BERND BUCHHOLZ, MANNHEIM
Nachsorge bei HIV-exponierten Kindern

Hauptursache der kindlichen HIV1-Infektionen ist die Mutter-Kind-Transmission (vertikale Transmission). Entsprechend ergeben sich als Aufgaben der Pädiater im Rahmen der HIV1-Infektion die Betreuung von HIV1-infizierten Kindern und HIV1-exponierten Kindern, das sind vor allem Kinder HIV1-positiver Schwangerer und - selten - Kinder nach Nadelstichverletzungen an Fixernadeln.


Abb. 1: Vertikale HIV-Transmission: Zeitpunkte und Übertragungsraten ohne medizinische Maßnahmen!!

HIV1 kann während der Schwangerschaft, während der Geburt und durch das Stillen von der Mutter auf ihr Kind übertragen werden (Abb. 1). Ohne jegliche Maßnahmen zur Vermeidung der Mutter-Kind-Transmission von HIV1 werden bis zu 40% der Kinder HIV1 positiver Mütter mit HIV1 angesteckt. Neuesten Studienergebnissen zufolge werden davon 7% der Kinder intrauterin, 18% kurz vor oder während der Geburt und 15% durch Stillen infiziert. In Deutschland entbinden pro Jahr etwa 250 HIV1-positive Schwangere , vorwiegend in spezialisierten Zentren. Durch die spezielle Betreuung der HIV1-positiven Schwangeren sowohl während der Schwangerschaft als auch bei der Geburt und die leitliniengerechte Versorgung der HIV1-exponierten Neugeborenen kann die HIV1-Ansteckungsrate der Neugeborenen auf 1-2% gesenkt werden.

BETREUUNG IMMER IN SPEZIALISIERTEN ZENTREN!

Die Betreuung jedes HIV1-exponierten Kindes erfordert neben gewissen logistischen Voraussetzungen, wie beispielsweise Fortbildung aller den Kreißsaal versorgenden Frauen- und Kinderärzte, Hebammen und Schwestern, Bevorratung der antiretroviralen Medikamente auch als Säfte!!!, ein genaues Wissen über aktuelle Prophylaxe- und Therapiestandards. Daher sollte die Betreuung dieser Kinder immer in oder in enger Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Zentrum mit Erfahrung in der Betreuung HIV1-exponierter Kinder erfolgen.

Bei der Versorgung von HIV-exponierten Neugeborenen müssen folgende Besonderheiten beachtet werden: Noch im Kreißsaal sollten wegen der Ansteckungsmöglichkeit über die Schleimhäute direkt nach der Geburt Mund, Naseneingang, Ohren, Augen und Genitale des Neugeborenen von Blut oder blutigem Fruchtwasser der Mutter gereinigt werden. Auf der Neugeborenenstation können durch Baden des Neugeborenen Reste von potentiell infektiösen Fruchtwasser und Blut entfernt werden.

Weitere Maßnahmen sind:

  • Da Stillen das Transmissionsrisiko signifikant erhöht, wird davon grundsätzlich abgeraten!
  • Wegen bisher noch unbekannter Auswirkungen der antiretroviralen Medikamente auf das Ungeborene sollte ein Fehlbildungs-Screening des Neugeborenen erfolgen.
  • AZT sowie alle anderen nukleosidalen und nicht nukleosidalen Hemmer der Reversen Transkriptase (NRTI + NNRTI) passieren zu mehr oder weniger großen Anteilen die Plazenta und finden sich in unterschiedlichen Konzentrationen im fetalen Blut wieder. Daher müssen vor Beginn der antiretroviralen Prophylaxe beim Neugeborenen (siehe Tab. 1) mögliche bereits bestehende Nebenwirkungen der in der Schwangerschaft verwendeten antiretroviralen Medikamente ausgeschlossen werden.
  • Beginn der kindlichen HIV1-Transmissionsprophylaxe sofort bzw. sechs Stunden nach Geburt: Aufgrund der intrapartalen, intravenösen AZT-Gabe an die Mutter und der guten Plazentagängigkeit des Medikaments ist bis zu sechs Stunden postnatal von einer ausreichend hohen Wirkstoffkonzentration beim Neugeborenen auszugehen. Da bei normalem und erhöhtem HIV1-Transmissionsrisiko die Transmissionsprophylaxe nur aus AZT besteht, kann nach Ausschluss von Nebenwirkungen beim Neugeborenen durch die mütterliche antiretrovirale Prophylaxe bzw. Therapie in der Schwangerschaft die postnatale HIV1-Infektionsprophylaxe des Neugeborenen bis spätestens sechs Stunden postnatal begonnen werden. Entsprechend sollte AZT (als Saft!!) innerhalb von sechs Stunden nach Geburt verfügbar sein. Da bei sehr hohem HIV1-Transmissionsrisiko noch andere antiretrovirale Substanzen (zusätzlich zu AZT) als Transmissionsprophylaxe appliziert werden, muss deren Gabe sofort nach Geburt erfolgen. Ist keine mütterliche peripartale HIV1-Transmissionsprophylaxe erfolgt, ist ebenso die antiretrovirale Behandlung des Kindes so schnell wie möglich, am besten innerhalb von ein bis zwei Stunden zu beginnen.


Tab. 1: Dosierung und Dauer der antiretroviralen Prophylaxe bei HIV1-exponierten Neu- und Frühgeborenen nach Transmissionsrisiko

BEHANDLUNG JE NACH RISIKOGRUPPE

Es werden risikoadaptiert für drei Risikogruppen je nach Komplikationen in der Schwangerschaft und bei Geburt drei verschiedene Behandlungsschemata für HIV1-exponierte Neugeborene empfohlen, und zwar für ein niedriges, erhöhtes und sehr hohes Transmissionsrisiko (Tab. 1).


Tab. 2: Diagnose der HIV1-Infektion bei Kindern

Wenn bei einer Mutter erst kurz vor, bei oder nach der Geburt ihre HIV1-Infektion bekannt wird, führt der Beginn obiger Prophylaxe mit AZT + 3TC + Nevirapin auch noch innerhalb von 48 bis 72 Stunden nach Geburt zu einer Verringerung des Transmissionsrisikos, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie bei einem recht- zeitigen Beginn der Prophylaxe. Später als 72 Stunden nach Geburt ist der Beginn einer antiretroviralen Prophylaxe nicht mehr sinnvoll.

KURZ- UND LANGFRISTIGE NEBENWIRKUNGEN ÜBERWACHEN

Die Säuglinge müssen in den ersten zwei Lebensmonaten regelmäßig auf Nebenwirkungen der eingesetzten antiretroviralen Substanzen untersucht werden. Da AZT erst seit 1994 zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung von HIV1 eingesetzt wird, liegen derzeit nur Daten über mittelfristige Nebenwirkungen (z.B. Karzinogenität) über einen Zeitraum von 10-14 Jahren vor. In den entsprechenden Studien ergaben sich keine Unterschiede zwischen Kindern, die mit AZT therapiert wurden und solchen, die keine Transmissionsprophylaxe erhalten hatten. Da inzwischen immer mehr HIV1-positive Frauen unter diversen antiretroviralen Kombinationstherapien schwanger werden, ist auch bei fehlendem Infektionsnachweis eine möglichst langjährige Nachsorge zur frühzeitigen Aufdeckung möglicher Spätschäden wie Malignome nach intrauteriner und postnataler Exposition gegenüber antiret-roviralen Medikamenten indiziert.

Wissen um HIV-Infektion vermeidet vertikale Transmission!

Grundvoraussetzung für die Vermeidung der Mutter-Kind-Transmission von HIV1 ist das Wissen um die HIV1-Infektion der Schwangeren. Daher ist in den Mutterschaftsrichtlinien zu Beginn der Schwangerschaft ein HIV1-Test nach Aufklärung und Einwilligung für alle Schwangeren empfohlen. In Deutschland ist (entgegen der Empfehlung zur Testung aller Schwangeren in den Mutterschaftsrichtlinien) die nicht erfolgte HIV1-Testung in der Frühschwangerschaft das Hauptproblem bei der Verhinderung der Mutter-Kind-Transmission. Das Robert Koch-Institut geht von einer Testungsrate von nur 30-70% in Deutschland aus. Selbst Schwangere mit hohem Risiko einer HIV1-Infektion wie Herkunft aus Hochrisikoländern, ehemalige oder derzeitige i.v. Drogengebraucherinnen werden häufig nicht auf HIV1 getestet. Im Gegensatz dazu, nehmen die meisten Schwangeren an, der HIV-Test erfolge automatisch mit der Blutentnahme für Infektionskrankheiten (Lues, Röteln etc.). Ihnen ist nicht bekannt, dass sie für die HIV-Testung gesondert aufgeklärt werden müssen. Eine seit 2008 eingeführte Spalte im Mutterpass über die Aufklärung zum HIV-Test soll dieses Missverständnis beheben und sowohl die Schwangere als auch den Gynäkologen an die HIV-Testung erinnern.

Ein weiterer Grund für unnötige vertikale HIV1-Transmissionen bei Neugeborenen ist, dass Frauen- und Kinderärzte bei HIV1-positiv getesteten Schwangeren die Prophylaxe- und Therapieleitlinien nicht beachten. Daher sollte die Notwendigkeit einer generellen HIV1-Testung aller Schwangeren - nach ausführlicher Aufklärung und Einwilligung - und die speziellen Erfordernisse in der Betreuung von HIV1-positiven Schwangeren und ihren Neugeborenen stärker als bisher in die Weiterbildung von Frauen- und Kinderärzten einfließen!!

Müssen Kinder bei HIV-Diagnose eines Elternteils getestet werden?

Im Rahmen des alltäglichen Zusammenlebens mit HIV1-positiven Menschen in der Familie, im Kindergarten und in der Schule ist bisher kein Fall von Ansteckung mit HIV1 publiziert worden. Entsprechend ist bei der HIV-Diagnose beider Elternteile oder der Mutter nur eine Mutter-Kind-Transmission von HIV1 möglich. Eine Ansteckung während des normalen Familienlebens kann, soweit kein "Blut-zu-Blut-Kontakt" stattgefunden hat, ausgeschlossen werden.

Ist bisher nur der Vater HIV-positiv getestet worden, sollte baldmöglichst der HIV1-Status der Mutter ermittelt werden. Ist sie HIV1-negativ, kann sie ihr Kind nicht während der Schwangerschaft, während der Geburt und durch Stillen angesteckt haben. Daher kann dem Kind (bzw. den Kindern) die HIV-Testung erspart werden.

Ebenso muss bei den Kindern keine HIV-Testung vorgenommen werden, wenn die Mutter den Infektionszeitpunkt sicher weiß und das Infektionsereignis sicher nach der Geburt und der Stillzeit ihres Kindes bzw. ihrer Kinder liegt.

Im Gegensatz dazu sollten alle Kinder auf HIV1 getestet werden, bei denen eine HIV1-Infektion der Mutter in der Schwangerschaft, während der Geburt und in der Stillzeit vorlag oder nichtsicher auszuschließen ist. Auch Mütter, die während der Schwangerschaft HIV1-negativ getestet wurden, können sich nach der Testung (z.B. am Ende der Schwangerschaft) oder während der Stillzeit HIV1-infiziert und so ihr Kind angesteckt haben.

DIAGNOSE ODER AUSSCHLUSS: PCR ERST AB 3. LEBENSMONAT ZUVERLÄSSIG

Ab der 30. SSW werden alle IgG-Antikörper von der Mutter transplazentar auf das Ungeborene übertragen. Durch diesen sogenannten "Nestschutz" ist das Neugeborene, bis zur Elimination dieser IgG-Antikörper im ersten Lebensjahr, vor gängigen Infektionskrankheiten geschützt, soweit sich das Immunsystem der Mutter damit auseinandergesetzt und eine IgG-Antwort gebildet hat.

Entsprechend werden bei einer HIV1-positiven Schwangeren auch IgG-Antikörper gegen HIV1 von der Mutter auf das Ungeborene übertragen. Da der gängige HIV1-Test ein Antikörpertest ist, sind bis zur Elimination der mütterlichen Antikörper, im Alter von 18-24 Monaten, alle, d.h. auch die nicht HIV1-infizierten, Kinder HIV1-positiver Mütter serologisch HIV1-positiv. Der Nachweis von HIV1 kann daher in den ersten beiden Lebensjahren nur direkt durch Nachweis von HIV1-Nukleinsäuren mittels HIV1-PCR erfolgen. Alle positiven HIV1-Testergebnisse müssen durch eine zweite Blutprobe bestätigt werden.

Leider ist die HIV-PCR in den ersten drei Lebensmonaten nicht 100% sensitiv. Entsprechend sind bis zum dritten Lebensmonat falsch negative HIV1-PCR-Ergebnisse bei HIV1-positiven Kindern möglich. Daher werden in nationalen und internationalen Richtlinien bei Kindern HIV1-positiver Mütter zwei negative HIV1-PCR zum Ausschluss einer HIV1-Infektion gefordert. Die erste negative HIV1-PCR sollte bis zum drittem Lebensmonat, die andere danach erfolgen.

Ab dem dritten Lebensjahr kann bei Kindern der "übliche" Antikörpertest verwendet werden. Persistieren die HIV1-Antikörper bei dem HIV1-exponierten Kind nach den ersten beiden Lebensjahren, so muss eine HIV1-Infektion angenommen werden. Definitionsgemäß gelten HIV1-exponierte Kinder ab dem dritten Lebensjahr nach einem komplett negativen HIV1-Westernblot bei normwertigen Immunglobulinkonzentrationen als HIV1-negativ. Der HIV1-Westernblot ist nur bei normalen Immunglobulinen aussagekräftig, da er bei Hypogammaglobulinämie/Antikörpermangel falsch negativ sein kann.

International wird empfohlen, auch bei mehrfach negativer HIV1-PCR bei HIV1-exponierten Neugeborenen das Verschwinden der diaplazentar übertragenen, mütterlichen HIV1-Antikörper am Ende des zweiten Lebensjahres im HIV1-Westernblot zu kontrollieren.

KINDER MIT NADELSTICHVERLETZUNGEN AN FIXERNADELN

Sehr selten ist die Betreuung von Kindern, die sich durch Verletzung an einer weggeworfenen Fixernadel eventuell an HIV1 oder anderen Erkrankungen wie Hepatitis B und C, Lues, Tetanus etc. exponiert haben. Um das Übertragungsrisiko von HIV1 in diesem Sonderfall einschätzen zu können, sollte man folgende Sachverhalte kennen:

  • Nur ca. 10-15% der i.v.-Drogengebraucher in Deutschland sind HIV1-infiziert.
  • Nach vier Stunden außerhalb des menschlichen Körpers ist HIV1 nicht mehr infektiös.
  • Selbst bei noch infektiösem HIV1 in der weggeworfenen Spritze ist bei einer intravenös HIV1-kontaminierten Nadel nur eine von 60 Stichverletzungen ansteckend.

Aufgrund des Zusammentreffens dieser die HIV1-Übertragung sehr limitierenden Faktoren ist in den letzten 25 Jahren (!) niemand durch Verletzung an weggeworfenen Fixernadeln mit HIV1 infiziert worden. Wegen dieses nur sehr geringen Risikos ist in den Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur Postexpositionsprophylaxe in diesem Sonderfall keine Postexpositionsprophylaxe empfohlen! Natürlich müssen bei einem solchen Ereignis sowohl der Tetanus- als auch der Hepatitis-B-Impfstatus überprüft und ggf. nachgeimpft werden. Auch sollten zum Zeitpunkt der Verletzung, nach drei und zwölf Monaten der Serostatus von Hepatitis B und C, HIV1 und Lues kontrolliert werden. Ausnahme: Sticht sich ein Kind an einer Fixernadel eines bekannt HIV1-positiven Drogengebrauchers, erfolgt wie bei einer Stichverletzung bei einer Blutentnahme bei einem HIV1-Positiven im Krankenhaus selbstverständlich eine HIV1-Postexpositionsprophylaxe des Kindes.

Buchholz B, Grubert T, Marcus U et al. German-Austrian recommendations for HIV1-therapy in pregnancy - Update 2008. Eur J Med Res 2008 (zur Publikation angenommen). Aktuellste Internetversion unter: http://www.awmf-online.de (Leitliniendatenbank; Buchstabe "A" unter "AIDS": "HIV1-Therapie in der Schwangerschaft")

Buchholz B. Betreuung von HIV1-exponierten und HIV1-positiven Kindern. In: HIV1-Arbeitskreis Südwest (Hrsg). HIV und AIDS - Ein Leitfaden für Ärzte, Apotheker, Helfer und Betroffene. Berlin: Springer Verlag, 5. Auflage 2003: 134-155. Regelmäßig aktualisierte Internet-Version unter: http://www.hivinfo.de dort "HIV/AIDS-Leitfaden" unter "HIV1-Infektion bei Kindern".

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