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 -- Männermedizin


Ein Großteil der HIV-Infizierten in Deutschland sind Männer. Die Männermedizin als neuer Schwerpunkt in der Versorgung von HIV-Patienten gewinnt durch die sich veränderte Altersstruktur mit zunehmender Komorbiditäten an Bedeutung. Spezifische Vorsorgestrategien zur kardiovaskulären Erkrankung, Malignomen wie dem Anal- und Bronchialkarzinom müssen erarbeitet und in die ärztliche Versorgung implementiert werden, Strategien zum Rauchstopp müssen konsequent umgesetzt werden. Der Testosteronmangel und die erektile Dysfunktion werden zu selten untersucht und therapiert ebenso wie die subklinischen und „leisen“ Zeichen einer Depression.

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Abb. 1: Entwicklung der Lebenserwartung Neugeborener seit 1871

Es ist weit reichend bekannt, die Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen unterscheidet sich deutlich, sie ist in Deutschland mehr als 5 Jahre unter denen der Frauen (75,6 vs. 81,3 Jahre, Abb. 1)1. Männer führen bei Krankheiten, die durch Verhaltensänderungen und Vorsorge erheblich zu beeinflussen sind (Abb. 2). Männer sterben häufiger an Lungenkrebs, ein Großteil der durch Alkohol bedingten Todesfälle treten bei Männern auf, Männer bekommen häufiger Myokardinfarkte und Bronchialkarzinome. Im Gegenzug werden die empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen selten wahrgenommen, Männer gehen deutlich seltener „gesund“ zum Arzt2 (Abb. 3), dieses widerspricht dem männlichen Selbstbild von Leistungsstärke und Unverwundbarkeit.

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Abb. 2: Diagnosen bei der vorzeitigen Sterblichkeit; Hamburg 2007

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Abb. 3: Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen


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Abb. 4: Geschlechterverteilung der HIV-Erstdiagnosen in Deutschland, RKI

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Abb. 5: Altersverteilung in der „Swiss Cohort Study“

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Abb. 6: Transport von Testosteron im Blut

Männermedizin bei HIV positiven Männern

Bei HIV-infizierten in Deutschland fallen zwei Charakteristika besonders auf. Sie sind überwiegend männlich3 (Abb. 4), bei allen gemeldeten HIV-Erstdiagnosen seit den 90er Jahren waren es 77,5%. In den letzten Jahren nimmt diese Entwicklung weiter zu, so waren im Jahre 2008 82,6% der Erstdiagnosen. Weiterhin verändert sich die Altersstruktur der HIV-Infizierten4 (Abb. 5). 

Wenn man sich als Beispiel die sehr gut dokumentierte Schweizer Kohortenstudie anschaut, waren dort 1988 noch über 80% der Patienten unter 40 und fast 50% unter 30 Jahren alt. Im Jahre 2006 hat sich dieses Bild nahezu umgekehrt. 70% der Schweizer HIV-Patienten sind inzwischen über 40 Jahre alt.

Wir haben es also mit älter werdenden Patienten zu tun, die neben der HIV-Assoziierten Morbidität mit Erkrankungen des älter werdenden Mannes konfrontiert sind. Dieses ist für die behandelnden Ärzte Herausforderung und Chance gleichzeitig. So ist zum Beispiel inzwischen sehr gut die erhöhte kardiovaskuläre Morbidität bei HIV-Infektion und antiretroviraler Therapie beschrieben.5 Im Hinblick auf die häufige Assoziation von männlichen Geschlecht und Myokardinfarkte in der Allgemeinbevölkerung werden wir wahrscheinlich in den nächsten Jahren eine deutliche Zunahme der kardiovaskulären Ereignisse unter Männern mit HIV-Infektion verzeichnen. Die Chance liegt darin, dass sich die HIV-Positiven Männer im Regelfall alle 2-3 Monate in den behandelnden Schwerpunktzentren vorstellen. Hiermit sind alle Möglichkeiten der Prävention, Vorsorge und Therapie gegeben.

Für den Schwerpunktarzt entsteht hieraus die Verpflichtung, sich in bisher oft eher fachfremden medizinischen Feldern wie der Endokrinologie und Kardiologie fortzubilden und noch engere Kooperationen mit Fachärzten auf diesen Gebieten zu suchen.

Malignome bei HIV positiven Männern

Das deutlich erhöhte Auftreten von AIDS-definierenden Malignomen wie dem Non-Hodkin-Lymphom oder dem Kaposi-Sarkom ist seit Beginn der HIV-Epidemie  gut belegt und ist Allgemeinwissen in der HIV-Medizin.

Aber auch einige nicht AIDS definierende Malignome treten bei HIV positiven Männern deutlich häufiger auf. Das Risiko für invasive Analkarzinome wird in verschiedenen Untersuchungen von bis zu 200-300-fach häufiger als in der Allgemeinbevölkerung beschrieben.6,7

Regelmäßige digitale rektale Untersuchungen und Proktoskopien auch bei geringen klinischen Auffälligkeiten sollten daher zur Vorsorge bei HIV-positiven Männern gehören und werden bisher nach unseren Erfahrungen nicht ausreichend umgesetzt.  

Ebenso wird ein deutlich häufigeres Auftreten von Bronchialkarzinomen bei HIV-Infizierten beobachtet, in verschiedenen Studien liegt das Risiko 8-10fach höher als ohne Vorliegen einer HIV-Infektion.6,8,9 Hierbei ist wahrscheinlich nicht nur der gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich höhere Nikotinkonsum verantwortlich.  

Eine umsetzbare Vorsorgeuntersuchung zum Bronchialkarzinom gibt es nicht, daher müssen unsere Patienten dringend zum Rauchstopp animiert werden und alle zur Verfügung stehenden psychotherapeutischen und medikamentösen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.

Da sich HIV positive Männer häufig ausschließlich in den Schwerpunktpraxen vorstellen, sollten die Vorsorgeuntersuchungen zum Kolon- und Prostakarzinom umgesetzt werden.

Testosteronmangel bei HIV

Sexuelle Funktionsstörungen wie die erektile Dysfunktion und Libidoverlust sind  bei HIV-infizierten Männern häufig und treten bei bis zu 61% auf.10 Für Männer ist der Umgang mit dieser Problematik oft sehr schwierig, sie sollten gezielt von ihren behandelnden Ärzten darauf angesprochen werden.

Es gibt zahlreiche Studien zur Assoziation von sexueller Dysfunktion und antiretroviraler Therapie; die Ergebnisse sind uneinheitlich. Sehr viel dünner ist die Studienlage zur Häufigkeit eines klinisch apparenten Hypogonadismus. Die Diagnose ist nicht ausschließlich laborchemisch zu stellen, sondern muss immer mit den klinischen Symptomen korreliert werden, wozu sich ein QoL-Patienten-Fragebogen sehr gut eignet, nicht selten zeigen sich zahlreiche Symptome eines Hypogonadismus bei Testosteronwerten im mittleren bis unteren Normbereich. Am häufigsten findet die „Aging Males´ Symptoms Rating Scale“ (AMS) Verwendung, die 1999 von Lothar Heinemann entwickelt wurde (www.issam.ch).

Die Daten zum Testosteronmangel bei HIV-Positiven Männern sind uneinheitlich. In den pre-HAART Zeiten fand sich dieser bei etwa 50% der Patienten im CDC-Stadium C11, nach Beginn der Behandelbarkeit von HIV wird dieser in großer Breite bei 20%-70% angegeben.12

Die Testosteronbestimmung erfolgt in den Labors oft mit verschiedenen Reagenzien, so dass ein Konsens über einheitliche Grenzwerte nur schwer herzustellen ist, die Messwerte können von Labor zu Labor teilweise erheblich von einander abweichen.

Zu den einzelnen Messwerten: das Gesamt-Testosteron setzt sich zusammen aus dem freien Testosteron (ca. 2%), dem Albumin-gebundenen Testosteron (38%) und dem an SHBG-gebundenen Testosteron (Sexualhormonbindendes Globulin, 60%) (Abb. 6). Das SHBG steigt mit zunehmendem Alter an, so dass nur die Bestimmung des freien oder des biologisch verfügbaren Testosteron (freies+albumin-gebundenes Testosteron), nicht aber die alleinige Bestimmung des Gesamt-Testosterons ein aussagekräftiges Ergebnis liefert. Zur Situation des Testosteron- und Hypogonadismus-Screenings und eventueller Testosteron-Substitution bei HIV-positiven Männern liegen keine belastbaren Daten vor. Dies wäre die Aufgabe zukünftiger Versorgungsforschung zu diesem Thema.

Männer und Depression

Nicht erst seit dem tragischen Freitod des Nationaltorhüters Robert Enke ist bekannt, dass depressive Störungen häufig sind, sie werden von Patienten und ihren Ärzten häufig gleichsam negiert und verharmlost. Nur selten werden alle psychotherapeutischen und medikamentösen Möglichkeiten ausgeschöpft.

Die 1-Jahresprävalenz für das Auftreten einer depressiven Störung ist für Männer zwischen 18 und 65 Jahren fast doppelt so häufig wie für Frauen (15 vs. 8.7%).13

Bei HIV-Infizierten werden Depressionen bei über 50% der Patienten im Verlauf  der Infektion diagnostiziert.14 Ebenso führen die Männer deutlich bei den Suiziden, im Jahre 2005 haben sich in Deutschland fast 3x so viele Männer wie Frauen das Leben genommen (7.523 vs. 2.737)1, während versuchte Suizide bei den Frauen 20x häufiger sind. Bei Vorliegen einer HIV-Infektion ist das Risiko für einen vollzogenen Suizid statistisch signifikant höher15, verlässliche wissenschaftliche Daten liegen nur begrenzt vor. 

Es ist in der Praxis häufig einfacher, für einen Patienten einen Termin zu einer Herzklappenoperation als einen ambulanten Vorstellungstermin bei einem Psychotherapeuten zu bekommen. Hier ist eine deutliche Verbesserung der Versorgungsstrukturen und Vernetzung zwischen Psychotherapeuten und Infektiologen zu fordern.

Literatur

1  Statistisches Bundesamt

2  Basisinformationen zur Gesundheit in Hamburg, Juni 2009

3  Epidemiologisches Bulletin, Mai 2009

4  Ledergerber et al, CROI 2008

5  Holmberg et al; Trends in Rates of Myocardial Infarction among Patients with HIV, NEJM, 12 Feb, 2004

6  www.hivbuch.de

7  Diamond et al, Increased incidence of squamous cell anal cancer among men with AIDS in the era of highly active antiretroviral therapy. Sex Transm Dis 2005, 32:314-20.

8  Bower et al. HIV-associated anal cancer: has HAART reduced the incidence or improved the outcome? J AIDS 2004,37:1563-5.

9  Bower et al. HIV-related lung cancer in the era of highly active antiretroviral therapy. AIDS 2003, 17:371-5.

10 Crum-Cianflone NF et al. Erectile dysfunction and hypogonadism among men with HIV. AIDS Patient Care STDS. 2007 Jan;21(1):9-19

11 Dobs et al., Am J Med 1988; 84:611-616

12 Klein et al., Clin Infect Dis 2005;41(12):1794-1803

13 Wolfersdorf et al. Psychotherapie der Depression: Krankheitsmodelle und Therapiepraxis, Thieme Verlag 2005

12 Husstedt et al. Epidemiologie und Therapie von Schmerzen und Depression bei HIV und Aids. Der Schmerz 2009

13 Stenager et al. Physical illness and suicidal behavoir. The international handbook of suicide. 2000


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VIR+, Männermedizin in der DAGNÄ

vir+, die Sektion Männermedizin, ist ein Zusammenschluss von in der DAGNÄ organisierten Ärzten.

Anfang Dezember 2009 fand das zweite Jahrestreffen in Berlin statt.

Neben den Gründungsmitgliedern Axel Adam, Peter Hartmann, Hans Jäger, Christoph Mayr, Nils Postel und Olaf Degen konnten als neue Mitglieder der Gruppe Franz Mosthaf aus Karlruhe und Stefan Esser aus Essen begrüßt werden. Weiterhin hat vir+ mit der Teilnahme von Horst Schalck, der in Wien eine große Schwerpunktpraxis betreibt, Kontakte nach Österreich aufgebaut.

Arbeitsschwerpunkte der Gruppe sind 

  • Erarbeitung wissenschaftlich fundierter männermedizinischer Empfehlungen in der Versorgung von Männern mit HIV-Infektion
  • Vorträge und Symposien auf nationalen und internationalen Kongressen
  • Vernetzung mit anderen medizinischen Fachgesellschaften
  • Durchführung von wissenschaftlichen Studien zu männermedizinischen
    Erkrankungen und Komplikationen
  • Beratung von ärztlichen Kollegen in der Versorgung von HIV positiven Männern

vir+,  blickt auf ein sehr aktives erstes Jahr nach der Gründung 2008 zurück. Die Gruppe war auf allen großen deutschsprachigen Kongressen mit eigenen Workshops und Symposium zu Männermedizinischen Themen vertreten.

Für 2010 wurden zwei Schwerpunktthemen festgelegt:

  • Depressionen bei HIV-Positiven Männern
  • Anal-Karzinom: Verbesserung von Screening und Vorsorge   

Kontakt zu vir+ kann über die DAGNÄ (www.dagnae.de) und per E-Mail über maennermedizin@dagnae.de erfolgen.

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