Neisseria Gonorrhoeae
Meldepflicht seit 1. März 2020 für vermindert empfindliche Gonokokken

Am 1. März 2020 wurde die Meldepflicht für den Nachweis von Neisseria gonorrhoeae mit verminderter Empfindlichkeit gegenüber Azithromycin, Cefixim oder Ceftriaxon eingeführt.

Hintergrund und Ziel der Meldepflicht

Mit über 100.000 Fällen im Jahr 2018 ist die Gonorrhö die zweithäufigste gemeldete sexuell übertragbare Infektion (STI) in der Europäischen Union.1 Weltweit treten nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich 87 Millionen neue Fälle auf, wodurch Infektionen mit Neisseria gonorrhoeae die global dritthäufigste STI darstellen.2 Die Gonorrhö zeigt ein vielgestaltiges klinisches Bild mit Urethritis, Pharyngitis und Proktitis bis hin zur disseminierten Gonokokkeninfektion. Sie ist eine wesentliche Ursache von chronischen Entzündungen des kleinen Beckens, Unfruchtbarkeit, sowie von Fehlgeburten im ersten Trimester und extrauterinen Schwangerschaften. Zusätzlich können Infektionen mit N. gonorrhoeae die Empfänglichkeit für und das Übertragungsrisiko von HIV erhöhen.

Resistenzentwicklungen bei N. gonorrhoeae sind ein globales Problem bei der Behandlung und Kontrolle der Gonorrhö.3 Innerhalb der letzten Jahrzehnte entwickelte der Erreger Resistenzen gegen alle wesentlichen Antibiotikaklassen, darunter Penicilline, Tetracycline, Makrolide sowie Fluorchinolone und seit einigen Jahren auch gegen Cephalosporine der dritten Generation. In aktuellen Leitlinien werden derzeit die Antibiotika Azithromycin, Cefixim und Ceftriaxon zur Behandlung der Gonorrhö empfohlen.4 Allerdings lag die Prävalenz gegenüber Cefixim bzw. Azithromycin resistenter N. gonorrhoeae Isolate im Jahr 2017 EU-weit bei 1,9% bzw. 7,5%. Zudem traten in den letzten Jahren bereits vereinzelt Isolate auf, welche gegen das Erstlinientherapeutikum Ceftriaxon resistent waren.5 Weltweit, darunter auch in der EU, sind Erkrankungsfälle dokumentiert, welche Resistenzen gegen alle Leitlinien-gerechten Antibiotika aufwiesen und nur mit hohem Aufwand behandelt werden konnten.6,7 Vor diesem Hintergrund warnen die WHO und das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) vor der Ausbreitung von N. gonorrhoeae Infektionen generell, einhergehend mit zunehmender Unbehandelbarkeit auf Grund von Antibiotikaresistenzen (AMR). In einem aktuellen Aktionsplan fordert das ECDC die EU-Mitgliedstaaten zur Einführung und Weiterentwicklung von Strategien und Maßnahmen zur Kontrolle der AMR des Erregers auf.8 Die WHO priorisiert N. gonorrhoeae als eines der Bakterien, für welche dringend neue Antibiotika benötigt werden. Des Weiteren fordert die WHO die Länder auf, eine umfangreiche Surveillance und starke Labornetzwerke aufzubauen, um ein tragfähiges Monitoring der AMR bei N. gonorrhoeae zu ermöglichen und darauf aufbauend schlagkräftige Interventionen implementieren zu können.

In Deutschland sind Aussagen zur Inzidenz von N. gonorrhoeae aufgrund einer fehlenden bundesweiten Meldepflicht schwierig. Insgesamt ist in Deutschland aber von einer hohen Krankheitslast durch N. gonorrhoeae Infektionen auszugehen.

GORENET

Abb 1  Resistenzanteile aller eingesendeten Isolate im Rahmen des GORENET für die Jahre 2014-2018. PPNG: Penicillinase-produzierende N. gonorrhoeae Isolate
Abb 1 Resistenzanteile aller eingesendeten Isolate im Rahmen des GORENET für die Jahre 2014-2018. PPNG: Penicillinase-produzierende N. gonorrhoeae Isolate

In Deutschland liefert das Projekt GORENET (Gonokokken Resistenz-Netzwerk) seit 2014 Daten zur AMR von N. gonorrhoeae.10 Die Zusammenarbeit des Robert Koch-Instituts (RKI) mit dem Konsiliarlabor für Gonokokken und einem deutschlandweiten Labornetzwerk ermöglicht eine systematische Sammlung und Analyse von Daten und Proben.10 Auf dieser Grundlage werden die Anteile resistenter Isolate an allen eingesendeten Isolaten bestimmt (Abb. 1). Diese Daten werden jährlich als Beitrag Deutschlands im Rahmen des europäischen EURO-GASP (European Gonococcal Antimicrobial Surveillance Programme) an das ECDC übermittelt. In den letzten Jahren wurden auch in Deutschland Erreger nachgewiesen, welche gegenüber den in der aktuellen Leitlinie zur Behandlung empfohlenen Substanzen Azithromycin, Cefixim oder Ceftriaxon resistent waren.

Um die Surveillance der AMR bei N. gonorrhoeae in Deutschland entscheidend auszubauen und um internationale Verpflichtungen Deutschlands einhalten zu können, wird hierzu eine Meldepflicht eingeführt. Mit der Meldepflicht wird die Gesamtzahl aller in Deutschland als vermindert empfindlich getesteten Isolate von N. gonorrhoeae erhoben. Damit wird eine genauere Beschreibung der AMR-Lage des Erregers möglich, insbesondere im Hinblick auf den Gesamtumfang in Deutschland. Im Konsiliarlabor für Gonokokken ermittelte AMR-Anteile bei dort eingesendeten N. gonorrhoeae Isolaten können auf Grundlage der Daten aus der Meldepflicht auf die deutsche Situation extrapoliert und so eine Näherung zum Gesamtausmaß der Resistenz von N. gonorrhoeae in Deutschland ermittelt werden.

Wer ist zur Meldung verpflichtet?

Mit Wirkung zum 1. 3. 2020 wird eine nicht-namentliche, Labor-basierte Meldepflicht gemäß § 7 Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) für den Nachweis von Infektionen mit Neisseria gonorrhoeae mit verminderter Empfindlichkeit gegenüber Azithromycin, Cefixim oder Ceftriaxon eingeführt. Dabei ist bereits die verminderte Empfindlichkeit gegen nur eines der drei angegebenen Antibiotika ausreichend und verpflichtet zur Meldung.

Zur Meldung verpflichtet sind nach § 8 Abs. 1 IfSG in Deutschland diagnostizierende Labore, analog zu den Meldepflichten von HIV und Syphilis. Wird in einem Labor ein solches Isolat nachgewiesen, so ist dieser Befund innerhalb von 14 Tagen direkt an das RKI zu melden. Darüber hinaus sind die behandelnden Ärzte und Ärztinnen zur Ergänzung weiterer klinischer und epidemiologischer Angaben verpflichtet. Gemäß § 10 Abs. 2 des IfSG hat die behandelnde Ärztin/der behandelnde Arzt das meldende Labor insbesondere bei der Erhebung der Angaben zur Klinik und zum wahrscheinlichen Infektionsweg zu unterstützen.

Was bedeutet „verminderte Empfindlichkeit“?

Grundsätzlich soll zur Einschätzung der Empfindlichkeit die aktuell gültige Grenzwertetabelle des European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing (EUCAST) zu Grunde gelegt werden. Als vermindert empfindlich gilt der Erreger, wenn er „resistent“ (R), „sensibel bei erhöhter Exposition“ (I) oder „empfindlich“ (S) im Grenzbereich zu R getestet wurde. Als Grenzbereich sind jene in der Empfindlichkeitstestung ermittelten minimalen Hemmkonzentrationen (MHK) definiert, welche bis zu einer Verdünnungsstufe vom in der Grenzwerttabelle angegebenen klinischen Grenzwert abweichen (Abb. 2). Bei Antibiotika, für die von EUCAST keine klinischen Grenzwerte angegeben sind, kann ein epidemiologischer Grenzwert (ECOFF) als Referenz herangezogen werden (z.B. für Azithromycin).


Ceftriaxon (mg/L)Cefixim (mg/L)Azithromycin (mg/L)*
empfindlich (S)< 0,125< 0,125< 0,75keine Meldung
0,1250,1250,75 - 1Meldung
resistent (R)0,190,191,5
> 0,19> 0,19> 1,5
*nach EUCAST v. 10.0 wird für Azithromycin ein epidemiologischer Grenzwert herangezogen.

Abb 2  Interpretation der verminderten Antibiotikaempfindlichkeit von Neisseria gonorrhoeae. Grau unterlegt sind Messwerte (minimale Hemmkonzentration) der Antibiotikaempfindlichkeitstestung, welche nach EUCAST v. 10.0 als resistent interpretiert werden, oder im Grenzbereich liegen. Verminderte Empfindlichkeit gegen eines der aufgeführten Antibiotika ist dabei ausreichend für eine verpflichtende Meldung

Praktisches Vorgehen bei der Meldung

Zum konkreten Meldevorgang wird das RKI im Epidemiologischen Bulletin 10/2020 einen Beitrag veröffentlichen, der auf alle zu erhebende Merkmale anhand konkreter Beispiele eingeht.

Literatur bei den Verfassern.


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