Richard Kamm, München
Update Suchtmedizin Neue Optionen in der Substitution

Zu Substitution stehen heute zahlreiche Substanzen und Darreichungsformen zur Verfügung. In den letzten Jahren sind insbesondere retardierte Präparate hinzu gekommen, so dass mittlerweile eine auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Substitution möglich ist.

Abb 1 Beigebrauchskontrolle Die gängigste Methode
      zur Kontrolle des Beige- brauchs ist noch immer die Urinkontrolle (UK) die unter Sicht (S-UK) durchgeführt wird. Den
      Urin kann man entweder mittels Drogenschnelltest in der Praxis selbst auswerten oder ins Labor einschicken.
Abb 1 Beigebrauchskontrolle Die gängigste Methode zur Kontrolle des Beige- brauchs ist noch immer die Urinkontrolle (UK) die unter Sicht (S-UK) durchgeführt wird. Den Urin kann man entweder mittels Drogenschnelltest in der Praxis selbst auswerten oder ins Labor einschicken.


Abb 2 Vergabe von retardiertem Morphin in der
      Praxis Da die Kapseln keine pharmakologische Wirkung haben, kann man die Kapseln öffnen und die Wirkstoffpellets zur
      Vergabe in einen Becher geben, Wasser wird nachgetrunken.Vergabe von retardiertem Morphin in der Praxis

Abb 2 Vergabe von retardiertem Morphin in der Praxis
Da die Kapseln keine pharmakologische Wirkung
haben, kann man die Kapseln öffnen und die
Wirkstoffpellets zur Vergabe in einen Becher geben,
Wasser wird nachgetrunken.

Zu Beginn der 90er Jahre konnte sich die Substitution zur Behandlung Opiatabhängiger etablieren. Seit der Ära von DHC (Dihydrocodein) und Methadon sind neue Substanzen und Darreichungsformen zur Substitution der Opiat- bzw. Opioidabhängigkeit1 hinzu gekommen. Zum einen sollen sie die Anwendung sicherer machen, zum
anderen soll die reguläre Einnahme besser kontrollierbar sein und natürlich sollen die Substanzen auch auf Patientenseite einige Bedingungen erfüllen: Die Wirkung soll ausreichend lange anhalten und das „Craving“ unterdrücken, wenige Neben- und Wechselwirkungen haben und somatische Erkrankungen nicht aggravieren.

SROM

Retardierte Morphine (SROMslow release oral morphine) oral eingenommen wurden in Deutschland erstmals im Rahmen einer Nachzulassungsstudie für Österreich angewandt. Seit April 2015 sind sie auch in Deutschland als Morphinsulfat zur Substitution zugelassen. Morphin ist der aktive Metabolit des Heroins (Diamorphin) und stellt somit in der retardierten Form eine gute Alternative zur Diamorphinsubstitution dar.2

Retardiertes Morphin als Vollagonist an den Opioidrezeptoren wird nicht über CYP 450 metabolisiert, führt zu keiner nennenswerten Verlängerung der QTc Zeit und die Wirkdauer ist bei einer Halbwertzeit 16 +- 5 Stunden über 24 Stunden hinaus.

Das in Deutschland zugelassene Präparat (Substitol®) wird in Kapseln zu 200 mg, 100 mg, 60 mg und 30 mg vertrieben. Die Kapseln haben keine pharmakologische Bedeutung, weshalb es in der Praxis auch ohne Kapsel eingenommen werden kann (Abb. 1). Die Tageshöchstdosis liegt bei 800 mg.3

Patienten* berichten, dass sie weniger Verlangen nach Heroin („Craving“) haben und dass sie nicht mehr unter Schwitzen leiden. Diese vor allem bei Methadon, aber auch L-Polamidon auftretende Nebenwirkung kann die Lebensqualität der Substituierten sehr stark einschränken.

In der gängigen 5fach-Teststreifen-Urinkontrolle (Abb. 2) ist der Test positiv auf Opiate, weshalb man zur Unterscheidung zwischen einer regulären Einnahme und Heroinbeigebrauch andere Untersuchungen benötigt.4

In Deutschland wird Substitol® nur von Mundipharm vertrieben. In den letzten Monaten kam es zu einem erheblichen Lieferengpass, dessen Ende zum derzeitigen Zeitpunkt nicht absehbar ist. In Abstimmung mit den Behörden und regionalen Krankenkassen kann dieser mit einem aus Österreich5 importierten Präparat überbrückt werden.

Buprenorphin

Buprenorphin zur Substitution wurde erstmals im Jahr 2000 in Frankreich und 2001 in Deutschland zugelassen. Neu war nicht nur die Darreichungsform als Sublingualtablette, sondern vor allem der agonistische/partiell antagonistische Wirkungsmechanismus an den Opiatrezeptoren. Die hohe Affinität zu den Opiatrezeptoren bietet einen gewissen Schutz vor Opiatbeigebrauch.

Zu Beginn standen Sublingualtabletten (Subutex®, Generika) mit 8 mg, 2 mg und 0,4 mg Buprenorphin zur Verfügung. Bedingt durch die lange Wirkdauer von bis zu 72 Stunden ist eine alternierende Vergabe6 möglich.

Entzugs-
symptome
Symptome
bei Überdosierung
Frieren Wärmegefühl
Zittern Müdigkeit
Körperschmerzen Schläfrigkeit
Gähnen Miosis
Niesen Stark verminderte
Atemfrequenz
Diarrhoe Atemdepression
Erbrechen
Mydriasis
Unzufriedenheit
Angst
Reizbarkeit

Tab 1 Gegenüberstellung der Symptome beim
Opiatentzug und bei Opiatüberdosierung

Während Vollagonisten problemlos austauschbar sind, bedarf es bei der Umstellung auf Buprenorphin einer Vorausplanung. Wurde der Patient zuvor beispielsweise mit L-Polamidon substituiert, sollte vor der Umstellung die Tagesdosis auf 2-3 ml reduziert worden sein. Der Patient sollte zu Beginn der Behandlung mit Buprenorphin einen ausreichenden zeitlichen Abstand zur letzten Einnahme des Agonisten (Heroin, Methadon, etc.) einhalten, sodass sich erste Symptome des Opiatentzugs einstellen (Tab. 1). Erst dann kann man mit einer Probedosis beginnen7 und den Patienten nachbeobachten. Geht es dem Patienten besser oder zeigt sich keine Wirkung kann man weiteraufdosieren bis in den nächsten Tagen die richtige Tagesdosis gefunden ist. Sollte es dem Patienten schlechter gehen muss man überlegen, ob zu früh mit der Umstellung begonnen wurde. Schlimmstenfalls muss man wieder auf einen Agonisten umstellen.

Mit Buprenorphin fühlen sich die Patienten häufig deutlich klarer, weshalb es vor allem für Patienten geeignet ist, die keine Dämpfung mehr benötigen und einen klaren Kopf für Schule, Studium oder Beruf benötigen.

Buprenorphin mit Naloxon

Um die Substitution mit Buprenorphin missbrauchssicherer zu machen, d.h. um den intravenösen Konsum unattraktiver zu machen, wurde eine Sublingualform aus der Kombination Buprenorphin/Naloxon (Subuxone®, Generika) entwickelt, die seit März 2007 in Deutschland zugelassen ist.

Die Idee dahinter: Bei regelhafter sublingualer Anwendung unterliegt das Naloxon einem first pass Effekt in der Leber, wodurch es keinen Effekt auf die Wirkung des Buprenorphin am Rezeptor hat. Missbräuchlich intravenös angewandtes Naloxon umgeht die Leber, hat eine deutlich höhere Affinität am Opiatrezeptor als Buprenorphin und kann so zum forcierten Entzug (Tab. 2) führen.

Agonisten Partieller
Agonist /
Antagonist
Anta-
gonist
Heroin Buprenorphin Naloxon
Morphin

Sroms

Methadon

L-Polamidon

DHC

Tab 2 Darstellung der Agonisten und Antago-
nisten am Opioidrezeptor

Die Dosierungen sind denen der sublingualen Buprenorphin-Tabletten zur Substitution entsprechend: 8 mg/
2 mg, 2 mg/0,5 mg Buprenorphin plus Naloxon8 , die 0,4 mg Tablette enthält auch hier nur Buprenorphin.

Bei der Umstellung von einem Vollagonisten gelten die gleichen Bedingungen wie bei Buprenorphin. Ein Wechsel zwischen einem Buprenorphinpräparat und einem Buprenorphin/Naloxon-Präparat ist im Prinzip problemlos möglich.

Buprenorphin/Naloxon als Film

Der in den USA schon länger zugelassene Buprenorphin/Naloxon-Film (Subuxone® Sublingualfilm) ist seit März 2021 nun auch zur Substitution in Deutschland verfügbar. Die erhältlichen Dosierungen sind 12 mg/3 mg, 8 mg/2 mg, 2 mg/0,5 mg.9

Der Film wird dem Blister entnommen und sublingual oder bukkal an die Schleimhaut geheftet. Nach spätestens 30 Sekunden ist der Film nicht mehr ablösbar. Somit entfällt der lange Zeitraum, den die Sublingualtablette benötigt bis sie komplett aufgelöst und resorbiert wurde. Somit ist auch der Zeitraum der Nachbeobachtung bei täglicher Vergabe in der Praxis verkürzt.

Bupenorphin als subkutanes Depotpräparat

Tägliche
Dosis sub-
linguales
Buprenorphin
Wöchent-
liche Dosis
subkutanes
Buprenorphin
Monatliche
Dosis sub-
kutanes
Buprenorphin
2-6 mg 8 mg
8-10 mg 16 mg 64 mg
12-16 mg 24 mg 96 mg
18-24 mg 32 mg 128 mg

Tab 3 Übersicht bei welcher Tagesdosis sublinguales Bup-renorphin welche Wochen- bzw 4 Wochen-Dosis subkutanesBuprenorphin eine entsprechende Wirkung erwarten lässt

Das erste subkutan injizierbare Buprenorphin-Depotpräparat (Buvidal®) hat im November 2018 die EU-Zulassung erhalten. Die Injektionslösung10 befindet sich in einer Fertigsicherheitsspritze mit jeweils einer Dosis (Abb. 3). Es kann wöchentlich oder vierwöchentlich verabreicht werden. Die Dosiermöglichkeiten und Umrechnung von täglichem Buprenorphin ist in Tabelle 3 dargestellt. Hier ist zu beachten, dass die sublingualen Dosisbereiche nur ungefähr den angegebenen subkutanen Dosierungen entsprechen, d.h. dass man im Laufe der Behandlung
gegebenenfalls nachjustieren muss.

Der Wechsel zwischen sublingualer und wöchentlicher oder auch vierwöchentlicher Vergabe gestaltet sich in der Regel problemlos. Beim Wechsel von einem Vollagonisten sollte man jedoch überlegen, ob ein Zwischenschritt über sublinguales Buprenorphin nicht sinnvoll ist.11 Hat man die sublinguale Tagesdosis sicher gefunden, ist dann auch hier die Umstellung auf Depotspritze einfach.

Sollte es sich gar nicht anders organisieren lassen, kann der Injektionstag auch einen Tag verschoben und ggf. auch einen Tag vorverlegt werden. Sollte die Wirkung nicht über den gesamten Zeitraum ausreichen, kann man laut Fachinformation 8 mg Depot nachspritzen. Es hat sich aber gezeigt, dass man durchaus auch mit zusätzlichem sublingualen Buprenorphin überbrücken kann.

Die Patienten schätzen das Depotpräparat, weil nach jahrelanger – zum Teil jahrzehntelanger – täglicher Einnahme einer Substanz, sei es vom Schwarzmarkt gekauft oder vom Arzt verschrieben, dieser Zyklus durchbrochen wird. Zudem gestaltet sich die Vereinbarkeit von Substitution und Familien- und Berufsleben oft einfacher. Take-Home-Verordnung entfällt. Das Substitut muss nicht mehr sicher zu Hause verwahrt und versteckt werden. Bei Reisen – vor allem in Länder außerhalb des Schengener Raumes – entfällt die Sorge, dass es an der Grenze Probleme mit den mitgeführten Substanzen gibt. Patienten in substitutionsgestützten Therapieeinrichtungen berichten, dass sie von Mitpatienten nicht mehr angesprochen werden, ob sie „etwas zu verkaufen“ hätten. Erste „cleane“ Therapieeinrichtungen planen einen Paradigmenwechsel, da mit einem Depotpräparat keine freien Substanzen im Haus sind. Das Depotpräparat erleichtert auch die Substitution in der JVA12, gerade hier gibt es großen Nachholbedarf.

Praktische Aspekte

Abb 3 Subkutane Injektion des Buprenorphin Depotpräparates Nach Hautdesinfektion wird an üblichen Stellen zur subkutanen Injektion die Fertigspritze langsam injiziert, der Spritzenstempel sollte beim Herausziehen festgehalten werden.
Abb 3 Subkutane Injektion des Buprenorphin Depotpräparates
Nach Hautdesinfektion wird an üblichen Stellen zur subkutanen Injektion die Fertigspritze langsam injiziert, der Spritzenstempel sollte beim Herausziehen festgehalten werden.

Zu beachten ist jedoch, dass die Injektion nur von medizinischem Fachpersonal – meist vom Arzt selbst – durchgeführt werden darf. Deshalb muss man bei der Organisation bedenken, wie die Fertigspritze rechtzeitig zum Injektionstag in die Praxis gelangt. Wie die anderen Substitute auch, wird das Depotpräparat personenbezogen
verschrieben. Da man immer mit einer Behandlungsunterbrechung oder sogar einem Behandlungsabbruch oder einer Dosisänderung rechnen muss, empfiehlt es sich, pro Rezept nur eine Depotspritze zu rezeptieren. Somit fällt, falls der Patient nicht rezeptgebührenbefreit ist, bei jeder Injektion eine Rezeptgebühr an, worüber man den Patienten vor Umstellung informieren sollte.

Bei einer chronischen Erkrankung wie der Opiatabhänigkeit, muss man auch nach längerer Beigebrauchsfreiheit mit Rückfällen rechnen. Schon vor der Umstellung auf das Depotpräparat sollte man deshalb das Procedere mit dem Patienten besprechen, wie man sich bei nachgewiesenem Rückfall bzw. Beigebrauch verhält.

Eine Möglichkeit wäre beispielsweise die Depotspritze auszusetzen und je nach Bedarf vorerst wieder auf sublinguales Buprenorphin umzustellen, hier lässt sich das Take-Home von einem bis sechs Tage variieren bis wieder ausreichende Stabilität erreicht ist.

Résumé

Mit der Weiterentwicklung der Substanzen zur Substitution können wir opiat- und opioidabhängige Patienten immer maßgeschneideter behandeln, was zu einer größeren Zufriedenheit sowohl auf der Seite der Patienten als auch auf der Seite der Behandler führt. Die Änderungen der BTMVV 201713 haben die Behandlung der Patienten entkriminalisiert und das Paradigma der Forderung nach Abstinenz verlassen. Somit ist für die Zukunft zu wünschen, dass deutlich mehr Patienten substituiert werden und vor allem, dass sich mehr Ärzte in das spannende Feld der Substitution wagen.

* im Beitrag wird die männliche Form genutzt, gemeint sind beide Geschlechter


1 Die BTMVV (Betäubungsmittelverschreibungsverordnung) wurde 2017 revidiert, unter anderem wurde der Begriff der Opiatabhängkeit in Opioidabhängigkeit geändert. Somit können auch Patienten die von synthetischen Opioiden wie beispielsweise Tilidin abhängig sind substituiert werden.

2 Die „Heroinsubstitution“ mit synthetisch hergestelltem Diamorphin hat in Deutschland sehr hohe Hürden, zudem muss es von den Patienten intravenös gespritzt werden. Sie bleibt damit speziellen Praxen und Ambulanzen vorbehalten.

3 Jede höhere Dosierung muss auf einem Take-home -Rezept mit einem -A- für Ausnahme gekennzeichnet werden.

4 Im Speicheltest: hier werden die Opiatfraktionen aufgeschlüsselt. Zusätzlicher 6-Monoacetylmorphin (6-MAM)-Teststreifen: im Urin ist 6-MAM nur relativ kurz nachweisbar.

5 Das österreichische Präparat besteht aus Morphinhydrochlorid in nahezu identischer Wirkstärke. Darf in der Apotheke aber nicht ausgeeinzelt werden, was Take-home-Verordnungen erschwert.

6 Alternierende Vergabe heißt, dass die doppelte Tagesdosis jeden zweiten, die dreifache Tagesdosis jeden dritten Tag eingenommen werden kann.

7 Empfohlen sind hier 2-4 mg.

8 Entspricht einem Verhältnis Buprenorphin : Naloxon = 4 : 1.

9 Entsprechend dem Verhältnis der Sublingualtablette Buprenorphin : Naloxon = 4 : 1.

10 Eine neu entwickelte Technologie ermöglicht es die Resorption aus dem Subkutangewebe zu verzögern, indem die Injektionslösung mit dem Wasser aus dem Körpergewebe ein Depot bildet das sukzessive resorbiert wird.

11 Wie bei der Umstellung vom Vollagonisten auf Buprenorphin beschrieben.

12Justiz Vollzugs Anstalt

13 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung

Ausgabe 4 - 2021Back

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