ULRICH MARCUS, BERLIN
Syphilis in Deutschland im Jahr 2007

Nach der Einführung einer Labormeldepflicht für Syphilis-Diagnosen durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) im Jahre 2001 stieg die Zahl der gemeldeten Infektionen zunächst von 1.697 im Jahre 2001 auf 3.352 im Jahre 2004 an. Seit 2004 haben sich die Meldezahlen bundesweit auf einem Niveau zwischen 3.000 und 3.500 pro Jahr stabilisiert. Im Jahr 2007 wurden 3.258 Syphilis-Fälle gemeldet. Hinter den bundesweit relativ stabilen Zahlen verbergen sich jedoch zeitlich gegeneinander versetzte regionale Schwankungen.


Abb. 1: Gemeldete Syphilis-Fälle nach Übertragungsrisiko, Deutschland, 2001 bis 2007

Angaben zum Infektionsrisiko liegen für 72% der Meldungen vor. Bei diesen Meldungen stieg der Anteil der Fälle, die vermutlich über sexuelle Kontakte zwischen Männern übertragen wurden, mit 79,5% auf einen neuen Höchstwert. Der Anteil der bei Heterosexuellen diagnostizierten Fälle fiel auf 20,5% (Abb. 1). Gleichzeitig fiel bei den Fällen mit Angabe eines heterosexuellen Risikos der Anteil der Fälle bei Frauen auf 27%, ohne dass es Hinweise auf eine verstärkte Übertragung der Syphilis bei Prostitutionskontakten oder durch im Ausland erworbenen Infektionen gibt. Dies legt die Vermutung nahe, dass bei einem Teil der männlichen Fälle mit Angabe eines heterosexuellen Übertragungsrisikos das angegebene Risiko nicht dem realen Risiko entspricht.

BEI MSM WEITERHIN ZUNAHME

Unter der Annahme, dass die Risikoverteilung auch für die Fälle zutrifft, in denen keine Angaben zum Infektionsrisiko vorliegen, werden mindestens 80% aller in Deutschland gemeldeten Syphilis-Fälle über sexuelle Kontakte zwischen Männern übertragen.

REGIONALE UNTERSCHIEDE

Im Vergleich zum Vorjahr 2006 (n= 2.832) stieg die Zahl der Syphilismeldungen bei Männern im Jahr 2007 (n=2.985) in den Bundesländern Bayern, Sachsen, Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Hessen an, in den übrigen Bundesländern veränderte sich die Zahl der Meldungen nicht oder sie ging, wie in Berlin, deutlich zurück.

Die Zahl der Syphilismeldungen bei Frauen lag im Vergleich mit dem Vorjahr 2006 (n=328) im Jahr 2007 (n=267) deutlich niedriger und erreichte sogar den niedrigsten Wert seit Einführung des neuen Meldeverfahrens 2001.

RÜCKGANG IN BERLIN


Abb. 2: Verlauf der Syphilismeldungen bei Männern in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen, 2001-2007


Abb. 3: Verlauf der Syphilismeldungen bei Männern in den Bundesländern Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, 2001-2007

Vergleicht man den Verlauf der Entwicklung der Fallzahlen bei Männern in Bundesländern, die 2001 noch ein ähnlich hohes Niveau an Meldungen aufwiesen, so zeigen sich bemerkenswerte Unterschiede. In Nordrhein-Westfalen und Berlin verlief die Entwicklung zunächst von 2001 bis 2004 absolut parallel, seit 2004 dann aber gegensätzlich. Während in NRW die Zahlen weiter ansteigen, nahm die Zahl der Meldungen aus Berlin ab. In Bayern, Hessen und Baden-Württemberg verlief die Entwicklung einheitlicher. Zunächst stieg die Zahl der Meldungen bis 2004 kontinuierlich an, dann folgte ein leichter Rückgang bzw. eine Stabilisierung, gefolgt von einem erneuten Anstieg (Abb. 2).

Ähnlich wie in Berlin verlief die Entwicklung in Hamburg. Der Anstieg endete hier jedoch bereits im Jahre 2003, der folgende Rückgang der Zahlen endete im Jahre 2006 und 2007 stiegen die Zahlen wieder an. In Niedersachsen und Rheinland-Pfalz werden erste Gipfel in 2003 bzw. 2004 erreicht, gefolgt von zyklischen Schwankungen auf dem erreichten Niveau (Abb. 3).

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern erfolgt der Anstieg der Syphilismeldungen im Vergleich mit Westdeutschland und Berlin verzögert, zeigt dann aber einen Verlauf wie in den westdeutschen Flächenländern. Die Entwicklung in Brandenburg wird wahrscheinlich wesentlich durch die Nähe Berlins beeinflusst, in Thüringen verblieben die Zahlen über den gesamten Zeitraum auf niedrigem Niveau.

ENTWICKLUNG BEI FRAUEN


Abb. 4: Verlauf der Syphilismeldungen bei Frauen in den Bundesländern Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt

Die Entwicklung der Syphilis-Meldungen bei Frauen zeigt einen Gipfel in den Jahren 2004-2006, der sich aus verschiedenen regionalen Spitzenwerten zusammensetzt. Auffallend ist eine Spitze in Bayern im Jahre 2004 (parallel zu einer Spitze bei den Männern) und eine in NRW in 2005, welche wesentlich durch den Syphilisausbruch in der Region Aachen bedingt ist (Abb. 4).

Reinfektion, Reaktivierung oder Serumnarbe

Ein erhebliches Problem bei der epidemiologischen Bewertung der Syphilismeldungen stellt die Einordnung einer Meldung zu einem (wahrscheinlich) zuvor bereits gemeldeten Patienten entweder als Re-Infektion, als Reaktivierung bei nicht ausreichender Behandlung (Syphilis non satis curata) oder als Serumnarbe mit erhöhten Resttitern dar. Re-Infektionen werden als neue Fälle ausgewiesen, Reaktivierungen und Serumnarben dagegen nicht. Sofern keine entsprechende Bewertung durch den behandelnden Arzt erfolgt und zwischen den Meldungen ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten liegt, werden unklare Fälle bei der Dateneingabe in der Regel als Re-Infektionen klassifiziert.


Abb. 5: Verhältnis von Erstinfektionen zu Re-Infektion in Stadtstaaten und Flächenländern

Bei den Meldungen aus den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen liegt der Anteil der Meldungen mit ärztlicher Beurteilung, bei denen die Meldung als eine Re-Infektion eingestuft wird, mittlerweile bei über 50% und damit deutlich über den Flächenländern (Abb. 5). Vergleichbare Unterschiede ergeben sich, wenn generell Städte mit über 500.000 Einwohnern mit den übrigen Regionen verglichen werden.

Dieser Unterschied könnte ein möglicher Erklärungsansatz für die beobachtbaren Unterschiede in der epidemiologischen Entwicklung sein. Dabei könnten zum einen Sättigungsphänomene in Teilpopulationen mit besonders hohem Infektionsrisiko eine Rolle spielen, wobei unklar ist, inwiefern sich bei Syphilis-Re-Infektionen Empfänglichkeit und Infektiosität durch die Immunantwort verändern, zum anderen könnten eine Zielgruppen-nähere und intensivere medizinische Betreuung mit häufigeren Kontroll- und Screening-Untersuchungen zu einer rascheren Diagnose und frühzeitigeren Therapie beitragen.

FRÜHERE DIAGNOSE


Abb. 6: Berichtetes Stadium der Syphilis bei Diagnose in Großstädten ("Metropolen", >500.000 Einw.) und übrigen Regionen (Land)


Abb. 7: Klienten-Nachfrage (n=4.643) und ärztl. Angebot (n=4.629) auf eine Syphilis-Screening-Untersuchung in den vorangegangenen 12 Monaten bei MSM nach Wohnortgröße

Ein Vergleich des klinischen Stadiums, in dem die Diagnose der Syphilis erfolgt, zeigt einen Trend zu frühzeitigerer Diagnose einer Syphilis in den Großstädten (>500.000 Einwohner) verglichen mit den übrigen Regionen (Abb. 6: niedrigerer Anteil von Infektionen im vermutlichen Tertiärstadium; das gleiche Bild ergibt sich auch hier wieder, wenn Stadtstaaten mit Flächenländern verglichen werden) und einen höheren Anteil von Infektionen, die nicht auf Grund klinischer Symptomatik diagnostiziert werden. Dies könnte durch häufigere Screening-Untersuchungen und/oder häufigere Diagnostik auf Grund von Benachrichtigungen durch erkrankte Partner bedingt sein. In jedem Fall unterstreicht es die Bedeutung regelmäßiger Kontrolluntersuchungen, zum einen um den Erfolg einer Therapie zu dokumentieren, zum anderen um Re-Infektionen möglichst rasch zu entdecken.

In einer Studie des Robert Koch-Instituts zu Wissen, Einstellungen und Verhalten homosexueller Männer in Bezug auf sexuell übertragbare Infektionen (KABaSTI-Studie1) im Jahr 2006 war unter anderem die Frage gestellt worden, inwiefern Screening-Untersuchungen auf das Vorliegen einer Syphilis auch ohne wegweisende klinische Symptomatik von Männern bei ihrem Arzt nachgefragt oder vom Arzt aktiv angeboten werden. Wenn diese Angaben nach Wohnortgröße ausgewertet werden, zeigt sich in den Großstädten ein deutlich höherer Anteil von Männern, die in dem der Befragung vorangegangenen Jahr eine Syphilisuntersuchung nachgefragt oder angeboten bekommen haben (Abb. 7). Dies weist darauf hin, dass es einen vielfach unbefriedigten Bedarf an zielgruppenorientierten Angeboten auf STI-Untersuchungen gibt.

Datenqualität

Die durch das Fehlen einer fallbezogenen Verschlüsselung bei den Syphilismeldungen noch verschärfte Problematik, zwischen Reinfektionen, Reaktivierungen, Doppelmeldungen und Wiederholungsuntersuchungen zu differenzieren, spiegelt sich auch in einer hohen Zahl von Meldungen, die bei der Dateneingabe als wahrscheinliche Doppel- und Wiederholungsuntersuchungen eingestuft werden. Die Gesamtzahl der eingegangenen Meldungen inklusive der Meldungen, die nicht der Referenzdefinition entsprechen, lag 2007 bei 5.587 Meldungen. Bei den 2.329 Syphilis-Meldungen, die nicht der Falldefinition entsprachen, handelt es sich um eine Mischung aus Serumnarben (mit zum Teil noch hohen Resttitern), vermuteten Doppelmeldungen und vermuteten Fällen von nicht ausreichend therapierter Syphilis (Syphilis non satis curata). Die entsprechende Entscheidung und Zuordnung ist angesichts des Fehlens einer eindeutigen fallbezogenen Kodierung schwierig und muss auf Grundlage einer Gesamtschau aller auf den Meldebögen verfügbaren Informationen getroffen werden. Vor allem in Großstädten bieten Geburtsmonat und Jahr sowie die ersten 3 Ziffern der Postleitzahl keine ausreichenden Differenzierungsmöglichkeiten um Meldungen über verschiedene Personen auseinanderzuhalten, insbesondere da Untersuchungen derselben Person bei verschiedenen Ärzten und Laboren durchgeführt werden können oder sich der Wohnsitz des Patienten ändern kann.

HIV-SYPHILIS-INTERAKTIONEN

HIV und Syphilis sind beide sexuell übertragbar und die Epidemiologie der beiden Erkrankungen beeinflusst sich wechselseitig. Im RKI-Beitrag in der HIV&more-Ausgabe 2/2008 (S.46-50) wurde bereits darauf hingewiesen, dass und warum die auf erhöhtem endemischen Niveau anhaltende Syphiliszirkulation bei MSM in Deutschland eine wichtige Ursache für die Zunahme von HIV-Neudiagnosen bei MSM in den letzten Jahren sein könnte.

Eine Anfang des Jahres veröffentlichte Analyse aus Atlanta, San Francisco und Los Angeles geht der Frage nach, wie hoch die HIV-Inzidenz bei Männern mit einer im Primär- oder Sekundärstadium diagnostizierten Syphilis ist.2 Der Anteil der MSM in der Patientenpopulation ist mit 85% der Situation in Deutschland vergleichbar, ebenso der Anteil von 32% von Fällen, die im Primärstadium diagnostiziert wurden. Der Anteil prävalenter HIV-Infektionen in der Patientenpopulation lag mit 45% ebenfalls in derselben Größenordnung wie in Deutschland. Die HIV-Inzidenz wurde mit Hilfe eines Testverfahrens (BED-Elisa) ermittelt, das auch in Deutschland im Rahmen von HIV-Inzidenzstudien eingesetzt wird, um kürzlich erfolgte Infektionen zu identifizieren. Die auf dieser Datenbasis geschätzte HIV-Inzidenz bei MSM im Stadium der Frühsyphilis lag bei 10,5%, ein Wert der gut mit einer vom RKI veröffentlichten Analyse zu HIV- und Syphilismeldungen aus den Jahren 2001 bis Mitte 2004 übereinstimmt.3 Bei Patienten mit frisch erworbener HIV-Infektion (HIV-Serokonvertern) in der vom RKI durchgeführten prospektiven HIV-Serokonverterstudie lag der Anteil der Patienten, bei denen vom behandelnden Arzt anamnestisch eine Syphilis mitgeteilt wird, in den Jahren 2003 bis 2007 bei zwischen 12 und 20%. Bei diesen Angaben ist jedoch unklar, in welchem zeitlichen Zusammenhang die HIV-Neuinfektion mit der Syphilis steht. Wenn man bedenkt, dass eine Neuinfektion häufig noch weitere Folgeinfektionen nach sich ziehen kann, wäre dies aber eine Größenordnung, die durchaus die beobachtete Zunahme bei den HIV-Neudiagnosen erklären könnte.

Prävention und Betreuung


Abb. 8: Exanthem bei Lues II
Quelle R.Pauli-Volkert

Bereits im letztjährigen Syphilis-Jahresbericht des RKI4 war auf die Notwendigkeit einer Verbesserung der Kontrolle der Syphilis und anderer sexuell übertragbarer Infektionen bei besonders gefährdeten Gruppen hingewiesen worden. Eine Untersuchung aus Australien zeigt in diesem Zusammenhang, dass in STI-Kliniken betreuten HIV-positiven MSM Screening-Untersuchungen deutlich häufiger und umfassender angeboten wurden als HIV-Patienten in Infektions-Kliniken.5 Dies weist darauf hin, dass die Sensibilisierung der Ärzte eine wichtige Rolle spielt. Probleme bereiten in diesem Bereich aber insbesondere auch restriktive Abrechnungsbedingungen für die Labordiagnostik von Gonorrhoe und Chlamydieninfektionen im niedergelassenen Bereich, eine tendenzielle Einschränkung statt der erforderlichen Ausweitung von STI-Beratungs- und Untersuchungsangeboten durch die Gesundheitsämter, die mangelnde Kommunikationsfähigkeit zwischen Ärzten und Patienten über Sexualität und sexuelle Risiken und das Fehlen einer umfassenderen langfristigen Strategie für eine Verbesserung der sexuellen Gesundheit.

Um die Abrechnungsproblematik im niedergelassenen Bereich zu umgehen, zielgruppenspezifische Diagnose- und Therapieangebote trotz der Sparzwänge der öffentlichen Hand auszuweiten und qualitätssteuernd und -steigernd einzugreifen, könnte beispielsweise über neue Möglichkeiten der Kooperation zwischen Gesundheitsämtern und niedergelassenen Ärzten sowie HIV/STI-Präventionsteams auf der Basis des §19 IfSG nachgedacht werden. Denn erst wenn Möglichkeiten und Angebote für vermehrte STI-Screening- und Kontrolluntersuchungen geschaffen werden, können solche Maßnahmen auch in Präventionskampagnen für besonders gefährdete Gruppen beworben werden.

Literatur

1. Schmidt AJ, Marcus U, Hamouda O: KABaSTI-Studie - Wissen, Einstellungen und Verhalten bezüglich sexuell übertragbarer Infektionen bei Männern mit gleichgeschlechtlichem Sex (http://www.rki.de > Infektionskrankheiten A-Z > sexuell übertragbare Erkrankungen > KABaSTI-Studie)

2. Buchacz K, Klausner JD, Kerndt PR, Shouse RL, Onorato I,et al.: HIV Incidence Among Men Diagnosed With Early Syphilis in Atlanta, San Francisco, and Los Angeles, 2004 to 2005. J Acquir Immune Defic Syndr 2008; 47: 234-40

3. Marcus U, Kollan C, Bremer V, Hamouda O: Relation between the HIV and the re-emerging syphilis epidemic among MSM in Germany: an analysis based on anonymous surveillance data. Sex Transm Infect 2005; 81 (6): 456-7

4. RKI:Syphilis in Deutschland im Jahr 2006. Epid Bull 2007; 29:257-263

5. Teague R, Mijch A, Fairley CK, Sidat M, Watson K, Boyd K, Chen MY: Testing rates for sexually transmitted infections among HIV-infected men who have sex with men attending two different HIV services. Int J STD AIDS 2008; 19: 200-2

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