Kommt jetzt die Meldepflicht?
Bundesregierung plant Ausweitung der Kontrolle des Prostitutionsgewerbes

Die Bundesregierung plant eine Neureglementierung der Prostitution mit einem Gesetz zum „Schutz der in der Prostitution Tätigen“. Mit diesem Gesetz soll eine Anmelde-/Anzeigepflicht und ein Nachweisdokument eingeführt werden.

§4 Geschlechtskrankheitengesetz (1953 beschlossen, 2001 außer Kraft gesetzt)

Pflichten der Kranken und krankheitsverdächtigen Personen

  1. Geschlechtskranke sowie solche Personen, die dringend verdächtig sind, geschlechtskrank zu sein und Geschlechtskrankheiten weiterzuverbreiten, haben dem Gesundheitsamt auf Verlangen, gegebenenfalls wiederholt, ein Zeugnis eines in Deutschland bestallten oder zugelassenen Arztes über ihren Gesundheitszustand vorzulegen.
  2. Das Gesundheitsamt kann in begründeten Fällen die Untersuchung in der Beratungsstelle oder bei bestimmten Ärzten anordnen. Bei unklarem Untersuchungsbefund oder Gefahr der Verschleierung kann Beobachtung in einem geeigneten Krankenhaus befristet angeordnet werden.
  3. Das Gesundheitsamt erhält in jedem Falle einen Befundbericht.

Es gibt hierzulande keinen Wirtschaftszweig, der so überdimensioniert und so nutzlos überwacht wird wie das Sexgewerbe. Die Razzien-Statistik von Doña Carmen e.V. (www.donacarmen.de) verdeutlicht, dass in der Zeit von 2000 bis 2013 bei insgesamt 300 Großrazzien in 703 Gemeinden unter Einsatz von 65.000 Ermittlern rund 7.200 Prostitutions-Etablissements kontrolliert wurden.

Jedes Jahr gibt es rund 30 Großrazzien und 11.500 so genannte „Personenkontrollen“, bei denen zusammengenommen fast 50.000 Frauen kontrolliert und registriert werden. Bei 200.000 Sexarbeiter/innen sind dann nach vier Jahren alle Frauen in diesem Wirtschaftszweig einmal von den Polizei- und Ordnungsbehörden kontrolliert worden. Das ist die beschämende Realität der alltäglichen Überwachung im Prostitutionsgewerbe.

Wenn bei Großrazzien in einer einzigen Nacht mehr als 1.000 Bordelle und 6.000 Frauen kontrolliert werden – so geschehen am 12. Mai 2011 – so kann man ohne Übertreibung von einem regelrechten Feldzug gegen die Prostitution sprechen. Wenn die Dortmunder Polizei vor Gericht zu Protokoll gibt, dass auf dem dortigen Straßenstrich 2010 insgesamt 35.000 Personenkontrollen erfolgten, dann sind das Größenordnungen, die jedes Maß vermissen lassen. In Karlsruhe hat die Polizei 2013 die dortigen 89 Prostitutionsstätten mit 1.257 Kontrollen überzogen. Dort arbeiten regelmäßig rund 260 Frauen. Jedes dieser Rotlicht-Etablissements mit im Schnitt 3 Frauen wäre also 14mal pro Jahr polizeilich kontrolliert worden. Von Verhältnismäßigkeit kann hier keine Rede sein

Anmelde-/Anzeigepflicht

Doña Carmen organisiert Bordellführungen für  Frauen im Frankfurter Bahnhofsviertel
Doña Carmen organisiert Bordellführungen für Frauen im Frankfurter Bahnhofsviertel

Vor diesem Hintergrund scheint es befremdlich, wenn die Bundesregierung jetzt behauptet, ihr fehle der Einblick ins Prostitutionsgewerbe, folglich müsse eine generelle Meldepflicht für alle Sexarbeiter/innen eingeführt werden, damit man weiß, wer da eigentlich tätig ist.

Die Regierung plant, dass sämtliche Sexarbeiterinnen zukünftig, sobald sie in einer Gemeinde zu arbeiten anfangen, sich dort vorher registrieren lassen. Sollten sie ihren Betätigungsort wechseln, beginnt die Prozedur in der nächsten Stadt wieder von vorne.

Bislang wird ein solches Modell nur in München praktiziert, wo jede neu anfangende Sexarbeiter/in zuerst auf der Polizeiwache erscheinen und sich dort melden muss. Dieses Münchner Modell will die zuständige Bundesfamilienministerin Schwesig nun bundesweit einführen. Doch damit nicht genug. Es soll zusätzlich noch ein „Nachweisdokument“ geben, eine Art „Hurenpass“, damit Sexarbeiter/innen ihre jeweilige örtliche Registrierung darin dokumentieren. So jedenfalls fordert es ein Eckpunktepapier der Bundesregierung vom 14. August 2014:

Für Prostituierte soll eine Anmelde/Anzeigepflicht (jeweils bei Aufnahme der gewerbsmäßigen Prostitution in einer Kommune) eingeführt werden. Für Prostituierte, die sich bei der zuständigen Behörde angemeldet haben, wird ein Nachweisdokument eingeführt, das z.B. gegenüber Bordellbetreibenden, Behörden und ggfs. gegenüber Kunden vorgelegt werden kann.“

Bordellbetreiber sollen nach den Plänen von Ministerin Schwesig nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, die „Nachweisdokumente“ der bei ihnen tätigen Frauen zu kontrollieren. Ausgerechnet die Bordellbetreiber, an denen man sonst kein gutes Haar lässt!

„Nicht mit uns!“

Motivwagen einer gemeinsamen Kunstaktion von Dona Carmen und der  Künstlerin Silke Wagner
Motivwagen einer gemeinsamen Kunstaktion von Dona Carmen und der Künstlerin Silke Wagner

Was die Bundesregierung vorhat, ist nichts Geringeres als die Zwangsregistrierung eines gesamten Berufsstandes. Keine andere Berufsgruppe in dieser Republik wird einer derart diskriminierenden Sonder-Überwachung unterworfen. Es geht hier wohlgemerkt nicht um die Meldepflicht zur Steuer, zur Sozialversicherung oder zur Anzeige eines Wohnsitzes. Das ist unstrittig. Um was es geht und was strittig ist, ist eine berufsspezifische Sonder-Meldepflicht jenseits der regulären Meldepflichten.

Die Folge der geplanten Registrierung wäre ein komplettes Bewegungsprofil dieser hochmobilen Berufsgruppe und im Ergebnis ein zentrales Register aller Frauen, die nach wie vor einer rechtlich benachteiligten und stigmatisierten Gruppe angehören. Aus gutem Grund sagen Sexarbeiter/innen dazu: „Nein! Nicht mit uns!“

In einem entsprechenden Aufruf, der Anfang November in der ‚taz‘ veröffentlicht wurde, heißt es: „Wir erinnern daran: Die letzte staatlich verordnete „Erfassung von Prostituierten“ erfolgte unter den Nationalsozialisten im Runderlass des Reichsinnenministers von 1939!“

Auf diesen Zusammenhang verwies auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Juni dieses Jahres in einer Stellungnahme anlässlich einer Bundestags-Anhörung. Dort hieß es: „Auch grundsätzliche Erwägungen zum Verhältnis des Staates zu einer stigmatisierten und in der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus gebrandmarkten und verfolgten gesellschaftlichen Gruppe sprechen gegen eine gesonderte Registrierung von Sexarbeiter-/innen und Prostituierten.“

Selbst in den Zeiten der noch jungen Bundesrepublik, in den 50er Jahren mit ihrer Diskriminierung von Prostitution, hatte man es nicht gewagt, an die nationalsozialistische Praxis der Zwangsregistrierung von Prostituierten anzuknüpfen. Die Versuche einer Registrierung über §4 des damaligen Geschlechtskrankheitengesetzes normierte keine Meldepflicht, sondern lediglich eine Untersuchungspflicht ausschließlich hinsichtlich kranker bzw. krankheitsverdächtiger Personen.

Von einer Meldepflicht von Prostituierten war im Gesetzestext mit keiner Silbe die Rede, selbst wenn in der Gesetzespraxis insbesondere Frauen in der Prostitution als krankheits-„verdächtige“ Personen eingestuft und zu regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen gezwungen wurden. Die gegenwärtig geplante generelle Meldepflicht für Sexarbeiter/innen geht also weit über das hinaus, was Sexarbeiter/innen bislang an staatlicher Überwachung zugemutet wurde. Von den Betroffenen wird das verständlicherweise als Angriff auf das grundgesetzlich geschützte Recht der freien beruflichen Betätigung gesehen – ein Recht, das laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2009 auch Sexarbeiter/innen zusteht.

Die geplante Reform des Prostitutionsgesetzes kommt als „Prostituiertenschutzgesetz“ daher und soll Sexarbeiter/innen angeblich vor Gewalt, Kriminalität und Ausbeutung in Form von Mietwucher schützen. Doch der bestehende „Schutz“ von Sexarbeiter/innen ist schon längst überdimensioniert: Prostituierte werden bereits durch fünf speziell auf sie gemünzte Strafrechtsparagrafen „geschützt“. Insbesondere werden sie bereits durch §180a StGB („Ausbeutung von Prostituierten“), durch §291 StGB („Wucher“) und §138 BGB („Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher“) vor Wucher geschützt. Warum es darüber hinaus noch eines weiteren rechtlichen Schutzes gegen Wucher in Form der geplanten „Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“ bedarf, erschließt sich nicht.

Die Betroffenen haben um einen derart überdimensionierten Schutz nie gebeten. Die Schutzversprechen stehen im Übrigen in einem auffälligen Gegensatz zur staatlichen Zurückhaltung hinsichtlich der Gewährung von Rechten, die im Unterschied zu den Sexarbeiter/innen den Angehörigen anderer Berufsgruppen selbstverständlich zustehen.

Es ist absehbar, dass das geplante neue Prostitutionsgesetz der Bundesregierung für heftigen Zündstoff sorgen wird.

Ausgabe 4 - 2014Back

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