Das EKAF-Paradoxon:

Je mehr Käse, desto mehr Löcher; je mehr Löcher, desto weniger Käse. Folgt daraus also: Je mehr Käse, desto weniger Käse?

Seit 2008 treibt insbesondere uns Deutsche ein Statement der Schweizer zur sexuellen Übertragbarkeit von HIV unter erfolgreicher HAART um.1

Obwohl diese Stellungnahme keine neuen Fakten enthält, sondern nur die teilweise länger als eine Dekade bekannten Daten zur Übertragbarkeit von HIV bewertete, galt sie für viele als innovativ und revolutionär. Und obwohl der ausführliche und durchaus kritisch ausgewogene Text der EKAF-Stellungnahme die bestehenden Risiken einer sexuellen HIV-Transmission sehr detailliert benennt, behauptet deren Titel glatt das Gegenteil: „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“. Kein Wunder, dass da jeder von seinem Gegenüber in der Diskussion behaupten kann, dieser habe die Intention des Statements nicht richtig verstanden.

Was sagt die DAIG?

Knapp 1.000 Tage nachdem das EKAF-Paper am 30. Januar 2008 erschienen ist, hat die DAIG als deutsche wissenschaftliche Fachgesellschaft am 23.09.2010 eine erneute ausführliche Stellungnahme veröffentlicht.2 Als wissenschaftliche Gesellschaft plädiert die DAIG darin recht umfassend für den Kondomgebrauch: „In allen Situationen sexueller Begegnungen von HIV-serodiskordanten Partnern außerhalb fester Partnerschaften empfiehlt die DAIG den Gebrauch von Kondomen, unabhängig vom Behandlungsstatus des HIV-infizierten Partners.“ Aber die DAIG sagt auch: „Beiden Partnern kommt in diesen Situationen eine gleichberechtigte Verantwortung zu.“ Ich bin mir sicher, die streitbare Diskussion ist damit nicht zu Ende, denn bisher wurden wichtige Aspekte ausgeblendet und es streiten ohnehin die „falschen“ (weil für den Konflikt nicht primär zuständigen) Interessensparteien miteinander.

Vorsicht Virus!

Die Fragen müssten vielleicht völlig anders gestellt werden: Jeder erkältete Mensch und jeder asymptomatische Träger von Papilloma-Viren stellt eine potenzielle Gefährdung für seine Umgebung dar. Wieso gibt es keine Verhaftungen wegen „Gefahr im Verzug“ wie im Fall der Nadja Benaissa, wenn grippekranke Personen sich aus „eigennütziger“ Sorge um ihren Arbeitsplatz noch mit beginnenden Grippe-Symptomen ins Großraumbüro geschleppt haben? Warum wurde z.B. der sich stolz in der Öffentlichkeit zu seiner spezifischen Art der „Verehrung“ von Frauen bekennende Silvio Berlusconi nicht dafür belangt oder wenigstens dafür gesellschaftlich geächtet, dass er seine manchmal noch jugendlichen Partnerinnen vermutlich niemals über die ggf. besonders hohen Risiken einer Übertragung von cancerogenen HPV-Viren aufgeklärt hat?

Extrawurst für HIV

Wieso ist die gesellschaftliche Diskussion und rechtliche Bewertung der sexuellen Risiken bei HIV mutmaßlich eine andere als bei Hepatitis C und erst recht als beim besonders leicht mucosal übertragbaren Hepatitis B Virus? Rächt es sich hier vielleicht, dass für die Virushepatitis – anders als für HIV – eine gesetzlich festgelegte namentliche Meldepflicht gemäß des deutschen Infektionsschutzgesetzes (IfSG) besteht, mit der die Sorge um die Prävention formal in staatliche Obhut überstellt wird?

Fundamentale Folgen

 -- Man sollte diese Diskussionen, die etliche Tabus streift, vielleicht einmal führen. Aber mir stockt als Schreiber dieser Kolumne andererseits an dieser Stelle die Feder: Ein Ergebnis der Diskussion könnte gerade im zunehmend fundamentalistisch gestimmten Deutschland sein: Zur Arbeit erst dann, wenn der allmorgendliche Influenza-Virus-Antigen-Schnelltest vom Spülwasser des Zähneputzens dokumentiert negativ ausgefallen war. Einvernehmlicher Sex nur nach schriftlicher Einwilligung und dokumentierter Aufklärung über die infektiösen und sonstigen gesundheitlichen Risiken. Zeitungsmeldung 2011: „2 Jahre auf Bewährung: Ehefrau verführt ihren Gatten trotz Wissens um dessen Bluthochdruck“.

In Deutschland regiert bekanntlich seit dem 24. Juni 1952 die Boulevardpresse und nicht die Vernunft. So betrachtet ist mein Credo: Lieber doch eine lebenslange Diskussion über die wahre Intention des EKAF-Statements, also der „Worte des Vorsitzenden Pietro Vernazza“.

1www.saez.ch/pdf_d/2008/2008-05/2008-05-089.PDF

2 http://www.daignet.de/site-content/news-und-presse/newsmeldungen/aktuelle-newsmeldungen-1/erneute-daig-stellungnahme-zum-eakf-statement-zur-infektiositat-von-antiretroviral-behandelten-hiv-patienten


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