ANNETTE HABERL, FRANKFURT
HIV-Therapie in der Schwangerschaft

In Deutschland werden pro Jahr etwa 200 Kinder HIV-positiver Mütter geboren. Bei optimalem interdisziplinären Management kann die Mutter-Kind-Übertragung auf unter zwei Prozent gesenkt werden. Trotzdem bedeutet die antiretrovirale Therapie in der Schwangerschaft für den Behandler eine besondere Herausforderung, da sie eine Gratwanderung zwischen mütterlichen und kindlichen Interessen darstellt und außerdem ein relativ seltenes Ereignis im klinischen Alltag ist. Die Behandlung von HIV-positiven Schwangeren sollte deshalb immer in Kooperation mit einem erfahrenen Schwerpunktzentrum erfolgen.

Ein wesentlicher Bestandteil der Prophylaxe der vertikalen HIV-Transmission ist die Senkung der mütterlichen Viruslast. Sie soll zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes idealerweise unter der Nachweisgrenze liegen. Dabei stellen sich für den HIV-Behandler grundsätzlich zwei Szenarien dar:

1. Die Frau selbst hat eine Therapieindikation. In diesem Fall schließt eine erfolgreiche antiretrovirale Behandlung die Transmissionsprophylaxe für das Kind ein.

2. Die Schwangere selbst benötigt keine HIV-Therapie. Im Verlauf der Schwangerschaft wird eine reine Transmissionsprophylaxe angesetzt, die nach der Geburt des Kindes wieder beendet werden kann.


Tab. 1: Aktuelle FDA-Einstufung der zur Zeit verfügbaren HIV-Medikamente

Für die mütterliche Therapie und die Transmissionsprophylaxe stehen die gleichen Substanzen zur Verfügung, die auch sonst in der HIV-Therapie Erwachsener eingesetzt werden. Alle aktuellen Guidelines zur Therapie in der Schwangerschaft berücksichtigen in ihren Empfehlungen die FDA-Klassifikation der antiretroviralen Medikamente. Es werden fünf Kategorien unterschieden:

Kategorie A:

Kontrollierte Studien beim Menschen haben für den Fötus kein erhöhtes Risiko einer Missbildung gezeigt.

Kategorie B:

Im Tierversuch und/oder beim Menschen hat sich kein Hinweis auf ein erhöhtes Missbildungsrisiko ergeben.

Kategorie C:

Das Risiko für eine Missbildung beim Menschen ist unklar. Im Tierversuch wurden Missbildungen beobachtet.

Kategorie D:

Missbildungen beim Menschen sind aufgetreten. Der Nutzen des Medikaments kann allerdings in bestimmten Situationen den Einsatz dennoch rechtfertigen.

Kategorie X:

Nachgewiesene Teratogenität beim Menschen. Die Risiken überwiegen eindeutig den möglichen Nutzen des Medikaments in der Schwangerschaft.

Die Klassifizierung der Medikamente ist keine abschließende Beurteilung, sondern ein dynamischer Prozess. So wurde 2005 die Einstufung von Efavirenz von der Kategorie C zu D geändert. Es waren Missbildungen bei Kindern beobachtet worden, deren Mütter im ersten Trimenon der Schwangerschaft Efavirenz-haltige Therapien eingenommen hatten. Es gilt seit 2005 die Empfehlung, Efavirenz bei Frauen im gebärfähigen Alter nur nach vorausgegangenem negativen Schwangerschaftstest einzusetzen. Tritt unter Efavirenz eine Schwangerschaft ein, soll die Substanz sofort abgesetzt und die Therapie der Frau entsprechend modifiziert werden.

Auch der NNRTI Nevirapin wurde 2007 von der FDA neu eingestuft. Da sich in einer großen Zahl von dokumentierten Schwangerschaften kein erhöhtes Missbildungsrisiko gezeigt hatte, wurde die Bewertung für Nevirapin von der Kategorie C zu B geändert. Dennoch ist das Medikament in der Schwangerschaft nicht unkritisch einzusetzen, da bei Frauen mit CD4-Werten >250/µl unter der Therapie mit Nevirapin ein erhöhtes Risiko für eine Hepatotoxi-zität besteht.

Neben der Teratogenität stellen Nebenwirkungen der antiretroviralen Kombinationstherapien ein Risiko für Mutter und Kind dar. Bei den plazentagängigen Nukleosid-Analoga kann eine mitochondriale Toxizität im Extremfall zu einer Laktatazidose führen. Fälle mit tödlichem Ausgang für Mutter und Kind wurden beschrieben. Insbesondere die Kombination von Stavudin und Didanosin sollte daher in der Schwangerschaft vermieden werden.

Bei den Proteaseinhibitoren können gastrointestinale Nebenwirkungen therapielimitierend sein, da es durch die Schwangerschaft selbst bereits zu Übelkeit und Erbrechen kommen kann und eine Verstärkung der Symptomatik zum Therapieabbruch führt.

Für Proteaseinhibitoren wurden in der Schwangerschaft teilweise erhebliche Veränderungen der Medikamentenspiegel beschrieben. Pharmakokinetische Untersuchungen im Steady-State werden in der Schwangerschaft empfohlen. Bei virologischem Ansprechen und guter Verträglichkeit sollte allerdings von Dosisanpassungen aufgrund niedriger Wirkspiegel abgesehen werden. Lediglich bei insuffizientem Viruslastabfall bzw. Nebenwirkungen kann im Einzelfall eine Dosismodifikation sinnvoll sein.

Abb. 1: An ungeplante Schwangerschaften bei der Behandlung von HIV-positiven Frauen im gebärfähigen Alter denken

THERAPIESTRATEGIEN IN DER SCHWANGERSCHAFT

Jede HIV-positive Frau im gebärfähigen Alter sollte eine antiretrovirale Therapie erhalten, die jederzeit mit einer Schwangerschaft vereinbar ist. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass mehr als die Hälfte der Schwangerschaften HIV-infizierter Frauen ungeplant ist. Je jünger die Frau, umso größer die Wahrscheinlichkeit einer ungeplanten Schwangerschaft.

Wird eine HIV-positive Frau mit Therapieindikation schwanger, gibt es für den weiteren Handlungsbedarf drei unterschiedliche Konstellationen:

1. Die Schwangere hat bereits eine erfolgreiche HIV-Therapie.

2. Die Schwangerschaft tritt unter einem versagenden Therapieregime ein.

3. Die Schwangere hat zwar eine Therapieindikation, aber bislang noch keine Behandlung.

Im ersten Fall sollte bei Eintritt der Schwangerschaft umgehend geprüft werden, ob die antiretrovirale Therapie der Frau mit einer Schwangerschaft kompartibel ist, d.h. ob die eingesetzten Medikamente eine Gefährdung für die Schwangere und/oder ein evtl. Risiko für das Kind bedeuten können. Besteht ein solches Risiko, ist die Therapie so schnell wie möglich umzustellen. Therapiepausen sind dabei zu vermeiden, da sie eine klinische Progression nach sich ziehen können und darüber hinaus je nach eingesetzten Substanzen, auch die Gefahr einer Resistenzentwicklung besteht.

Patientinnen, die bereits eine Salvagetherapie erhalten, sind bei einer Therapieumstellung besonders gefährdet, ein Therapieversagen zu entwickeln. Hier sollte eine Umstellung auf jeden Fall mit einem Expertenteam diskutiert werden. Besondere Bedeutung kommt hier dem Virologen zu, der aufgrund vorhandener Resistenztestungen, die ggf. noch bestehenden Möglichkeiten für eine erfolgreiche Therapieumstellung aufzeigen kann.

Wird die Teilnehmerin einer Studie schwanger, bedeutet das im Regelfall den Ausschluss aus der klinischen Prüfung. Ist das Studienmedikament für den Therapieerfolg allerdings unabdingbar und damit alternativlos, sollte mit der Studienzen-trale eine Einzelfallregelung angestrebt werden, da ein virologisches Versagen als Folge des Studienabbruchs eine Gefährdung für Mutter und Kind bedeuten würde. Selbstverständlich ist die Patientin über die Möglichkeit unbekannter teratogener Effekte des Studienmedikamentes aufzuklären und in jede Therapieentscheidung miteinzubeziehen.

Für den Fall, dass eine Frau unter einer virologisch versagenden HIV-Therapie schwanger wird, folgt eine resistenzgesteuerte Therapieumstellung. Dabei ist natürlich ein zusätzliches Augenmerk auf die Verträglichkeit für das ungeborene Kind zu richten.

Für die Therapieindikation bei Schwangeren gelten die gleichen Kriterien, die auch sonst für HIV-positive Erwachsene gelten. Es ist allerdings zu beachten, dass die CD4-Zellen in der Frühschwangerschaft physiologischerweise absinken. Dieser Effekt ist bei HIV-positiven Frauen ausgeprägter als bei HIV-negativen Schwangeren. Gegen Ende der Schwangerschaft bzw. nach der Geburt des Kindes steigen die Helferzellen wieder an. Nach heutigem Wissenstand hat eine Schwangerschaft für die Frau keinen negativen Effekt auf den klinischen Verlauf ihrer HIV-Infektion.

Die Firstline-Therapie für Schwangere, die eine Therapieindikation haben, aber noch nicht behandelt sind, wird erst nach dem Vorliegen einer genotypischen Resistenzbestimmung eingeleitet. Das Regime soll die optimale Therapie für die Frau über die Schwangerschaft hinaus sein und gleichzeitig die besonderen Bedürfnisse des ungeborenen Kindes berücksichtigen. Wenn der klinische Zustand der Schwangeren es ermöglicht, sollte die antiretrovirale Therapie erst nach Beendigung des ersten Trimenons, also der sensiblen Phase der Organogenese, begonnen werden. Dies gilt besonders dann, wenn die Frau erst im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge von ihrer HIV-Infektion erfahren hat und damit auch ohne Medikamenteneinnahme mit ihrer Situation schon maximal belastet ist.

HIV-TRANSMISSIONSPROPHYLAXE IN DER SCHWANGERSCHAFT

Besteht keine mütterliche Behandlungsindikation wird unter Berücksichtigung des Resistenztests eine risikoadaptierte antiretrovirale Transmissionsprophylaxe durchgeführt. Bei Standardrisiko, also unauffälligem Schwangerschaftsverlauf, wird ab der abgeschlossenen 32. Schwangerschaftswoche (32+0) eine antiretrovirale Therapie angesetzt. Für den Fall einer niedrigen Viruslast von kleiner 10.000 Kopien/ml bieten die Deutsch-Österreichischen Empfehlungen auch die Möglichkeit einer AZT-Monotherapie an.

Bei hoher Viruslast, >100.000 Kopien/ml, beginnt die Transmissionsprophylaxe bereits ab der 29. Schwangerschaftswoche (28+0).

Komplikationen im Schwangerschaftsverlauf, wie beispielsweise vorzeitige Wehentätigkeit, erhöhen das Transmissionsrisiko und bedeuten deshalb den sofortigen Beginn einer Prophylaxe. Auch Mehrlingsschwangerschaften, die mit einer erhöhten Frühgeburtlichkeit assoziiert sind, verlangen einen früheren Prophylaxebeginn. Ab der 30. Schwangerschaftswoche (29+0) wird hier die Transmissionsprophylaxe angesetzt.

Problematisch gestaltet sich das Management von sogenannten "Latepresentern", bei denen aufgrund der späten Vorstellung eine vollständige medikamentöse Transmissionsprophylaxe aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich ist. Um das Infektionsrisiko für das Kind in diesen Fällen noch so optimal wie möglich senken zu können, sollte hier in interdisziplinären Fallbesprechungen von HIV-Behandler, Gynäkologe und Pädiater das Vorgehen im Einzelfall abgestimmt werden.

Generell verlangt das Management von HIV und Schwangerschaft ein interdisziplinäres Setting, in dem HIV-Behandler, Gynäkologen, Pädiater und Vertreter psychosozialer Disziplinen gemeinsam optimale Lösungen für die betroffenen Mütter und ihre Kinder erarbeiten. Neben der Prophylaxe der HIV-Transmission stehen die weitere Optimierung von Therapiestrategien in der Schwangerschaft und der Postexpositionsprophylaxe der Kinder im Fokus. Eine Heraus- forderung stellt auch die nach wie vor mangelhafte Akzeptanz HIV-positiver Mutterschaft in unserer Gesellschaft dar. Hier sind alle mit dem Thema vertrauten Disziplinen gefordert, durch entsprechende öffentliche Aufklärung ein Umdenken auf den Weg zu bringen und den betroffenen Familien in Zukunft ein Leben ohne Stigmatisierung und Diskriminierung zu ermöglichen.

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