 Monate Isoniazid, Rifapentin, Moxifloxacin + 2 Monate Pyrazinamid) als Alternative zur Standardtherapie in Aussicht gestellt.12 Grundlage für diese Empfehlung ist die Studie 31 mit 134 PLWH von 2.234 Studienpatienten.13 In Deutschland ist Rifapentin aktuell noch nicht erhältlich, daher konnte diese Empfehlung nicht übernommen werden. Es werden derzeit internationale und nationale Bemühungen unternommen, um die Verfügbarkeit des Medikamentes zu verbessern.
Resistente Tuberkulose
Globale
Epidemiologie von HIV/TB
Weltweit betrachtet ist Tuberkulose die führende Todesursache bei Menschen, die mit HIV leben (people living with HIV; PLWH). Vor der SARS-CoV-2 Pandemie, welche die epidemiologische Kartierung der Tuberkuloseinzidenz vornehmlich in Hochprävalenzländern massiv erschwert hat, war im Jahr 2019 die Tuberkulose (TB) für 208.000 Todesfälle von PLWH weltweit verantwortlich. Die WHO schätzt, dass 2019 456.426 PLWH mit TB diagnostiziert wurden, aber etwa 44% der Tuberkulosefälle bei PLWH werden nicht oder nicht zeitgerecht diagnostiziert. Das ist ein großes Problem vor dem Hintergrund, dass die Wahrscheinlichkeit für PLWH, im Laufe ihres Lebens eine TB zu entwickeln etwa 18-mal höher ist als bei Personen ohne HIV-Infektion. Das Risiko für PLWH, eine TB zu entwickeln ist in Hochprävalenzländern deutlich höher und ist insbesondere umso höher, je niedriger die CD4+ T-Zellen sind.1
Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Risikofaktoren für eine TB bei PLWH kommt eine HIV-Koinfektion mit 2,7-4,5% der TB-Fälle in Deutschland weiterhin selten vor.2,3 Sie betrifft häufig „late presenter“ mit fortgeschrittenem Immundefekt und präsentiert sich auch wegen des hohen Anteils an extrapulmonalen Tuberkulosen bei PLWH oft nicht „lehrbuchkonform“.
Für PLWH mit Medikamentenresistenzen gegen Isoniazid und Rifampicin, der so definierten multiresistenten TB (MDR), wird ebenfalls wie bei Menschen ohne HIV-Infektion eine individuell zusammengestellte MDR-TB-Therapie über 18 Monate empfohlen. Es gibt allerdings auch bei MDR-TB vielversprechende Studien zur Therapieverkürzung, die PLWH in ausreichender Anzahl einschließen. Auch hier stellt die WHO in einer rapid communication eine Anpassung der Empfehlungen in Aussicht.14 Die Studien NixTB und ZeNix15,16 und insbesondere die noch nicht veröffentlichten Daten der TB-PRACTECAL-Studie (Ärzte ohne Grenzen) könnten eine Therapieverkürzung auf 6-9 Monate bei MDR-TB ermöglichen. Eine vorzeitige Aktualisierung der deutschen Empfehlungen für die MDR-TB-Therapie nach Sichtung der Studiendaten wird derzeit geprüft.
Neu in der aktuellen TB-Leitlinie ist eine Empfehlung zur Versorgung von MDR-TB und Rifampicin-resistenter TB durch TB-Behandlungszentren. Diese definieren sich über die vorhandenen Behandlungsstrukturen und Mindestmengen. Die MDR-TB-Therapie soll in den TB-Behandlungszentren oder in Kooperation mit diesen eingeleitet werden. Die ambulante Therapiefortsetzung sollte ebenfalls im TB-Behandlungszentrum erfolgen oder in Kooperation durch regelmäßige 4-wöchentliche Falldiskussion (ggf. per Telemedizin) mit dem TB-Behandlungszentrum begleitet werden. Um lokal vorhandene Expertisen zu stärken und eine wohnortnahe Versorgung zu ermöglichen wird parallel die Zusammenarbeit im Netzwerk gefördert.
Interaktionen
Eine besondere Herausforderung in der Therapie der HIV-TB-Koinfektion stellen die Interaktionen von ART und TB-Therapie dar. In Online-Datenbanken kann man die möglichen Interaktionen zwischen ART, TB-Therapie und Begleitmedikation aktuell abfragen. Zur Therapieplanung finden sich praktische Übersichten bei der EACS, der BHIVA, der CDC und in den Clinical Standards der Int. Union against TB & lung disease (IUTLD).17-19
Die Bestimmung der Medikamentenspiegel (Therapeutisches Drug Monitoring; TDM) sollte bei PLWH in Erwägung gezogen werden, da die Auswirkungen einer Polypharmakotherapie nicht immer vorhersehbar sind und auch die HIV-Infektion selbst zu Veränderungen der Pharmakokinetik führen kann.20
Rifamycine
Die Kombination der TB-Therapie mit der ART ist insbesondere herausfordernd, wenn Rifamycine in der TB-Therapie verwendet werden. Durch sie können die Medikamentenspiegel anderer Medikamente durch Induktion abbauender Enzyme (v.a. über Cytochrom P450) erheblich beeinflusst werden. Rifampicin, das zur Standardtherapie der TB gehört, ist der stärkste Enyzminduktor, gefolgt von Rifapentin und Rifabutin. Dennoch ist Rifampicin wegen der besseren Verträglichkeit gegenüber Rifabutin und der fehlenden Verfügbarkeit von Rifapentin aktuell auch bei PLWH das Rifamycin der Wahl. Sollte zu Beginn der TB-Therapie schon eine ART etabliert sein, müssen die Interaktionen zur TB-Therapie geprüft werden. Eine Anpassung der Kombinationstherapie kann notwendig sein. Sollte ein Proteaseinhibitor (PI) Bestandteil der ART sein, muss Rifabutin in angepasster Dosierung anstelle von Rifampicin verwendet werden. Ob eine erfolgreiche ART durch den Beginn einer TB-Therapie geändert werden sollte, muss interdisziplinär gemeinsam mit der behandelnden Infektiologin oder dem Infektiologen diskutiert und an die Präferenzen und Begleitumstände der Patientin oder des Patienten angepasst werden. Hilfreiche Übersichten zur Kombinierbarkeit von TB-Medikamenten und ART finden sich ebenfalls bei der EACS, der BHIVA und der CDC.17,18
ART bei TB-Therapie
Empfehlung zu ART bei TB-Therapie
Bei Rifampicin-haltiger TB-Therapie sollen bevorzugt Efavirenz (EFV) oder gleichwertig in doppelter Standard-Dosierung Dolutegravir (DTG) oder Raltegravir (RAL) eingesetzt werden. Als Kombinationspartner sollen FTC/TDF oder 3TC/TDF oder alternativ ABC/3TC (wenn HLA B57:01 und HBsAg negativ) verwendet werden.
Auch die Auswahl der ART bei Neubeginn unter TB-Therapie sollte immer interdisziplinär unter Beteiligung von Ärztinnen und Ärzten erfolgen, die Erfahrung in der Betreuung von PLWH haben. Den deutschen HIV-Leitlinien entsprechend müssen bei der Zusammenstellung der ART die individuellen Voraussetzungen beachtet werden (HI-Viruslast, Begleitmedikation, Begleiterkrankungen und -infektion, Risikofaktoren für bestimmte unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) sowie persönliche Umstände.23 Die meisten Therapiestudien finden sich für den Einsatz von Efavirenz (EFV) begleitend zur TB-Therapie. Daher wird EFV in den internationalen Empfehlungen zur ART unter Rifampicin-haltiger TB-Therapie bevorzugt empfohlen.17 Die EFV-Einnahme führt allerdings häufig zu neuropsychiatrischen UAWs. Vor allem wegen der besseren Verträglichkeit werden in Deutschland für PLWH ohne TB aktuell vorrangig Integraseinhibitoren (INSTIs) empfohlen.23 Auch begleitend zur Rifampicin-haltigen TB-Therapie zeigen INSTIs gute Wirksamkeit, Verträglichkeit und wenig Interaktionspotential. Die Leitliniengruppe empfiehlt daher im deutschsprachigen Raum für den Einsatz in der ART bei gleichzeitiger TB-Therapie Dolutegravir (DTG) und Raltegravir (RAL) zumindest gleichwertig zu EFV. Beide INSTIs sollen in doppelter Dosierung verabreicht werden, um Unterdosierungen zu vermeiden, DTG sogar 2 Wochen über das Ende der Rifampicin-haltigen TB-Therapie hinaus.23 Als Kombinationspartner oder Backbone der ART soll vorzugsweise Emtricitabin/Tenofovir-Disoproxil (FTC/TDF) oder Lamivudin/Tenofovir-Disoproxil (3TC/TDF) oder alternativ Abacavir/Lamivudin (ABC/3TC) – wenn HLA B57:01 und HBsAg negativ – verwendet werden.
ART-Start und IRIS-Risiko
Ist bei Beginn der TB-Therapie noch keine ART etabliert, sollte dies so früh wie möglich geschehen. Insbesondere bei schlechtem Immunstatus (<50 CD4+-Helferzellen/µl) sollte die ART wenn möglich innerhalb der ersten 2 Wochen der TB-Therapie begonnen werden. Der frühe ART-Beginn scheint insbesondere in dieser Patientengruppe ein signifikanter Mortalitätsvorteil zu sein.21,22 Dennoch sollte auch >50 CD4+-Helferzellen/µl möglichst früh, spätestens aber innerhalb von 8 Wochen mit der ART begonnen werden. Gegen einen frühen Beginn spricht das Risiko kumulativer, schwer zu differenzierender Toxizitäten der Kombinationstherapie und das erhöhte Risiko für ein TB-IRIS.
Alle TB-Patientinnen und Patienten mit einer HIV-Infektion und <50 CD4-T-Zellen/µl sollen möglichst innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der TB-Therapie eine ART beginnen. Eine Ausnahme stellt die ZNS-Beteiligung, insbesondere die tuberkulöse Meningitis, dar.
Alle TB-Patientinnen und Patienten mit einer HIV-Infektion und ≥50 CD4-T-Zellen/µl ohne Beteiligung des ZNS – insbesondere der Meningen – sollen eine ART möglichst zeitnah nach Beginn der TB-Therapie, zumindest aber innerhalb von 8 Wochen beginnen.
ZNS-Beteiligung
Vor
allem bei ZNS-Beteiligung kann die TB-IRIS-assoziierte Mortalität
auch bei
schwer immunsupprimierten PLWH
ein entscheidendes Argument gegen den frühen ART-Beginn sein. Die
Leitliniengruppe schließt sich daher der Mehrzahl der
internationalen Empfehlungen
an und empfiehlt keinen frühen Start der ART 2 Wochen nach Beginn
der TB-Therapie, wenn eine ZNS-Beteiligung der TB insbesondere der
Meningen vorliegt. Ausnahmen von dieser „sollte“-Empfehlung sind
im individuellen Fall unter einer in Deutschland in vielen Zentren
möglichen intensiven Verlaufsbeobachtung möglich. Generell und
nicht nur im Falle eines frühem ART-Beginns sollte die in
Deutschland sehr seltene Versorgung von PLWH mit ZNS-TB
interdisziplinär durch ein
TB-Behandlungszentrum, eine
spezialisierte infektiologische und eine neurologische Abteilung
erfolgen.
Bei PLWH mit einer Tuberkulose des zentralen Nervensystems, insbesondere bei einer tuberkulösen Meningitis, sollte innerhalb der ersten 8 Wochen der Tuberkulosetherapie – unabhängig vom Immunstatus der Patientin oder des Patienten – keine ART begonnen werden.
TB-IRIS
Empfehlungen zur Prophylaxe von TB-IRIS
PLWH mit CD4-T-Zellen <100/µl, die innerhalb von 30 Tagen nach Beginn einer TB-Therapie mit einer ART beginnen, sollten zeitgleich mit dem Beginn der ART zur Prävention eines paradoxen TB-IRIS Prednisolon (40 mg 1x täglich für 2 Wochen, anschließend 20 mg 1x täglich für weitere 2 Wochen) erhalten.
Bei klinisch relevantem paradoxem Immunrekonstitutionssyndrom (TB-IRIS) sollen PLWH Prednisolon in einer initialen Dosis von 1,25 mg/kg KG (50-80 mg/Tag) für 2-4 Wochen erhalten. Dieses soll danach über 6- 12 Wochen oder länger schrittweise reduziert und dann abgesetzt werden.
Tritt nach Beginn der ART unter TB-Therapie ein TB-IRIS auf und ist dieses klinisch relevant durch Verschlechterung der klinischen Symptomatik (z.B. Fieber, Dyspnoe, Lymphadenopathie), Anstieg der Inflammationsparameter und/oder einer Verschlechterung radiologischer Befunde (z.B. neue Infiltrate, Pleura- und Perikardergüsse) soll nach individueller Abwägung eine Prednisolontherapie erfolgen. Die randomisiert-kontrollierte doppelt verblindete PredART Studie zeigte in Südafrika, dass bei Vorhandensein von Risikofaktoren (u.a. <100 CD+-Helferzellen/µl, ART-Beginn innerhalb von 30 Tagen nach Beginn der TB-Therapie) ein TB-IRIS durch die Gabe von Prednisolon über 4 Wochen zeitgleich mit ART-Beginn seltener auftritt.24 Die Verträglichkeit in der Studie war ausreichend und es kam nicht zu signifikant vermehrten opportunistischen Infektionen/Kaposi-Sarkomen durch die zusätzliche Immunsuppression. Diese prophylaktische Therapie wird in der neuen deutschen TB-Leitlinie für PLWH empfohlen, welche die Studieneinschlusskriterien erfüllen, wenn das behandelnde Ärzteteam nach individueller Abwägung einen Nutzen erwartet.
Vom paradoxen IRIS ist das demaskierende IRIS zu unterscheiden, bei dem eine überschießende Immunreaktion nach Beginn der ART zur Demaskierung einer bis dahin klinisch unauffälligen (opportunistischen) Infektion führt. Auch eine Tuberkulose kann bei Beginn einer ART durch ein IRIS demaskiert werden und sollte sobald wie möglich behandelt werden.
Latente Tuberkuloseinfektion (LTBI) bei PLWH
Zur Prävention einer Tuberkulose wurde bislang die Testung aller PLWH auf eine latente Infektion (LTBI) mittels Interferon Gamma Release-Assay (IGRA) empfohlen, um bei positivem IGRA und nach bestmöglichem Ausschluss einer Tuberkuloseerkrankung eine präventive Therapie zur Verhinderung der Progression zur Tuberkulose durchzuführen.
Die neue Leitlinie empfiehlt ein stratifiziertes Vorgehen, da das Risiko einer Progression bei PLWH nicht einheitlich erhöht ist. Aus Daten der deutschen ClinSurv-Kohorte ist abzulesen, dass sich bei PLWH mit ausreichendem Immunstatus (>400 CD4+-Helferzellen/µl) unter ART selten eine Tuberkulose entwickelt.25,26 Eine große britische Studienkohorte identifizierte zudem die Herkunft aus einem Gebiet mit höherer Tuberkuloseinzidenz als Risikofaktor für eine Progression bei LTBI.27 Die BHIVA empfiehlt daher eine Testung auf LTBI und ggf. präventive Therapie bei PLWH mit Herkunft aus Ländern mit hoher und mittlerer TB-Inzidenz (nach NICE-Guidelines: hohe TB-Inzidenz >150/100.000, mittlere TB-Inzidenz 40-150/100.000).18 Diese Empfehlung wurde in die deutsche Leitlinie übernommen, allerdings können PLWH nach mindestens 2 Jahren ART und mit gutem Immunstatus (≥400 CD+ Zellen/μl) von dieser „soll“-Empfehlung ausgenommen werden. In jedem Fall soll individuell der Nutzen gegen die Risiken einer präventiven Therapie abgewogen werden. Zur Unterstützung bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Prävention, wurde eine Liste von Kriterien erstellt, die beachtet werden sollten.
Empfehlung für IGRA und ggf. präventive Therapie
Herkunft
aus Ländern mit hoher und mittlerer TB-Inzidenz (nach
NICE-Guide-
lines: hohe TB-Inzidenz >150/100.000, mittlere
TB-Inzidenz 40-150/100.000)
anlässlich der Erstdiagnose der
HIV-Infektion oder des Erstkontakts mit dem
Gesundheitssystem
Herkunft
aus Ländern mit niedriger Tuberkulose-Inzidenz, wenn zusätzliche
Risikofaktoren für eine Progression zur Tuberkulose
vorliegen.
Ausgenommen:
PLWH mit >2 Jahre ART und guter Immunrekonstitution
(≥400
CD+ Zellen/µl) – sofern keine anderen Risikofaktoren für eine
Prävention
sprechen.
PLWH mit LTBI aus Ländern mit niedriger Tuberkulose-Inzidenz kommen nur für eine präventive Therapie in Frage, wenn zusätzliche Risikofaktoren für eine Progression zur Tuberkulose vorliegen. Daher sollte sich auch die LTBI-Testung in dieser Gruppe auf PLWH beschränken, bei denen die Nutzen-Risiko-Abwägung zugunsten der Prävention ausfallen würde.
Präventive Therapie
Die präventive Therapie sollte auch bei PLWH bevorzugt mit Rifampicin (4 Monate) oder Rifampicin + Isoniazid (3 Monate) durchgeführt werden, sofern keine Interaktionsrisiken, z.B. durch die ART, dagegensprechen. Zur Prävention können auch neuere Rifapentin-enthaltende Medikamentenkombinationen jeweils + Isoniazid (1-Mal wöchentlich über 3 Monate oder täglich über 1 Monat) genutzt werden. In die Therapiestudien, die zur Zulassung führten, wurden PLWH eingeschlossen.28 Die einmonatige Therapieoption wurde sogar in einer Studiengruppe getestet, die ausschließlich aus PLWH bestand.29 Leider ist Rifapentin in Deutschland aktuell noch nicht verfügbar, so dass diese Optionen derzeit in Deutschland noch nicht problemlos einsetzbar sind.
Ralf Otto-Knapp1, Pia Hartmann2
1 Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose e.V. (DZK), Berlin
2 Innere Medizin I, Department für Klinische Infektiologie, St. Vinzenz-Hospital, Köln
Literatur
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