Martin Stürmer, Frankfurt
Neue Firstline-Optionen mit Darunavir und Raltegravir aus virologischer Sicht – Nutzen oder Aufsparen?

Wer kennt sie nicht, die Patienten aus der prä-HAART Ära, deren Viruslast noch nie unter der Nachweisgrenze lag und zahlreiche Resistenz-Mutationen eine suppressive antiretrovirale Therapie nahezu unmöglich machten? Viele dieser Patienten erreichten unter Darunavir und/oder Raltegravir zum ersten Mal in ihrer Therapiegeschichte das Ziel der nicht mehr nachweisbaren Viruslast. Warum also diese im Salvage-Bereich so wirksamen und erfolgreichen Substanzen in der Firstline-Therapie einsetzen?

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Tab. 1: Genotypische und phänotypische Resistenzentwicklung nach virologischem Versagen (VF) in den Darunavir-Studien ARTEMIS (therapie-naive Patienten) und TITAN (vorbehandelte Patienten)

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Abb. 1: Prozentualer Anteil von Virusisolaten mit Raltegravir-Resistenz-assoziierten Mutationen nach virologischem Versagen in der BENCHMRK-Studie (vorbehandelte Patienten) in Abhängigkeit der Anzahl aktiver Substanzen (außer Raltegravir)

Für den Einsatz der neuen Therapieoptionen in der Firstline spricht aus virologischer Sicht die Möglichkeit der Primär-Resistenz gegen die Bestandteile der „klassischen“ Kombinationen. Aktuell ist eine Primär-Resistenz gegen Darunavir und/oder Raltegravir relativ unwahrscheinlich, da die Substanzen noch nicht so lange und noch nicht so weit verbreitet sind. Sicherlich ist der Anteil an primär resistenten Virusisolaten in Deutschland nicht exorbitant hoch, sollte aber bei der Auswahl der Firstline-Therapie nicht außer Acht gelassen werden. Ein weiterer Plus-Punkt ist möglicherweise ein günstiger Einfluss der Potenz der neuen Substanzen auf das virologische Langzeitansprechen der Firstline-Therapie. In der STARTMRK-Studie beispielsweise waren zwischen zwei und 12 Wochen deutlich mehr Patienten im Raltegravir-Arm unter der Nachweisgrenze als im Vergleichsarm. Nach 24 Wochen war das Ergebnis in beiden Armen dann nahezu identisch. Ob dieser initiale Effekt prädiktiv für einen längeren Therapieerfolg ist, werden erst Langzeitstudien und -erfahrungen zeigen.

Resistenzmuster bei Darunavir-Versagen

Ein weiterer wichtiger Punkt aus virologischer Sicht, ist das Resistenzmuster beim Versagen einer Therapie. Wenn man das virologische Versagen unter einer Darunavir-haltigen Firstline-Therapie (ARTEMIS-Studie) hinsichtlich der selektierten Mutationen betrachtet, so findet man keine relevanten Mutationen in der Protease. Ein ähnliches Bild liefert die TITAN-Studie bei den Patienten, die keine oder nur ein oder zwei Vortherapien mit Proteasehemmern hatten. Daraus folgt, dass beim Versagen unter Darunavir bei therapienaiven bzw. nicht stark vorbehandelten Patienten andere Proteasehemmer theoretisch Folgeoptionen für die nächste antiretrovirale Therapie sind. Einschränkend muss man allerdings sagen, dass auch Darunavir (ähnlich wie andere geboosterte Proteasehemmer) aus virologischer Sicht voll empfindlich bleibt, obwohl die antiretrovirale Therapie virologisch versagt hat. Es stellt sich somit die  Frage: Warum versagt dann die Therapie und was bedeutet ein Therapieversagen mit Darunavir-empfindlichen Viren? Sind alle anderen Proteasehemmer wirklich wirksam? Ist Darunavir weiterhin einsetzbar? Diese Fragen sind noch nicht eindeutig geklärt.

Resistenzmuster bei Raltegravir-Versagen

Etwas anders stellt sich die Situation nach dem virologischen Versagen einer Raltegravir-haltigen Therapie dar. In der 48-Wochen Analyse der STARTMRK-Studie bei therapienaiven Patienten war das Verhältnis von selektierten relevanten Mutationen in beiden Studienarmen gleich. Im Raltegravir-Arm konnten Virusisolate von 9 Patienten analysiert werden. 4/9 (44,4%) hatten Raltegravir-Resistenz assoziierte Mutationen, 5/9 (55,6%) hatten keine. Im Efavirenz-Arm war das Verhältnis vergleichbar. Bei sechs Patienten konnten Virusisolate untersucht werden, und es lagen ebenfalls bei rund 50% Efavirenz-assoziierte Resistenz-Mutationen vor. Im Fall einer Selektion von Raltegravir-resistenten Varianten ist ein weiterer Einsatz von Raltegravir nicht sinnvoll und auch das Kreuzresistenzpotential zum noch nicht zugelassenen Elvitegravir ist sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit für ein virologisches Versagen mit Raltegravir-Resistenz assoziierten Mutationen nimmt – zumindest nach einer Auswertung der BENCHMRK-Studien bei vorbehandelten Patienten – mit zunehmender Anzahl der noch aktiven Substanzen der Backbone-Therapie ab (76,3% mit relevanten Mutationen bei 0-1 zusätzlichen aktiven Substanz zu Baseline versus 33,3% bei 2 und mehr). Noch nicht eindeutig geklärt ist, ob Raltegravir erneut eingesetzt werden kann, d.h. ob nach mehreren Raltegravir-freien Therapien ein erneuter Einsatz virologisch Erfolg versprechend ist. Ebenso offen ist – wie auch bei den Proteasehemmern – was ein virologisches Versagen mit einem Raltegravir-sensitiven Virusisolat für die folgende Therapie bedeutet.

Fazit

Zusammenfassend kann man sagen, dass es für einen Firstline-Einsatz von Darunavir bzw. Raltegravir aus virologischer Sicht keine anderen Argumente gibt als für die bisher zugelassenen Substanzen. Aktuell stehen daher andere Aspekte wie potentielle Nebenwirkungen und Einnahmemöglichkeiten bei der Auswahl der Firstline-Therapie im Vordergrund. Die Klärung der noch offenen Fragen könnte jedoch in naher Zukunft ein anderes Bild liefern.

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