DR. ALBRECHT ULMER, STUTTGART
Klaviergeschichten - das Klavier im Sprechzimmer

Ein paar Minuten Klavier spielen helfen, die ganze Wucht und Tiefe der vielen Menschenschicksale, mit denen man in der Praxis eingehend konfrontiert wird, zu verarbeiten. Leider ist das während der Sprechstunde nicht immer möglich, vor allem dann nicht, wenn viele Patienten im Wartezimmer schon längere Zeit sitzen.

Aber auch für das Gespräch mit den Patienten und die Behandlung ist ein Klavier im Sprechzimmer eine gute Ergänzung. So leiden Suchtpatienten oft heftig unter ihren Rückfällen, was manchmal mit Worten kaum abzufangen ist. Musik kann dagegen Spannungen abbauen und Verzweiflung mildern, so dass ein neuer Aufbau möglich ist.

Ein afrikanischer HIV-Patient, der neun Jahre in Deutschland als Asylbewohner in einem Asylantenwohnheim lebte, wurde während dieser Zeit von uns behandelt. Nach jahrelangen Bemühungen vor der HAART-Ära, stieg endlich das erste Mal mit dem Einsatz einer HAART die CD4-Zellzahl langsam auf über 100. Eines Tages überraschte er mich: "Ich bin heute zum letzten Mal bei Ihnen. Ich habe eine Entscheidung gefällt. Mein Leben hier in Deutschland, das wird nichts. Ich gehe zurück in mein Heimatland. Ich weiß, dort krieg ich die Medikamente nicht, ich weiß, das ist mein sicherer Tod. Aber lieber ein Tod in Ehren bei meiner Familie, als noch jahrelang ein solches einsames Leben hier ohne Würde." Schnell stellte er klar, dass es darüber nichts mehr zu diskutieren gab. Eine Situation, in der ich nicht alles in Worte fassen konnte und mich stattdessen ans Klavier setzte und spielte. Ihm flossen die Tränen. Das waren unsere letzten Minuten und ein fast wortloser, herzlicher Abschied, wie kaum je sonst. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Fast sicher lebt er seit Jahren nicht mehr.

Der Einsatz von Musik bei Patienten aus anderen Kulturen kann auch helfen, einen besseren Zugang zu den Patienten zu finden. Menschen aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion haben, wenn sie zu uns kommen, oft ein großes Misstrauen, das mit Worten schlecht zu überwinden ist. Das russische Lied "Kalinka", gespielt auf dem Klavier, erweist sich immer wieder als ein Weg zu ihren Herzen, ihr Vertrauen zu gewinnen.

MUSIK KANN HELFEN

Ein afrikanisches Ehepaar, beide fortgeschritten an AIDS erkrankt, glaubten nicht an ihre HIV-Infektion. Die Kollegen an einer Uniklinik hatten lange Zeit ohne Erfolg versucht, vor allem den Mann zu bewegen, die HIV-Medikamente einzunehmen. Der Ehemann sprach mich bei seinem ersten Besuch in unserer Praxis auf das Klavier an. Er bat mich, ihm etwas vorzuspielen, weil er gerne singen möchte. "Gottes Lob" sollte ich spielen. Ich setzte mich hin und improvisierte. Spontan fing er an, darüber eine Gesangsmelodie zu entwickeln, wunderschön authentisch inbrünstig, in einem Hallelujah mündend. Das war vor einem Dreivierteljahr. Seitdem ist jedes Mal, wenn er kommt, ein kleines "Hallelujah" fällig. Beide nehmen jetzt ihre Medikamente ein und mit der Gesundheit geht es seitdem steil bergauf.

Ein HIV-Patient, den ich wegen wochenlanger Kopfschmerzen zur Abklärung zum Neurologen überwiesen habe, berichtete, dass er den Neurologen gar nicht gebraucht habe: "Als ich das letzte Mal vor Ihrer Sprechzimmertür saß und der Patient vor mir bei Ihnen war, da haben Sie ein paar Minuten Klavier gespielt. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Da haben sich auf einmal meine Kopfschmerzen aufgelöst und sind nicht wieder gekommen."

Musiktherapie

Musiktherapie ist laut Deutscher Gesellschaft für Musiktherapie "der gezielte Einsatz von Musik im Rahmen der therapeutischen Beziehung zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit" und der Bergriff umfasst "unterschiedliche musiktherapeutische Konzeptionen, die ihrem Wesen nach als psychotherapeutische zu charakterisieren sind, in Abgrenzung zu pharmakologischer und physikalischer Therapie".

Dabei beschränkt sich der Einsatz der Musiktherapie nicht nur auf die Psychiatrie wie allgemeine Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Gerontopsychiatrie und Forensik, sondern wird beispielsweise auch bei der Arbeit mit Komapatienten, in der Früh- und Langzeitrehabilitation in Pflegeheimen und in der Heilpädagogik angewendet.

In der aktiven Musiktherapie spielt der Patient ein Instrument, das heißt in der Regel improvisiert er. In der rezeptiven Musiktherapie nimmt der Patient die Musik, die vom Therapeuten auf einem Instrument gespielt oder von einem Tonträger abgespielt wird, passiv wahr.

Quelle: Homepage der Deutschen Gesellschaft für Musiktherapie www.musiktherapie.de

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