Siegfried Schwarze
Gentherapie bei HIV – die Lösung aller Probleme?

Atlanta, 4. 3. 2013

In einem gut besuchten Plenarvertrag stellte die junge aber schon hoch dekorierte Marina Cavazzana-Calvo den Status quo der Gentherapie bei HIV vor.

Ein Problem der Gentherapie ist, dass man für dauerhafte Resultate eine Manipulation der Stammzellen vornehmen muss. Verändert man nur somatische Zellen, ist die Wirkung auf die Lebenszeit dieser Zellen begrenzt.

Erste Ergebnisse – und Rückschläge

Erste Erfahrung mit der gentechnologischen Veränderung von Stammzellen hat man bei der schweren kombinierten Immunschwäche (SCID-X1) gesammelt. Leider auch unangenehme Erfahrungen. Denn obwohl der überwiegende Teil der Patienten geheilt werden konnte (85% krankheitsfreies Überleben bis zu 13,5 Jahre), entwickelte ein Teil der Patienten Lymphome. Wie man feststellte, lag dies am verwendeten Vektor, der aus dem MLV (murine leukemia virus) entwickelt worden war. Dieses Virus integriert sein Erbmaterial bevorzugt an Startstellen für die Transkription. Wenn dies bei einem Onkogen passiert, kann es nachfolgend zur Entwicklung von Krebs kommen.

Neue Vektoren – Feuer mit Feuer bekämpfen (bzw. HIV mit HIV)

Aufgrund dieser Erfahrungen entwickelte  man neue Vektoren auf Basis von Lentiviren, zu denen auch HIV zählt. Diese Viren integrieren unspezifisch, so dass das Risiko für die  Auslösung von Krebs zumindest deutlich geringer ist. Klinische Studien am Menschen mit diesen neuen Vektoren laufen derzeit bei Patienten mit Wiskott-Aldrich Syndrom, SCID-X1 und Beta-Thalassämie. Für 2013 sind weitere Studien, u.a. bei Sichelzellanämie, HIV-Lymphom sowie anderen SCID-Formen geplant.

Die Anzahl von Stammzellen, die man einem Patienten entnehmen kann, ist relativ gering im Vergleich zur Zahl der Zellen, die im Körper verbleiben. Hinzu kommt, dass die veränderten Zellen nach Re-Infusion mit den verbliebenen Zellen gleichsam um „Nischen“ im Körper kämpfen müssen. Um den veränderten Zellen einen Vorteil zu verschaffen, hat es sich als günstig erwiesen, die unveränderten Zellen durch eine Myeloablation auszudünnen. Bei HIV-Patienten könnte es etwas anders aussehen, da durch die zerstörerische Wirkung von HIV – auch auf Stammzellen – wohl genügend „Nischen“ im Körper frei sind. Es gibt aber noch ein Problem: Der Thymus, der für die „Programmierung“ neu gebildeter T-Zellen zuständig ist, ist bei den meisten HIV-Patienten funktionell bereits deutlich eingeschränkt und schließlich könnte auch die durch HIV hervorgerufene Entzündungsreaktion den Erfolg der Methode beeinträchtigen.

Nächste Schritte

Trotz aller dieser Bedenken plant das französische Studiennetzwerk ANRS eine Studie, bei dem Stammzellen mit Vektoren transfiziert werden, die siRNA gegen das zelluläre Gen für den CCR5-Rezeptor sowie gegen die viralen Gene für tat/rev und vif enthalten. „Single strand interfering RNA“ (siRNA) sind RNA-Moleküle, die in ihrer Sequenz komplementär zu den Messenger-RNA-Molekülen (mRNA) der Zelle sind. Das heißt, die siRNA bindet spezifisch an ihre mRNA und verhindert damit deren Übersetzung in Proteine. In diesem Fall würde die Zelle also keinen CCR5-Rezeptor mehr bilden und falls die Zelle dennoch mit HIV infiziert wird (bzw. bei chronischen Patienten schon ist), wird durch die Blockade der viralen Faktoren tat, rev und vif die Vermehrung des Virus wirksam blockiert. Erste in-vitro Versuche mit diesem Konzept geben Anlass zur Hoffnung.

Weitere Ansätze

Da die Stammzellveränderung doch mit vielen Problemen einhergeht, versuchen sich die Forscher nach wie vor auch an der Veränderung von somatischen Zellen. Dabei ist die Anzahl möglicher Ansatzpunkte fast unbegrenzt.

Eine Arbeitsgruppe untersucht die Möglichkeit, dendritische Zellen so zu verändern, dass einerseits die Latenz integrierter Viren aufgehoben wird und gleichzeitig eine Immunantwort gegen infizierte Zellen verstärkt werden kann.

Ein weiterer Ansatz sieht vor, auf der Oberfläche der Zellen ein Protein zu exprimieren, das – ähnlich wie T-20 – eine Fusion der Zelle mit HIV verhindert. Dieser Ansatz funktioniert schon im Affenmodell (bei nicht infizierten Affen kann es eine Infektion verhindern) und führt interessanterweise auch zu einer verstärkten Immunantwort gegen das Virus. In einem nächsten Schritt soll das Verfahren an chronisch infizierten Affen erprobt werden.

Erfahrungen mit der Zink-Finger-Methode

Auf der CROI vor zwei Jahren in Boston wurde eine Methode vorgestellt, wie mit Hilfe von Zinkfinger-Nukleasen der CCR5-Rezeptor auf CD4-Zellen relativ selektiv ausgeschaltet werden kann.

Mittlerweile wurden mit dieser Methode neun Patienten behandelt und man konnte interessante Beobachtungen machen:

12 Monate nach der Behandlung ließen sich die Patienten in eine „High-Responder“- und eine „Low-Responder“-Gruppe einteilen – mit einem Anstieg der Helferzellzahl von im Median 277 bzw. 44 Zellen/µl. Es zeigte sich, dass im Verlauf der Zeit praktisch nur die veränderten Zellen aus der Gruppe der „Central Memory“-Zellen (Tcm) überlebten, während die „Transitional Memory“-Zellen (Ttm) abnahmen. Des weiteren hatten diejenigen Patienten ein besseres Ansprechen, deren Marker für Entzündung / Immunaktivierung niedriger waren. Möglicherweise kann man also in Zukunft die Patienten besser selektieren, die man mit dieser Methode behandelt.

Insgesamt verspürte man eine Aufbruchstimmung. Inzwischen haben die Forscher ein reichhaltiges Arsenal an Werkzeugen und auch einige Erfahrung um gentechnische Veränderungen an verschiedenen Zelltypen durchzuführen. Gleichzeitig werden die Risiken für die Patienten besser abschätzbar. Die Kreativität der Wissenschaftler hinsichtlich der möglichen Ansatzpunkte lässt hoffen, dass die Gentherapie bei HIV langfristig eine ernst zu nehmende Alternative zu anderen Behandlungsmethoden wird.

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