Mark Oette, Köln
HIV und Intensivmedizin

In einer alternden Population von HIV-infizierten Patienten spielen Krankheiten, die eine komplexe medizinische Versorgung notwendig machen, eine zunehmende Rolle. Bei kontinuierlichem Rückgang klassischer HIV/AIDS-Manifestationen kommt es zum Anstieg der typischen Probleme des höheren Lebensalters, was sich auch in der Intensivmedizin zeigt. Dennoch nehmen die HIV-assoziierten Manifestationen weiterhin einen großen Raum ein.

Ein Großteil der schwer kranken HIV-Infizierten sind häufig sogenannte „Late Presenter “. Diese Gruppe, die teils mehr als 50% der neudiagnostizierten HIV-Patienten ausmacht, befindet sich häufiger im Stadium AIDS und hat eine erhöhte Mortalität.1,2 „Late Presenter“ mit bis dato undiagnostizierter HIV-Infektion mit all ihren negativen Folgen haben auch eine höhere Wahrscheinlichkeit der primären Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Versorgung.3

Mortalität HiV-infizierte Mortalität HiV-negative bezug bemerkungen Quelle
18,6% 11,2% 30-Tage-Mortalität bei n=539 vs. 375 (p=0,003) Höherer Veterans Aging Cohort Study Index mit Mortalität assoziiert Akgün KM, 2013
16% 14% ICU-Mortalität bei n=64 (p=0,7) HIV-Positive mit höherem APACHE-II-score (p=0.02) Cobos-Trigueros N, 2013
51% k.A. 2-Monats-Mortalität bei n=67 Studie mit Fokus auf Neuro-AIDS. Negative Prädiktoren: Beatmung, Migrationshintergrund, primäres ZNS-Lymphom, keine ART Husstedt IW, 2013
31% k.A. n=42 Studie mit Fokus auf respiratorische Probleme, 85% mit künstlicher Beatmung Orsini J, 2013
55,6% Krankenhaus-mortalität, 58,3% 6-Monats-Mortalität 27,3% Krankenhaus-mortalität, 27,3% 6-Monats-Mortalität n= 48 (p=0,03 bzw. 0,02) Studie mit Fokus auf Sepsis Silva JM, 2013
26,7% k.A. n=98 1-Jahres Mortalität 65% Morquin D, 2012
44% 22% Mortalität bei n=55 vs. 55 (p<0,01) Nur mechanisch beatmete Patienten Pathak V, 2012
23% k.A. n=426 Mortalität mit SAPS-II-score >40 und mechanischer Ventilation assoziiert Casalino E, 2004

Tab. 1 Mortalität intensivmedizinisch versorgter HIV-positiver und -negativer Patienten

Respiratorische Infekte führend

Die bislang größte Erhebung zu HIV und Intensivmedizin umfasst 539 HIV-positive Patienten in einem Zeitraum von 2002 bis 2010. Die häufigste Diagnose in dieser Studie waren respiratorische Infekte. Im Vergleich zu HIV-negativen Patienten war diese Diagnose bei den HIV-Positiven häufiger (12% vs. 21%) und auch eine mechanische Ventilation war häufiger erforderlich (9% vs. 17%).4 In einer anderen Studie waren respiratorisches oder ventilatorisches Versagen bei mehr als 50% der HIV-infizierten Betroffenen der Aufnahmegrund.5 Abdominelle Infektionen stellen den zweithäufigsten Grund für schwere Infektionen dar.6 Kardiovaskuläre Manifestationen waren dagegen bei HIV-Positiven seltener als bei Nichtinfizierten. Die wichtigsten Todesursachen waren Sepsis und respiratorische Komplikationen.4 HIV-Infizierte hatten ein erhöhtes Risiko, eine Katheter-assoziierte Infektion auf der Intensivstation zu entwickeln, während die Gesamtrate neu erworbener multiresistenter Infektionen nicht unterschiedlich war.7

Höhere Mortalität? 

Abb. 1 CDAC Megakolon: Abdomenübersicht (Aufnahme im Bett der
                      Intensivstation). Deutliche Distension des Kolons im rechten oberen Quadranten des Bauches.
Abb. 1  CDAC Megakolon: Abdomenübersicht (Aufnahme im Bett der Intensivstation).
Deutliche Distension des Kolons im rechten oberen Quadranten des Bauches.

Abb. 2  CDAC Megakolon: CT-Abdomen des gleichen Patienten. Deutliche Wandverdickung von Kolon ascendens und descendens zu erkennen.
Abb. 2  CDAC Megakolon: CT-Abdomen des gleichen Patienten. Deutliche
Wandverdickung von Kolon ascendens und descendens zu erkennen.

Abb. 3  PcP-, CMV- und  H1N1-Koinfektion: CT Thorax mit flächigen Infiltraten sowie einer diffus verteilten interstitiellen Zeichnungsver- mehrung. Ursache war die Koinfektion von Pneumocystis jiroveci, Cytomegalievirus und Influenza (H1N1) der Lunge. Der Patient war beatmungspflichtig.Abb. 3  PcP-, CMV- und  H1N1-Koinfektion:
CT Thorax mit flächigen Infiltraten sowie einer diffus verteilten interstitiellen Zeichnungsver- mehrung.
Ursache war die Koinfektion von Pneumocystis jiroveci, Cytomegalievirus und Influenza (H1N1) der Lunge. Der Patient war beatmungspflichtig.

Die Röntgenbilder wurden von Dr. Frank Schellhammer, Abteilung für
Radiologie, Krankenhaus der Augustinerinnen, zur Verfügung gestellt.

Zur Mortalität von HIV-Infizierten in der Intensivmedizin schwanken die Angaben in der Literatur, insbesondere im Vergleich zu HIV-Negativen (Tab. 1). In den meisten Studien wurde ein Trend zu einer erhöhten Sterblichkeit bei HIV-Patienten gefunden. Dies gilt ebenfalls im Trend für HIV-infizierte Schwangere und ihre Neugeborenen.8 Eine Erhebung aus Münster zeigte jedoch eine erniedrigte Mortalität bei HIV-Infizierten, die wegen einer Pneumocystis jiroveci-Pneumonie behandelt wurden.9

Der Zusammenhang der Anwendung einer antiretroviralen Kombinationstherapie (cART) und der Intensivmedizin ist schwach. In den genannten Studien stand gut die Hälfte der Teilnehmer unter einer überwiegend effektiven kontinuierlichen cART, wobei sich kein sicherer Zusammenhang zwischen bestimmten medizinischen Problemen und der Effektivität  der Behandlung herstellen ließ. Nach der Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie in den 1990er Jahren zeigte sich ein abnehmender Trend der AIDS-typischen Manifestationen, während die Sepsis eine deutliche Zunahme erfuhr.13 In dieser Studie war das Langzeitüberleben mit der Anwendung der ART assoziiert (71% nach 24 Monaten). Auch eine aktuellere Erhebung zeigte, dass der Beginn bzw. das Beibehalten einer ART während des intensivmedizinischen Aufenthaltes mit einem verbesserten Langzeitüberleben assoziiert ist.11


Fallbericht:

Multimorbider HIV-positiver Patient 

Ein 54-jähriger Patient wurde im Juni 2013 auf unsere Intensivstation mit dem Krankheitsbild eines akuten Nierenversagens bei Exsikkose mit metabolischer Azidose aufgenommen. Die Ursache war eine schwere pseudomembranöse Kolitis, die mit einer sekundären Peritonitis einherging. Weiterhin zeigte sich eine nekrotisierende Ösophagitis. Die mikrobiologische Diagnostik ergab Clostridium difficile-Antigen sowie Toxin A und B aus dem Stuhl, Candida albicans in der Blutkultur, Candida glabrata, Pseudomonas aeruginosa und Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) aus dem Aszites sowie positive PCR für Cytomegalievirus (CMV) und Herpesvirus 1 (HSV) aus dem Ösophagus.

Vorgeschichte

Die HIV-Infektion des Patienten war 2005 anlässlich einer CMV- und HSV-Encephalitis mit Wasting-Syndrom, Giardiasis und Candida-Stomatitis diagnostiziert worden. Nach Initiierung einer cART kam es zu einem Immunrekonstitutionssyndrom. 2009 trat eine Pneumonie sowie eine Soorösophagitis auf. 2010 wurde die erste Clostridium difficile-Kolitis (CDAC) behandelt. Seither kam es zu CDAC-Rezidiven, einer weiteren Pneumonie, einer Psychose, einer Psoriasis inversa, einer HSV-Proktitis sowie einem Nierenversagen unter Tenofovir. Die Medikation bei Aufnahme  bestand aus Abacavir, Lamivudin, Darunavir, Ritonavir und einer Reihe von weiteren Medikamenten. Die CD4-Zellzahl lag bei 54/µl (17%) und die HI-Viruslast bei 2.480 Kopien/ml.

Behandlung

Während des Intensivaufenthaltes erhielt der Patient verschiedene antibiotische, antimykotische und antivirale Medikamente. Komplikationen wie eine Aspirationspneumonie mit folgender maschineller Beatmung und eine Agranulozytose (vermutlich durch Allopurinol, Propranolol oder Metamizol) gestalteten den Verlauf schwierig. Für die CDAC wurden die Medikamente Metronidazol, Vancomycin und Fidaxomycin eingesetzt. Nach vorübergehender Besserung kam es nach einer Sepsis durch VRE am Tag 23 zu einem schweren CDAC-Rezidiv mit toxischem Megakolon (Abb. 1 und 2).

In dieser Situation blieb als einzige Option die komplette Kolektomie, für die der Patient jedoch nicht die ausreichende Fitness aufwies. Wir schlugen ihm daher vor, eine Stuhltransplantation durchzuführen. Die CDAC heilte nach zwei Stuhltransplantationen, die von der Mutter stammten, komplett aus. Trotz eines  weiteren Katheterinfektes konnte der Patient nach Hause entlassen werden und im folgenden halben Jahr traten keine neuen Probleme auf.
Interessanterweise war die CD4-Zellzahl von 104/µl (9%) am Tag der Transplantation auf 306/µl (15%) am Tag der Entlassung angestiegen, die Viruslast lag unter der Nachweisgrenze.

Nihilismus obsolet

Der beschriebene Fall ist bis dato die erste erfolgreiche Stuhltransplantation aufgrund schwerer CDAC bei einem kritisch kranken AIDS-Patienten.17 Dies hat auch deshalb Relevanz, da die CDAC bei HIV-Infizierten in Zunahme begriffen ist.18 Der beschriebene Fall zeigt zudem eindrücklich, dass auch komplexe und dramatische Krankheiten bei HIV-Infizierten intensivmedizinisch zu bewältigen sind, sofern von Nihilismus Abstand genommen wird, der teils heutzutage noch anzutreffen ist.

Stuhltransplantation  

Die Stuhltransplantation ist eine neue Behandlung bei problematischer Clostridium difficile-Kolitis. Gegenwärtig bestehen die Therapieoptionen bei CDAC aus dem Absetzen der ursächlichen antibiotischen Therapie, die Antiinfektiva Metronadazol, Vancomycin sind etabliert. Wie im beschriebenen Fall zeigt die Infektion eine hohe Rezidivrate. Für diese Situation bietet das neue Medikament Fidaxomycin eine sinnvolle Ergänzung.14 Andere Ansätze sind die Anwendung von Präbiotika oder, im Extremfall, die Kolektomie. Die Transplantation von Stuhl eines gesunden Menschen zeigt in neuen Studien eine sehr gute Effektivität mit dem Ausheilen der Erkrankung beim überwiegenden Teil der Behandelten.15,16 Die Stuhlübertragung wird in der Regel via Koloskop oder Dünndarmsonde nach Ausschluss akuter Infekte des Donors durchgeführt. Zur Zeit wird die HIV-Infektion beim betroffenen Patienten bzw. das Vorliegen eines Immundefektes als Kontraindikation für die Behandlung gesehen.

Multiple Infektionen

Augenfällig ist die Kombination multipler lebensbedrohlicher Infektionen, was allerdings die Routine der HIV-Medizin auf Intensivstationen darstellt (Abb. 3). In unserem Krankenhaus wurden beispielsweise im Jahr 2012 insgesamt 18 HIV-Patienten intensivmedizinisch versorgt. Bei 9 dieser Patienten wurden klassische opportunistische Infektionen bzw. deren Komplikationen im Sinne von AIDS diagnostiziert. Die anderen 9 Patienten litten an nicht-HIV-assoziierten Erkrankungen. Von den 9 Personen mit AIDS-Manifestationen hatten sechs Patienten kombinierte bakterielle und virale Infektionen. Das gleichzeitige Auftreten multipler Infektionen stellt somit eher den Regelfall als die Ausnahme dar. Nur zwei der 18 Patienten verstarben während des Krankenhausaufenthaltes.

Beatmung – gut oder schlecht?

Die Beobachtung, dass gerade die Komplikationen des Respirationstraktes mit einer hohen Mortalität assoziiert sind, führte immer wieder zu der Folgerung, dass die mechanische Ventilation eher zu vermeiden sei, um eine möglichst gute Prognose für die Patienten zu erhalten. Es liegen jedoch keine belastbaren Untersuchungen vor, die die Pathophysiologie des intensivmedizinischen Problems der künstlichen Beatmung ausreichend aufarbeiten.19 So kann nicht sicher differenziert werden, ob die hohe Mortalität von der Beatmung ausgeht oder ob die Beatmung nur ein Indikator der schweren Erkrankung ist. Ein gesicherter negativer Prädiktor ist dagegen die Ventilator-assoziierte Pneumonie, und zwar nicht nur bei HIV-Infizierten.12 Beim Einsatz der nicht-invasiven Ventilation ist jedoch keine Zurückhaltung angebracht, da diese Therapie einen nahezu physiologischen Ersatz der Atemfunktion darstellt.

Fazit

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die intensivmedizinische Versorgung von HIV-positiven Patienten an Bedeutung zunimmt – zum Teil aufgrund der unvermindert hohen Zahl von „Late Presentern“, zum Teil aufgrund der steigenden Zahl von älteren Patienten mit nicht-HIV-assoziierten Erkrankungen. Die im Vergleich zu HIV-Negativen schlechteren Behandlungsergebnisse belegen, wie wichtig Anstrengungen in diesem Bereich sind, um HIV-Infizierten die gleichen Chancen einzuräumen. Bei weiteren Forschungsbemühungen müssen insbesondere HIV-spezifische Aspekte wie z.B. der häufigere Nachweis einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung20 berücksichtigt werden. Konsens muss sein, dass unseren HIV-Patienten das gesamte Spektrum hochwertiger zeitgenössischer Medizin zur Verfügung gestellt wird.





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