Geblendet von Blau

Der britische Künstler und Filmemacher Derek Jarman (1942-1994) gilt als einer der wichtigsten Vertreter des britischen Independent Cinema. Durch Filme wie „Caravaggio“ (1986) und „Wittgenstein“ (1992) ist er auch hierzulande einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Derek Jarman (© Steve Pyke)Derek Jarman (© Steve Pyke)

Jarmans Filme thematisieren auch immer Homosexualität – sein erster größerer Film „Sebastiane“ (1976), „ein schwuler Mythos als Sandalenfilm-Softporno mit lateinischen Dialogen“, so ein Kritiker, nimmt bezug auf den heiligen Sebastian – jenen heiligen Märtyrer, der auch als inoffizieller Schutzpatron der Schwulen gilt, weil er seit der Renaissance meist kaum bekleidet dargestellt wurde. In seinen Filmen, deren Hauptpersonen meistens der europäischen Geschichte entstammen, entwickelte er eine ganz eigene, antinaturalistische, magische und traumartige Bildsprache, die bewusst historische Brüche miteinbezog. So kommen in „Caravaggio“ u.a. moderne Gegenstände wie ein Motorrad und eine Schreibmaschine vor, und in der Verfilmung von Christopher Marlowes Königsdrama „König Edward II“ singt Annie Lennox von den Eurythmics Cole Porters „Everytime we say goodbye, we die a little“, bevor der König in die Arme seines Mörders sinkt. Jarmans Helden ist gemeinsam, dass sie ein Leben ohne Kompromisse im Zeichen des Eros leben und daran zugrundegehen – so wie Jarman schließlich selbst.

Jarman engagierte sich jedoch auch außerhalb seiner Ausdrucksformen Film und Malerei durch Proteste und Aktionen gegen die Diskriminierung Homosexueller und Aids-Infizierter, insbesondere Ende der achtziger Jahre gegen den Clause 28 der Thatcher-Regierung, der die „Förderung von Homosexualität“, z.B. durch öffentliche Werbung oder künstlerische Darstellungen, unter Strafe stellte.

Blue

-- Jarmans Silhouette – das Plakat zu „Blue“ (© Courtesy Basilisk Communications) Jarmans Silhouette – das Plakat zu „Blue“ (© Courtesy Basilisk Communications)

1986 erkrankte Derek Jarman an Aids – die Krankheit sowie die Medikamente, die er erhielt, führten zu einer Netzhautablösung und schließlich zur völligen Erblindung. Sein letzter Film „Blue“ (1993) visualisiert für den Betrachter in radikaler Weise seine krankheitsbedingte Sehstörung, denn er zeigt 74 Minuten lang eine rein blaue Leinwand. Zu hören ist eine Textcollage von Erinnerungen aus Jarmans Kindheit, Tagebucheinträgen, poetischen Äußerungen, politischen Statements, Nachrufen auf gestorbene Freunde, Krankheitsberichten – und Bemerkungen zur Farbe Blau, gelesen von Jarman selbst sowie von mit ihm befreundeten Schauspielern. Musikalisch ergänzt von Geräuschen, Soundeffekten und der Musik seines langjährigen Filmkomponisten Simon Fisher-Turner. Zugleich ist der Film eine Widmung an den Maler Yves Klein, der vor allem durch seine monochromen blauen Bilder bekannt ist – mit dem Jarman die Überzeugung verband, dass „es mehr gibt, als das Auge trifft“. Und er thematisiert auf eine neue Weise Jarmans Beschäftigung mit der Malerei, über die er schließlich zum Film gekommen war – bereits in autobiographischen Texten wie „Chroma“ hatte er über Farben geschrieben.


Die Farbe seiner Krankheit ist so zugleich eine Metapher für Verlustängste und Unendlichkeit. Nicht zuletzt verweist sie auf das Bluescreen-Verfahren, das als neutraler leerer Hintergrund dazu dient, andere Bilder sichtbar zu machen.

Geblendet von Blau

Blau ist somit zugleich Symbol der Krankheit und der Hoffnung, denn Blau ist „eine offene Tür zur Seele, eine unbegrenzte Möglichkeit…“. So endet auch der Film mit einer Elegie:

Prospect Cottage, Dungeness (© Howard Sooley)
Prospect Cottage, Dungeness (© Howard Sooley)

Keine Hecke verbirgt die häßliche Realität (© Howard Sooley)
Keine Hecke verbirgt die häßliche Realität (© Howard Sooley)

Archaisch anmutende Skulpturen bevölkern den Garten (© Howard Sooley)
Archaisch anmutende Skulpturen bevölkern den Garten (© Howard Sooley)

Unsere Namen werden vergessen sein
Mit der Zeit
wird Niemand mehr wissen was wir taten
Unser Leben wird wie ein Wolkenfetzen
vorüberziehen am Himmelszelt
Und sich von Sonnenstrahlen
vertreiben lassen
wie zarte Nebelschwaden
Denn unsere Zeit ist flüchtig
und schießt wie Funken durch das Stroh
Ich werde einen Rittersporn, Blau, auf dein Grab dir pflanzen.

Der Garten 

1986, auf der Suche nach einem Drehort für seinen Film „The Garden“, entdeckte Jarman das zum Verkauf stehende Häuschen „Prospect Cottage“ an der unwirtlichen Küste der Halbinsel von Dungeness, westlich von Dover im Süden Englands. Trotz der als eher trostlos zu bezeichnenden Umgebung – das Grundstück bestand aus steinigem, sehr kargem Boden und lag in unmittelbarer Nähe eines Kernkraftwerks und eines Armeeschießplatzes – kaufte Jarman das Cottage. Ursprünglich nutzte er es nur als Wochenendhaus, doch als er an Aids erkrankte, diente es bis zu seinem Tod als Wohnsitz. Wie Jarman in seinen Filmen eine eigene Bildsprache entwickelt hatte, so hatte er auch bei der Gestaltung des Gartens um das Cottage seinen eigenwilligen Stil – fernab von dem der typisch britischen Gärten und ihrer ästhetischen Ideale. Er gilt mittlerweile in der Kunstszene als hervorragendes Beispiel zeitgenössischer Gartenkunst.

Rost und Rosen 

Der Anfang war eher zufällig: Um eine Hundsrose festzubinden, damit sie sich besser gegen die Meeresbrise behaupten konnte, benutzte Jarman, der auch als Kind schon ein Faible für die Gärtnerei hatte, ein auf dem Grundstück herumliegendes Stück Treibholz. Eine wilde Rose und ein Fundstück – diese Kombination enthält bereits im Kern den Gestaltungsstil, aus dem sich der Garten entwickelte: Das Vorhandene zu akzeptieren und einzubinden, statt etwas Fremdes gegen die örtlichen Gegebenheiten mittels künstlicher Hilfe durchzusetzen.

Ohne gegen die Umwelt durch Hecken abgeschirmt zu sein, liegt Prospect Cottage auch heute noch offen da – kein Zaun hindert einen Vorbeikommenden daran, den Garten zu betreten. Keine Idylle eines Hortus Conclusus also, sondern die karge, blühende Schönheit einer Pflanzenwelt, die sich zäh in einer Steinwüste behauptet, erwartet den Besucher.

Wie Jarman seine Erkrankung auch in seine Arbeit integrierte, so schuf er seinen Garten aus dem, was vor Ort möglich und vorhanden war: Statt englischem Rasen – Jarman war der Ansicht, Rasen widerspräche der Natur – geharkter Kies, der in seiner minimalistischen Ästhetik an japanische Zengärten erinnert.

Statt Orchideen und anderer exotischer Pflanzen pflanzte er Ginster und Holunder, Mohn und Kornblumen, Pflanzen, die meistens wild in der Umgebung wuchsen. Die Beete wurden von bizarren, archaisch anmutenden Skulpturen aus Treibholz und verrostetem Metall bevölkert. Und aus interessant geformten Kieseln, die er während Spaziergängen am Meer sammelte, legte er Steinkreise, die an prähistorische Anlagen wie Stonehenge erinnern.

„Ein Garten ist eine einzige Schatzsuche, die Pflanzen die Schnitzeljagd. Ich verleihe meinen Steinen die Kraft der Steine von Avebury. Ich habe die ganzen magischen Bücher über alte Kraftlinien und Kreise gelesen – und schuf meine in diesem Bewusstsein. Die Kreise machen den Garten perfekt. Im Winter ersetzen sie die Blumen. Es war magisch und gleichzeitig harte Arbeit.“

Vor dem Hintergrund von Jarmans Aids-Erkrankung kann man diesen Garten, dem er vor allem in seinen letzten Lebensjahren viel Zeit widmete, auch als heroisches Manifest für das Leben interpretieren – denn er gibt in einer unwirtlichen Umgebung anderen Lebewesen Raum – über den eigenen Tod hinaus. Noch die unscheinbarsten „Bewohner“ vor Ort zu akzeptieren und jedes Kraut, das sich zäh behauptet, ernstzunehmen und ihm seinen Lebensraum zu lassen, zeugt von einer tiefen Menschlichkeit.

Literaturhinweise:

Derek Jarman
Blue - Das Buch zum Film
72 Seiten, deutsch/englisch
Martin Schmitz Verlag
ISBN 978-3-927795-13-6

Derek Jarman‘s Garden
144 Seiten
Thames & Hudson
ISBN 9780500600245
ISBN 9780500016565

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