Leserbriefe

Ausgabe 2-2012zum Heft „Transsexualität” Ausgabe 2/2012

Wir sind lesbisch

Sophinette Becker stellt in ihrem Essay nur eine Verlaufsform der auf Frauen orientierten Mann-zur-Frau-Transsexualität vor und lässt andere vollkommen unberücksichtigt.

Bei den Frau-zum-Mann-Transsexuellen berichtet sie, dass die Anzahl sich  als schwul verstehender Transsexueller stetig zunimmt, während sie es bei den Mann-zu-Frau-Transsexuellen  tunlichst vermeidet, von sich als lesbisch verstehenden Transsexuellen zu sprechen.

Offensichtlich geht sie davon aus, dass die auf Frauen orientierten Mann-zu-Frau-Transsexuellen sämtlich eine männlich-heterosexuelle Identität entwickelt haben, die sie dann in ihr neues Leben mitnehmen. Deshalb empfiehlt sie – unzulässig verallgemeinernd –für diesen Personenkreis nur eine Lösung zwischen den Geschlechtern (nur Hormonbehandlung und Epilation), und gibt, auch für andere TherapeutInnen, die Erhaltung des männlichen Geschlechtsteils als therapeutisches Ziel vor.

Ganz besonders schlimm ist die psychiatrische Etikettierung dieser Personengruppe (Perversion, Paraphilie, Masochismus, transvestitischer Fetischismus; sowohl in der tabellarischen Übersicht als auch im Text). Hier spielen ganz offensichtlich gesellschaftliche Wertungen jedenfalls eine unbewusste Rolle. Wenn Frauen ein Mann werden wollen, ist das verständlich (gesellschaftlicher Aufstieg). Wenn dagegen ein Mann eine Frau werden will,  der auch noch auf Frauen orientiert ist, dann kann der nur verrückt oder pervers sein.     

Seit 35 Jahren bin ich Frau. Lesbisch empfinde ich seit meinem 13. Lebensjahr. Eine männlich-heterosexuelle Identität habe ich nie entwickelt, geschweige denn gelebt.

Ein Dreivierteljahr nach meiner geschlechtsumwandelnden Operation habe ich meine Frau fürs Leben kennen gelernt, und wir sind jetzt 34 Jahre zusammen. 2001 haben wir unsere Lebenspartnerschaft eintragen lassen.

Auf mich trifft absolut nichts zu, was Sophinette Becker über Mann-zur-Frau-Transsexuelle schreibt, auch nicht ansatzweise. Auf viele andere  gewordene lesbische Frauen auch nicht.

So konnte bei mir von einem late-onset nicht die Rede sein. Ich war mir bereits mit 18 Jahren hundertprozentig sicher, eigentlich eine lesbische Frau zu sein/sein zu wollen. Die Zeitläufe (1967 folgende) ließen eine damalige Realisierung nicht zu; ich war ja nicht einmal volljährig.

Acht bis zehn Jahre später habe ich dann meinen Weg gehen können und dann auch andere lesbische Mann-zur-Frau-Transsexuelle kennen gelernt, die sich wie ich in einem Alter von 18-20 Jahren absolut sicher waren und, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, zum Glück ihren Weg auch in diesen jungen Jahren gehen konnten. Meine 1982 erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen das Mindestalter von 25 Jahren im Transsexuellengesetz für die rechtliche Zuordnung zum neuen Geschlecht war hier sehr hilfreich. 

Bisher hatte ich Frau Dr. Becker als kompetente Ansprechpartnerin in Sachen Transsexualität kennen gelernt. Um so erschrockener war ich über diesen einseitigen und diskriminierenden Beitrag.

 

Medizinische Pathologisierung

vielen Dank für Ihre Spezialausgabe zu „Transsexualität“. Ich denke für viele ist es wichtig, sich auch über medizinische Aspekte von Trans* zu informieren, inkl. was bei den geschlechtsangleichenden Operationen eigentlich passiert. Allerdings verhilft die unkritische, ungerahmte Übernahme rein medizinischer Artikel und Machbarkeitsversprechen dem gesellschaftlichen Mythos der „Umwandlung“ - gestern noch Mann heute Frau - schaut mal was Ärzte/Ärztinnen heute so alles können - zu einer noch dominanteren Position als es ohnehin schon der Fall ist. Für trans* Menschen wäre es aber wichtiger, ihre geschlechtliches Selbstbestimmungsfähigkeit und -recht und zwar ganz unabhängig von medizinischen Diagnosen und/oder Eingriffen respektiert zu sehen. Und, dass die Gesellschaft begreift, dass es ein inneres Empfinden und ein durchaus auch längerer Prozess der Transition ist, der zudem nicht zwangsläufig von A nach B, also von Mann zu Frau oder umgekehrt führen muss, sondern dass es durchaus auch eine Vielfalt an geschlechtlichen Zwischenidentitäten gibt. Das alles habe ich in Ihrem Heft vermisst. Sicherlich sind medizinische Unterstützungsleistungen, von Hormongaben bis OPs, von vielen trans* Menschen gewünscht und zu Recht von unserem Gesundheitssystem finanziert, dennoch sollte man den Diskurs zu Trans* nicht wieder Psychiater_innen oder Chirurg_innen überlassen, sondern endlich trans* Menschen selbst zu Wort kommen lassen. Denn nur sie selbst wissen, wie es in ihnen aussieht und wie sie sich fühlen.

Insbesondere sollte man auch darauf verzichten Mediziner_innen wiederum die Deutungshoheit über die Trans* Debatte zu überlassen, und das haben die Beiträge in Ihrem Heft leider negativ verdeutlicht, weil sie nicht in der Lage sind, sich von einem binären Geschlechtsverständnis zu lösen, weil sie Trans* Menschen als das „Abweichende“ von Mann/Frau begreifen, und weil sie diese „Abweichung“ einer „psychischen Störung“ gleichsetzen, die in der (fremdbestimmten) Diagnose „Transsexualität“ mündet, damit pathologisierend, stigmatisierend ist und trans* Menschen ihr Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung abspricht. Allein mit der Wahl des Hefttitels „Transsexualität“ haben auch Sie leider dazu beigetragen. Die Diagnose „Transsexualität“ ist zudem an standardisierte „Behandlungsverfahren“ verknüpft, inkl. Zwang zu Psychotherapien, die nicht immer im Interesse der betreffenden trans* Menschen sind oder von ihnen gewollt werden. Ich gebe zu bedenken, dass viele in Ihrem Heft publizierende als Psycholog_innen, Psychiater_innen etc. auch therapeutisch tätig sind, und sie durchaus ein Interesse daran haben, Trans* Menschen weiterhin als abnormal und behandlungsbedürftig darzustellen. So wird sich der Trans* Diskurs nie im Sinne der sogenannten „Betroffenen“ hin zu identitärer Selbstbestimmung, Vielfalt von trans* Selbstverständnissen und (auch körperlichen) Lebensformen sowie zu Entpathologisierung und flexibler, freier Wahl der individuell sinnvollen und gewünschten medizinischen Behandlungen (bei gleichbleibender Kostenübernahme) verändern.

Ein weniger medizinisch als diskriminierungsorientierter Schwerpunkt Ihres Heftes wäre zudem gerade aus der HIV Perspektive besser und informativer gewesen, da soziale Verhältnisse auch HIV/AIDS Risikoverhalten beeinflussen. Hier hätte es sich auch angeboten, die Rolle und ggf. diskriminierende Auswirkung der medizinischen Pathologisierung auf die psycho-soziale Gesundheit von trans* Menschen zu untersuchen. Oder welche Bereitschaft bei trans* Menschen überhaupt besteht zu Ärzten/Ärztinnen zu gehen, ihnen Intimstes anzuvertrauen, wenn sie medizinische Fachkräfte als restriktive „Gatekeeper“ mit mangelndem Verständnis für komplexe Selbstverständnisse erlebt haben? Das alles ist unmittelbar wichtig im Hinblick auf HIV Aufklärung und Testing. Wenn Sie schon nach einen medizinischen Schwerpunkt suchen, hätte ich persönlich mir mehr Information zu trans* Körperlichkeiten und HIV gewünscht, da das ein sehr unterforschter Bereich ist (Übertragungswege/-risiko bei Neogenitalien? Wechselwirkungen zwischen HIV/Kombi- und Hormontherapien? Alles ungeklärte Fragen). Das und mehr hatte ich jedenfalls als Schwerpunkt erwartet, als ich mich bereit erklärte als Autor zu diesem Heft beizutragen.


Vermisse frühe Frauenbezogenheit

Seit 1978 befasse ich mich in meiner Beratungspraxis mit vorwiegend transsexuellem Klientel, in der ich schon Tausende Menschen mit Geschlechtsidentitätsstörung empfangen, psychologisch begleitet und mehrere Hundert nach dem Transsexuellengesetz begutachtet habe.

Froh bin ich über die ausführliche, dezidierte und reflektierte Ausführung von Frau Dr. Sophinette Becker. Sie birgt jedoch meiner Erfahrung nach einen Schwachpunkt in sich. In ihrer Abhandlung kommen selbstredend u. a. MF-Transsexuelle (late-onset) vor, die frauenorientiert sind und als gynäphil bezeichnet werden. Besonders bevor sie sich im Rahmen der weiblichen Identität stabilisierten, wiesen  sie transvestitische/fetischistische Neigungen auf, mit denen meistens Masochismus, Perversitäten und Paraphilien einhergingen. Vermisst habe ich jedoch in den Ausführungen die Berücksichtigung der MF-Transsexuellen (early-onset), bei denen sich im früheren Alter Frauenbezogenheit manifestiert hat und die in lesbischen Beziehungen leben - zumindest aber haben sie es versucht und sind lediglich daran gescheitert, indem sie in lesbischen Kreisen keinen entsprechenden Anschluss gefunden haben. (Gelegentlich erfuhr ich jedoch später – manchmal nach Jahren– durch sie selbst oder über Dritte, dass es ihnen inzwischen doch gelungen ist, eine Lebenspartnerin zu finden und sie sich tlw. verpartnern ließen.)

 

Intersexualität nicht berücksichtigt

Es gibt unterschiedliche Ausprägungen von Zwittrigkeit. Manche fallen äußerlich auf, andere sind äußerlich unauffällig, sogenannte nichtklassische Formen von Intersexualität. Die fallen auf, wenn sie wegen Kinderlosigkeit zur Reproduktionsmedizin gehen, oder die Bereiche des Gehirns in denen während der Schwangerschaft die (sexuelle) Geschlechtsidentität festgelegt wird, ihr Recht einfordern.

Tatsächlich ist in der Wissenschaft lange bekannt, dass sich hinter vermeintlicher Transsexualität Intersexualität verbirgt:

- Zwischen der 13. und 15. Schwangerschaftswoche entsteht mit dem männlich geprägten Nucleus praeopticus medialis im Hypothalamus ein ausschließlich auf Frauen fixiertes Partnerprogramm,

- reicht die Testosteronkonzentration in der 15. Woche nicht aus, um die Anlage des weiblichen Nucleus ventromedialis zu unterdrücken, fühlt sich der oder die Betreffende zu Männern hingezogen,

- ln der 23. Woche wird der Nucleus dorsomedialis je nach Testosteronspiegel männlich oder weiblich geprägt. Damit hat der oder die Betroffene von sich ein männliches oder weibliches »Bild«,“

Dass solche wissenschaftlichen Erkenntnisse der Medizin geläufig sind, zeigt auch folgendes Zitat:

„Morphologische und funktionelle Studien sowie psychologische Untersuchungen dokumentieren konstant geschlechtsdifferente Verhaltens- und Reaktionsweisen, die rechtfertigen, von Geschlechtsspezifität zu sprechen. U. a. bildgebende Studien aus medizinischen Forschungszweigen legen nahe, dass diese Unterschiede nicht durch Sozialisation oder psychologische Faktoren zu erklären sind, sondern eine im weitesten Sinne biologische Verankerung aufweisen. In dieser Arbeit werden entsprechende Ergebnisse v.a. aus neuroradiologischen Untersuchungen vorgestellt (vgl. Kap. 3).“

 

Krause, Eva Renate: Geschlechtsspezifische Differenzen der Hirnaktivität in der fMRT bei Normalprobanden im Vergleich mit transsexuellen Probanden. Diss. Universität Duisburg-Essen, 2007, Seite 6

Das was Sophinette Becker hier propagiert, ist, wie die Forderung nach einem Alltagstest beweist, psychiatrisch-ordnungspolitischer Natur und nicht medizinisch begründet. Selbstverständlich ist dieses Vorgehen nicht valide und führt – abgesehen von der von vornherein falschen Diagnose Transsexualität statt Intersexualität– wie die Begutachtungsmarathons Betroffener beweisen, zu massiven Fehldiagnosen. Das zuverlässigste diagnostische Kriterium ist die Selbsteinschätzung der Betroffenen ob sie lieber Mann oder Frau oder etwas irgendwo dazwischen sein wollen.

 

Zur Hormontherapie

Zitate aus dem Beitrag:

„Unabdingbare Voraussetzung zur Einleitung einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie ist das Vorliegen einer positiven schriftlichen Stellungnahme des behandelnden Psychiaters bzw. Psychotherapeuten. Eine psychotherapeutische Begleitung über mindestens 6-12 Monate, ein sogenannter Alltagstest („Real-life-Experience“) im gewünschten Geschlecht von mindestens 3-6 Monaten Dauer und eine realistische Einschätzung der somatischen Auswirkungen und der sozialen Folgen der gegengeschlechtlichen Hormontherapie werden für eine solche positive Indikation gefordert [Transsexuellengesetz].“

 Das Transsexuellengesetz regelt nur die Fragen des juristischen Namens und Geschlechts, jedoch nicht Fragen der medizinischen Behandlung.

Wissenschaftlich ist gesichert, dass die Diagnose „Transsexualität“ in jedem Fall eine Fehldiagnose ist, in Wirklichkeit Intersexualität vorliegt. Sogenannte „psychotherapeutische Begleitung“, „Alltagstest“ und soziale Einschätzungen haben keinerlei Aussagekraft bezüglich der Geschlechtsidentität – um die geht es doch letztlich – oder?

„Da die Diagnose Transsexualität eine Geschlechtsidentitätsstörung auf dem Boden einer echten Intersexualität explizit ausschließt, wird vor Beginn der Therapie zum Ausschluss chromosomaler Aberrationen eine humangenetische zytogenetische Untersuchung (Karyogramm) gefordert. Inapparente strukturelle und numerische Aberrationen sind bei Transsexuellen wie in der Allgemeinbevölkerung Zufallsbefunde und stellen die Diagnose Transsexualität nicht in Frage.“

Chromosomen-Abberationen spielen bei Intersexualität generell eine untergeordnete Rolle und kommen nur bei wenigen Fällen wie dem KlinefelterSyndron oder dem TurnerSyndrom vor. Tatsächlich sind in den meisten Fällen von Intersexualität die Chromosomen in Ordnung. Die häufigsten Ursachen von Intersexualität sind Stoffwechselstörungen bei denen Hormone umgewandelt werden, so dass es zu unphysiologischen Hormonspiegeln kommt und damit zu entsprechenden Vermännlichungen oder Verweiblichungen – auch im Gehirn. Beispiele sind 21-Hydroxylasestörung, 3beta-Hydroxysteroiddehydrogenasedefizienzen, 5AlphaReduktaseStörung. Weiter liegen häufig Rezeptordefekte vor wie beim Androgenresistenzsyndrom.

„Eine Bestimmung des aktuellen Hormonstatus sollte vor Beginn einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie erfolgen, um etwaige Störungen zu erfassen.“

Diese einfachen Hormonstatusbestimmungen zeigen die für die vermeintliche „Transsexualität“ ursächlichen Stoffwechselstörungen in der Regel nicht an. Vielmehr müssen dazu mit dem ACTH-Test die Hormonvorstufen stimuliert werden und dann sieht man bei etwa 67% der für „transsexuell“ erklärten Personen genau jene für das AGS typischen Stoffwechselstörungen.

Auch die genannten absoluten Kontraindikationen sind zum Teil ohne Grundlage.

Non-Compliance ist eine Indikation gegen den Arzt, der offensichtlich nicht in der Lage ist, den Patienten auf Augenhöhe zu respektieren. Der maßt sich Verfügungsgewalt über den Körper des Patienten an, spielt sich als Polizei und Gefängniswärter des therapeutischen Staats auf und hat noch nicht verstanden, dass nur einer über die Behandlung zu bestimmen hat: Der Patient.

Wichtig ist, und das bleibt unerwähnt, dass es durch Östrogene über die Leber zur stärkeren Bildung von Blutgerinnungsfaktoren kommt und somit das Thromboserisiko erhöht wird. Das ist aber keine absolute Kontraindikation sondern dosisabhängig. Zur Frage des ThromboseRisikos sind entsprechende Laborwerte zu erheben, wie z.B. Antithrombin III, G20210A-Mutation, Plasminogenmangel.



Liebe Leser, Danke für Ihre Zuschriften. Leider können wir aus Platzgründen nicht alle Briefe veröffentlichen.


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