DR. HAUKE WALTER, ERLANGEN
Referenzzentrum für Retroviren -
was machen die eigentlich?

Das Nationale Referenzzentrum für Retroviren besteht seit 1996 am Institut für Virologie in Erlangen und ist Teil eines Netzwerks von Referenzzentren und Referenzlabors in der Bundesrepublik, das vom Robert Koch-Institut im direkten Auftrag der Bundesregierung zur Überwachung von Infektionen in Deutschland verwaltet wird. Das Nationale Referenzzentrum für Retroviren (NRZ) teilt sich mit dem Robert Koch-Institut die wesentlichen epidemiologischen Aufgaben in Hinsicht auf retrovirale Infektionen. Dies umfasst die zentrale Erfassung am RKI von Inzidenz und Prävalenz der HIV-Infektion und die Typisierung der transmittierten Erreger, wie es in nationalen und internationalen Studien zur Erfassung der Übertragung von resistenten HIV seit Jahren erfolgt und jetzt europaweit im EuropeHIVResistance-Program fortgesetzt wird.

Neben den rein epidemiologischen Aspekten ist eine Hauptaufgabe des NRZ die Referenzdiagnostik. Wann immer sich also die Frage stellt, ob eine Infektion mit einem Retrovirus vorliegt, dies aber durch reguläre Tests nicht ohne weiteres feststellbar ist, und ausreichend und geeignetes Probenmaterial zur Verfügung steht, kann das NRZ eine definitive Antwort finden (Abb. 1).


Abb. 1: Schema der Diagnosesicherung bei retroviralen Infektionen. Durchgesetzt hat sich der gestaffelte Einsatz von ELISAs als Screening-Verfahren, Immunoblot oder Immunfluoreszenz und bei Verwendung von Antigen-Antikörper-Kombinations-ELISAs auch des p24-Antigen-ELISAs zur Bestäti- gung im rein serologischen Bereich. Nur bei unklaren serologischen Ergebnissen empfiehlt sich der Einsatz von Nukleinsäure-basie- renden Tests „als letzte Instanz“. Als Tipp für die Einsender, fast alle serologischen Tests können aus Plasma und Serum durchgeführt werden, so dass Vollblut im Zweifelsfall immer die bessere Wahl ist.

UNKLARE BEFUNDE

Zur Abklärung kommen unklare serologische Befunde meist zu der relativ häufigen HIV-1-Infektionen, aber auch zu Infektionen mit HIV-2 und HTLV-1. Hier werden dann serologische Bestätigungstests bzw. Nukleinsäurenachweise (häufig auch NAT genannt für engl.: nucleic acid test) auf viraler und proviraler Ebene durchgeführt. Die weiterführende Diagnostik für die seltenen retroviralen Infektionen ist weniger verbreitet, da der Hauptanteil aller retrovirologischen Infektionen in Deutschland von HIV-1 verursacht wird. Ferner gewinnt das Therapiemonitoring von HIV-2- und HTLV-1-Infektionen zunehmend an Bedeutung.

VIRUSLAST BEI HIV-2 UND HTLV

Aufgrund der steigenden Nachfrage nach Quantifizierung von HIV-2-RNA und HTLV-DNA hat das NRZ sein Spektrum an Nukleinsäurenachweisen erweitert. Die Bestimmung der Viruslast bei HIV-2-Infektionen stellt wegen der geringen Virusmenge im Blut selbst in klinisch apparenten Fällen eine molekularbiologische Herausforderung dar. Bei klinisch apparenten HTLV-1-Infektionen besteht Bedarf für Therapiemonitoring überwiegend im Kontext von neurologischen Manifestation, z.B. der tropischen spastischen Paraparese. Ein neu entdecktes Retrovirus, das Retrovirus XMRV, das möglicherweise mit dem Prostata-Karzinom assoziiert ist, lässt sich seit kurzem ebenfalls quantifizieren.

WEITERFÜHRENDE HIV-DIAGNOSTIK

Neben den von der Krankenkasse zugelassenen Tests zum Therapiemonitoring von HIV-1 kann das NRZ eine Reihe weiterer diagnostischer Untersuchungen durchführen. Zu dieser speziellen Diagnostik gehören z.B. die phänotypische Resistenztestung, die Bestimmung der viralen Replikationskapazität sowie der Nachweis von resistenten Minoritäten für z.B. K65R, K103N und M184V Mutationen in der reversen Transkriptase. Die Anzahl der Anforderungen zur phänotypischen Resistenztestung ist in letzter Zeit stark zurückgegangen, was wohl auf die fehlende Kostenerstattung zurückzuführen ist. Um zu gewährleisten, dass auch in Zukunft und insbesondere auch für neue Substanzen ausreichend verlässliche Informationen zur Verfügung stehen, baut das NRZ derzeit in Kooperation mit dem HIV-GRADE-Team (www.hiv-grade.de) und dem Kompetenznetz HIV ein System zur Überwachung und Testung von neuen Mutationen auf.

NEUE METHODEN ENTWICKELN

Zu den Aufgaben des NRZ als Referenzlabor gehört auch die Auswertung der Proben für Ringversuchen für serologische Tests und Nukleinsäurenachweise. Bis Ende Februar 2007 beispielsweise wurde vom NRZ in Kooperation mit der Kommission für antivirale Therapie der deutschen Gesellschaft für Virologie ein Ringversuch zur genotypischen Resistenztestung bei HIV durchgeführt.

Ein relativ neuer, aber immer wichtigerer Bereich ist zudem die Entwicklung von Methoden zur Interpretation genotypischer Daten. So werden derzeit das bioinformatisch unterstützte, frei verfügbare geno2pheno-System weiter entwickelt und die Vorhersage des Resistenz-Phänotyps mittels eines deutschen Konsensus-Interpretationssystem für genotypische HIV-1-Resistenzdaten (HIV-GRADE) klinisch validiert.

ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

Das NAZ leistet auch Beratung und Öffentlichkeitsarbeit. Hier spielen drei Tätigkeitsbereiche eine wesentliche Rolle. Die aktive Teilnahme an nationalen und internationalen Veranstaltungen, die den wissenschaftlichen Anspruch unterstreicht und gleichzeitig dem Erwerb und der Verbreitung von Informationen dient. Die individuelle Beratung für diagnostische Laboratorien, klinisch tätige Ärztinnen und Ärzte, Mitarbeitern im öffentlichen Gesundheitsdienst und in gewissem Umfang auch Privatpersonen (z.B. Infizierte), vermitteln den Mitarbeitern des NRZ wertvolle Einblicke in den klinischen Alltag.


Abb. 2: Verteilung der phänotypischen Resis- tenz über alle eingesendeten Isolate. Die Einteilung gemäß S-I-R (suzeptibel - inter- mediär - resistent) erfolgte gemäß phänoty- pischer Resistenz und daher nur bedingt nach klinischen Kriterien. Im NRZ wurden im Laufe der Zeit ca. 1.100 Isolate auf phänotypische Resistenz hin untersucht und ca. die Hälfte davon waren insgesamt empfindlich (pro Substanz). Die Gesamtzahl der getesteten Isolate pro Substanz ist dabei unterschied- lich, so liegt sie z.B. für TPV noch bei <100 Isolaten. Dennoch zeichnet sich ein günstiges Kreuzresistenzprofil für den neueren Proteas- einhibitor klar ab. Darunavir ist in Europa noch nicht zugelassen und steht für die Testung derzeit noch nicht zur Verfügung

RETROVIRUS-BULLETIN

Das Retrovirus-Bulletin, das offizielle Publikationsorgan des NRZ, erscheint vierteljährlich. In dieser Publikation werden neben NRZ-spezifischen Ankündigungen Themen von allgemeinem Interesse aus dem Bereich der Retrovirologie für ein breites Publikum mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen behandelt. Das Bulletin hat sich z.B. als beliebte Auslage in Arztpraxen erwiesen und erfreut sich mit einer Auflage von 2.500 Exemplaren generell eines positiven Feedbacks. Dankenswerterweise konnten für die Gestaltung regelmäßig Autoren außerhalb des NRZ gewonnen werden.

Das Retrovirus-Bulletin ist mit allen Ausgaben frei online auf der Homepage des NRZs (www.viro.med.uni-erlangen.de/nrz/nrz.htm) verfügbar.

Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die zahlreichen Projekte im Bereich der Grundlagen- und angewandten Forschung, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie weitere nationale Förderer und durch Forschungsmittel der Europäischen Union unterstützt werden.

Ohne die Nähe zur Forschung und der allgemeinen Virologie wäre die Arbeit als Referenzlabor - gerade in der Abklärung vieler kleiner Unwägbarkeiten - nicht zu gewährleisten.

Dr. Hauke Walter
Institut für klinische und molekulare Virologie
Nationales Referenzzentrum für Retroviren
Universität Erlangen-Nürnberg
Schlossgarten 4 91054 Erlangen
hauke.walter@viro.med.uni-erlangen.de


Nationales Referenzzentrum für Retroviren (NRZ)
http://www.viro.med.uni-erlangen.de/nrz/nrz.htm

Meldungen

Ältere Meldungen weiter

Diese Website bietet aktuelle Informationen zu HIV/Aids sowie zur HIV/HCV-Koinfektion. Im Mittelpunkt stehen HIV-Test, Symptome und Auswirkungen der HIV-Infektion, Behandlung der HIV-Infektion, HIV-Medikamente mit Nebenwirkungen und Komplikationen, Aids, Hepatitis B und C. Ein Verzeichnis der Ärzte mit Schwerpunkt HIV ergänzt das Angebot.