Kreative Wertschöpfung

StreiflichtMan kann nachvollziehen, dass Gilead in Deutschland von der ersten Festbetragsregelung für antiretrovirale Wirkstoffkombination [siehe Seite 10] tief getroffen gewesen sein dürfte. Der G-BA Beschluss mag dort wie eine strafende „Lex Gilead“ empfunden worden sein. Einerseits steht der Name Gilead wie der keines anderen Unternehmens für Fixdosiskombinationen. Anderseits trifft die vom G-BA beschlossene Festbetragsgruppe für die Kombinationen ABC/3TC, TDF/FTC und TAF/FTC am wenigsten die Wirkstoffe wie TDF, ABC und 3TC, die schon länger generisch geworden sind, sondern vor allem das noch patentgeschützte TAF, welches Gilead in der Indikation als antiretrovirales Nukleotidanalogon ausschließlich in Fixkombinationen anbietet (Vemlidy® ist nur zur Behandlung der Hepatitis B zugelassen!). Neben den beiden von der Festbetragsregelung betroffenen Darreichungen namens Descovy® [10 mg/ 200 mg und 25 mg/200 mg] ist es auch – jeweils mit einem Vertreter einer der drei antiretroviralen Ankersubstanzen als STR verfügbar in Odefsey®, Biktarvy®, Genvoya® und dem von Janssen-Cilag vermarkteten Symtuza®. Letzteres macht deutlich, worum es bei der Entwicklung von Fixdosiskombinationen auch geht: Nicht allein um den hehren, philanthropen Ansatz, dem Patienten die Bürde der hohen Pillenlast zu senken. Vielmehr geht es auch um wirtschaftliche Wertschöpfung: die Kombinationspille kommt weniger schnell und nur mit größeren Hürden unter das ungeliebte Festpreisdiktat als das Einzelpräparat. Der Hersteller hat damit strategisch also höhere und länger anhaltende Einnahmen durch den Vertrieb solcher Arzneimittel.

Unerwünschte Diskussion

Die deutsche Festbetragsregelung ist nicht neu. Sie gilt seit dem Jahr 2000 und dürfte bei Gilead in all ihren möglichen Konsequenzen gut bekannt gewesen sein. Wer sich je gefragt hat, warum Gilead mit Genvoya® und Odefsey® einen TAF-basierten Zwilling zu den etablierten TDF-basierten STR Stribild® und Eviplera® auf den Markt brachte, aber keinen TAF-basierten Zwilling für den alten Gilead-Blockbuster Atripla, der ahnt jetzt warum: Die Zulassung eines EFV/TAF/FTC-STR hätte 2016/17 etwa zeitgleich mit der Zulassung der zahlreichen Atripla®-Generika erfolgen müssen. Das hätte schon damals die Diskussion um eine Festbetragsgruppe für antiretrovirale Arzneimittelkombinationen auslösen können – und das war vermutlich nicht gewünscht.

So macht man Gold

Inzwischen hat sich Gilead Anfang Juni gegenüber der Presse und in einer Email an die meisten HIV-Schwerpunkt-ärzt*innen mit drei bemerkenswerten Einschätzungen zu Wort gemeldet.

1. „Eine weitere Senkung des Apothekenverkaufspreises von Descovy® ist Gilead nun nicht mehr möglich.“ 1

Aus dem letzten Jahresgeschäftsbericht2 der Firma Gilead geht ein Jahreserlös von 22,4 Mrd. Dollar hervor, aus denen 3,2 Mrd. für Gewinnausschüttungen und 1,7 Mrd. für Aktienrückkäufe bestritten werden konnten. Vor diesem Hintergrund muss man verstehen, dass das Unternehmen sich der seit 20 Jahren bestehenden gesetzlichen deutschen Regelung zur Preisfindung nicht anschließen mag.

2. „Deswegen bieten wir derzeit allen gesetzlichen Krankenkassen Verträge zur Übernahme der Mehrkosten an, durch die Descovy® zum Festbetrag, d.h. weiterhin ohne Mehrkosten für Patienten zur Verfügung steht.“ 3

Das ist ein interessantes Konzept! Doch was ist damit gemeint? Als Kassenarzt ist man ja angehalten und auch geneigt, darauf zu vertrauen, dass diese Aussage aus einem Schreiben eines seriösen pharmazeutischen Unternehmens nicht dasselbe meinen kann wie das berühmte Filmzitat „Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann“ von Don Vito Corleone aus dem Jahr 1972.

Aber wie soll das Angebot von Gilead aussehen, wenn kurz vorher konstatiert wurde, dass gerade eben Preiszugeständnisse nicht möglich sind? Wenn also schon der (künftig erwartete) Festpreis für Descovy® als inakzeptabel niedrig empfunden wird, welchen Sinn hätte es dann, dass Gilead der Krankenkasse, statt wenigstens diese Summe entgegen zu nehmen, genau das Gegenteil tun will: Der Kasse eine Pauschale anzubieten, die so hoch ist, dass die Kasse auf den Differenzbetrag zum Gilead-Preis, also den Zuzahlungsanteil des Patienten verzichtet? Das wäre für Gilead nicht nur ein Nullsummenspiel, es würde sogar die Mindereinnahmen durch den Verkauf von Descovy® weiter verschlimmern. Es muss wohl ein bahnbrechendes Verhandlungskonzept mit den Kassen sein.

Ein Ziel der Alchemisten war bekanntlich die Transmutation von unedlen Metallen zu Gold, aber das hatte bisher nie funktioniert. Vielleicht kommen wir also der Lösung durch die künftige Vermarktung von Descovy® an die gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland einen Schritt näher, wenn denn die künftigen Verträge zwischen den Kassen und Gilead zur Vermeidung von Zuzahlungen transparent werden sollten.

3.„Es gibt jedoch viele gut verträgliche, hoch wirksame und auch Descovy-basierte Behandlungsalternativen. Inwiefern diese für Ihre Patienten in Frage kommen, ist individuell zu überprüfen“ 4

Das also ist der Plan B: Die Lösungsstrategie, mit der wir Ärzt*innen „individuell“ sowohl unseren Patient*innen aus deren persönlicher Patsche helfen können, als auch dem pharmazeutischen Unternehmen die bisher gewohnten Erlöse sichern sollen. Das klingt beinahe unverfänglich und scheint einfach umsetzbar: Wir können TAF/FTC in Zukunft ohne Zuzahlung weiter rezeptieren, wenn es in einem der TAF/FTC-basierenden STR enthalten ist.

Das würde aber zweierlei bedeuten: Einerseits eine Verordnung zum alten, höheren Preis, denn nur die Nuke-Backbonekombinationspräparate, nicht aber die STR sind von der Festbetragsregelung betroffen. Anderseits dürfte die Verordnung von Descovy® bisher fast ausschließlich in Kombination mit einer antiretroviralen Ankersubstanz, die nicht von Gilead angeboten wird, erfolgt sein. Nach jedem Wechsel auf eine „zuzahlungsfreie TAF/FTC-basierte Behandlungsalternative“ entstammt aber dann die neue ART direkt aus dem Portfolio von Gilead. Die bisher den bereits den antiretroviralen Therapiemarkt dominierende Stellung eines einzigen pharmazeutischen Unternehmers würde weiter monopolistisch gestärkt. Und das als Folge einer deutschen Festbetragsregelung.

Es funktioniert also doch! Ein Ziel der Alchemisten war die Transmutation von unedlen Metallen zu Gold.


1 Aus: Mitteilung der Presseabteilung von Gilead, 2.6.2020

2 Gilead: „Year in Review 2019“ https://www.gilead.com/-/media/files/pdfs/yir-2019-pdfs/2019-gilead-yir_desktop.pdf?la=en&hash=E6571C6C78464A40834E85CA069E9F91

3 Aus: Mitteilung der Presseabteilung von Gilead, 2.6.2020

4 Aus: Mitteilung der Presseabteilung von Gilead, 2.6.2020

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