Ulrich Seybold, München
HIV und Fettstoffwechselstörungen

Die Empfehlung der EACS zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen beruhen im Wesentlichen auf den Daten der D:A:D-Studie. Diese belegt ein erhöhtes Infarktrisiko bei Fettstoffwechselstörungen. Interventionsstudien mit harten Endpunkten zum Effekt von Lipidsenkern bei HIV-Infizierten fehlen allerdings.

Die zentrale Rolle des Lipidprofils für die Pathogenese kardiovaskulärer Erkrankungen ist lange bekannt und wird durch die Tatsache, dass o.g. Risikofaktoren wie auch die Dauer einer cART jeweils mit einer Verschlechterung des Serumlipidprofils assoziiert sind, für Menschen mit HIV-Infektion möglicherweise noch wichtiger als für die Allgemeinbevölkerung. Daher wurden in der aktuellen 5. Fassung der Behandlungsleitlinien der HIV-Infektion durch die European AIDS Clinical Society (EACS) von November 2009 konkrete Empfehlungen für die Diagnose und ggfs. Behandlung einer Dyslipidämie bei HIV-Infizierten weiterentwickelt. Im Vergleich zur Version von 2008 sind diese Leitlinien detaillierter, durch die Integration in das Gesamtkonzept „nicht-infektiöse Begleiterkrankungen“ aber auch etwas unübersichtlicher geworden. Maßgeblich beeinflusst wurden die EACS Leitlinien durch die D:A:D-Studie mit ihrer Kohorte von >20.000 Patienten, einer der wenigen großen HIV-spezifischen Datenquellen zu kardiovaskulären und metabolischen Fragestellungen. Große Interventionsstudien mit harten Endpunkten zum Thema Lipidveränderungen bei HIV-Infektion sind aber auch auf absehbare Zeit nicht verfügbar. Dies führt dazu, dass die meisten Empfehlungen im Analogieschluss aus Studien mit nicht HIV-infizierten abgeleitet sind. Wie auch bei den anderen Teilen der Leitlinien wird daher auf die Belastbarkeit der Daten, auf denen die Empfehlungen beruhen, nicht eingegangen, die teils sehr konkreten Vorschläge spiegeln den Konsens der an der Erstellung der Leitlinien beteiligten Experten wider.

Risikobeurteilung

Die Grundlage des Patientenmanagements (Diagnostik, Beratung, Therapie) stellt in den EACS- (wie auch den DGFF-, s. Seite 24) Leitlinien die Bestimmung des Nüchtern-Lipidprofils inklusive Triglyceride, Gesamtcholesterin, sowie LDL- und HDL-Cholesterin dar. Eine Berechnung sollte zum Zeitpunkt der HIV-Erstdiagnose, vor Beginn einer cART und dann in jährlichen Abständen erfolgen. Eine Risikoabschätzung erfolgt entsprechend der amerikanischen Adult Treatment Panel (ATP) III Guidelines von 2002 über den Score, der sich aus der Framingham Studie ergibt.

Ein entsprechender online-Rechner ist unter http://www.cphiv.dk/TOOLS/Framingham/tabid/302/Default.aspx verfügbar. Dieser Wert stellt die Basis für die weitere Beratung und Behandlung der Patienten dar. Es ist offensichtlich, dass die Benutzung dieses Scores, der aus der Beobachtung von (wohl weitgehend nicht HIV-infizierten) US-Amerikanern in den Jahren 1968-1987 entwickelt wurde, zur Beurteilung HIV-infizierter Mitteleuropäer im Jahr 2010 lediglich eine Behelfslösung darstellen kann. Durch die Nichtbeachtung der HIV-Infektion als Risikofaktor ist zumindest von einer Unterschätzung des kardiovaskulären Risikos auszugehen, inwieweit veränderte Essgewohnheiten, körperliches Aktivitätsniveau, medizinische Fortschritte etc. eine Rolle spielen, kann nur spekuliert werden. Ein spezifischer Score zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos bei HIV-Infektion wird zwar entwickelt, ist aber weiterhin nicht verfügbar.

Lebensstil, Diät und Bewegung

Abb. 1: Ernährungsumstellung vs. keine Intervention bei HIV-Patienten zu Beginn einer cART
Abb. 1: Ernährungsumstellung vs. keine Intervention bei HIV-Patienten zu Beginn einer cART

Der bei weitem wichtigste (und kostenfrei modifizierbare) Einzelfaktor bzgl. der kardiovaskulären Prognose ist ohne Frage die Nikotinabstinenz, die auch einen direkten günstigen Einfluss auf das Lipidprofil hat. Neben diesbezüglicher Interventionen sollen für alle Patienten als weitere Maßnahmen (auch hier entsprechend der DGFF-Empfehlungen) eine ausführliche Ernährungsberatung und Anleitung zu angemessener körperlicher Aktivität erfolgen. Die von EACS im Detail aufgeführten Vorschläge berücksichtigen auch HIV-spezifische Sondersituationen, wie etwa Wasting und evtl. notwendige Mahlzeiten, die bei spezifischen cART Medikamenten notwendig sein können. Für die durchaus sehr konkreten Vorschläge gibt es bislang allerdings nur wenig Evidenz (Abb. 1).

cART-Optimierung


Tab. 1: Übersicht der EACS-Empfehlungen zum Einfluss antiretroviraler Medikamente auf das Lipidprofil Tab. 1: Übersicht der EACS-Empfehlungen zum Einfluss antiretroviraler Medikamente auf das Lipidprofil

Tab. 2: Übersicht der EACS-Empfehlungen zur medikamentösen Cholesterinsenkung
Tab. 2: Übersicht der EACS-Empfehlungen zur medikamentösen Cholesterinsenkung

Für Patienten mit einem 10-Jahres-Risiko von ≥20% für die Manifestation einer kardiovaskulären Erkrankung sollte noch vor einer möglichen Therapie weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren die aktuelle cART auf den Prüfstand gestellt werden. Als für das Lipidprofil ungünstige und damit ggfs. auszutauschende Medikamente werden Stavudin, Efavirenz, sowie Indinavir, Lopinavir, Fosamprenavir und Tipranavir gewertet, als etwas weniger problematisch Zidovudin, sowie Saquinavir, Atazanavir und Darunavir (Tab. 1). Die Unterteilung der verfügbaren cART Medikamente in jetzt 3 Kategorien widerspricht auf den ersten Blick der vorhergehenden Version der EACS Leitlinien. Offensichtlich wurde neben der Berücksichtigung neuerer Daten zur Verbesserung der Objektivität der Einfluss der Medikamente auf das Lipidprofil nach beobachteter Häufigkeit der Dyslipidämie (≥10% vs. weniger) und nicht mehr als Gesamtwürdigung des „metabolischen Einflusses“. Beispielsweise galt Darunavir in der Leitlinien-Version 2008 noch als metabolisch eher ungünstig, während Efavirenz, bisher als nicht-nukleosidaler reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI) eher als metabolisch unbedenklich gesehen, jetzt in die Hochrisiko-Kategorie bzgl. Dyslipidämie verschoben wurde.

Medikamentöse Cholesterinsenkung

Nach erfolgter cART-Optimierung wird die medikamentöse Cholesterinsenkung für alle Patienten mit bestehender kardiovaskulärer Erkrankung, Diabetes mellitus Typ 2 oder wiederum einem 10-Jahres-Risiko von ≥20% für die Manifestation einer kardiovaskulären Erkrankung empfohlen. Hierbei werden die Zielwerte sowohl für das Gesamtcholesterin als auch das LDL-Cholesterin in zwei Abstufungen als Orientierungshilfe angegeben: „Optimal“ und „Standard“. Diese Unschärfe erklärt sich in Anlehnung an die aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) als Zugeständnis an die reale Erreichbarkeit von Zielwerten und wohl auch aus der nicht-Verfügbarkeit von spezifischen Endpunktstudien für HIV-infizierte Patienten. Noch in der vorhergehenden Version der Leitlinien bestand eine nach Risikogruppe abgestufte Empfehlung bzgl. des LDL-Cholesterin-Zielwertes, ähnlich der der DGFF (s. Seite 24) oder der ATP III Guidelines. Diese Abstufung entfällt in der aktuellen Version, für Patienten mit einem 10-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen von <20% wird der Einsatz medikamentöser Lipidsenker nicht angesprochen. Für eine differenzierte Diskussion der nicht-medikamentösen Therapie dieser Patienten wird per Fußnote auf die ATP III Guidelines verwiesen.

Dort liegt der Fokus für die Primärprävention bei niedrigerem Risiko ganz auf dem „Public Health Approach“, d.h. Diät, Bewegung und Kontrolle des Körpergewichts, was auch durch die ESC Guidelines unterstützt wird.

Statine


Übersicht der EACS-Leitlinien11 zur Diagnose und Therapie der Dyslipidämie bei HIV-infizierten Patienten

  1. Bestimmung des Nüchtern-Lipidprofils und Berechnung des 10-Jahres-Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse
    (http://www.cphiv.dk/TOOLS/Framingham/tabid/302/Default.aspx)

  2. Nikotinabstinenz, Ernährungsberatung, Anleitung zu körperlicher Aktivität, Berücksichtigung HIV-spezifischer Aspekte

  3. Bei 10-Jahres-Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung ≥20%:

    cART-Optimierung, Indikation für Stavudin, Efavirenz, Indinavir, Lopinavir, Fosamprenavir und Tipranavir (evtl. Zidovudin, Saquinavir, Atazanavir, Darunavir) überprüfen

  4. Bei manifester kardiovaskulärer Erkrankung oder 10-Jahres-Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung ≥20% oder Diabetes mellitus:

    ggfs. Einsatz von Statinen (+/- Ezetimib) zur Erreichung der Zielwerte von Gesamtcholes-terin (155-190 mg/dl) bzw. LDL-Cholesterin (80-115 mg/dl), Berücksichtigung cART-spezifischer Wechselwirkungen (Tab. 2)

  5. Evtl. Hinzuziehen von Experten

Medikamente der ersten Wahl für Patienten mit hohem Risiko sind die HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren („Statine“), für die bei verschiedenen cART Komponenten jeweils spezifische Interaktionen zu beachten sind (Tab. 2). Bezüglich der vorhergesagten Senkung des LDL-Cholesterins werden in den EACS-Leitlinien Atorvastatin, Fluvastatin, Rosuvastatin und Simvastatin (-60 bis -100 mg/dl) als dem Pravastatin (-35 bis -60 mg/dl) überlegen angesehen, eine weitergehende Unterscheidung erfolgt nicht. Dieses Wirksamkeitsverhältnis konnte zumindest für Rosuvastatin und Pravastatin in zwei kleineren klinischen Studien auch für Patienten unter Proteasehemmer-haltiger cART bestätigt werden.

Ezetimib

Zusätzlich zu den Statinen steht der einzeln noch schwächer (-10 bis -20 mg/dl) wirkende Cholesterin-Aufnahme-Hemmer Ezetimib zur Verfügung. Dessen Empfehlung lediglich als Alternative berücksichtigt auch, dass HIV-spezifische Daten zur LDL-Cholesterinsenkung durch Ezetimib nur aus wenigen kleinen Studien stammen und im Unterschied zu den Statinen für die Ezetimib-Monotherapie auch bei nicht HIV-infizierten Patienten keine belastbaren Studiendaten bzgl. harter Endpunkte existieren. In Kombination mit einem Statin hat Ezetimib jedoch synergistische Wirkung und führt zu einer Verstärkung der Cholesterinsenkung. Ein Einsatz ist daher bei nicht-Erreichen der Cholesteringrenzwerte durch hoch dosierte Statine oder ggfs. im Rahmen des Managements von Nebenwirkungen durch Statine indiziert.

Unklare Bedeutung der Hypertriglyceridämie

Der mögliche Einfluss erhöhter Triglyceridspiegel auf das kardiovaskuläre Risiko wird von EACS als unklar bezeichnet, es wird lediglich auf den möglichen Zusammenhang zwischen sehr hohen Triglyceridspiegeln und Pankreatitis hingewiesen.

In Anbetracht neuerer Ergebnisse aus der D:A:D Kohorte mag das bemerkenswert erscheinen. Liegen hier doch belastbare Daten vor, die den negativen Einfluss erhöhter Triglyceride mit einem relativen Risiko von etwa 1,5 bzgl. kardiovaskulärer Ereignisse zeigen, ein Ergebnis, das auch unter Berücksichtigung der möglichen
Reversibilität einer Hypertriglyceridämie Bestand hat. Auch in einem bereits 2004 erschienenen Update zu den ATP III Guidelines findet sich der Hinweis auf die mögliche Behandlung einer Hypertriglyceridämie mit einem Fibrat oder einem Nikotinsäure-Präparat. Bisherige Studien zum möglichen Nutzen einer spezifisch medikamentösen Behandlung der Hypertriglyceridämie konnten allerdings keine Reduktion der Gesamtmortalität belegen, auch wenn der positive Einfluss des Einsatzes von (u.a. die Triglyceridspiegel senkenden) Omega-3-Fettsäurenestern auf das kardiovaskuläre Risiko inzwischen ausreichend belegt scheint. Derzeit werden aber seitens der EACS (wie auch der ESC) für die Hypertriglyceridämie außer Diät- und Lebensstilratschlägen keine weitergehenden Behandlungsempfehlungen ausgesprochen. Fibrate werden zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos nicht empfohlen.

Multidisziplinäre Patientenversorgung

Eine weiterführende lipidologische Abklärung etwa unter Einbeziehung von Lp(a) wird in den EACS Leitlinien nicht diskutiert, ebenso wenig der Einsatz zusätzlicher Substanzklassen wie Fibrate, Nikotinsäure, und Omega-3-Fettsäurenester, der in der klinischen Praxis weit verbreitet ist. Für Fälle, in denen die LDL-Zielwerte schwer zu erreichen sind, wird empfohlen, Experten hinzuzuziehen. Dies kann dann vom Nebenwirkungsmanagement spezifischer Statine über die evtl. notwendige Erweiterung der medikamentösen Lipidtherapie auf andere Substanzklassen bis hin zum Einsatz einer Lipid-Apherese reichen.

Dringender Studienbedarf

Nicht anders als für das Management anderer Begleiterkrankungen bei HIV-infizierten Patienten ist die Datenbasis für spezifische Behandlungsempfehlungen limitiert, der überwiegende Teil der Empfehlungen leitet sich aus Studien mit nicht-infizierten Patienten ab. Neben der Fortführung wichtiger HIV-Kohortenstudien wie D:A:D sind daher auch weitere Untersuchungen z.B. zur Rolle der HIV-Infektion als kardiovaskulärer Risikofaktor, zum Zusammenhang zwischen Immunaktivierung, Lipidprofil und lipidsenkender Therapie, und v.a. größere Interventionsstudien zu HIV-spezifischen Fragestellungen, wie etwa zur Behandlung der cART-induzierten Dyslipidämie, dringend notwendig.

Literatur beim Verfasser



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