HALBJAHRESBERICHT I/2007 (STAND VOM 01.09.2007)
Robert Koch InstituteHIV und AIDS in Deutschland

In den letzten Jahren stieg die Zahl der in Deutschland neu diagnostizierten HIV-Infektionen deutlich, und zwar um 80% von 2001 bis 2006. Nach Einschätzung des RKI beruht etwa die Hälfte dieses Anstiegs auf einer verbesserten Erkennung von Erstdiagnosen. Die zweite Hälfte des Anstiegs beruhte wahrscheinlich in erster Linie auf einem tatsächlichen Anstieg von HIV-Neuinfektionen, zu einem kleineren Teil könnte aber auch eine erhöhte Testbereitschaft und dadurch frühere Diagnose bereits erfolgter Infektionen dazu beigetragen haben (siehe ausführlichen Bericht in Epi Bull A/2007).

Betrachtet man die Entwicklung der Zahl der HIV-Neudiagnosen der letzten Halbjahre (Abb. 1) so lässt sich auf Grund der schwankenden Halbjahreszahlen z.Zt. nicht eindeutig bestimmen, ob die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen weiter ansteigt oder die Zahlen sich konsolidieren.


Abb. 1: Neu diagnostizierte HIV-Infektionen in Deutschland (09/2007) nach Infektionsweg und Halbjahr der Diagnose

Bis zum 01.09.2007 wurden dem RKI für das erste Halbjahr 2007 insgesamt 1.334 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet. Gegenüber dem ersten Halbjahr 2006 (n=1.224) ist dies eine Zunahme um 9%, gegenüber dem zweiten Halbjahr 2006 (n=1.414) jedoch ein Rückgang um 6% bei der Zahl der HIV-Neudiagnosen.

ANSTIEG BEI MSM

Die absolute Zahl der HIV-Neudiagnosen steigt bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) im ersten Halbjahr 2007 gegenüber dem Vorhalbjahr (2. Halbjahr 2006) weiter um 5% an, während in allen anderen Gruppen die Zahlen gleich bleiben oder zurückgehen. In Reaktion auf den anhaltenden Anstieg der Zahl der HIV-Neudiagnosen bei MSM wird die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) ab März 2008 zusätzlich mit einem innovativen, umfassenden Präventionsprogramm gezielt Männer ansprechen, die mit Männern Sex haben. Dabei werden auch neuartige Anspracheformen genutzt, um die Präventionsbotschaften zielgruppengerecht, attraktiv und wirksam zu kommunizieren. Insgesamt spricht die Entwicklung der Zahlen dafür, dass die Präventionsbemühungen auf einem hohen Niveau gehalten werden müssen.

Zahlen richtig interpretieren

Ein wesentliches Ziel der epidemiologischen Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten ist das Erkennen von aktuellen Entwicklungen des Infektionsgeschehens. Die Bestimmung der Anzahl der HIV-Neuinfektionen pro Zeiteinheit (HIV-Inzidenz) ist methodisch schwierig und aufwändig. Die dargestellten Meldungen über HIV-Neudiagnosen dürfen weder mit der HIV-Inzidenz noch mit der HIV-Prävalenz (Anzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden HIV-Infektionen) gleichgesetzt werden. Die Meldungen über HIV-Neudiagnosen erlauben auch keinen direkten Rückschluss auf den Infektionszeitpunkt, da HIV-Infektion und -Test zeitlich weit auseinander liegen können. Weitere Faktoren, die die Meldedaten beeinflussen können, sind das Angebot von Testmöglichkeiten, die Inanspruchnahme solcher Testangebote und das Meldeverhalten der Ärzte. Insbesondere Veränderungen dieser Parameter im Zeitverlauf können die Interpretation der Daten erschweren. Andere Datenquellen zur Abschätzung der HIV-Inzidenz sind rar, daher bieten die Meldungen über HIV-Neudiagnosen, trotz aller Einschränkungen, die derzeit bestmögliche Grundlage zur Abschätzung des aktuellen Infektionsgeschehens. Eine vom RKI durchgeführte, vom BMG geförderte, deutschlandweite Studie zur Bestimmung des Anteils der kürzlich erworbenen HIV-Infektionen unter den HIV-Neudiagnosen wird in Kürze anlaufen.

Erweiterte Datenabfrage im Internet

Unter der Internetadresse "www3.rki.de/SurvStat/ > Meldekategorie: Nichtnamentlich direkt an das RKI" können HIV-Meldedaten für Bundesländer, Regierungsbezirke und alle Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern nach verschiedenen selbst auswählbaren Kriterien inklusive des Infektionsrisikos abgefragt werden. Achtung! Die Ergebnisse erscheinen als Pop-up, d.h. installierte Pop-up-Blocker müssen ggf. deaktiviert werden.

FRAUEN SELTENER BETROFFEN

Die Absolutzahl der HIV-Neudiagnosen bei Frauen in Deutschland (n=194) ist gegenüber dem Vorhalbjahr (n=275) deutlich gesunken, während die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Männern praktisch gleich geblieben ist. Der Anteil der Frauen unter den HIV-Neudiagnosen betrug im ersten Halbjahr 2007 in Deutschland nur noch 14,5% und hat damit den niedrigsten Prozentwert seit Beginn der differenzierten Erfassung im Jahre 1993 erreicht. Die Hauptursache für den Rückgang der Neudiagnosen bei Frauen ist im Rückgang der Meldungen von Personen aus Hochprävalenzregionen zu suchen (s.u.).

Angaben zum Infektionsweg lagen für 87% der im ersten Halbjahr 2007 neu diagnostizierten HIV-Infektionen vor. Darunter stellen MSM mit 64% die größte Gruppe. Der Anteil der nicht aus Hochprävalenzländern stammenden Personen, die angaben, ihre HIV-Infektion durch heterosexuelle Kontakte erworben zu haben (HET) stieg auf 18%, Personen, die aus Ländern mit einer hohen HIV-Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung (Hochprävalenzländer, HPL) stammen, stellten im ersten Halbjahr 2007 nur noch 10% der HIV-Neudiagnosen. Dabei muss offen bleiben, ob der Rückgang der Meldungen von HIV-Neudiagnosen bei Migranten aus HPL um 31% gegenüber dem Vorhalbjahr vorwiegend auf einer verminderten Testung oder einer geringeren Zahl nach Deutschland gelangender Personen aus Hochprävalenzregionen beruht. Es ist anzunehmen, dass der überwiegende Teil der Personen aus HPL sich in ihren Herkunftsländern infiziert hat.

ANDERE GRUPPEN

Die Gruppe der Personen, die eine HIV-Infektion über i.v. Drogengebrauch (IVD) erworben haben, stand mit 6% unverändert an vierter Stelle. Im ersten Halbjahr 2007 wurden 16 HIV-Infektionen (1,4%) bei Kindern und Neugeborenen diagnostiziert die sich über ihre Mutter infiziert haben. 11 der Kinder wurden in Deutschland geboren. In 10 Fällen war der Mutter kein HIV-Test in der Schwangerschaft angeboten worden, die Schwangerschaften lagen zwischen 1997 und 2006. In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) im September 2007 die Mutterschaftsrichtlinie aktualisiert hat und die betreuenden Ärzte nunmehr verpflichtet sind, den HIV-Test im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen anzubieten.

REGIONALE ENTWICKLUNGEN

In den meisten Bundesländern bleiben die Zahlen neu diagnostizierter HIV-Infektionen gegenüber den Vorhalbjahren auf demselben Niveau. Nur in einigen Bundesländern mit insgesamt niedrigen Fallzahlen gibt es stärkere Schwankungen: in Sachsen und Sachsen-Anhalt wurden in den letzten zwei Halbjahren vermehrt HIV-Erstdiagnosen bei i.v. Drogenkonsumenten und Personen registriert, die ein heterosexuelles Infektionsrisiko angaben. In Thüringen und im Saarland wurden mit 14 bzw. 15 HIV-Neudiagnosen im ersten Halbjahr 2007 schon fast so viele Fälle gemeldet wie im gesamten Jahr 2006 (n=16 bzw. n=17).

Die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei MSM stieg im ersten Halbjahr 2007 im Vergleich zum Vorhalbjahr in den Bundesländern Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein, in den übrigen Bundesländern blieben die Zahlen gleich oder gingen zurück.

Der Anteil der HIV-Neudiagnosen bei MSM ging in den Bundesländern Baden-Württemberg, Niedersachsen und Sachsen zurück, mit korrespondierenden Anstiegen des Anteils der Meldungen mit Angabe eines heterosexuellen Übertragungsrisikos. Da zumindest in Baden-Württemberg und Sachsen gleichzeitig der Anteil der Frauen an den HIV-Neudiagnosen zurückging, stellt sich die Frage, ob eventuell ein Teil des in diesen Bundesländern registrierten Anstiegs bei Heterosexuellen auf unzutreffende Angaben zum Übertragungsrisiko zurückzuführen ist.

Die Gesamtzahl der HIV-Neudiagnosen mit Angabe eines heterosexuellen Übertragungsrisikos blieb im zweiten Halbjahr 2006 und im ersten Halbjahr 2007 mit jeweils 208 Meldungen exakt gleich. Allein im Bundesland Baden-Württemberg und im Saarland gab es auffälligere Zunahmen (von 18 auf 34 bzw. 0 auf 5), die aber - s.o. - mit Vorsicht interpretiert werden sollten.

Die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Gebrauchern intravenös konsumierter Drogen ist nach einer Spitze von 90 Meldungen im zweiten Halbjahr 2006 mit 72 Fällen wieder auf das vorherige Niveau zurückgegangen. Die Hälfte aller Meldungen mit Angabe eines Infektionsrisikos über intravenösen Drogenkonsum kam aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen, jeweils 8-10% der Meldungen aus den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen.

Mit einem Rückgang von 168 auf 116 ist die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Personen aus Hochprävalenzregionen gegenüber dem Vorhalbjahr deutlich niedriger. Der Rückgang wurde in erster Linie in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen registriert, während in den übrigen Bundesländern die Zahlen im Wesentlichen gleich blieben. Worauf der Rückgang zurückzuführen ist, bleibt unklar. Neben einer verminderten Zuwanderung aus Hochprävalenzregionen müssen auch Veränderungen beim Testangebot bzw. der Wahrnehmung von Testangeboten als Erklärung in Betracht gezogen werden.

AIDS-ERKRANKUNGEN

Zwischen dem 01.07.2006 und dem 30.06.2007 sind insgesamt 585 Berichte über neu an AIDS erkrankten Personen eingegangen. Die gemeldeten Erkrankungen verteilen sich auf mehrere Diagnosejahre. Damit steigt die Gesamtzahl der an das Robert Koch-Institut berichteten seit Beginn der Epidemie mit dem Vollbild AIDS erkrankten Personen auf insgesamt 25.500. Bezüglich der Vollständigkeit der Meldung von AIDS-Fällen gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Die Zahl der berichteten AIDS-Fälle in einigen Regionen bleibt deutlich hinter den auf Basis der in der Todesursachenstatistik erfassten HIV-assoziierten Todesfälle und der geschätzten HIV-Prävalenz zu erwartenden Zahlen zurück. Relativ vollständig werden AIDS-Fälle aus Berlin und Hamburg berichtet. Auch die Zahl der aus Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern berichteten Fälle entspricht weitgehend den Erwartungen. Regional unterschiedlich stellt sich die Situation in Nordrhein-Westfalen dar. Zum Beispiel erscheint die Zahl der aus Köln und Düsseldorf berichteten Fälle zu niedrig. Leichte bis deutliche Untererfassung lässt die Zahl der Berichte aus Niedersachsen und Hessen vermuten. Eine erhebliche Untererfassung von AIDS-Fällen - mit lokalen Ausnahmen - muss für alle südlichen Bundesländer, d.h. Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen angenommen werden.

ZU WENIG MELDUNGEN

Die Gesamtzahl der in 2007 zu erwartenden AIDS-Fälle wird auf 1.100, die kumulative Gesamtzahl seit Beginn der Epidemie auf 33.800 geschätzt. Die für die letzten zehn Jahre geschätzten Zahlen von AIDS-Fällen liegen dabei durchweg deutlich über der Zahl der an das RKI berichteten Fälle. Sowohl bei der Zahl der berichteten wie auch bei der geschätzten Zahl der AIDS-Fälle ist der Trend leicht fallend.

Unter den zwischen 01.07.2004 und 30.06. 2007 neu an AIDS Erkrankten waren 75% Männer und 25% Frauen. Unter den im angegebenen 36-Monatszeitraum an AIDS erkrankten Männern stellen Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), mit 56% die größte Gruppe dar. Für 25% der berichteten AIDS-Fälle bei Männern liegen keine Angaben zum Infektionsrisiko vor. Mit 8% liegt bei den Männern Drogengebrauch an zweiter Stelle unter den bekannten Infektionsrisiken, gefolgt von der Herkunft aus einem Land mit einer hohen HIV-Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung (Hochprävalenzländer, HPL) mit 6% und einer Infektion über heterosexuelle Kontakte mit 4%.

Deutlich unterschiedlich stellt sich die Risikoverteilung bei Frauen dar. 42% der AIDS-Fälle bei Frauen werden bei Frauen aus Hochprävalenzregionen diagnostiziert. Für 34% der gemeldeten AIDS-kranken Frauen fehlt eine Angabe zum Infektionsrisiko. Diese 34% verteilen sich zu unbekannten Anteilen im Wesentlichen auf i.v. Drogengebraucherinnen und Frauen, die sich über heterosexuelle Kontakte infiziert haben. Berichtet wurden entsprechende Risiken für 16% (Drogengebrauch) bzw. 8% (heterosexuelle Kontakte) der in den letzten 36 Monaten diagnostizierten weiblichen AIDS-Fälle.

AIDS WEGEN SPÄTER DIAGNOSE

Die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten für eine HIV-Infektion haben nach 1996 zu einem deutlichen Rückgang der AIDS-Diagnosen, der Sterblichkeit an AIDS, einer Verbesserung der Lebensqualität von HIV-Infizierten und einer Verlängerung der Überlebensdauer geführt. Trotzdem weisen auch heute noch etwa ein Drittel der HIV-Infizierten bei Erstvorstellung in der Praxis oder Klinik bereits eine bedenklich erniedrigte CD4+-Zellzahl von unter 200 Zellen/µl im Blut auf (Abb. 2). Bei etwa der Hälfte dieser spät diagnostizierten HIV-Infektionen erfolgt die HIV-Diagnose zusammen mit einer AIDS-Erkrankung oder so spät, dass eine AIDS-Erkrankung nicht mehr verhindert werden kann (Abb. 3). Die späte HIV-Diagnose geht daher mit einer deutlich erhöhten Morbidität und Mortalität einher. Notwendig ist daher zum einen Werbung für eine stärkere Nutzung der bestehenden HIV-Testangebote bei Personen und Personengruppen mit erhöhtem HIV-Infektionsrisiko, zum anderen eine erhöhte Aufmerksamkeit von Ärzten beim Auftreten von Symptomen und Erkrankungen, die mit einer HIV-Infektion häufig assoziiert sind, und die Bereitschaft, in solchen Fällen ihren Patienten einen HIV-Test nahe zu legen.


Abb. 2: Anteil der HIV-Infizierten, die bei Erstvorstellung bereits eine CD4+-Zellzahl von unter 200 Zellen/µl aufweisen, 1999-2006 (Quelle: ClinSurv-Studie des Robert Koch-Instituts)


Abb. 3: Anteilige Verteilung des Abstands zwischen HIV-Diagnose und AIDS-Erkrankung in Jahren bei AIDS-Erkrankungen, die nach dem 1.1.2004 diagnostiziert und gemeldet wurden, nach HIV-Transmissionsrisiko
Quelle:RKI

HIER BITTE MELDEN!

Da die Erfassung von AIDS-Fällen und Todesfällen bei HIV-Infizierten wertvolle Hinweise auf Probleme und Defizite in der klinischen Versorgung geben kann, fordern wir alle in der Versorgung von HIV- und AIDS-Patienten tätigen Ärzte in Kliniken und im niedergelassenen Bereich auf, AIDS-Fälle und Todesfälle bei HIV-Infizierten an das (freiwillige) AIDS-Fallregister am Robert Koch-Institut zu melden. Meldeformulare können beim RKI telefonisch (030-4547 3314 oder -3424 und per Email (FG34@rki.de) angefordert werden.

Ulrich Marcus
HIV / STI / Bloodborne Infections
Robert Koch-Institut Berlin
E-Mail: marcusu@rki.de


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