CHRISTOPHER KNOLL, DIPL.-PSYCH., MÜNCHEN
Der HIV-Schnelltest in der Praxis Überlegungen der Münchner AIDS-Hilfe e.V.

Die Münchner AIDS-Hilfe bietet ab Juni 2007 ein spezifisches Angebot zu sexuellen Risiken und HIV-Test an. Ein Bestandteil dieses Angebotes ist ein HIV-Schnelltest, welcher mittels eines Tropfen Vollblutes innerhalb von 20 Minuten ein Testergebnis erzielt. Der Einsatz des Schnelltests ist in den letzten Jahren, auch von uns, immer wieder kritisch betrachtet worden. Als die Münchner AIDS-Hilfe ankündigte, ein Beratungs- und Testangebot machen zu wollen, das den HIV-Schnelltest beinhaltet, gab es erstaunte, kritische oder auch ablehnende Reaktionen seitens der Fachkollegen und der offiziellen Stellen - in München und darüber hinaus.

Der Weg bis hin zur Entwicklung und Umsetzung eines Testangebotes inklusive Schnelltest war ein langer. Gerade die Situation der Ungetesteten beschäftigte uns lange Zeit. Es gab immer wieder Hinweise, dass ungetestete schwule Männer einen anderen Umgang mit körperlichen Problemen haben als getestete Männer. Wir kennen auch die konflikthafte Situation der Ungetesteten, die ihre Unsicherheit bezüglich ihres HIV-Status als Chance und zugleich als Risiko und Belastung erleben. Viele von ihnen hätten gerne Klarheit - und vermeiden sie doch wieder um jeden Preis.

Wir gewannen zunehmend den Eindruck - ohne mit dem Finger zeigen zu wollen -, dass diese Zielgruppe einer der Motoren der Infektionsentwicklung sein könnte. Diesen Personenkreis gezielt anzusprechen und ihm die Möglichkeit zu geben, das eigene Verhalten zu reflektieren, wäre daher für die Präventionsarbeit wesentlich . Aber auch Angebote zu schaffen, die für diese Gruppe zugänglicher sind als die bisherigen, führte uns zur Entwicklung von checkpoint münchen (dessen Konzept sich eng an das von checkpoint zürich hält).

Das Angebot soll den ungetesteten schwulen Männern etwas an die Hand geben, was ihre Unsicherheiten reduzieren kann und zwar gerade denjenigen, die die lange Wartezeit auf das Ergebnis als ihr größtes Testhindernis angeben. Hinzu kommt das Bedürfnis, den Test als normales Angebot in der Szene zu verankern.

Wir möchten das Beratungs- und Testangebot von checkpoint also nutzen:

  • damit HIV-Infizierte möglichst früh an medizinische und psychosoziale Angebote kommen,
  • zur Unterbrechung von Infektionsketten durch frühzeitiges Erkennen von HIV-Infektionen,
  • damit HIV-Negative eine verstärkte Motivation bekommen, sich zu schützen1 und
  • damit gerade schwule Männer sich verstärkt mit Fragen von Test und sexueller Sicherheit auseinandersetzen.

Die Etablierung eines Schnelltest-Angebotes hat zwei Hindernisse:

  • Die beraterische Anforderung aufgrund der Möglichkeit falsch-positiver Testergebnisse. Wir richten uns bewusst an eine Zielgruppe, die den Test meist aufgrund von Konflikten bislang nicht durchgeführt hat und für die der Test selbst oft konflikthaft erlebt wird. Deshalb muss hier sehr vorsichtig vorgegangen werden. Man muss auf das Risiko falsch-positiver Tests sehr deutlich hinweisen und ein worst-case-Szenario entwerfen, damit im Falle eines positiven Testergebnisses alle weiteren Schritte im Vorfeld bekannt sind. Bei einem positiven Schnelltest-Ergebnis muss klar sein, dass die AIDS-Hilfe beraterisch an der Seite des Klienten steht, bis das Ergebnis durch einen Bestätigungstest verifiziert oder falsifiziert ist.
  • Die Anwendung des Schnelltestes muss sehr sorgfältig erfolgen. Es besteht bei Anwendungsfehlern die Gefahr von "falsch-negativen" Ergebnissen: Dies kann geschehen, falls man den Test mit Vollblut verwendet und etwas zu wenig Blut aufträgt. Gerade dieses Hindernis ist ein starkes Argument gegen die Verwendung eines auf Blut basierenden Testes als Heimtest.

Die Möglichkeit falsch-positiver Testresultate dürfte die meiste Kritik an dem Angebot auf sich ziehen. Wir sehen das Vorgehen trotz allem als gerechtfertigt an. Es muss darauf geachtet werden, dass das Schnelltest-Angebot nicht locker-flockig beworben wird ("Der kleine Test für zwischendurch"), sondern dass das Angebot mit der gebotenen Ernsthaftigkeit dargestellt und beworben wird.

WEITERE ABWÄGUNGEN:

  • Es ist sicherlich nicht so, dass man die Haltung der Ungetesteten lediglich verändern kann, indem man ihnen einen Test anträgt. 1:1-Mechanismen gibt es hier nicht. Viele aus der Hauptzielgruppe der ungetesteten schwulen Männer mit Risikoverhalten werden sich dem Testangebot auch weiterhin entziehen.
  • Der Schnelltest suggeriert sicherlich einigen, das diagnostische Fenster von 12 Wochen müsse hier nicht berücksichtigt werden. Dass dies nicht so ist, muss deutlich dargestellt werden. Wir möchten jedoch primär die Gruppe ansprechen, die häufig Risiken eingeht, und weniger diejenigen, die punktuelle Risiken schnell abklären wollen.
  • Wir sind uns im Klaren, dass wir mit dem Schnelltest-Angebot eventuell auch kurzfristige Motivationen bedienen ("Wenn wir miteinander schlafen wollen, dann musst du aber vorher einen Test machen"). Dies ist nur zu rechtfertigen, wenn die Beratung die Motivation und die Folgen des Tests kritisch hinterfragt.

Weitere Informationen

www.checkpoint-muenchen.de

www.aidshilfe.de

Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
Dieffenbachstr. 33 · 10967 Berlin
Tel.: 0 30 / 690087-49
Fax: 0 30 / 690087-42

TESTENTSCHEIDUNG UND -DURCHFÜHRUNG

Die Nutzer von checkpoint münchen werden zuerst gebeten, einen Fragebogen zum Risiko-Assessment auszufüllen, welcher dann die Grundlage für das ausführliche Beratungsgespräch darstellt. Sollte das Assessment ergeben, dass ein Risiko vorlag (oder sollte aus sonstigen Gründen, z.B. psychologischer Natur, ein Test auch ohne Risiko angeraten sein) entscheidet man abhängig vom Zeitpunkt des Risikos, welche Möglichkeiten dem Kunden anzubieten sind (s. Tabelle). Bei jedem HIV-Test, der innerhalb der ersten 12 Wochen nach Risiko durchgeführt wird, wird die Aussagekraft des Ergebnisses genau besprochen, und immer darauf hingewiesen, dass ein 2. Test 12 Wochen nach Risiko dringend erforderlich ist.

FAZIT:

Den Schnelltest anzubieten löst einige Probleme und schafft einige Probleme. Es ist natürlich Ergebnis der individuellen Prioritätensetzung, ob die Chancen oder Risiken überwiegen. Unserer Meinung nach überwiegen die Chancen wie z.B. der Zugang zu therapeutischen Möglichkeiten. Auch die Diskussion über Serosorting (Auswählen von Sexualpartnern mit gleichem Serostatus) erhält hierdurch sicherlich neue Impulse. Hauptsächlich jedoch möchten wir zur Motivation beitragen, sich und andere zu schützen und dazu beitragen, die Risiken so präsent wie möglich zu machen. Denn wir möchten gerne "Es ist gut, Klarheit zu haben!" weiter als Norm in der Szene verankern.

Im Falle des Schnelltests erfolgt die Ergebnismitteilung ca. 30 Min. nach der Blutabnahme (Der HIV-Test kostet € 26,- und beinhaltet bereits die Kosten für einen eventuell notwendigen Bestätigungstest). Die verschiedenen Ergebnismöglichkeiten und deren Konsequenzen wurden schon vor dem Test mit dem Klienten erörtert. Im Nach-Test-Gespräch werden im Falle eines negativen Testergebnisses die Strategien angesprochen, wie der negative Serostatus gesichert werden kann (dafür hat die Münchner AIDS-Hilfe z.B. einen eigenen Tages-Workshop "Bleib negativ"). Im Falle eines positiven Testergebnisses können Beratertermine gleich vor Ort vereinbart werden, es gibt eine Information über Schwerpunktärzte, wir können auch direkt Termine bei Ärzten vermitteln. Und natürlich leiten wir gleich einen Bestätigungstest ein.

ERSTE ERFAHRUNG MIT DEM SCHNELLTEST

checkpoint münchen ist zweimal in der Woche, jeweils Montag und Donnerstag, von 17 bis 20 Uhr, geöffnet.

Trotzdem das Angebot explizit für schwule Männer beworben wurde kamen anfänglich mehr heterosexuelle Männer und Frauen zum Beratungs- und Testangebot. Dies hat sich im Laufe der ersten zwei Monate etwas revidiert, das Verhältnis ist nun ungefähr 50:50. Wir sind jedoch interessiert, gerade im Bereich der Männer, die Sex mit Männern haben, das Angebot noch stärker zu verankern. Das Risiko-Assessment wird sehr gut angenommen. Durch den detaillierten Fragebogen ist es wesentlich leichter möglich, Risikoverhalten oder riskante Strategien zu identifizieren. Bei circa 85% der Ratsuchenden bestand ein konkretes Risiko und es wurde ein HIV-Test durchgeführt.

Christopher Knoll, Dipl.-Psych.
Münchner AIDS-Hilfe e.V.
Lindwurmstraße 71 · 80337 München
Fon: 089 / 54 333 - 0 · Fax: 089 / 54 333 - 111
Email: christopher.knoll@muenchner-aidshilfe.de
www.muenchner-aidshilfe.de

1. Metaanalyse der CDC von 2006: "Das Risiko einer HIV-Transmission ist bei Menschen, die ihren HIV-Status nicht kennen, 3,5 mal höher als bei denen, die wissen, ob sie infiziert sind oder nicht." Und: "Menschen die ihren Serostatus nicht kennen, haben 50% wahrscheinlicher ungeschützten Sex als HIV-Positive". HIV&more, Vol. 3 / 2006, S. 9

Das Angebot von checkpoint münchen:
Bei jeder Beratung Spezifisches Risiko-Assessment mittels Fragebogen
Risiko vor 0-3 Tagen PEP diskutieren, gegebenenfalls anbieten
Risiko vor 3-14 Tagen Keine Testmöglichkeit
ggf. qualitative HIV-PCR
ab 1. Woche möglich
Risiko vor 2-6 Wochen Kombitest Antigen/Antikörper
Risiko länger als 6 Wochen HIV-Schnelltest
Ggf. Tests bezogen auf andere STDs


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