HIV&more-Aktion „Der ältere HIV-Patient“


 -- Ihre Fragen rund um das Thema „Der ältere Patient“ beantwortet
Professor Georg Behrens
von der Medizinischen Hochschule Hannover.

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Internet-Aktion:

vom 01.-30. April 2010


Frage: Welche Krebsarten sind bei älteren HIV-Patienten häufiger?

Über die Inzidenz von bösartigen Tumoren bei HIV-Patienten in Abhängigkeit vom Alter gibt es noch sehr unzureichende Daten, vor allem fehlt oft der Verleich zu einer Kontrollgruppe. Aber Kontrollgruppen sind in diesem Zusammenhang auch schwer zu definieren. Es zeichnet sich aber ab, dass die AIDS-definierenden Tumoren (Non-Hodgkin-Lymphom und Kaposi-Sarkom) stabil oder sogar weniger häufig zu beobachten sind. Zunehmend finden sich bei HIV-Patienten aber Tumoren der Leber (wohl wegen HCV-Koinfektionen), Lungenkarzinome (wohl wegen der höheren Prävalenz von Rauchern) aber auch Infektions-assoziierte Tumoren wie Analkarzinome und Zervixkarzinome (Persistierende HPV-Infektionen). Da das Alter ein grundsätzlicher Risikofaktor für Tumorentstehung ist, wird sich das bei den älter werdenden HIV-Patienten sicherlich auch irgendwann in konkreten Zahlen widerspiegeln. Darüber hinaus ist das Ausmaß des Immundefekts offenbar ein Risiko für sowohl AIDS-definierende als auch andere Tumoren. Über andere bösartige Erkranungen, wie z.B. Mamma-Ca., Prostata-Ca. oder Darmkrebs gibt es bisher noch zu wenig zuverlässige Informationen aus dem HIV-Bereich, das die Inzidenzraten noch sehr niedrig und das Patientenkollektiv immer noch relativ jung ist

Frage: Mein Patient (58 Jahre, 10 Jahre behandelt) möchte, dass ich ihm wegen nachlassender Potenz Testosteron und Viagra aufschreibe. Was ist dabei zu beachten?

Bei den Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDE-5-Inhibitoren) wie Sildenafil (Viagra®), Vardenafil (Levitra®) oder Tadalafil (Cialis®) sollten die Interaktionen mit v.a. Proteaseinhibitoren berücksichtigt werden. Arzt und Patient sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Wirkspiegel der PDE-5-Inhibitoren über die Inhibition des Cytochrom P450-Enzymsystems v.a. durch die Ritonavir-Boosterung deutlich erhöht werden. Deshalb der Rat, bei geboosterten Proteaseinhibitoren ist mit einer niedrigen Dosis einzusteigen (z.B. ¼ oder ½ einer 50 mg Sildefaniltablette. Wenn keine Nebenwirkungen, aber auch keine Wirkung auftritt, kann man dann ggf. die Dosis steigern. Aber Cave: PDE-5-Inhibitoren wirken nicht immer und vor einer „Überdosierung“ sollte eine sorgfältige Sexualanamnese durch den/die Experten/in erfolgen. Die Gleichzeitige Gabe von NNRTI (z.B. Efavirenz) kann umgekehrt die Wirkung von PDE-5-Inhibitoren verkürzen, Nukleosidanaloga machen keine Interaktionen. Die Gleichzeitige Gabe von nitrathaltigen Substanzen ist kontraindiziert und zu den zu erwartenden Nebenwirkungen gehören u.a. Kopfschmerzen, Hautrötung, Rhinitis, Schwindel, Rückenschmerzen. Nicht vergessen: Den Patienten nochmals auf die Maßnahmen zur Prävention der HIV-Übertragung hinweisen.

Die Substitution von Testosteron ist bei nachgewiesenem Testosteronmangel und klinischer Symptomatik indiziert. Angewendet werde intramuskuläre Injektionen (Testosteron Depot) oder aber die Applikation als Gel, eine Interaktion mit HIV-Medikamenten sind nicht zu erwarten. Testosteron kann das Wachstum des Carcinoma in situ der Prostata fördern. Mögliche Nebenwirkungen sind Haarausfall, Hautreizungen bei lokaler Applikation, sowie Leberwerterhöhungen.

Frage: Im Rahmen des Themas wird ja auch immer wieder über akzelerierte Alterung bei HIV-Infektion spekuliert. Ursache sei am ehesten die Immunaktivierung. Wie sieht es hier mit Daten aus und finden sich ähnliche Phänomene bei anderen chronischen Erkrankungen (HCV, rheumatoide Arthritis)?

Die Datenlage zu verschiedenen klinischen Manifestationen ist noch sehr dürftig, weist aber bei unterschiedlichen Entitäten sehr häufig in die gleiche Richtung. So gibt es Hinweise für eine höhere Prävalenz von „entzündungsgetriebenen“ Erkrankungen bei HIV-Patienten, wie der koronaren Herzerkrankung, der Osteoporose, der Leberzirrhose (sowohl durch HCV/HBV, als auch durch Fettleberhepatitis) oder kognitiven Leistungsstörungen. Die Herzinfarktrate und Osteoporosehäufigkeit von Patienten mit rheumatoider Arthritis sind –unabhängig von der Therapie - ebenfalls erhöht.

HIV-Patienten zeigen mit längerer Infektionsdauer eine Fibrosierung der Lymphknotenarchitektur und eine eingeschränkte Rekonstitution der Helferzellen und andere Immunfunktionen. Diese Dinge rühren von einer gestörten Thymusfunktion, reduzierten Kapazität der Hämatopoese, aber wohl auch von einer niedrigschwelligen chronischen Entzündung. Patienten mit Zeichen der Immunaktivierung oder Patienten, die erst im höheren Lebensalter mit einer HIV-Therapie beginnen, steigen mit ihren Helferzellen trotz effektiver Therapie weniger an. Deshalb raten nationale und internationale Therapieempfehlungen, bei älteren Patienten (>50-55 Jahre) die HIV-Therapie eher früher (>350 Helferzellen) als später zu beginnen. Neben der Berücksichtigung von kardiovaskulären Erkrankungen oder Osteoporose ist das ist eine der wenigen therapeutischen Konsequenzen, die aus diesen Zusammenhängen gezogen wird.

Ich habe Ihnen einige ausgewählte Literaturstellen angefügt, die sich mit dieser Thematik beschäftigen:

Ances BM, Vaida F, Yeh MJ, Liang CL, Buxton RB, Letendre S, McCutchan JA, Ellis RJ. HIV infection and aging independently affect brain function as measured by functional magnetic resonance imaging. J Infect Dis. 2010 Feb 1;201(3):336-40.

Guaraldi G, Zona S, Alexopoulos N, Orlando G, Carli F, Ligabue G, Fiocchi F, Lattanzi A, Rossi R, Modena MG, Esposito R, Palella F, Raggi P. Coronary aging in HIV-infected patients. Clin Infect Dis. 2009 Dec 1;49(11):1756-62.

Tincati C, Bellistrì GM, Casana M, Merlini E, Comi L, Bai F, Sinigaglia E, Cristina M, Carpani G, Bini T, Monforte AD, Marchetti G. CD8+ hyperactivation and senescence correlate with early carotid intima-media thickness in HIV+ patients with no cardiovascular disease. J Acquir Immune Defic Syndr. 2009 Aug 15;51(5):642-4.

Cao W, Jamieson BD, Hultin LE, Hultin PM, Effros RB, Detels R. Premature aging of T cells is associated with faster HIV-1 disease progression. J Acquir Immune Defic Syndr. 2009 Feb 1;50(2):137-47.

Hunt PW, Brenchley J, Sinclair E, McCune JM, Roland M, Page-Shafer K, Hsue P, Emu B, Krone M, Lampiris H, Douek D, Martin JN, Deeks SG. Relationship between T cell activation and CD4+ T cell count in HIV-seropositive individuals with undetectable plasma HIV RNA levels in the absence of therapy. J Infect Dis. 2008 Jan 1;197(1):126-33.

Jiang W, Lederman MM, Hunt P, Sieg SF, Haley K, Rodriguez B, Landay A, Martin J, Sinclair E, Asher AI, Deeks SG, Douek DC, Brenchley JM. Plasma levels of bacterial DNA correlate with immune activation and the magnitude of immune restoration in persons with antiretroviral-treated HIV infection. J Infect Dis. 2009 Apr 15;199(8):1177-85.

Frage: Sollte man ältere HIV-Patienten generell früher behandeln? 

Es gibt einige gute Gründe bei Menschen, die älter als 50 bis 55 Jahre sind, schon frühzeitig eine HIV-Therapie zu berücksichtigen. Zum einen ist aus Querschnittsuntersuchungen bekannt, dass die Immunrekonstitutiton der Helferzellen mit steigendem Alter weniger ausgeprägt ist und manchmal inkomplett bleibt. Das bedeutet, das Menschen im höheren Lebensalter ein größeres Risiko haben, trotz ihrer Therapie nicht über 200-300 Helferzellen zu kommen. Damit bleiben vielleicht Risiken für opportunitische Erkrankungen und Impfungen sind weniger erfolgreich. Eine andere Überlegung rührt von den Hinweisen der chronischen Immunstimulation der replizierenden HIV-Infektion: Hier schätzen einige Experten, dass das Risiko für Komplikationen von z.B. Myokardinfarkten durch die Immunaktivierung weiter vermehrt wird und somit eine effektiv behandelte HIV-Infektion ein von den Ausgangshelferzellen unabhängig anzustrebendes Ziel ist. Für diese Einschätzung gibt es jedoch keine guten Daten aus Studien, sondern eher indirekte Hinweise. 

Frage: Sollte man bei älteren Patienten mit KHK und Diabetes in der Vorgeschichte auf bestimmte Medikamente verzichten?

Wichtig erscheint mir, die Gesamtsituation des Patienten zu beurteilen. Modifizierbare Risikofaktoren (Rauchen, Übergewicht) sollten als erstes optimiert werden. Einige Proteaseinhibitoren führen häufiger zu einem ungünstigen Lipidprofil. Abacavir hat in einigen Studien bei Patienten mit vorbestehendem kardiovaskulärem Risikoprofil häufiger zu Myokardinfarkten geführt. Tenofovir kann die Nierenfunktion beeinträchtigen. Diese Medikamente würde ich versuchen zu vermeiden, wenn Alternativen zur Verfügung stehen. Prinzipiell gibt es aber keine Kontraindikationen gegen antiretrovirale Medikamente bei diesen Patienten. 




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