Einblicke in ein Beschäftigungsprojekt für Menschen mit und ohne HIV/AIDS in Köln
Endlich wieder arbeiten…

Die Deutsche AIDS-Stiftung fördert in ganz Deutschland Beschäftigungs- und Versorgungsprojekte lokaler Beratungsstellen, die es vielen Menschen mit HIV/AIDS ermöglichen, nach langen Krankheits- und beschäftigungslosen Zeiten an die Arbeitswelt herangeführt zu werden. Die Möglichkeit, auch mit eingeschränkter oder schwankender Leistungsfähigkeit wieder arbeiten zu können, ist für die psychosoziale Gesundheit von großer Bedeutung. Die von der Stiftung geförderten Gastronomieprojekte sind für jeden Interessierten offen. Eines davon ist HIVissimo in Köln, das bereits im Jahr 2000 gefördert wurde.

Michaela Diers und Jürgen P. im Gespräch © Deutsche AIDS-Stiftung
Michaela Diers und Jürgen P. im Gespräch © Deutsche AIDS-Stiftung

Wir sprachen mit Michaela Diers, Leiterin Beratung und Betreuung bei der Aidshilfe Köln und einem Mitarbeiter von HIVissimo.

Frau Diers, was ist HIVissimo?

Michaela Diers: HIVissimo ist ein Beschäftigungsprojekt der Aidshilfe Köln, das unter anderem ein Mittagstischangebot hier im Regenbogencafé vorhält. Wir bieten von Montag bis Freitag ein vegetarisches und ein nicht-vegetarisches 3-Gänge-Menü an. Für Personen mit geringem Einkommen, insbesondere Menschen mit HIV/AIDS wird das Menü vergünstigt angeboten, alle anderen zahlen den regulären Preis. Dieses Angebot nehmen mittags 80 bis 120 sehr unterschiedliche Gäste an, von den Klienten der Aidshilfe bis zu Bankern. Kurz gesagt: Hier sind alle. Es ist oft sehr trubelig, aber wir freuen uns über jeden Gast, der hier is(s)t. In der Bewirtung arbeiten insgesamt 15 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Küche und im Service. Sie werden vom JobCenter vermittelt und arbeiten bei uns für ein halbes Jahr, da dann die Maßnahme endet.

Können Sie uns mehr zu den Beschäftigten sagen?

Michaela Diers: Unser Team setzt sich aus HIV-positiven und HIV-negativen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zusammen. Sie sind alle lange nicht erwerbstätig gewesen, oft aufgrund von Vermittlungshemmnissen und müssen beispielsweise frühes Aufstehen, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit erst wieder lernen. Das funktioniert nicht bei jedem. Sie werden in den Bereichen Küche und Service geschult und individuell von je einem Fachanleiter pro Bereich angeleitet. Die Beschäftigten bringen oft eine Suchtgeschichte und/oder eine psychische Erkrankung mit. Zusätzlich zur Fachanleitung werden sie von einem männlichen und einer weiblichen Sozialarbeiter/-in betreut. Die Beschäftigung der Sozialarbeiter wird durch das JobCenter, Eigenmittel sowie die AIDS-Stiftung ermöglicht. Häufig gering psychisch belastbar, werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch das Projekt sozial gut stabilisiert. Die Arbeit gibt ihnen eine Bestätigung und verbessert ihr Selbstwertgefühl, weil sie wieder gebraucht werden. Sie zeigen den Willen, wieder zu arbeiten und dieser spornt sie an. Wenn die Beschäftigungsmaßnahme durch das JobCenter nach einem halben Jahr endet, bleiben einige hier und arbeiten ehrenamtlich. Um HIV-Positiven eine längerfristige Beschäftigungsperspektive anbieten zu können, planen wir die Umwandlung des Projekts in einen Integrationsbetrieb.

Jürgen, Sie arbeiten direkt im Regenbogencafé. Seit wann?

Jürgen P.*: Ich arbeite hier in meinem 14. Jahr. Zuerst ehrenamtlich, dann durch eine Integrationsmaßnahme und „geförderte Festanstellung auf Zeit“.

Wie sind Sie dazu gekommen?

Jürgen P.: Durch meinen damaligen Mitbewohner. Er arbeitete in der Aidshilfe ehrenamtlich. Ich war arbeitssuchend und mir war langweilig zuhause. Dann konnte ich vermittelt durch ihn hier anfangen und bin hängengeblieben. Im Zuge der Arbeitsmarktreformen und der Einführung von Hartz-IV arbeitete ich danach in einer durch das JobCenter
geförderten Arbeitsmaßnahme.

Was ist Ihre Tätigkeit?

Jürgen P.: Ich bin Mädchen für alles [lacht]…ich arbeite überall dort, wo Not am Mann ist. Nicht umsonst hängt an meinem Spint im Umkleideraum ein Bild des Springers aus dem Schachspiel. Momentan vertrete ich den Küchenchef, der im Urlaub ist, und koordiniere das Team in der Küche. Als gelernter Koch und langjähriger Mitarbeiter habe ich die Erfahrung dafür. Sonst arbeite ich im Café, hinter der Theke oder auch in der Hausreinigung.

Was haben Sie vorher gemacht?

Jürgen P.*: Ein Jahr nach der Ausbildung zum Koch bin ich 1988 zur Bundeswehr gegangen, wo ich mich für acht Jahre als Zeitsoldat verpflichtete. Danach wollte ich als Erzieher arbeiten. Die Umschulung hatte ich auch fast absolviert, doch dann hatte ich einen schweren Autounfall. Die schriftliche Prüfung hatte ich schon in der Tasche, nur zur mündlichen Prüfung wurde ich nicht zugelassen. Heute bin ich glücklich damit, wie es sich entwickelt hat. Nach dem Unfall habe ich Probleme mit dem Gehen und könnte nicht hinter Kindern herlaufen. Seit dem 28.6.2001 bin ich nun hier.

Das Datum kennen Sie noch so genau?

Jürgen P.: Ja, diesen Tag werde ich nie vergessen. Er erinnert mich an meinen verstorbenen Verlobten [Jürgen und sein Mitbewohner, durch den er zur Aidshilfe kam, wurden später ein Paar und verlobten sich].

Sind Sie HIV-positiv? Spielt das in der Zusammenarbeit im Regenbogencafé eine Rolle?

Jürgen P.: Seit Mai 1998 weiß ich von meiner HIV-Infektion. Man geht davon aus, dass ich mich vier bis fünf Jahre vor dem Test mit dem Virus ansteckte. In der Zusammenarbeit hier im Team habe ich noch nie negative Erfahrungen bezüglich Diskriminierung gemacht. Ich kann nur Gutes berichten. Wenn es zu Problemen kommt, dann haben die nichts mit dem Virus zu tun, sondern spielen sich im ganz normalen zwischenmenschlichen Miteinander ab – wie in jedem Job. Außerhalb der Aidshilfe und des Regenbogencafés habe ich aber schon Erfahrungen mit Diskriminierung gesammelt. Es kommt vor, dass Menschen mich schneiden, wenn sie von meinem HIV-Status erfahren. Aber auf die kann ich dann auch verzichten.

Michaela Diers: Wenn hier im Regenbogencafé jemand offen diskriminieren würde, dann wäre er raus. Hier darf sowas nicht passieren. Wir wissen, dass es außerhalb der Einrichtung zu Diskriminierungen kommt. Hier ist ein
geschützter Raum; eine Insel, wo man sicher vor Diskriminierung und Homo- oder Transphobie ist. Vor einiger Zeit arbeitete hier eine Transfrau, die bisher einen echten Spießrutenlauf mitgemacht hat. Die Mitarbeiter, die vom JobCenter hierher geschickt werden, sind mitunter auch homo- und transphob. Wenn sie anfangen hier zu arbeiten, haben sie teils krasse Vorurteile gegenüber Schwulen, Lesben oder Transsexuellen. Durch die gemeinsame Arbeit und das gemeinsame Essen merken sie, dass die „Schwuchtel“ kochen kann und „die Transe“ nett ist. Nach einem halben Jahr, wenn sie gehen müssen, wollen sie oft nicht weg. Wir praktizieren hier gelebte Antidiskriminierung. Es ist gut, dass es uns gibt.

Jürgen, was bedeutet HIVissimo für Sie?

Jürgen P: Das ist eine sehr gute Frage [nachdenklich]. Ohne das Haus wüsste ich nicht, wo ich heute wäre. HIVissimo und die Aidshilfe bedeuten mir alles. Ich bin so froh, dass ich die Menschen, die hier arbeiten, kennengelernt habe.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit HIV-positive Menschen überall ohne Diskriminierung arbeiten können?

Jürgen P.: Die Aufklärungsresistenten müssen zuhören und kapieren, dass nichts passieren kann. Das ist mein Hauptanliegen. Es gibt immer noch Menschen, die nichts mit HIV-Infizierten zu tun haben wollen und nicht zuhören – das passt in die heutige Zeit nicht mehr rein. Bei diesen Leuten ist eine Aufklärung natürlich schwierig. Dass das Thema immer seltener in den Medien behandelt wird, tut einiges dazu.

*Name geändert

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