Neue US-Leitlinien zu Cholesterin und Blutdruck
LDL-Zielwerte sind out

Die amerikanischen kardiologischen Fachgesellschaften haben das Dogma der Cholesterinzielwerte abgeschafft und setzen auf Risiko-adaptierte fixe Statindosierung.

Die beiden Fachgesellschaften American Heart Association (AHA) und American College of Cardiology (ACC) sind sich einig: Für die bisherige Empfehlung den LDL-Cholesterinspiegel bei kardiovaskulärer Vorerkrankung auf unter 100 mg/dl bzw. sogar unter 70 mg/dl zu senken, gibt es keine Evidenz. In keiner einzigen randomisierten kontrollierten Studie sei verglichen worden, welche klinischen Auswirkungen eine Einstellung auf unterschiedliche Lipidzielwerte hat. Zwar gäbe es Studien, in denen mit intensiveren Statinregimen das Prinzip „the lower, the better“ bestätigt wurde, jedoch wurden keine unterschiedliche Zielwerte verglichen. Vielmehr wurden in den Studien fixe Statindosen bei bestimmten Ausgangsrisiken eingesetzt worden. Die entscheidende Frage und damit der neue Evidenz-Maßstab lautet deshalb: Welche Patientengruppen profitieren von welcher Intensität der Statintherapie?

Vier Patientengruppen

Anhand der vorliegenden Studien wurden vier „statin benefit groups“ identifiziert, nämlich  Patienten mit

  1. klinisch manifester atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung
  2. primär erhöhten LDL-Cholesterinwerten von über 190 mg/dl
  3. Typ 1 oder 2 Diabetes und LDL-Cholesterinwerten von 70 mg/dl oder darüber
  4. einem 10-Jahres-Risiko für atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung von 7,5% und mehr nach einem neuen Scoresystem und einem LDL-Cholesterin-Spiegel höher als 70 mg/dl.

Bei Patienten mit hohem Ausgangsrisiko, d.h. mit kardiovaskulärer Erkrankung oder einem Risiko >7,5% in den nächsten 10 Jahren gemäß dem neuen Score (vergl. unten) sollte eine hochdosierte Statintherapie (Atorvastatin, 40-80 mg oder Rosuvastatin, 20-40 mg) durchgeführt werden, um eine mindestens 50%ige Reduktion des LDL-Cholesterin zu erreichen. Bei Patienten mit mäßig erhöhtem Risiko (5-7,5%) sowie bei Unterverträglichkeit von hohen Statindosen ist eine mittlere Statindosis (Atorvastatin 10-20 mg; Rosuvastatin 5-10 mg; Simvastatin 20-
40 mg; Pravastatin 40-80 mg; Lovastatin 40 mg; extended-release Fluvastatin 80 mg; Fluvastatin 40 mg 2x/Tag; Pitavastatin 2-4 mg) mit dem Ziel einer LDL-Cholesterinreduktion um 30% bis 50% senkt.

Die neue Leitlinie empfiehlt zur Therapie nur Statine, für andere Wirkstoffe sahen die US-Experten keine ausreichenden Belege. Ezetimib, zu dem es in den letzten Jahren mehrere enttäuschende Studien gegeben hatte, wird nicht mehr erwähnt.

Neuer Risikoscore

Grundlage für die Risiko-Abschätzung und damit Indikation zur Statintherapie ist ein neuer Risikoscore (http://my.americanheart.org/cvriskcalculator), der den Framingham Risk Score (FRS) ablöst. Die Argumente dafür: Der Framingham-Score beruhe auf alten Daten und habe einige „weiche“ Endpunkte. Der neue Kalkulator berücksichtigt u.a. den Schlafanfall und erstmals auch Geschlecht und Ethnie.

Kritik von allen Seiten

Die neue amerikanische Leitlinie war eine schwierige „Geburt“. Angestoßen wurde der Paradigmenwechsel bereits vor vier Jahren vom National Heart, Lung and Blood Institute. Das staatliche Institut zog sich jedoch ebenso wie die National Lipid Association aus dem Prozess der Leitlinienerstellung zurück. Publiziert wurde die neue Leitlinie der beiden kardiologischen Fachgesellschaften dann eine Woche vor dem größten amerikanischen Kardiologenkongress Anfang November letzten Jahres. Doch das geplante „Highlight“ geriet fast zum Debakel. Zwei renommierte US-Kardiologen (Paul M. Ridker und Nancy Cook), kritisierten in der New York Times den neuen Risiko-Kalkulator. Der Score würde das kardiovaskuläre Risiko überschätzen und 33 Millionen Amerikaner zu Statin-Patienten machen. Es wurden über enge Beziehungen des Leitlinien-Panels zur Pharmaindustrie auf der einen Seite sowie über persönliche Motive gemunkelt. Ridker´s Einwände im Leitlinienprozess waren nicht berücksichtigt worden. Die amerikanische Presse jedenfalls war in Angriffslaune und die Leitlinien mussten auf einer außerordentlichen Pressekonferenz verteidigt werden.

% LDL
Reduktion
Simvastatin Atorvastatin Rosuvastatin Fluvastatin Lovastatin Pravastatin Ezetimibe/
Simvastatin
<24% 5 mg - - 20 mg 10 mg 10 mg -
25-32% 10 mg - - 40 mg 20 mg 20 mg -
31-39% 20 mg 10 mg - 80 mg 40 mg 40 mg -
37-45% 40 mg 20 mg 5 mg - 80 mg 80 mg 10/10
48-52% 80 mg 40 mg 10 mg - - - 10/20
55-60% - 80 mg 20 mg - - - 10/40
60-63% - - 40 mg - - - 10/80

Tab 1 Senkung des LDL-Cholesterins vom Ausgangswert in Minimaldosierung (a) und Maximaldosierung (b)

Deutsche Position

Treat to Target oder Fire and Forget?  

Die Diskussion um den sinnvollen Einsatz von Statinen reißt seit deren Zulassung nicht ab. Nun hat in den USA die Liga der Befürworter des „fire and forget“ die Oberhand gewonnen über die bisher dominante „treat to target“-Fraktion. Der Einsatz einer festen Statindosis bzw. die prozentuale Reduktion soll „Evidenz-basierter“ sein als die alten Zielwerte. Leider belegt dies Hin und Her nur eines: Keine der beiden Strategien ist wirklich wissenschaftlich gesichert. Weder die Reduktion des LDL-Cholesterins um einen bestimmten Prozentwert noch die Zielwerte wurden prospektiv in Studien geprüft. Fest steht lediglich, dass das LDL-Cholesterin ein entscheidender kausaler Risikofaktor für Atherosklerose ist und dieser ebenso wenig vernachlässigt werden darf wie Anstrengungen für einen gesünderen Lebensstil.

Kritik hagelte es auch aus Deutschland. Die deutsche Lipid-Liga betonte in einer Stellungnahme wörtlich: „Zur zielwert-orientierten Anpassung der Dosierung von Statinen gibt es aus ethischen Gründen keine Alternative“. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie wirft den Amerikanern vor, die „indirekte Evidenz“ der bisherigen Strategie, nämlich den Rückgang der kardiovaskulären Erkrankungen, zu ignorieren und hält ebenfalls an den Zielwerten fest. Eine eher versöhnlich klingende Stellungnahme wurde vor kurzem von der Deutsche Gesellschaft für Kardiologie veröffentlicht. Es bestehe zwar der Unterschied, dass in den USA die „Prozessqualität“ im Vordergrund stehe und in Europa mehr die „Ergebnisqualität“ (d.h. die erreichten Zielwerte), doch mit beiden Konzepten könne man wohl vergleichbare Ergebnisse erzielen. Zudem seien in den Leitlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) die Behandlungsindikationen ähnlich definiert und nur Statine Lipidsenker der Wahl.


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