Fachtagung in Oberursel
HIV und Schwangerschaft 2019:
Erfolg durch interdisziplinäre Vernetzung

Oberursel Ende Januar 2019 trafen sich auch in diesem Jahr wieder rund 100 Vertreter*innen aus unterschiedlichen medizinischen und psychosozialen Disziplinen sowie den Communities, um gemeinsam die aktuellen Entwicklungen rund um das Thema HIV und Schwangerschaft zu diskutieren. Bereits zum 19. Mal richtete das HIVCENTER des Universitätsklinikums Frankfurt die jährliche Fachtagung „HIV und Schwangerschaft“ aus, die traditionell am letzten Januarwochenende im Taunus stattfindet und inzwischen auch treue Teilnehmer*innen aus den europäischen Nachbarländern gewonnen hat.

Nach neuen Schätzungen des Robert Koch-Instituts bekommen in Deutschland pro Jahr ca. 500 Frauen, die mit einer HIV-Infektion leben, ein Kind. Die HIV-Testrate im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge liegt inzwischen bei rund 90%. Trotzdem kommt es auch in Deutschland immer noch zu HIV-Mutter-Kind-Übertragungen. Die Rate liegt bei 0,3 bis 1,0 Prozent. Die Gründe für eine vertikale HIV-Transmission sind das fehlende Testangebot in der Schwangerschaft und Migrations- bzw. zugangsbedingte Barrieren zu Präventionsmaßnahmen. Zu den Hindernissen zählen beispielsweise Sprachprobleme und/oder ein fehlender legalisierter Aufenthaltsstatus. – Daten aus dem deutschen HIV-Schwangerschaftsregister zeigen für den Beobachtungszeitraum von Januar 2012 bis Januar 2019 eine Mutter-Kind-Transmissionsrate von 1,2%. 81% der Schwangeren hatten zum Zeitpunkt der Entbindung eine supprimierte Viruslast von <50 Kopien. Die Mehrzahl der Frauen erhielt als antiretrovirale Therapie (ART) ein Proteaseinhibitor basiertes Regime. Wurde erst in der Schwangerschaft eine ART angesetzt, kam in 27% der Fälle ein Integrasehemmer zum Einsatz. – Zu 408 Mutter-Kind-Paaren lagen im Schwangerschaftsregister Angaben zum Stillen vor. Nur 11 Stillfälle (2,7%) wurden bislang dokumentiert. Bei keinem der Stillkinder ist es zu einer HIV-Übertragung gekommen.

Christoph Stephan, Leiter des HIVCENTER´s und Maria Vehreschild, Leiterin der Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt, eröffnen die Veranstaltung ©Annette Haberl
Christoph Stephan, Leiter des HIVCENTER´s und Maria Vehreschild, Leiterin der Infektiologie am Universitätsklinikum Frankfurt, eröffnen die Veranstaltung ©Annette Haberl

Annette Haberl stellt Daten aus dem HIV-Schwangerschaftsregister vor ©Lila Haberl
Annette Haberl stellt Daten aus dem HIV-Schwangerschaftsregister vor ©Lila Haberl

#HIV und Stillen

Alle Veränderungen in den Schwangerschaftsleitlinien der letzten Jahre beruhen auf der Erkenntnis, dass der Erfolg der antiretroviralen mütterlichen Therapie der entscheidende Faktor für das HIV-Transmissionsrisiko ist. Die wissenschaftliche Erkenntnis der Nichtinfektiösität bei nicht nachweisbarer Viruslast – Nicht nachweisbar = Nicht übertragbar (N=N) – ist letztlich die Grundlage für die vaginale Geburt trotz mütterlicher HIV-Infektion. Allerdings nur, wenn die Schwangere erfolgreich therapiert wurde. Auch die Realisierung des Kinderwunsches für HIV-diskordante Paare ist durch N=N einfach geworden. Die Reproduktionsmedizin wird heute nur noch dann in Anspruch genommen, wenn sich der Kinderwunsch, unabhängig von der HIV-Infektion, auf natürlichem Weg nicht verwirklichen lässt. N=N ermöglicht auch den Verzicht auf eine Neo-PEP, was in der Schweiz bereits seit 2016 praktiziert wird. Die Frage, ob N=N auch für das Stillen gilt, lässt sich hingegen noch nicht abschließend beantworten. In Oberursel lieferten sich Catriona Waitt aus Liverpool und Karoline Aebi-Popp aus Bern eine exzellente und unterhaltsame Kontroverse zu diesem Thema.

HELENE und SISTER

Bislang gibt es keinen Überblick über die wenigen bekannten Stillfälle HIV-positiver Mütter in den westlichen Industrieländern. Für Deutschland soll sich das jetzt ändern. Im Rahmen der Studie HELENE (HIV und Stillen – REtrospektive Auswertung von FäLlEn iN DEutschland) werden bundesweit Retrodaten zu Stillfällen zusammengetragen und ausgewertet. In Ergänzung zu HELENE untersucht SISTER prospektiv die Stillerfahrungen HIV-positiver Frauen in Deutschland. Dazu wurde gemeinsam mit HIV-positiven Frauen, die bereits gestillt haben, ein Fragebogen entwickelt, den die Studienteilnehmerinnen selbst ausfüllen und anschließend anonym an die Studienzentrale zurückschicken. HELENE und SISTER werden vom HIVCENTER in Frankfurt aus geleitet.

ART: Sicherheit in der Schwangerschaft

Seit Juni 2018 sind bereits drei Rote-Hand-Briefe zum Einsatz von HIV-Medikamenten in der Schwangerschaft verschickt worden. Beim Einsatz von Dolutegravir bzw. Dolutegravir haltigen Kombinationen wurde vor einem möglicherweise erhöhten Risiko für Neuralrohrdefekte gewarnt, wenn Dolutegravir zum Zeitpunkt der Konzeption eingenommen wird. Für Darunavir/Cobicistat und mit Cobicistat geboostetem Elvitegravir wurde vor möglichen herabgesetzten Wirkspiegeln im zweiten und dritten Trimenon der Schwangerschaft gewarnt. Dies kann zu einem Anstieg der Viruslast und damit einem erhöhten Transmissionsrisiko führen. Die Rote-Hand-Briefe haben dazu geführt, dass die Schwangerschaftsregister, sowohl das internationale APR als auch die nationalen Register noch an Bedeutung gewonnen haben. Im deutschen HIV-Schwangerschaftsregister liegt die Fehlbildungsrate aktuell bei 1,4% Neuralrohrdefekte wurden hier bislang nicht dokumentiert.

Fachtagung HIV und Schwangerschaft 2019: Gruppenbild ©privat
Fachtagung HIV und Schwangerschaft 2019: Gruppenbild ©privat

HIV-exposed but uninfected

Das oberste Ziel der prevention of mother to child transmission (PMTCT ) ist es, eine HIV-Infektion des Kindes zu verhindern. Welche Veränderungen HIV-exponierte nicht-infizierte Kinder aufweisen und ob sich daraus für sie spätere Konsequenzen ergeben können, ist ein noch relativ neues Forschungsgebiet. Madeleine Bunders und Marcus Altfeld vom Heinrich-Pette-Institut in Hamburg stellten in Oberursel dazu Grundlagen und mögliche Studienkonzepte vor. Dabei stellt sich auch die Frage, ob bzw. welchen Einfluss die unterschiedlichen intrauterine Medikamentenexpositionen auf Stoff-wechselprozesse der Neugeborenen nehmen.

PMTCT in Belarus

Marina Dotsenko aus Minsk stellte bei der diesjährigen Tagung in Oberursel PMTCT-Daten aus ihrem Land vor. Im Jahr 2018 lebten insgesamt rund 25.000 Menschen mit HIV in Belarus, darunter 43% Frauen. Die HIV-Mutter-Kind-Übertragungsrate in Belarus ist von 25% im Jahr 2000 kontinuierlich rückläufig und lag 2017 bei nur noch 1,7%. Für die antiretrovirale Therapie der Schwangeren stehen zwei Regime zur Verfügung: TDF/FTC plus Efavirenz und TDF/FTC plus Lopinavir/Ritonavir. 2017 erhielten in Belarus 95% aller Schwangeren mit HIV eine antiretrovirale Therapie.

HIV: Alle Gynäkolog*innen informiert

Neue Frauenreferentin der DAH: Anja Liebig ©DAH
Neue Frauenreferentin der DAH: Anja Liebig ©DAH

In Anlehnung an die Hausärztinnenbroschüre hat die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) im Rahmen ihrer Kampagne Kein AIDS für Alle Anfang Februar 2019 eine entsprechende Informationsbroschüre an alle Gynäkolog*innen in Deutschland versandt. Die Broschüre enthält Basisinformationen zum Verlauf und zur Therapie der HIV-Infektion und geht dabei vor allem auf frauenspezifische Aspekte ein. Die Informationen sollen u.a. dazu beitragen, auch außerhalb der Schwangerschaft an den HIV-Test zu denken und dadurch die Zahl der Late Presenter in Deutschland perspektivisch zu verringern.


Oberursel

In Oberursel war auch ein personeller Wechsel im Frauenreferat der Deutschen Aids-Hilfe Thema. Nachdem Marianne Rademacher Ende 2018 in den Ruhestand gegangen ist, hat Anja Liebig im Januar 2019 ihre Position übernommen und ist jetzt Referentin für weibliche Sexarbeit und Frauen im Kontext von HIV. Anja Liebig hat Erziehungswissenschaft und Soziologie studiert und im HIV-Bereich bereits in der Beratungsstelle CASAblanca in Hamburg gearbeitet.

Die Interdisziplinäre Fachtagung HIV und Schwangerschaft 2019 steht unter der Schirmherrschaft von DAIG, AAWS, DAGNÄ sowie dem Kompetenznetz HIV/AIDS und wurde finanziell unterstützt von den Firmen Gilead, Hormosan Pharma, Janssen, MSD, TAD und ViiV Healthcare.

Die wissenschaftliche Tagungsleitung hatte Annette Haberl vom HIVCENTER in Frankfurt. Die 20. Fachtagung findet am 24./25. Januar 2020 statt.


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