Häufung schwerer Hepatitis bei Kindern – Ursache unbekannt

Anfang April 2022 wurden 10 Fälle von schwerer akuter Hepatitis bei Kindern in England beobachtet. Mittlerweile sind mehr als 100 Fälle bei Kindern im Alter von 1 Monat bis 16 Jahren beschrieben, die meisten in England. Der Verlauf der Hepatitis war nicht selten schwer: Viele der Kinder mussten stationär behandelt werden, 10% brauchten eine neue Leber und fünf Todesfälle sind mit der Hepatitis in Zusammenhang gebracht worden. Die Ursache der schweren Leberentzündung ist unklar. Die europäische Gesundheitsbehörde und die Weltgesundheitsorganisation sind in Alarmbereitschaft.

Interview mit Prof. Stefan Zeuzem, Frankfurt

Viele Hypothesen, viele Fragen und nur wenig Evidenz

Mehr als 100 betroffene Kinder in Europa, ein Fall in Deutschland. Haben wir Grund zur Sorge?

Prof. Stefan Zeuzem  Frankfurt 1. Medizinische Klinik  Universitätsklinikum Frankfurt

Prof. Stefan Zeuzem Frankfurt
1. Medizinische Klinik
Universitätsklinikum Frankfurt

zeuzem@em.uni-frankfurt.de

Prof. Stefan Zeuzem: Wenn Kinder so schwer krank werden, ist das immer ein Grund zur Sorge. Allerdings müssen noch viele Fragen systematisch geklärt werden. Die erste Frage lautet: Ist die Inzidenz tatsächlich höher als in der Vergangenheit? Wenn ein bestimmtes Krankheitsbild eine erhöhte Vigilanz erfährt, können die Meldezahlen auch aufgrund der erhöhten Aufmerksamkeit steigen. Das Europäische Referenznetzwerk für seltene Lebererkrankungen (ERN RARE-LIVER) hat aus diesem Grund 33 pädiatrische Leberzentren in 21 Ländern in Europa befragt. Es fand sich kein Signal für eine neuerdings höhere Inzidenz. Dennoch, die Zahlen aus England sind hochgradig verdächtig. Dort wurden bereits 160 Fälle gemeldet.

Was weiß man über die Ursache dieser „neuen“ Hepatitis?

Prof. Stefan Zeuzem: Im klinischen Setting und den bisher vorliegenden histologischen Befunden unterscheidet sich diese Hepatitis nicht von Infektionen mit klassischen hepatotropen Viren.

Eine Hepatitis A-E konnte aber ausgeschlossen werden. Bei vielen Kindern konnte eine Adenovirus-Infektion nachgewiesen werden, und zwar mit dem Subtyp 41. Dieser war bislang nicht mit schweren Leberreaktionen assoziiert, sondern eher mit respiratorischen und gastrointestinalen Symptomen. Die Kausalität ist dennoch nach wie vor unklar. Ist das Adenovirus ein Surrogat-Virus? Sind Koinfektionen der Auslöser? Oder ein neues Virus? Das alles sind Spekulationen, es gibt keine Evidenz.

In Zeiten von Corona wird ja auch immer ein Zusammenhang mit SARS-CoV-2 vermutet?

Prof. Stefan Zeuzem: Sicherlich gibt es auch in dieser Richtung Hypothesen. Die WHO brachte die Hypothese auf, dass Kinder wegen der Corona-Pandemie anfälliger für Adenoviren sind, weil diese Erreger während der Pandemie weniger übertragen wurden. Auch eine Doppelinfektion mit Adenoviren und dem Coronavirus wird in Betracht gezogen. Aber das sind wie gesagt Spekulationen ohne Evidenz. Fest steht lediglich, es ist keine Nebenwirkung einer COVID-Impfung, denn die große Mehrheit der jungen Hepatitis-Patienten war nicht geimpft.

Viele betroffene Kinder brauchen eine neue Leber. Stehen denn genug Organe zur Verfügung?

Prof. Stefan Zeuzem: Die Organ-Allokation für Kinder unter 16 Jahren ist in der Eurotransplant-Region von den Erwachsenen getrennt. Die Wartezeit für Kinder ist deutlich geringer als für Erwachsene. Sollte die Fallzahl im aktuellen Größenbereich bleiben, sehe ich kein Problem in der Versorgung. Sollten sie jedoch steigen, kann auch bei Kindern ein Organmangel entstehen.

Bisher waren nur Kinder betroffen. Könnten auch Erwachsene erkranken?

Prof. Stefan Zeuzem: Eine Erklärung, warum insbesondere kleine Kinder betroffen sind, ist das noch reifende Immunsystem. Aber auch bei Erwachsenen sehen wir manchmal ein akutes Leberversagen ohne eine erkennbare Ursache. Meist wird dann über eine Drug Induced Liver Injury oder Drogenkonsum spekuliert, aber ohne harte Evidenz. Insofern könnten wir auch in der Erwachsenenmedizin von den Erkenntnissen bei Kindern profitieren.


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