Prof. Thomas Glück, Trostberg
WIE LANGE HÄLT DIE IMMUNITÄT?

Prof. Thomas Glück Chefarzt Kreisklinik Trostberg
Prof. Thomas Glück Chefarzt Kreisklinik Trostberg
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Seit gut einem Jahr leben wir alle unter dem Einfluss der COVID-19-Pandemie, die 2020/21 in zwei großen Wellen das gesamte öffentliche Leben beherrscht hat – möglicherweise stehen wir aktuell sogar vor einer dritten. Mittlerweile hat ein Teil der Bevölkerung die Infektion durchgemacht, einige sind daran verstorben, ein zunächst zögerlich und nun schneller wachsender Teil ist geimpft. Erleichterungen bezüglich der Kontaktbeschränkungen gibt es allerdings bisher für niemand. Und immer wieder werden Re-Infektionen oder Infektionen trotz Impfung beobachtet. Ganz selbstverständlich stellt sich daher die Frage, ob es eine Immunität gegen SARS-CoV-2 nach überstandener Infektion oder durch Impfung gibt und wie lange diese anhält.

Im Frühjahr 2020 konnte man über diese Frage nur spekulieren und die Experten haben in Anbetracht der massiven öffentlichen Aufmerksamkeit eher hinter vorgehaltener Hand darüber diskutiert, dass auch bei COVID-19 nach überstandener Infektion bzw. durch Impfung doch wahrscheinlich eine protektive Immunität entsteht – nicht anders als bei den allermeisten anderen Virusinfektionen. Doch mittlerweile gibt es etwas mehr Evidenz über die COVID-19-Immunität.

Immunität nach SARS-CoV-2-Infektion

Österreichische Epidemiologen führten eine auf der gesamten Bevölkerung basierte Untersuchung mit Daten aus dem nationalen COVID-19-Melderegister durch und bestimmten wie viele derjenigen, die in der ersten Welle im Frühjahr 2020 mit einer COVID-10 Infektion diagnostiziert wurden, während der zweiten Welle im Herbst/Winter 2020/21 wieder positiv getestet wurden. Es waren 0,27%. Beim Vergleich mit der Infektionsrate des Teils der Bevölkerung, die sich während der ersten Welle nicht infizierten, jedoch in der zweiten Welle positiv getestet wurden (2,85%), konnte für einen Zeitraum von sieben Monaten nach durchgemachter Infektion eine „Schutzwirkung“ vor Re-Infektion von ca. 91% berechnet werden.1 Eine ähnliche Untersuchung in England kam in einer etwas kleineren Population auf eine protektive Wirkung einer durchgemachten COVID-19 von ca. 94%.2

Etliche Untersuchungen (darunter auch eine unserer Gruppe) zum Verlauf der Antikörpertiter nach überstandener COVID-19 zeigen, dass bei mehr als 90% der Genesenen nach über sechs Monaten noch Antikörper nachweisbar waren, wenngleich die Titerhöhe und auch zum Teil die Neutralisationskapazität abnahmen.3,4,5 Auch konnte eine beträchtliche zelluläre Immunität bei der Mehrzahl der Genesenen Monate nach überstandener Infektion festgestellt werden.6 Allerdings zeigte sich sowohl bei der Stärke als auch im Verlauf der Immunantwort eine erhebliche interindividuelle Variabilität.

Immunität nach SARS-CoV-2-Impfung

Die Ergebnisse der Zulassungsstudien für die Impfstoffe von BioNTech-Pfizer7, Moderna8, AstraZeneca9 und Johnson&Johnson10 sowie für den russischen Impfstoff Sputnik V11 sind ausführlich von den Medien verbreitet worden. Kurz zusammengefasst weisen die Impfstoffe nach den veröffentlichten Studiendaten 95%, 94%, 70% (mit längerem Impfabstand 82%), 66% und 92% Impf-Effektivität bezüglich der Verhinderung von PCR-bestätigtem COVID-19 auf.

Daten aus Israel12 bestätigen für den dort hauptsächlich eingesetzten BioN Tech-Pfizer Impfstoff recht genau die Daten aus der Zulassungsstudie: Verminderung der schweren COVID-19- Verläufe um 92%, der Krankenhauseinweisungen (was als Surrogatmarker für schweren Verlauf gelten mag) um 87% und insgesamt Rückgang der Neuinfektionen um 92%, was schließen lässt, dass auch die Übertragung von SARS-CoV-2 effektiv unterbunden wird.13

Impfstoffe unterschiedlich gut wirksam?

Doch ist die Effektivität der verschiedenen Impfstoffe wirklich unterschiedlich? Schottische Daten lassen einen „real-world“-Vergleich des hierzulande (vielleicht zu Unrecht) viel gescholtenen AstraZeneca-Impfstoffs und des BioNTech-Pfizer Impfstoffs zu. Dabei lag die Effektivität der AstraZeneca Vakzine in der Verhinderung von Krankenhaus-Behandlung wegen COVID-19 mit 94% numerisch höher als die der BioNTech-Pfizer Vakzine mit 85%, jeweils vier bis fünf Wochen nach der ersten Impfdosis betrachtet (in Großbritannien wird vorläufig nur die erste Impfdosis gegeben), allerdings mit breitem Überlappungsbereich der beiden Konfidenzintervalle.14 Daraus lässt sich vermuten, dass wohl im Wesentlichen alle Impfstoffe schwere COVID-19-Verläufe um ca. +/- 90% vermindern.

Schutz vor Varianten?

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Die neuen SARS-CoV-2 Varianten erlangen derzeit große Aufmerksamkeit, da durch deren raschere Verbreitung (aktuell bei uns vor allem der britischen Variante B 1.1.7) eine dritte Infektionswelle droht. Dabei schützt eine durch Infektion mit dem Wildvirus bzw. durch Impfung erworbene Immunität wohl vergleichbar gut vor Infektion mit der britischen Variante15, jedoch scheint der Schutz vor Infektion mit der südafrikanischen Variante B 1.351 oder der brasilianischen Variante P1 etwas abgeschwächt zu sein.16

Über die Dauer der durch Impfung induzierten Immunität kann bisher nur spekuliert werden. Eine Untersuchung im Verlauf nach Impfung mit dem Moderna-Impfstoff fand einen Rückgang um eine Titerstufe im Virus-Neutralisations-Assay drei Monate nach der zweiten Impfung.17 Dies war bei älteren Personen stärker ausgeprägt als bei jüngeren. Immerhin entstehen jedoch laut den Phase 2-Studien bei allen Impfstoffen durchschnittlich ca. 10-mal höhere gegen das Spike-Protein gerichtete Antikörper-Titer als bei der natürlichen Infektion.18,19 Dies könnte bedeuten, dass die Immunität auch länger anhält, was aber noch gezeigt werden muss.

Im Intervall geimpft

COVID-19-Genesene, die in der Folge geimpft werden (empfohlen ist dies von der STIKO 6 Monate nach der Infektion) bilden bereits ca. eine Woche nach einer einzelnen Impfdosis eine extrem starke Antikörper-Antwort aus, die durchschnittlich um ca. den Faktor 10 höher ausfällt als die Antikörper-Antwort bei COVID-19-naiven Personen.20 Während bei letzteren die zweite Impfdosis einen Titer-Anstieg bringt, bringt die zweite Dosis bei Genesenen keinen weiteren Titer-Anstieg. Untersuchungen, ob die zweite Impfdosis bei Genesenen das Risiko bzgl. Reinfektion (was ja der ultimative Beweis für Immunität wäre), weiter senken kann, liegen bisher nicht vor und sind vermutlich auch nicht kurzfristig zu erwarten. Man kann aber anhand der starken Antikörper-Antwort vermuten, dass eine Impfdosis als „Booster“ bei den Genesenen ausreichen könnte, wodurch bei allgemeiner Impfstoff-Knappheit mehr Impfdosen für die Impfung COVID-19-Naiver zur Verfügung stehen würde.21

Diese Erkenntnisse sind nun auch in der aktuellen Impfempfehlung der STIKO berücksichtigt, die aktuell nur noch eine Booster-Dosis empfiehlt.22 In der Zulassungsstudie für den Moderna-Impfstoff war ein kleiner Anteil (2,2%) zum Zeitpunkt der ersten Impfung SARS-CoV-2-seropositiv.8 Während in der Studie keine stärkeren Nebenwirkungen bei diesen Probanden berichtet wurden, ist mein subjektiver Eindruck, dass bei COVID-19-Genesenen insbesondere die zweite Impfdosis (manchmal auch schon die erste) heftigere Impfreaktionen hervorruft als man dies bei COVID-19-Naiven sieht. Im Trend ist dies auch in der o.g. Studie sichtbar.20

Reinfektionen/Infektionen trotz Impfung

Über die COVID-19-spezifische Immunität von Personen, die eine Reinfektion nach durchgemachter COVID-19 bzw. eine Infektion trotz vollständiger Impfung erleiden, ist noch wenig bekannt. In meiner persönlichen Wahrnehmung (bei bisher allerdings geringer Fallzahl) erleiden eher betagte Personen Reinfektionen nach Impfung (mit anzunehmender Alters-bedingt schlechter Impf-Antwort) und bei Personen mit Reinfektionen liegen zum Zeitpunkt der Reinfektion niedrige bis negative Antikörper-Titer vor (trotz zum Teil gut nachweisbarer zellulärer Immunität). Dies wird derzeit in einer groß angelegten Studie der bayerischen virologischen Universitäts-Institute näher untersucht.

Zusammenfassung

Zusammenfassend gibt es zwar viele Untersuchungen zum Verlauf von SARS- CoV-2-spezifischen Antikörper-Titern im Zeitverlauf, aber wenig mit immunologischen Parametern korrelierte Daten zu tatsächlichen Reinfektionen bzw. Infektionen trotz vollständiger Impfung. Beruhigend ist jedoch, dass ausreichende Antikörper-Antworten bei wenigstens 90% der Genesenen noch sechs Monate nach Infektion nachweisbar sind, Reinfektionen selten vorkommen und die aktuell verfügbaren Impfungen bei den meisten Geimpften hohe Antikörper-Titer induzieren und bei über 90% schwere Verläufe verhindern. Wie häufig wir Booster-Impfungen oder „Ergänzungs-Impfungen“ gegen Varianten benötigen werden, wird die Zukunft zeigen.


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