HIV-Versorgung in Deutschland
Menschen mit HIV werden in Deutschland überwiegend in spezialisierten Praxen betreut
Dr. Heiko Karcher
(dagnä)
Prof. Dr. Stefan Esser (DAIG)
Mit ihrem Fokus auf ambulante Strukturen gilt die Versorgung von Menschen mit HIV in Deutschland als sehr erfolgreich. Doch sie steht auch vor Herausforderungen. Medizinische Erfahrung und Nachwuchs müssen gepflegt und gefördert werden.
Menschen mit HIV brauchen lebenslang eine spezialisierte medizinische Versorgung. Diese Aufgabe übernehmen in Deutschland überwiegend niedergelassene Ärzte, die sich auf HIV spezialisiert haben und ihre Patientinnen und Patienten meist auch hausärztlich betreuen, sowie spezialisierte Ambulanzen in Kliniken. Über ein Netz mit knapp 400 ambulanten HIV-Schwerpunktzentren werden heute ca. 85 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen mit HIV/Aids betreut.
Zwei Fachgesellschaften für HIV/Aids: DAIG und dagnä
Die Deutsche AIDS Gesellschaft (DAIG) und die dagnä (Deutsche Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin) sind zwei Ärzte-Organisationen, wobei die DAIG eher einen wissenschaftlichen Schwerpunkt hat, die dagnä sich als Vertretung der HIV-Schwerpunktpraxen versteht. Beide Organisationen arbeiten gut zusammen und entwickeln die deutschen Leitlinien zur Versorgung und Behandlung von Menschen mit HIV-Infektion und zur HIV-PrEP, veranstalten Fortbildungen und Kongresse und setzen sich für die Gestaltung und Sicherstellung bedarfsgerechter Versorgungsstrukturen für Menschen mit HIV und sonstigen Infektionskrankheiten ein – gegenüber Politik, den Organen der Selbstverwaltung und in der Ärzteschaft ein.
Versorgung in der Praxis
Das Konzept der ambulanten spezialisierten Versorgung hat sich historisch entwickelt. Zu Beginn der 90er-Jahre wurden die damals sterbenskranken Menschen und dann später chronisch kranken Menschen mit HIV von engagierten Hausärzten behandelt. Im Jahr 2009 wurde die spezialisierte Leistung dieser Praxen durch eine besondere Vereinbarung mit den Krankenkassen anerkannt. Derartige Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und den Erbringern von medizinischen Leistungen basieren auf dem Sozialgesetzbuch und legen deutschlandweit die Standards der gesundheitlichen Leistungen fest. Auf dieser Grundlage haben sich in Deutschland integrierte, evidenzbasierte, personenzentrierte Versorgungsmodelle zur Prävention, zum Management und zur Behandlung von Multimorbidität der immer älter werdenden Menschen mit HIV etabliert.
Spezialisierte Ärztinnen und Ärzte
Im Zentrum der Netzwerke steht die spezialisierte ambulante Versorgung in den allgemeinmedizinisch und internistisch geprägten hausärztlichen Praxen. Diese kooperieren mit fachärztlichen Praxen, die Erfahrung mit Menschen mit HIV haben. So behandeln Kinderärzte in ihren Praxen Kinder und Jugendliche mit HIV-Infektion. Niedergelassene Frauenärzte betreuen HIV-positive Schwangere und deren Geburten sowie die Zervixkarzinom-Früherkennung. Ein HIV-Test-Angebot gehört in Deutschland zur allgemeinen Schwangerschaftsbegleitung.
PrEP
Mit der Einführung des gesetzlichen Anspruchs auf die HIV-Präexpositionsprophylaxe (HIV-PrEP) im Jahr 2019 ist auch diese hochwirksame Präventionsmaßnahme schnell und effektiv Teil der Patientenversorgung in den ambulanten HIV-Schwerpunktpraxen geworden – mittlerweile nutzen in Deutschland knapp 40.000 Menschen die PrEP.
HIV-Zentren in Kliniken
Neben den Schwerpunktpraxen beteiligen sich auch Kliniken und Krankenhäuser an der Betreuung von Menschen mit HIV sowohl ambulant als auch in der stationären Versorgung. In der Regel werden eher schwerkranke Menschen mit HIV-Infektion stationär aufgenommen, bei denen eine ambulante Betreuung nicht mehr möglich ist. In deutschen Abrechnungssystem der Krankenhäuer über diagnosebezogene Fallgruppen (das sogenannte DRG-System) wird die Behandlung von multimorbiden, komplex erkrankten Aids-Patienten nur unzureichend vergütet. Das stellt Krankenhäuser, die diese Patienten stationär versorgen, vor kaum lösbare wirtschaftliche Herausforderungen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die aktuell geplanten Reformen hier Abhilfe schaffen.
Herausforderungen: Nachwuchs und Expertise
In Deutschland ist Aids seltener geworden. Daher verfügen nur wenige deutsche Experten und Zentren noch über langjährige klinische Erfahrung in diesem Bereich. Konzepte, wie diese Expertise erhalten und ausgebaut werden kann, und wie HIV-Medizin auch zukünftig weiter in Ausbildung und Lehre integriert wird, müssen kontinuierlich angepasst werden. Bereits Studierenden werden in der Lehre an den Universitätskliniken in Deutschland Inhalte aus der HIV-Medizin vermittelt. Fakt ist, trotz aller Fortschritte: Noch immer sterben in Deutschland Menschen an Aids. Besonders Menschen aus schwierigen psychosozialen Verhältnissen gelten als gefährdet.
Neu: Facharzt für Infektiologie
In vielen Ländern gibt es den Spezialisten für Infektiologie schon lange. In Deutschland wurde der Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie erst vor kurzem eingeführt. Diese neue Spezialisierung sowie die Ausbildung muss in die Versorgungslandschaft eingegliedert werden, ohne dass es zu einer Konkurrenz oder einer Verdrängung der bestehenden ambulanten und klinischen Strukturen kommt. Die hausärztliche Praxis im Bereich der ambulanten infektiologischen Versorgung muss auch in Zukunft für junge Kolleginnen und Kollegen attraktiv bleiben, damit die ambulante HIV-Therapie und PrEP-Versorgung in ihrer jetzigen hohen Qualität erhalten bleiben und teurere Krankenhausbehandlungen weitgehend vermieden werden. Ein wesentlicher Schritt wird dabei sein, die ärztliche Weiterbildung im Bereich der HIV-Versorgung sicherzustellen und die notwendigen Voraussetzungen für weitere Leistungen zu definieren, die in das Spektrum der ambulanten Infektiologie fallen – so zum Beispiel die Behandlung von Hepatitis B und C, von Tuberkulose sowie die parenterale Antibiotikatherapie.
HIV-Forschung
Die HIV-Forschung in Deutschland ist sehr aktiv. Die reicht von der Grundlagenforschung zur Heilung über Versorgungsforschung bis hin zur Impfung gegen HIV reicht. Wissenschaftliche Studien werden in Deutschland allerdings leider durch die aufwendigen Strukturen und Vorgaben auch in der HIV-Medizin zunehmend komplexer und teurer.