Dr. Joachim Goldbach, Mainz
Erinnerung an eine therapeutische Innovation

Viele Mitarbeiter in der pharmazeutischen Industrie, die einmal im HIV-Bereich gearbeitet haben, sind auch in diesem Bereich geblieben – insbesondere wenn sie wie ich die Entwicklung und Einführung eines innovativen neuen Medikamentes begleiten durften.

Gewidmet Sunan K., einer jungen Sängerin aus Bangkok, die im Jahr 1997 an Aids verstarb, stellvertretend für die vielen Menschen, denen damals kaum geholfen werden konnte.

Ich startete in der Pharmaindustrie bei Wellcome als Mitarbeiter im Außendienst Immunologie (ADIM). Bei meinem späteren Wechsel auf die Position eines medizinisch-wissenschaftlichen Fachreferenten im Innendienst, 1992, meinte mein damaliger Chef, dass man sehr wahrscheinlich bereits im folgenden Jahr eine HIV-Impfung zur Verfügung hätte, aber dass ich mir um meinen Job keine Sorgen machen solle, da es noch andere Arzneimittel in anderen Indikationen zu betreuen gäbe. Als gelernter Immunologe  sah ich jedoch die Problematik bei der Entwicklung einer Vakzine und ging davon aus, dass die Zukunft der Bekämpfung von HIV/AIDS in der Entwicklung neuer antiretroviraler Wirkstoffe liegen würde.

„Mein Augenmerk richtete sich damals auf die neuen NNRTI.“

Noch bei GlaxoWellcome sah ich, wie die Einführung der ersten Proteaseinhibitoren 1996 die große Not linderte, die HIV/AIDS zu Beginn der Epidemie verursachte. Die Sterblichkeit sank dramatisch. Neue Medikamente wurden dennoch gebraucht, denn die Therapie war sehr komplex und schlecht verträglich.

Mein Augenmerk richtete sich damals auf die neuen NNRTI, die in den Merck Sharp & Dohme Laboratorien in den USA entwickelt wurden. Es war die Reihe der sogenannten L-Substanzen. Schlomo Staszewski aus Frankfurt berichtete von L-743,726, welches unter der weiteren Entwicklung von DuPont/Merck Pharmaceuticals (DMP) als DMP-266 bekannt wurde.

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Erinnerung an eine andere Zeit. Antiretrovirale Therapie 1997 auf einem Folder von Roxane Laboratories Inc. in den USA.

Nach Erzählungen war es der damalige Forschungsleiter und spätere Präsident der DuPont Pharma Forschung, der nach dem 1991 gegründeten Joint Venture von Merck Sharp & Dohme und DuPont die später als Efavirenz bekannte Substanz vor der Ausmusterung bewahrte und sich in letzter Minute für eine Weiterentwicklung entschied.

Die vielversprechenden Studienergebnisse zu DMP-266 (später Efavirenz) wurden im Oktober 1997 beim 6. Europäischen AIDS Kongress in Hamburg vorgestellt und bewogen mich dazu, mich bei DuPont zu bewerben, weil ich vom therapeutischen Siegeszug der NNRTI überzeugt war. Im April 1998 trat ich meine neue Arbeitsstelle bei DuPont/Merck in Bad Homburg an.

Dort existierte bereits ein kleines Team, welches mich herzlich in Empfang nahm. Der medizinische Direktor und ein kleines Marketing-Team hatten die Betreuung der neuen Substanz DMP-266 (Efavirenz) bereits aufgenommen.

Ich war mit meinen Kollegen in meiner Funktion als Associate Medical Director HIV für das Expanded Access Program (EAP) in Deutschland zuständig. Wir waren alle freudig angespannt, als endlich am 1. Juni 1998 der Zulassungsantrag bei der FDA in den USA und am 29. Juni 1998 bei der Europäischen Zulassungskommission eingereicht wurde. Die ursprüngliche Firma DuPont/Merck existierte bis Juli 1998. Dann trennten sich die Firmen. DuPont Pharma erhielt die Rechte an Efavirenz für USA, Kanada und sechs europäische Länder unter dem Handelsnamen Sustiva®. Im Rest der Welt vertreibt Merck Sharp & Dohme das Medikament bis heute unter dem Handelsnamen Stocrin®.

„…Koffer in Genf verloren“

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Ausstellungshalle bei der Welt-Aids-Konferenz in Genf, 1998

Auf dem WeltAIDS-Kongress in Genf wurden im Sommer 1998 die 24-Wochen-Daten der Zulassungsstudie DMP 266-006 vorgestellt. Bereits am Flugplatz war der Weg von der Gangway bis zum Terminal mit zahlreichen Plakaten mit dem Sunburst-Logo des noch in der Entwicklung befindlichen Newcomers gepflastert, in der Ausstellungshalle war das Logo ebenfalls nicht zu übersehen.

Die Studie sollte von Prof. Schlomo Staszewski aus Frankfurt vorgestellt werden. Bei seiner Anreise ging leider sein Koffer in Genf verloren. Alles war in Aufregung. Schließlich half meine Kollegin, die für die Kommunikatikonsarbeit zuständig war, eine neue Garderobe für den Vortrag aufzutreiben, und mein Produktmanager-Kollege lieh ihm noch schnell eine Krawatte für die wichtige Präsentation vor Wissenschaft und Presse.

„… EAP in Deutschland mit mehr als 600 Patienten… “

Rund 13.000 Patienten wurden in Studien und in internationalen Expanded Access Programmen (EAP) mit Efavirenz behandelt. In Deutschland wurde das sog. „Named Patient Program“ als Studie DMP 266-904 gestartet. Kurz danach begann  das EAP als Studie DMP 266-910. Mehr als 50 Zentren beteiligten sich in Deutschland mit mehr als 600 Patienten – damit hatten auch die deutschen Patienten Zugang zu dem neuen Medikament. Erwachsene Patienten konnten in die Studie eingeschlossen werden, wenn die gegenwärtige antiretrovirale Therapie nicht vertragen wurde, keine hinreichende Wirkung zeigte oder wenn eine CD4-Zahl von <400 Zellen/mm3 vorlag. Die Zulassung von Efavirenz erfolgte in den USA am 17. September 1998 – die Versorgung von Patienten über internationale Apotheken konnte beginnen.

Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang?

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Sunburst-Logo (von ehemaliger DuPont Pharma Webseite)

Bei Gesprächen mit Ärzten und Vertretern der HIV-Community ging es insbesondere um Nebenwirkungen, welche das zentrale Nervensystem betreffen konnten. Einzelberichte aus dem EAP und anderen Studien hatten damals dramatische Ausmaße. Mögliche ZNS-Nebenwirkungen, z.B. nach Genuss einer saftigen Pizza, wurden sehr kontrovers diskutiert. Ein besonders streitbarer Freund aus der HIV-Community sah die Zukunft von Efavirenz eher im dunkeln und sparte nicht mit scherzhaften und provokanten Vergleichen des Logos der aufgehenden Sonne („Sunburst“) mit einer „untergehende“ Sonne, falls das Präparat wirklich so unverträglich sei.

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Sustiva 1998 (von ehemaliger DuPont Pharma Webseite)

Kurz vor dem Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress 1999 in Essen wurde die europäische Zulassung für Efavirenz erteilt und es gab den ersten offiziellen Kongress-Stand. Die Vorbereitungen liefen schon Wochen im Voraus. Am Stand prangte erstmals der Handelsname und das DuPont Pharma Team hatte großartige Arbeit geleistet.

Wir wollten damals wissenschaftliche Daten möglichst schnell zur Verfügung stellen und gaben Broschüren mit Originalabbildungen von Kongressen inklusive CDs ab. In Zusammenarbeit mit einem Fachmann aus der HIV-Community wurde ein Internetauftritt, inklusive eines patientengerechten Abschnitts, erstellt. Es war noch Internet-Gründerzeit. Extern wurde der Aufbau der Internetplattform „Aidsfinder“ zu aktuellen Fragen im HIV/AIDS-Bereich unterstützt.

Die Ära „DuPont Pharma“ ging dann leider 2001 nach dem Zusammenschluss mit Bristol-Myers Squibb zu Ende.




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Dr. Joachim Goldbach, Mainz  

Joachim Goldbach studierte Biologie an der Universität Münster und promovierte am Lehrstuhl für Immunologie des Universitätsklinikums in Münster. Nach einigen Jahren Postdoc-Zeit trat er 1991 beim Unternehmen Wellcome ein, das mit der Fusion von Glaxo zu GlaxoWellcome wurde. 1998 wechselte er zu DuPont/Merck, später DuPont Pharma bis zur Fusion mit Bristol-Myers Squibb, war ab 2002 bei Boehringer Ingelheim und wechselte 2010 zur Firma Gilead Sciences. Derzeit ist er freiberuflich tätig.

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