MECHTHILD VOCKS-HAUCK, BERLIN
Ambulante Versorgung HIV-exponierter und -infizierter Kinder und Jugendlicher

Die Behandlung HIV-infizierter Kinder in einer Praxis ist eher die Ausnahme als die Regel, stellt aber eine tatsächliche Integration dar und hat sich bewährt. Sie schützt besonders die Anonymität der Familien, die nicht über eine HIV-Infektion definiert werden möchten. Die konstante ärztliche Versorgung stärkt das Vertrauen und erlaubt eine stark patientenorientierte individualisierte Betreuung. Der persönliche professionelle Kontakt zu fördernden Institutionen führt zu rascher unbürokratischer Hilfe. Die Finanzierung scheint auch in Zukunft gesichert zu sein.

In der hausärztlichen Kinderarztpraxis Wilmersdorfer Straße, Berlin, werden seit 15 Jahren HIV-exponierte Kinder diagnostiziert und HIV-infizierte Kinder behandelt. Ich leite als HIV-spezialisierte Kinderärztin die Praxis und zusammen mit einer Weiterbildungsassistentin, einer Kinderkrankenschwester und drei medizinischen Fachangestellten werden die Kinder nach Wunschterminen, aber zufällig verteilt, innerhalb der allgemeinen pädiatrischen Sprechstunde behandelt. Bei Bedarf erfolgt auch eine Behandlung außerhalb der Sprechzeiten oder zuhause.

INTEGRATION WIRD GEFÖRDERT

An allen innerhalb von drei Monaten behandelten Patienten beträgt der Anteil der HIV-exponierten Kinder in der Praxis zirka 12% (160 Kinder) und der Anteil der HIV-infizierten Kinder zirka 3% (38 Kinder). Behandelt werden Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 21 Jahre. Darüber hinaus erhalten HIV-positive Frauen Informationen über potentielle embryotoxische und teratogene Wirkungen von HIV und antiretroviralen Medikamenten.

Die HIV-betroffenen Kinder und Jugendlichen geraten durch die Praxissituation in keine Ausnahmesituation und die Anonymität bleibt gewahrt. Durch eine gezielte Beratung in Kindergarten- und Schulfragen gelang auch hier bislang immer eine Integration. Die berufliche Rehabilitation gelingt in der Regel dadurch, dass über den Behindertenstatus Ausbildungsplätze vom Arbeitsamt finanziert werden. Das ebenfalls 1993 gegründete Kuratorium für Immunschwäche bei Kindern unterstützt Kinder und Familien individuell in gesundheitlichen und psychosozialen Belangen. Es finanziert unter anderem Nachhilfeunterricht, Erholungsreisen und heilpädagogisches Reiten.

VERTIKALE HIV-EXPOSITION: MUTTER UND KIND FRÜH NACH DER GEBURT IN DER PRAXIS

Da HIV-infizierte Frauen zunehmend vaginal entbunden werden und die intravenösen präventiven Zidovudin-Therapien bei Neugeborenen - auch nach Intervention des Arbeitskreises AIDS in Berlin (die Kinder erhalten jetzt eine orale Zidovudin-Prophylaxe) - als Routinemaßnahme beendet wurden, erfolgt die Klinikentlassung der Mütter und Kinder immer früher. Zum Ausschluss einer HIV-Infektion werden im Alter von zwei bis vier Wochen (Vorsorgeuntersuchung U3) ambulant die HIV-RNA bestimmt sowie potentielle Nebenwirkungen der Zidovudin-Prophylaxe diagnostiziert (Hämatokrit, Laktat). Die zweite HIV-RNA-Bestimmung erfolgt mit zwei Monaten (U4) und die dritte mit vier Monaten zum Zeitpunkt der dritten Regelimpfung oder mit sechs Monaten (U5). Die Seroreversion kann im Alter von 21 Monaten (U7) nachgewiesen werden.

Bei nicht neugeborenen Kindern HIV-positiver Mütter, deren Infektion möglicherweise schon während der Schwangerschaft bestand, und einem Alter von mehr als 18 Monaten werden zum Ausschluss einer HIV-Infektion nur HIV-Antikörper bestimmt.

HORIZONTALE HIV-EXPOSITION: JUGENDLICHES RISIKOVERHALTEN

Bei Jugendlichen mit hohem Risikoverhalten oder psychiatrischen Erkrankungen kam es mehrmals zu einer HIV-Exposition von Sexualpartnern oder Mitpatienten in Kliniken: so auch bei einer Jugendlichen durch gemeinsame Selbstverletzung (Ritzen) mit Rasierklingen in der Psychiatrie und mit einem Schulzirkel in einer Rehabilitationsklinik.

Bei sicherer HIV-Exposition erfolgt eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) mittels HAART sowie eine Ausschlussdiagnostik nach Schema. Bei fraglicher oder sehr unwahrscheinlicher Exposition von Jugendlichen wird nur ein Antikörpertest durchgeführt. Jugendliche neigen zu Risikoverhalten und Panikattacken, die dann den Wunsch nach sofortiger HIV-Testung auslösen. HIV-Schnelltests haben in der Praxis dann den Vorteil eines sofortigen Testergebnisses, sind jedoch wenig edukativ.

DIAGNOSEMITTEILUNG IMMER PERSÖNLICH

Die Mitteilung des HIV-Ergebnisses erfolgt immer persönlich. Die meisten Migrantinnen sprechen entweder so gut Deutsch, Englisch oder Französisch oder sie kommen in Begleitung eines Dolmetschers ihres Vertrauens, so dass sie die Fakten verstehen können. Die Aufklärung des Kindes über die eigene HIV-Infektion erfolgt zwischen 7 und 12 Jahren, meistens durch die Mutter selber. Es erleichtert zwar die ärztlichen Kontakte zum Kind, wenn es die Diagnose kennt, schafft aber für das Kind erhebliche psychosoziale Probleme.

PROBLEM ADHÄRENZ

HIV-Infektionen werden im ersten Lebensjahr grundsätzlich antiretroviral behandelt, ab dem zweiten Lebensjahr erfolgt die Therapie je nach Viruslast, Immunstatus und Symptomen nach pädiatrischem Therapiekonsensus. Während über die Notwendigkeit und Empfehlung zum Beginn oder Wechsel der HIV-Therapie mit den Eltern und Pflegeeltern meistens Übereinstimmung besteht, gibt es in der täglichen Durchführung erhebliche Probleme:

Säuglinge und Kleinkinder verweigern häufig die Einnahme der bitter schmeckenden Säfte und Jugendliche nehmen die Medikamente häufig unregelmäßig ein.

In der Regel beträgt der Abstand der Kontakte zu HIV-infizierten und AIDS-kranken Kindern und Jugendlichen drei Monate, bei schlechter Adhärenz oder Symptomen bzw. Nebenwirkungen dagegen einmal im Monat. Regelmäßig werden neben der virologischen und immunologischen Untersuchungen Hinweise auf Medikamententoxizität und Entwicklungsstörungen durchgeführt. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Kinder mit einer HAART behandelt, die trotz zunehmender Resistenzprobleme wirksam sind. Bei zirka 70% der Kinder und Jugendlichen liegt die Viruslast unter der Nachweisgrenze, bei den übrigen gibt es zum Teil erhebliche Probleme in der Adhärenz.

HIV ALS PRAXISBESONDERHEIT

Wie bei erwachsenen HIV-Patienten auch, erhalten Ärzte, die Kinder mit HIV-Infektionen behandeln, die Möglichkeit, die aufwändigen Laborleistungen mittels einer Abrechnungsziffer extrabudgetär zu veranlassen. Auch die HI-Virustatika und sonstige Arzneimittel werden außerhalb des Arzneimittelbudgets berechnet. Sie tauchen jedoch im Gesamtbudget auf, so dass regelmäßig das Arzneimittelbudget überschritten ist. Da häufig Medikamente off-label eingesetzt werden müssen, kommt es zu Prüfungen und Regressforderungen bis hin zu Sozialgerichtsprozessen. Für die Behandlung von HIV-Patienten erhalten Ärzte einen Behandlungszuschlag: Im Rahmen der mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung durchgeführten Verhandlungen der DAGNÄ sind Ziffern für HIV-exponierte und -infizierte Kinder und Jugendliche beantragt worden.

VIELE KOOPERATIONEN

Es besteht ein flexibles Netzwerk zu diagnostischen und therapeutischen Einrichtungen für Laboratoriums-, kardiologische, radiologische, neuropädiatrische, psychiatrische und sozialpädiatrische Diagnostik. Im häuslichen Bereich wird mit Praxismitarbeitern zusammen mit Kinderkrankenpflege (externe Pflegedienst (EPD) der Charité-Kinderklinik), und HIV-Pflegeteams (Felix e.V.) wohnortnahen Sozialstationen sowie des Kinderhospizes Sonnenhof der Björn Schulz Stiftung in Berlin gearbeitet. Ferner bestehen Kooperationen mit der Behindertenfürsorge, den Gesundheitsämtern sowie der Berliner bzw. Deutschen AIDS-Hilfe. Eine Zusammenarbeit besteht auch mit der DAGNÄ, PAAD, DGPI, dem Berliner Arbeitskreis AIDS sowie dem Kuratorium für Immunschwäche bei Kindern, K.I.K. Berlin e.V.

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