Warum die PrEP auch nerven kann

„Mein Freund hat eine Syphilis.“ Es ist Montagmorgen, im Herbst 2019. Etwas angespannt sitzt er vor mir, der smarte Mitdreißiger. Ein „PrEPster“ seit ein paar Wochen. Ich habe ihn, ohne zu wissen, worum es geht, kurzfristig eingeschoben. Die PrEP ist Kassenleistung geworden. Beschwerden habe er nicht. „Mein Freund ist auch bei Ihnen in Behandlung“. Ein wertvoller Hinweis. Vielleicht hat der Freund nur eine Seronarbe? Bevor wir bloß auf Verdacht ein paar Millionen Einheiten Depot-Penicillin in seiner Glutäalmuskulatur versenken, frage ich nach. Wie der Freund heiße? Er ist überrascht. Das wisse er nicht. Aber er habe ein Foto. Das Display seines Handys zeigt ein schönes Gesicht, brasilianisch? Nie gesehen. Viel geredet wird wohl nicht mehr im Herbst 2019.

Plakat –1947
Plakat –1947
© Paul Rosié, Dt Hygienemuseum

Das brauch ich jetzt!

Szenenwechsel, gleicher Tag. Ein weiterer PrEPster in den Vierzigern, wir haben Blut abgenommen, alles besprochen, aufgeklärt, brav dokumentiert, die Diagnose kodiert, Dauermedikation und Anordnungen überprüft. „Kommen Sie doch kurz zur Befundbesprechung nächsten Dienstag 16 Uhr“, sage ich. Nein, da könne er nicht, bedauert er treuherzig. „Da bin ich schon zum Sex verabredet.“ Ach so. Da müssen wir natürlich umdisponieren. Ich schaue auf den Plan. Im Wartezimmer sitzen mehrere PrEPster, die zwar ohne Termin, dafür aber ziemlich breitbeinig ihr Recht auf ein Kassenrezept einfordern. Unterschreiben bitte! ruft die MFA schon von Weitem. Ich höre einen anderen PrEPster an der Anmeldung schimpfen: „Wenn ich das Rezept nicht bekomme, bin ich ungeschützt, Sie tragen die Verantwortung.“ Blind unterschreiben will ich nicht. Ich rede mit dem aufgebrachten Herren. Und mein koinfizierter, tapferer HCC-Patient, den ich im toten Winkel des Wartezimmers erspähe, vertrödelt dort gerade eine weitere kostbare Stunde seines Lebens.

Ich muss zugeben, dass mir die PrEP auf die Nerven geht. Ja, sie ist erfolgreich. Und notwendig. Eine Impfung mit dieser Erfolgsquote träte einen Siegeszug um die Welt an, ihrem Entdecker wäre der Nobelpreis sicher. Aber mit einer solchen Impfung ist erstmal nicht zu rechnen. Und ja, gerade deshalb brauchen wir die PrEP. Die Neuinfektionszahlen sind in Deutschland stabil. Stabil hoch. Solange wir, laut RKI Schätzung 2019, nur 60.500 von 88.400 vermuteten HIV-Patienten erfolgreich behandeln und damit weiter fast 28.000 virämische Patienten herumlaufen, werden die Zahlen nur mit PrEP fallen. Wahrscheinlich tun sie es ja gerade. Das weiß ich alles.

Wirklich kostengünstig?

Die PrEP nervt trotzdem. Es geht nicht um Kosten. Wahrscheinlich sparen wir ja Geld, bei dem Argument knicken eh alle ein. Ist alles, was kosteneffektiv ist, wirklich vernünftig? Und ist die PrEP überhaupt kostengünstig? 20.000 PrEPster in Deutschland könnten realistisch sein, jeder schlägt jährlich mit knapp 1.000 Euro Kosten nur für Arzt, Labor und Medikamente für die Krankenkassen zu Buche. Mit welchen Kosten fällt eine HIV-Infektion heute noch wirklich an, wenn wir die bald fallenden Blockbuster-Patente und -Preise berücksichtigen? Und wenn wir nicht nur die PrEP-Kosten mit dem ganzen Abstrich-Irrsinn dagegen rechnen, sondern auch die zu erwartenden STDs – und zwar bitte nicht nur Lues, Go und Chlamydien. Auch Ureaplasmen, auch HPV. Und Hepatitis A-E. Meningitiden. Scabies. Infektiöse Durchfallerkrankungen mit den folgenden Arbeitsausfällen und Arztbesuchen. Den volkswirtschaftlichen Schaden durch Antibiotika-Resistenzen nicht vergessen. Und bitte auch nicht die 3/1.000 Nierenprobleme unter TDF. Vielleicht packen wir sogar noch ein paar TDF-bedingte Knochenbrüche mit in die Rechnung, bei HIV-Patienten sind sie uns ja auch wichtig.

Es gibt noch Anderes

Aber es sind ja nicht die Kosten, die nerven. Geschenkt. Das schaffen wir. Es geht um die Zeit, die mir verloren geht. Zeit, die ich dringend benötige, um meine HIV-Patienten vernünftig zu versorgen. Bei 20.000 PrEPster in Deutschland kommt ein PrEPster auf 2-3 HIV-Patienten. Jeder HIV-Spezialist macht nun mal eben ein Drittel mehr. Völlig zu Recht nennen wir PrEPster längst „Patienten“. Wir machen sie ja auch zu welchen. Es gibt engagierte Dreimonatspläne. Aktivisten schwärmen aus, assistiert und souffliert von Schwerpunktärzten, AIDS-Hilfen. Es gibt Labor-Checks, PCR-Abstriche, Befundbesprechungen. Apotheker „blistern“. Es gibt jetzt „Community-Sprechstunden“, sogar in Uni-Ambulanzen. Ich frage mich: haben HIV-ÄrztInnen in den letzten Monaten noch über was anderes geredet? Gibt es bei HIV wirklich nichts mehr zu tun?

Natürlich zertifiziert

Natürlich, es geht um „Menschen mit hohem Risiko“. Das hört sich nicht gut an. Wer will da schon was dagegen sagen. Wahrscheinlich brauchen diese Menschen bald auch alle Doxycyclin als Prophylaxe. Es gibt (sehr deutsch) eine Zertifizierung, eine Evaluation, Abrechnungsziffern. Änderungen der Abrechnungsbestimmung der Gebührenordnungsposition. Einen Bundesmantelvertrag, für die Nacktparty. PrEP-Sessions platzen aus allen Nähten. Einigen stehen die Sorgenfalten ins Gesicht. Wie lautet die korrekte Kodierung, was wird wie „vergütet“? Ob sie die Z29.21G verwenden dürfen und wann man die 01910 „zum Ansatz bringen“ dürfe: einmal im Krankheitsfall, im Behandlungsfall? Wenn ich an all die Zeit denke, die jetzt diskutiert und organisiert wird: was haben diese Leute eigentlich vorher gemacht? Und was sagen eigentlich unsere (teilweise immer noch sehr kranken) Patienten dazu, dass wir jetzt alle jeden Tag noch weniger Zeit haben?

Cave: Politisch inkorrekt

Und wissen die Beteiligten eigentlich noch, worüber wir reden? Über „Krankheitsfälle“? Wir reden nicht über Sex mit HIV-infizierten Menschen, deren Virus unter der Nachweisgrenze ist. Wir reden über unsafen Sex mit Menschen (Plural!), von denen man nicht einmal den Vornamen weiß. Aber schon klar. Ein falsches Wort und man sitzt in der Ecke moralinsaurer Abstinenzprediger. Gleich neben Erika Steinbach. Ist man das, wenn man fragt, ob sich Menschen vor dem Sex nicht vielleicht doch auch noch – kurz! – unterhalten könnten? Ein bisschen Smalltalk, Leute. Wie heißt Du? Hast Du mal einen Test gemacht? Hallo, Schnelltest! Ist das naiv, spießig, hinterwäldlerisch? Aber dafür gibt es ja jetzt auch noch eine Kampagne, gefördert durch das Niedersächsische Gesundheitsministerium. Sie ist preisverdächtig. Sie wirbt dafür, vor dem Sex offener miteinander zu sprechen.

Man kann eine handsignierte DVD von Pornostar „Hans Berlin“ gewinnen. Mitarbeitende der Aidshilfe Niedersachsen Landesverband e.V. und deren Angehörige sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Kampagne heißt: „Fick positiv“.

Ich freue mich auf die Impfung gegen HIV.


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