Jan Thoden, Freiburg
Prophylaxe Opportunistischer Infektionen bei HIV-Infektion — Was, wann und wie lange?

Ein schlechter Immunstatus erhöht das Risiko opportunistischer Infektionen. Die akutalisierte Leitlinie zur Therapie opportunistischer Infektion gibt klare Empfehlungen zur Durchführung von Primär- und Sekundärprophylaxen.

Beim antiretroviral nicht vorbehandelten HIV-Patienten sind Opportunistische Infektionen (OI) in bis zu 70% die erste klinische HIV-Manifestation und betreffen meist sogenannte „Late Presenter”. In Deutschland sind ca. 30% der HIV-Patienten „Late Presenter“, d.h. HIV-Infizierte, die sich (je nach Definition) mit einer CD4-Zellzahl <200-350/µl bei HIV-Erstdiagnose vorstellen. Bei ca. 10% der Betroffenen liegt die CD4-Zellzahl bei Erstdiagnose sogar <50/µl.1

Häufige Opportunisten

Eine OI muss selbst bei ausgeprägter CD4-Penie nicht zwangsläufig auftreten. Häufig finden sich jedoch in dieser Situation je nach Ausprägung der Immunsuppression: Pneumocystis jirovecii Pneumonien (PcP), Candida albicans
Infektionen (rezidivierned oral, ösophageal, tracheal oder bronchopulmonal), zerebrale Toxoplasmosen und CMV-
Infektionen (insbesondere Auge, Lunge, Darm). Einige OI treten bevorzugt bei sehr niedrigen CD4-Helferzellzahlen auf (<50/µl). Dies sind insbesondere Infektionen mit atypischen Mykobakterien (NTM) und Zytomegalievirus (CMV)-Infektionen (v.a. CMV-Retinitis) (Abb. 1).

Abb. 1  Risk of opportunistic diseases according to CD4+ T-cell counts
Abb. 1 Risk of opportunistic diseases according to CD4+ T-cell counts

Für die diagnostizierte OI gibt es verschiedene Therapie-Leitlinien, es sei hierbei insbesondere auf die Leitlinien der BHIVA2 und des Centers for Disease Control (CDC) hingewiesen.3 Deutsch-österreichische Leitlinien wurden seit 2009 von der Klinischen Arbeitsgemeinschaft AIDS in Deutschland (KAAD) erarbeitet und auch auf englisch publiziert.4 Die 2014 überarbeitete Version der Leitlinie wurde von der DAIG und der ÖAG konsentiert und ist bei der AWMF eingereicht. Abrufbar ist die aktuelle Version über die Homepage der DAIG und der dagnä.

Wichtig ist aber nicht nur die Therapie der bestehenden OI. Insbesondere in der Phase der neu diagnostizierten HIV-
Infektion stellt sich die Frage nach sinnvollen Prophylaxen (Primärprophylaxe) bzw. nach durchgemachter OI die Frage nach der Sekundärprophylaxe und nach deren Dauer.

Pneumocystis jirovecii Pneumonie

Empfohlen werden eine Primär-, aber auch eine Sekundärprophylaxe für Patienten mit <200 CD4-Zellen/µl (oder <14% der Gesamtlymphozytenzahl). Bevorzugt wird Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP/SMX), das auch einen protektiven Effekt gegen Toxoplasmen hat.5,6 Die Gabe kann täglich oder dreimal wöchentlich erfolgen.7

Monatliche Pentamidin-Inhalationen sind eine Alternative.8,9 Weitere Optionen stellen Atovaquon, Dapson/Pyrimethamin oder Dapson10-12 dar (Tab. 1).

Tab. 1
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Tab. 2
Tab. 2

Tab. 3
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Tab. 4
Tab. 4

PcP-Prophylaxen können nach erfolgreicher Immunrekonstitution unter ART auf >200 CD4-Zellen/µl über wenigstens drei Monate abgesetzt werden.13-16

Wenn die Viruslast ausreichend supprimiert ist, sind >200 CD4-Zellen/µl wahrscheinlich nicht notwendig.17 In einer kleinen prospektiven Studie an 19 Patienten unter ART, die ihre Prophylaxen trotz niedriger CD4-Zellen (im Mittel 120/μl) beendeten, trat keine PcP auf.18 In einem Review wurde ein Absetzen der PcP-Prophylaxe bei CD4-Zellen zwischen 101-200/μl bei voll supprimierter HI-Viruslast befürwortet.19 Für ein Absetzen der Prophylaxe bei CD4-Zellen <100/μl gibt es noch nicht genügend Daten, um dieses Vorgehen rechtfertigen zu können.

Zerebrale Toxoplasmose

Eine Primärprophylaxe (PP) ist bei Patienten mit positiver Toxoplasmen-Serologie und <200 CD4-Zellen/µl notwendig, Mittel der Wahl ist TMP/SMX. Alternativen sind Dapson/Pyrimethamin oder Dapson hoch dosiert. Die PP kann abgesetzt werden, wenn die CD4-Zellen unter ART mindestens drei Monate >200/µl liegen.

Eine Sekundärprophylaxe (SP) ist ohne Immunrekonstitution prinzipiell lebenslang erforderlich. Die SP besteht meist aus den halbierten Dosen der Akuttherapie .20 Allerdings ist Clindamycin, das die intakte Bluthirnschranke nicht passiert, vermutlich weniger geeignet.21 Auch TMP/SMX scheint als SP nicht so effektiv zu sein, ist aber wegen der Einfachheit zu erwägen. Es sollten auf jeden Fall höhere Dosen als bei der PcP verwendet werden22, 23 (Tab. 2). Die SP kann bei ausreichender Immunrekonstitution (mindestens drei bis sechs Monate >200 CD4-Zellen/µl) nach unauffälliger Bildgebung abgesetzt werden.24, 25 Bei KM-Enhancement können die Herde auch nach Jahren noch aktiv sein und es besteht die Gefahr eines Rezidivs.26, 27

CMV-Manifestationen

In Deutschland liegt die Durchseuchungsraten für CMV bei bis zu 70%. Bei einem Abfall der Helferzellen <50/µl steigt das Risiko für eine Reaktivierung der CMV-Infektion. Die asymptomatische Reaktivierung (pos. IgM, PCR oder pp65 ohne Endorganschaden) muss von der Endorganerkrankung unterschieden werden, die beinahe jedes Organsystem betreffen kann. Neben der CMV-Retinitis treten Endorganerkrankungen des ZNS, der Lunge, des Ösophagus, des Magens, des Kolons, der Nebennieren des Pankreas und vieler anderer Organe auf. Mangels Studien werden in diesen Fällen systemische Therapien/Prophylaxen analog zur CMV-Retinitis empfohlen.

Eine Primärprophylaxe mit Ganciclovir bei CMV-Retinitis (<50 CD4-Zellen/µl) ist wirksam, wird wegen Toxizität aber in der Regel nicht durchgeführt. Die drei-monatliche Funduskopie wurde früher durchgeführt, ist nach Expertenmeinung heute meist nicht mehr erforderlich.

Nach etwa drei Wochen Akuttherapie, frühestens aber bei der Vernarbung der Läsionen, sollte eine dosisreduzierte Sekundärprophylaxe (Erhaltungstherapie) beginnen, am besten mit oralem Valganciclovir28 (Tab. 3). Ein rasches Absetzen dieser SP ist wegen Myelotoxizität wünschenswert und praktikabel.29-31 Es ist allerdings frühestens nach sechs Monaten Erhaltungstherapie und einer Immunrekonstitution auf über 100-150 CD4-Zellen/µl zu empfehlen. Die Dauer der Rezidivprophylaxe und Monitoring eines Rezidivs sind bei anderen CMV-Organmanifestationen nicht klar, sie sollte daher wie bei der CMV-Retinitis gehandhabt werden.

Candida

Die PP der Candida-Infektion wird nicht empfohlen und die Indikation zur SP sollte auf Einzelfallentscheidungen beschränkt bleiben (Tab. 4).

Hygienemaßnahmen, wie z.B. ein regelmäßiger Wechsel der Zahnbürste oder Mundspüllösungen können zur Expositionsprophylaxe sinnvoll sein.

Herpes simplex

Tab. 5
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Tab. 6
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Tab. 7
Tab. 7

Tab. 8
Tab. 8


Eine PP der HSV-Infektion wird normalerweise nicht empfohlen. Eine frühe Metaanalyse, nach der unter Aciclovir das Risiko sowohl von HSV- als auch VZV-Erkrankungen um mehr als 70% sowie die Mortalität sinken32, ist heutzutage zu relativieren. Allerdings können bei hartnäckigen Rezidiven niedrige Dauer-Dosen Aciclovir oder Valaciclovir33, 34 sinnvoll sein (Tab. 5). Bei häufigen Rezidiven ist eine Dauerprophylaxe über mindestens 6 Monate zu empfehlen. Diese Rezidivprophylaxe verhindert bei 70-80% der Patienten weitere Episoden.

Varizella zoster

Die Varizellen-Impfung, als Lebendimpfung früher bei HIV kontraindiziert, scheint bei >400 CD4-Zellen/μl sicher und effektiv zu sein.35 Zur Zosterprophylaxe bei älteren Personen ist nach einer Cochrane-Analyse ist die VZV-Impfung effektiv und gut verträglich.36, 37) Sie sollte bei negativer VZV-Serologie für HIV-Infizierte erwogen werden (Tab. 6).

Bei negativer Serologie und Varizellen-Exposition kann in Einzelfällen Hyper-immunglobulin gegeben werden.

Eine virostatische Dauer-Primärprophylaxe ist meist nicht sinnvoll, eine niedrig dosierte Dauertherapie kann in Einzelfällen bei hartnäckigen Rezidiven erwogen werden.

Progressive multifokale Leukenzephalopathie

Eine Prophylaxe der PML gibt es nicht. Auch eine Expositionsprophylaxe ist nicht möglich.

Kryptosporidien

Eine anerkannte Prophylaxe existiert nicht, Rifabutin und Clarithromycin wurden in diesem Setting aber eingesetzt. Der Kontakt zu menschlichen und tierischen Fäkalien sollte vermieden werden (Expositionsprophylaxe). Kryptosporidien sind gegen die meisten Desinfektionsmittel resistent. Im Krankenhaus reichen jedoch die üblichen Hygienemaßnahmen (Handschuhe) aus.

Kryptokokken-Meningitis

Eine PP mit Fluconazol hatte sich in der Prä-HAART-Ära als wirksame Prävention einer Kryptokokken-Meningitis herausgestellt, kann aber heutzutage für in Deutschland lebende HIV-Infizierte nicht empfohlen werden, da kein eindeutiger Überlebensvorteil gezeigt wurde.38

In der Sekundärprophylaxe nach Kryptokokken-Meningitis wird meist Fluconazol (200 mg/d) eingesetzt39 (Tab. 7). Die SP sollte frühestens nach sechs Monaten abgesetzt werden, falls eine ausreichende Immunrekonstitution (>100 CD4-Zellen/µl und HI-Viruslast unter der Nachweisgrenze über einem Zeitraum von 6 Monaten) besteht.

Nicht-tuberkulöse Mykobakterien (NTM/ MAC)

Abb. 1 Schematische Übersicht der Primärprophylaxen
Abb. 1 Schematische Übersicht der Primärprophylaxen

Abb. 2 Schematische Übersicht der Sekundärprophylaxen
Abb. 2 Schematische Übersicht der Sekundärprophylaxen

In den USA wurde in der Prä-HAART-Ära gezeigt, dass eine PP sowohl mit Clarithromycin, Azithromycin als auch Rifabutin bei stark immunkompromittierten Patienten die MAC-Morbidität und -Mortalität signifikant reduziert.40-43 In Europa sind MAC-Infektionen seltener, so dass hier nur wenige Patienten eine primäre MAC-Prophylaxe erhielten.44 Sie kann seit Einführung der ART aufgrund der rückläufigen Inzidenz nur wenige Erkrankungen vermeiden45, auch ein NTM-assoziiertes IRIS kann durch medikamentöse Prophylaxe nicht verhindert werden.46

Eine medikamentöse PP wird daher auch weiterhin nicht empfohlen. Nach behandelter disseminierter MAC-Infektion sollte bei Patienten, bei denen neue ART-Optionen fehlen, bei einem Abfall der CD4-Zahl auf unter 50 Zellen/µl die SP mit einem Makrolid durchgeführt werden. Die wöchentliche Gabe von Azithromycin ist patientenfreundlich und in der Wirkung mit täglicher Rifabutingabe vergleichbar40 (Tab. 8).

Dauerhaft unvollständige Immunrekonstruktion

Die antiretrovirale Behandlung eines HIV-Infizierten führt nicht zwangsläufig zu einem Anstieg der Helferzellzahl in den Normbereich (und einem Abfall der HIV-Last). Insbesondere Patienten mit einer initial niedrigen Helferzellzahl <350/µl schaffen die vollständige Immunrekonstitution oft nicht.47 Bis zu ein Drittel der Patienten zeigt langfristig keinen adäquaten CD4-Anstieg. Somit kann es im Verlauf trotz antiretroviraler Therapie bei entsprechender CD4-Penie und fehlenden Prophylaxen dennoch zur Entwicklung einer OI kommen.

Die ClinSurv-Kohorte, die von deutschen Zentren unterstützt wird, konnte für sogenannte immuno-virologisch diskordante Patienten (Abfall Viruslast, fehlender CD4-Anstieg) ein initial deutlich erhöhtes Risiko für das Auftreten von AIDS-Events in den ersten 6 Monaten nach ART-Initiierung zeigen. Danach kommt es zu aber einem Angleichen des Risikos im Vergleich zu Patienten, die auch immunologisch mit einem CD4-Anstieg auf die ART reagiert haben. Das Risiko der OI nimmt mit Dauer der Virussuppression in den Folgejahren deutlich ab (um 65% pro Jahr vollständiger Virussuppression).48 Ein Ergebnis, dass die in der Klinik häufige Praxis unterstützt, nach spätestens 6 Monaten Virussuppression in Einzelfällen


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