KLAUS JANSEN1, CLAUDIA MICHALIK2, ADRIANE SKALETZ-ROROWSKI1 UND STEFAN ESSER3
Kompetenznetz HIV/AIDS: Weitere Förderung nach Umstrukturierung

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat dem Kompetenznetz HIV/AIDS (KompNet) grünes Licht für eine dritte Förderperiode bis 2010 gegeben. Konkret bedeutet dies, dass der nationale Forschungsverbund nochmals mit jährlich über 1,2 Millionen Euro gefördert wird. Die Grundlage dieser Förderung stellt das Gutachten des international besetzten wissenschaftlichen Beirats des KompNets dar.

Verbleibende Zentren
Ort Zentrum Art des Zentrums
K = Klinik
P = Praxis
Berlin Prof. Dr. Zeitz K
Berlin Dr. Lauenroth-Mai, Schlote, Schuler P
Berlin Drs. Moll, Gölz P
Berlin Dr. Freiwald-Rausch P
Berlin Drs. Dupke, Carganico, Baumgarten P
Berlin Drs. Köppe, Kreckel P
Berlin Dr. Schürmann K
Bochum Prof. Dr. Brockmeyer K
Dortmund Dr. Hower K
Düsseldorf PD Dr. Reuter K
Erlangen Prof. Dr. Harrer K
Essen Dr. Esser K
Frankfurt Prof. Dr. Staszewski K
Hamburg Drs. Plettenberg, Stöhr P
Hamburg Dr. Fenske P
Hamburg Drs. Buhk, Stellbrink P
Hannover Prof. Dr. Schmidt K
Hannover Dr. Kuhlmann P
Karlsruhe Dr. Mosthaf P
Koblenz Dr. Rieke K
Köln Drs. Wiesel, Theisen P
Köln Dr. Scholten P
München Drs. Jaeger, Jaegel-Guedes P
München Dr. Hartl P
München Drs. Becker, Pauli-Volkert P
Osnabrück Dr. Mutz K
Stuttgart Drs. Ulmer, Müller P
Tab. 1: Dokumentierende Zentren der „neuen“ Kohorte nach Ort und Art des Zentrums

Nach den Vorgaben der Gutachter und dem Votum der Mitgliederversammlung entwickelte die Geschäftsstelle des KompNets im Jahr 2007 eine neue Entscheidungs- und Verwaltungsstruktur. Dazu gehörte auch die Gründung von vier wissenschaftlichen Arbeitsgruppen (Scientific Boards):

  • Basic und Translational Research (Grundlagenforschung)
  • Clinical Science (Klinische Forschung)
  • Gender and Pediatric Studies (geschlechtsspezifische und kinderorientierte Forschung)
  • Social Science & Public Health (sozialwissenschaftliche Forschung/Public Health).

Seit ihrer Etablierung haben diese Scientific Boards intensiv die weitere wissenschaftliche Ausrichtung des KompNets diskutiert und Forschungsprojekte entwickelt, die sich in ihrer Umsetzung auf die Patientenkohorte des KompNets beziehen. Dabei wurden fünf inhaltliche Schwerpunkte gesetzt:

  • biomedizinische Forschung im Kontext von Prävention,
  • Altern und HIV,
  • onkologische Erkrankungen im Kontext der HIV-Infektion,
  • psychosoziale und neurologische Einschränkungen aufgrund von HIV/AIDS sowie
  • Forschung zu Schwangerschaft und Kindern.

Wesentliche Folge des Zuwendungsbescheids war die Vorgabe, die Patientenkohorte des KompNets von bisher etwa 15.000 dokumentierten Patienten ("alte" Kohorte) auf 8.000 Patienten ("neue" Kohorte) reduzieren zu müssen. Dieser Reduktionsprozess sollte durch die Entwicklung eines Bewertungssystems so gesteuert werden, dass ein repräsentatives Patientenkollektiv mit möglichst hohem Dokumentationsgrad identifiziert und weiter geführt wird.

"NEUE KOHORTE" vs. "ALTE KOHORTE" UND RKI-DATEN

Im Folgenden werden die "alte" und die "neue" KompNet-Kohorte auf Grundlage des Datenstandes zum Zeitpunkt der Reduktion (15.9.2007) gegenübergestellt. Um die Repräsentativität der "neuen" Kohorte zu beurteilen, wurden gleichzeitig die Daten der "alten" und "neuen" Kohorte mit der aggregierten Anzahl der HIV-Neudiagnosen verglichen, die zwischen 2004 und 2007 an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet wurden, dem Zeitrahmen, der der Rekrutierung von Patienten für die KompNet-Kohorte entspricht.

Die "neue" Kohorte des KompNets umfasste 8.162 Patienten, die von 26 Zentren (Tab. 1) deutschlandweit dokumentiert wurden ("alte" Kohorte: 15.381 Patienten aus 44 Zentren). Durch die Reduktion der Kohorte steigerte sich die durchschnittliche Vollständigkeit der Daten um 19,9 Prozentpunkte, die Vollständigkeit von Follow-ups um 4,3 Prozentpunkte. Die Verkleinerung der Patientenkohorte führte neben der Kosteneinsparung zur geforderten Verbesserung der Datenqualität.


Abb. 1: Vergleich der Geschlechtsverteilung zwischen aggregierter Anzahl an das RKI gemeldeter HIV-Neudiagnosen (2004-2007, n=14.697) und der "alten" und "neuen" KompNet-Kohorte (Nalt=15.378, Nneu=9.264)2


Abb. 2: Vergleich der Altersverteilung zwischen aggregierter Anzahl an das RKI gemeldeter HIV-Neudiagnosen (2004-2007, n=14.697) und der "alten" und "neuen" KompNet-Kohorte (Nalt=15.378, Nneu=9.258)


Abb. 3: Vergleich des Erkrankungsstadiums zwischen aggregierter Anzahl an das RKI gemeldeter HIV-Neudiagnosen (2004-2007, n=14.697) und der "alten" und "neuen" KompNet-Kohorte (Nalt=14.459, Nneu=9.203)

Risk of transmission RKI Data (%)
n=9.731
Old cohort*
n=15.381
New cohort (%)*
n=9.260
rMSM 51.56 61.32 62.4
Heterosexual contacts 14.04 17.27 18.28
origin of high prevalence country 12.64 5.07 4.81
Injecting drug use 5.74 6.99 7.52
Mother to child transmission 0.89 0.19 0.06
Blood products 0.03 1.22 1.30
others e. g. haemophilia, occupational exposure --- 2.35 2.2
Not known 15.10 9.61 8.92
* multiple answers possible
Tab. 2: Vergleich des Transmissionsrisiko zwischen aggregierter Anzahl an das RKI gemeldeter HIV-Neudiagnosen (2004-2007) und der "alten" und "neuen" KompNet-Kohorte


Region Old cohort
# sites / # patients
New cohort
# sites / # patients
Nord 8 / 3,138 6 / 2,314
ost 10 / 4,476 6 / 2,949
Süd 12 / 3,116 6 / 2,038
west 14 / 4,598 8 / 1,959
Tab. 3: Vergleich der geographischen Verteilung von dokumentierenden Zentren und Anzahl der Patienten zwischen "alter" und "neuer" KompNet-Kohorte

Die Geschlechtsverteilung war repräsentativ für die deutsche Situation (Abb. 1). Die Altersverteilung zeigte einen größeren Anteil älterer Patienten in der KompNet-Kohorte (Abb. 2). Die Transmissionsrisiken waren ähnlich verteilt (unter Berücksichtigung eines höheren Anteils unbekannter Angaben bei den Meldungen des RKI, mit einem großen anzunehmenden Anteil von "MSM", Tab. 2). Personen aus Hochprävalenz-Ländern (HPL) waren in der KompNet-Kohorte unterrepräsentiert. Dies galt ebenfalls für einen Vergleich der Verteilung der Herkunftsregionen (Tab. 3). In der "neuen" KompNet-Kohorte waren 13,3% der Patienten ART-naiv ("alte" Kohorte: 12,3%), 3,0% wurden initial therapiert ("alte" Kohorte: 3,8%; Nneu=8.839, Nalt=15.381). Patienten befanden sich in späteren Stadien der HIV-Infektion, verglichen mit den Zahlen des RKI (Abb. 3).

GRÜNDE FÜR UNTERSCHIEDE

Unterschiede im Vergleich zwischen den KompNet- und den RKI-Daten bezüglich Transmissionsrisiko, Herkunft und Erkrankungsstadium sind in den spezifischen Rekrutierungsbedingungen einer Patientenkohorte aus behandelnden Einrichtungen begründet, im Gegensatz zu den Meldungen von HIV-Neudiagnosen an das RKI, für die darüber hinaus keine Patienteneinwilligungen erforderlich sind. Personen aus HPL haben oft schlechteren Zugang zur Behandlung von HIV/AIDS aufgrund von Sprachbarrieren und mangelnden interkulturellen Kompetenzen, aufgrund eines illegalen Aufenthaltsstatus und häufig fehlender Krankenversicherung und sind daher auch in der Kohorte weniger stark vertreten. Unterschiede bezüglich des Erkrankungsstadiums erklären sich aus dem Umstand, dass in behandelnden Einrichtungen Patienten häufig eine längere Infektionsdauer haben als die Gesamtheit der an das RKI berichteten Meldungen von HIV-Neudiagnosen. Die durchschnittliche Dauer seit HIV-Erstdiagnose in der "neuen" KompNet-Kohorte betrug 9,8 Jahre.

FÜR SUBANALYSEN AUSREICHEND

Die Kohortenreduktion verursachte nur geringfügige Unterschiede in Bezug auf die Verteilung der Grundcharakteristika zwischen "alter" und der "neuer" Kohorte. So umfasste die neue Kohorte 1.376 Frauen sowie eine hinreichende Anzahl von Patienten in den einzelnen CDC-Stadien (A: 2.635; B: 4.283; C: 2.285), von ART-naiven Patienten (1.176) sowie von initial therapierten Personen (272). Dies gilt auch für Patienten mit einer Ko-Infektion von Hepatitis B (269), Hepatitis C (538) oder beiden (56). Eine kritische Folge der Kohortenreduktion ist die Verringerung der Absolutzahlen von Patienten aus wichtigen Subpopulationen. Eine Analyse der jetzt verfügbaren Datenbasis zeigt aber, dass dennoch für viele wichtige Spezialfragestellungen immer noch ausreichende Patientenzahlen gegeben sind. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Kohorten können die Daten der Kompetenz-Kohorte auch für spezielle Fragestellungen und Analysen kleiner Subpopulationen genutzt werden (z.B. im Rahmen des europäischen Kohortenprojekts COHERE).

ÄLTERE PATIENTEN

Eine besondere Stärke der neuen KompNet-Kohorte stellt der hohe Anteil älterer Patienten (ab 50 Jahre: 25,7%, ab 60 Jahre: 9,7%, Frauenanteil in diesen Altersgruppen jeweils 9,8%) dar. Gerade diese Personengruppe ist überaus interessant für die zukünftige klinische Forschung, etwa im Bereich der Pharmakovigilanz. Die geographische Verteilung der dokumentierenden Einrichtungen wie auch der Patienten war in der "neuen" Kohorte ausgeglichener als in der "alten" (Tab. 3).

ALTE DATENSÄTZE BLEIBEN

Trotz der mit dem Konzentrationsprozess verbundenen Qualitätssteigerung der Daten bedauert das Kompetenznetz den Verlust der nicht mehr weiter finanzierten Zentren. Auch die Datensätze aus der "alten" Kohorte stellen eine wichtige Grundlage für die Forschung dar. Sie werden daher nicht gelöscht, sondern lediglich ihre Fortführung eingestellt.

Wir hoffen, dass sich neben den bisher aktiven viele weitere deutsche HIV-Forscher und -Behandler in den neuen, engagiert arbeitenden wissenschaftlichen Arbeitsgruppen des Kompetenznetzes einbringen werden und damit helfen, die klinische Forschung zu stärken und die Behandlung von HIV-Patienten in Deutschland noch weiter zu verbessern.


Kommentar

Das Kompetenznetz HIV/AIDS wird als eine erfolgreiche Fördermaßnahme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung weiter gefördert. Entsprechend den Vorgaben erfolgt ab der jetzigen 3. Förderperiode noch eine Unterstützung durch das Ministerium mit 1,2 Mill. Euro statt mit den bisherigen 3 Mill. Euro. Dennoch wird das Kompetenznetz HIV/AIDS weiterhin besser finanziert als andere Netze, auch durch die zusätzliche Förderung von 300.000 Euro durch die Ruhr-Universität Bochum. Mit der Reduzierung der Fördersumme waren zwei wesentliche Einschnitte verbunden: Zum einen können bis auf wenige Low-Budget-Projekte keine wissenschaftlichen Untersuchungen mehr direkt durch das Kompetenznetz gefördert werden. Zum anderen musste die Kohorte von 15.000 auf 8.000 Patienten reduziert werden. Dies war für alle Beteiligten ein schmerzhafter Prozess, den ich persönlich bedauere. Ich möchte mich bei allen Mitgliedern des Kompetenznetzes HIV/AIDS an dieser Stelle für die gute Mitarbeit in den letzten 6 Jahren bedanken. Das Kompetenznetz entwickelt nun stärker eigenverantwortliche Strukturen und Projekte. Die Kohorte des Kompetenznetzes gehört mit ihren 8.000 Patienten zu einer der größten und qualitativ kompetitivsten Kohorten der Welt. Hierfür der ganz besondere Dank an alle Dokumentationszentren und insbesondere an die Dokumentare/innen. Diese hervorragende Leistung hat bisher schon dazu geführt, dass das Kompetenznetz seine Erfahrungen international im europäischen Kohortenverbund COHERE, im European AIDS Treatment Network, NEAT oder im Kinderstudienkonsortium MITOC einbringen kann. Die Pilotphase der Datenerfassung für die neu geschaffene HIV-Resistenz-Datenbank beginnt im September. Wissenschaftliche Studienprojekte mit den Firmen der forschenden Pharmaindustrie werden konzipiert. Die große Herausforderung, vor der wir in den nächsten 2 Jahren stehen, ist, die Nachhaltigkeit des Kompetenznetzes HIV/AIDS zu gewährleisten. Hier bin ich sicher, dass uns dies durch Einbindung unterschiedlicher Förderer von öffentlicher Hand, Träger des Gesundheitssystems, Stiftungen und nicht zuletzt der Pharmaindustrie gelingt, wenn wir weiterhin motiviert und konstruktiv zusammenarbeiten.

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