Matthias Stoll, Hannover
CONTRA – TAF empfohlen TDF als Alternative diskriminiert!

Prof. Dr. med. Matthias StollEine aktuelle britische Metaanalyse wertete alle 11 geeigneten, randomisierten klinischen Endpunktstudien aus, welche die Wirksamkeit und Sicherheit von TAF versus TDF in der Behandlung von HIV und/oder Hepatitis B untersuchten. In diese Studien wurden insgesamt 8.111 Patienten mit einer kumulativen Nachbeobachtungszeit von 10.793 Patientenjahren eingeschlossen. Die mittlere Nachbeobachtungszeit des Kollektivs betrug 69 Wochen. 56% erhielten Tenofovir innerhalb eines mit Ritonavir oder Cobicistat geboosterten Regimes. Bei allen analysierten Studien war das pharmazeutische Unternehmen, welches TAF entwickelt hat, entweder der Sponsor der Studie oder/und hatte Einfluss auf Studiendesign und/oder Publikationserstellung.

In der mit geboosterten TDF behandelten Sub-Gruppe aus der Metaanalyse gab es signifikant nachteilige Endpunkte zur Sicherheit bzgl. der Niere (p=0,002) und der Knochen (Knochendichte [p<0,001], Frakturen [p=0,04]). Außerdem bestand bei Auswertung der Studien an HIV-Infizierten (n=9) mit geboosterten TDF-haltigen Regimen ein Trend zu einer geringeren Virussuppression, gemessen am Endpunkt einer HIV-pVL <50 cp/ml (p=0,05).

Hingegen fanden sich keine Unterschiede in all diesen Endpunkten zwischen ungeboosterten TAF und ungeboosterten TDF-haltigen Regimen.

In Kenntnis dieser Evidenzlage kam auf der Konsensuskonferenz zur Aktualisierung der Deutsch-Österreichischen Leitlinien2 nach kontroverser Diskussion und mit knapper Mehrheitsentscheidung der Beschluss zustande, TDF nicht mehr als bevorzugte Option zur antiretroviralen Initialtherapie zu empfehlen.

Pflichtverteidiger

Die Frage „TAF oder TDF in der ART“ polarisiert derzeit die HIV-Behandlerszene. In dieser Ausgabe von HIV&more fungiere ich als Anwalt für TDF (bzw. für Disoproxil) in einem fiktiven Plebiszit. Das Bild vom Anwalt ist vermutlich zu hoch gegriffen, denn der Verfasser dieser Zeilen ist nur Arzt und nicht etwa Jurist. Dennoch: TDF hat hiermit einen (Pflicht)Verteidiger (der in diesem Fall zudem pro bono3 tätig ist), denn TDF steht seit dessen Abwertung in der jüngsten Leitlinienaktualisierung unter Verdacht und ist daher in der Defensive. Leider sind Vorverurteilungen vor einem ordentlichen Prozess in jüngerer Zeit vermehrt salonfähig geworden. Ich begrüße daher die Gelegenheit für mein Plädoyer als eine wertvolle und notwendige Aufgabe.

Der Verteidiger, respektive der Anwalt der Position „Contra“, hat immer den psychologischen Nachteil, dass die Menschen es insgeheim bevorzugen für eine Sache statt dagegen zu sein. Bei einer Pro und Contra Diskussion ist freilich logisch und semantisch das „Eine“ nie ohne das „Andere“ möglich.

© fotolia: Gerhard Seybert
© fotolia: Gerhard Seybert

Als Nachteilsausgleich wird dem Contra-Anwalt traditionell die zweite Position in der Abfolge der Plädoyers zugestanden. Der Verteidiger hat also (zunächst) das letzte Wort und damit den exklusiven Vorteil, die vorgebrachten Argumente seines Prozessgegners zu kennen und kann daher seine Argumentationslinie genau auf potenzielle Schwächen der Strategie der Gegenseite abstimmen.

Die Analogie zum Strafprozess geht sogar noch einen Schritt weiter: Für das Plädoyer reicht dem TDF ein in dubio pro reo4, wenn es hier darum geht, dass es nach dem Votum in der DAIG-Leitlinie nur noch als gesondert zu begründende Alternative statt des bevorzugt empfohlenen TAF eingesetzt werden darf.

Plädoyer

Verehrte Jury,

ich werde Ihnen aber darlegen, dass mein Mandant, das TDF, keinen Freispruch zweiter Klasse benötigen wird. Es hat seinen Stellenwert jahrzehntelang und schon vor der Verfügbarkeit von TAF erfolgreich, weltweit, in allen klinisch bedeutsamen Szenarien der antiretroviralen Therapie zunächst durch umfangreiche Studien und später in der alltäglichen Praxis belegt: Mehr als ein Jahrzehnt lang erhielt die große Mehrzahl aller PLWH5, die auf eine ART eingestellt waren, ein TDF-haltiges Regime. Daraus resultiert sehr viel Erfahrung im Umgang mit TDF: Es wurde und wird von den meisten Patienten sehr gut vertragen, wenn es indikationsgemäß eingesetzt wird. Die Ärzte wussten früh um die Risiken von Nephrotoxizität und Knochensubstanzverlust. Deswegen war die Indikation gemäß Label streng zu stellen. Da es allerdings für viele Fälle mit erhöhtem Risiko keine bessere Alternative gab, wurde TDF auch außerhalb des strengen Labels eingesetzt. So wissen wir inzwischen auch um die hohe Sicherheit in der Anwendung selbst bei Menschen mit erhöhten Risiken für Nierenschädigung und Osteopenie. Denn wir haben seit langem empirisch gut belegte Algorithmen zur Überwachung von Nierenfunktion, Eiweiß- und Phosphatausscheidung. Die logische Folge daraus ist bis heute: TDF – aber nicht(!) TAF – ist bei jeder Form der Nierenfunktionseinschränkung einsetzbar.

Neutrale Studien

TDF war dabei immer auch eine umstrittene Substanz. In vielen Investigator-Initiated-Trials wurden gezielt die möglichen Schwächen von TDF untersucht. Genau das gereicht dem TDF jetzt zur zusätzlichen Stärke: Zahlreiche Studien zum TDF sind deswegen gerade nicht von dessen Patentinhaber und pharmazeutischem Hersteller initiiert, der auf diesem Wege (naturgemäß) zumindest hypothetisch Einfluss auf Studiendesigns, Endpunkte, Patientenauswahl, Analyseninterpretation und Publikation der Ergebnisse nehmen kann. Auch das ist (zumindest bisher) beim TAF anders.

Die schöne Geschichte vom – gegenüber dem TDF – weniger schädlichen und besser wirksamen TAF beruht auf einem potenziell hasardösen, weil langfristig noch unbewiesenen Konzept: der gedanklichen Reduktion aller Toxizitäts-risiken von Tenofovir allein auf dessen extrazellulären Spiegel und zugleich der vermeintlich gefahrlosen Option, die intrazellulären Spiegel von Tenofovir fast beliebig zu erhöhen.

Besteht wirklich keine Gefahr durch intrazelluläres Tenofovir? Immerhin sitzt die einzige bekannte wirtsseitige Reverse Transkriptase intrazellulär in jedem Zellkern: die Telomerase-Reverse-Transkriptase (Te-RT), dessen Inhibition bisher angesehen wird als ein wirksamer Weg, vorzeitiges Altern und Zelltod zu bewirken. Die Te-RT wird durch antiretrovirale Nucleos(t)idanaloga gehemmt – und zwar am stärksten durch Tenofovir6. Daraus resultieren berechtigte Sorgen um die Langzeitsicherheit aller NUCs. Ob TAF hier vielleicht mit einem besonders stark erhöhten Risiko behaftet sein wird, lässt sich naturgemäß erst durch Jahrzehnte dauernde Langzeitstudien aber nicht durch die mit 48 bis 144 Wochen eher kurzfristig angelegten Wirksamkeitsstudien ausschließen. In diesen sind Wirksamkeit und Sicherheit zwar bisher überzeugend dargelegt, aber die Studien-Endpunkte beruhen – das sollten wir bei ART-Studien nie außer Acht lassen – vornehmlich auf Surrogatmarkern. Es mutet wie jugendlicher Leichtsinn an, das TAF mit der bisher vorliegenden, begrenzten Langzeiterfahrung in den Leitlinien exklusiv zu adeln.

Sorglosigkeit

Die Sorglosigkeit hat durchaus System: TAF wurde erst in den USA zugelassen und erst danach dann in Europa. Die USA-Zulassung sah keine Dosisreduktion des TAF vor, wenn Booster mit im ARV-Regime waren. Erst die europäische EMA verlangte, dass eine 60%-ige Dosisreduktion des TAF (10 mg statt 25 mg) den sonst noch weiter ansteigenden intrazellulären Tenofovirspiegeln durch den Booster-Effekt Rechnung zu tragen hat.

Es ist eine weitere – und ganz besondere – intellektuelle Herausforderung, dass nunmehr zwei aktuelle Leitlinien der DAIG in der Einschätzung der potenziellen Risiken durch hohe Tenofovir-Gewebespiegel zu diametral entgegengesetzten Einschätzungen kommen: Die gerade verabschiedete ART-Leitlinie bevorzugt TAF und wertet TDF wegen
Sicherheitsbedenken zur Alternative ab. Die Schwangerschaftsleitlinien bevorzugen TDF und warnt vor TAF wegen der hohen intrazellulären Spiegel in Nabelschnur und Fötus und damit verbundenen Sicherheitsbedenken. Primum nihil nocere7 sagen zwar beide Leitlinien, aber es können ja schlecht beide sich ausschließenden Wege zugleich richtig sein, denn die ART-Leitlinie ist ja nicht etwa als ein supplementäres Thesenpapier deklariert, welches nur Gültigkeit hat für die Zielpopulation der erwachsenen Männer mit einer HIV-Infektion.

Vermeintliche Vorteile

Die – vielleicht nur vermeintlichen – Vorteile von TAF in den strategisch vom Patentinhaber des TAF sicherlich wohlüberlegt konzipierten Studien beruhen dabei vornehmlich auf Surrogatmarkern für Nierenfunktion und Knochenstoffwechsel, die andererseits für die antiretrovirale Wirksamkeit komplett irrelevant sind. Diese Marker reflektieren einen zwar nachvollziehbaren aber doch auch etwas bemühten Versuch, die mit wissenschaftlicher Berechtigung eingeführte Erfolgsgeschichte der Surrogatmarker „Viruslast“ und CD-Zellzahl“ ohne harte Evidenz für deren klinische Relevanz auf Z-Scores und eGFR zu übertragen und zu verallgemeinern.

Selbstgerecht

Welch selbstgerechte und aufgeblasene Anmaßung steckt dahinter, wenn uns suggeriert wird, das Wohl der antiretroviral Behandelten sei a priori durch Dialyse und pathologische Frakturen bedroht, wenn TDF ein bevorzugt empfohlenes Element der antiretroviralen Initialtherapie geblieben wäre? Bisher haben zwanzig Jahre Therapiehistorie bei kaum einem Fall dazu geführt. Und dort wo es zu den vergleichsweise wenigen Ereignissen dieser Art kam, so wurden vielleicht auf dem Weg zu der klinisch relevanten Schädigung auch Chancen verpasst: TDF verlangt laut Zulassung ein engmaschiges, vierwöchentliches Monitoring der Nierenfunktion. Wer das nicht beachtet, bemerkt andererseits Schäden erst später und vielleicht auch zu spät. Das darf aber kein Grund für die Abwertung der Substanz sein.

Mein Mandant, das TDF, wurde in der Vergangenheit – vielleicht nicht ganz ohne Absicht – diskreditiert: Schwerpunktärzte wurden dazu angehalten, unaufgefordert zugesandte Rechenschieber zur Nierenfunktionsabschätzung stets mit sich zu führen und monatlich pro Behandlungsfall zu benutzen: Deren Berechnungsformeln zur Nierenfunktionsabschätzung aber sind für den zur Beurteilung relevanten Bereich einer (fast) normalen Nierenfunktion mit einer GFR von ≥ 90 ml/min nicht entwickelt worden – vulgo dafür schlecht validiert. Noch frustrierender ist die Beurteilung der Knochendichte: Diese kann methodisch aufwändig und praktisch störanfällig im DEXA-Scan bestimmt werden, was – selbst in den Studien – stets nur an kleineren Subgruppen gelang. Die Surrogatmarker für Knochendichte im DEXA gehen in den ersten zwei Jahren für TDF etwas stärker nach unten als für TAF, verlaufen ab dann aber parallel. Ob dieser Unterschied klinisch bedeutsam ist, bleibt bisher weitgehend offen. Deshalb wohl auch erkannte der AMNOG-Prozess bisher in seiner Nutzenbewertung keinen (ökonomischen) Zusatznutzen für eins der TAF-haltigen Präparate.

Fallschirm für alle?

© fotolia: fotosr52
© fotolia: fotosr52

Plädoyers fassen Ergebnisse zusammen und referenzieren wichtige Studien oder Gutachten und bewerten und illustrieren diese aus ihrem parteiischen Blickwinkel. Deshalb ist das Bildnis vom Fallschirm aus der geschätzten Gleichniswerkstatt von Herrn Prof. Behrens, des nicht nur von mir hoch geschätzten Anwalts der gegnerischen Seite so wertvoll. Ein gutes Gleichnis leuchtet uns oft unmittelbar ein; es schafft Distanz zu den eigenen potenziellen Befangenheiten; es schärft den Blick sowohl auf mögliche strittige, aber bisher nicht diskutierte Modellimplikationen als auch auf unstrittige, aber nicht explizit konsentierte grundsätzliche Annahmen. In diesem Sinne soll hier das Fallschirmspringermodell8 aufgegriffen und kritisch gewürdigt werden (siehe Tabelle, Seite 17).

S2k nicht S3

Dieses Plädoyer will sich aber nicht in der Diskussion der Fallschirmanalogie erschöpfen. Anlass für das Plädoyer ist ja bekanntlich die alles andere als einstimmige Abstimmung in der Konsensuskonferenz zur Bevorzugung von TAF gegenüber TDF in der S2k-Leitlinie von DAIG und DÖAG zur initialen antiretroviralen Therapie.

Die spezifische Frage wirft nämlich ein Schlaglicht auf noch ungenutzte Potenziale und Chancen für künftige Leitlinien-Updates.

Die ART-Leitlinie ist eine S2k-Leitlinie, somit also keine S3-Leitlinie. S2k statt S3 heißt sinngemäß: 2=„weniger Evidenz“ dafür aber k=„mehr Konsens“. Insofern geht das Ergebnis „nur noch TAF statt TDF“ nur formal in Ordnung. Johanniskraut enthält Hypericin und dieses ist bekanntlich eine Prodrug einer unter Lichteinfluss entstehenden (leicht) antiretroviral wirkenden Substanz, die im menschlichen Körper entstehen würde, wenn dort mehr Licht wäre. Eine S2k Leitlinie könnte somit Johanniskraut in die Liste der optionalen ARVs aufnehmen, wenn sich eine Mehrheit der am Leitlinienprozess Beteiligten dafür ausspräche.9 Insofern stellt sich auch für die bevorzugte Empfehlung des TAF die Frage, ob nicht eine andere Entscheidung mindestens ebenso angebracht oder weise gewesen wäre:

© fotolia: weyo
© fotolia: weyo

Der Preisreduktion von generisch verfügbarem TDF(/FTC) ist seit Ende 2017 – also dem Zeitpunkt der Leitlinienkonferenz – in Deutschland gegenüber dem Original bei bis zu über 90% und fast genauso hoch gegenüber dem TAF(/FTC). Damit ist möglicherweise ein missverständliches Signal an die Kostenträger gegeben worden: Die Befürworter betonen zwar zu Recht, dass die Ökonomie (also ein Preisvorteil) unbedeutend ist, wenn die angebotenen Alternativen nicht gleichwertig sind. Aber gilt das, wenn (bisher) der AMNOG-Prozess keinen Zusatznutzen von TAF-haltigen Pharmazeutika gegenüber TDF-haltigen gefunden hat? Bedarf es einer besonderen Begründung im Individualfall für den Einsatz von TDF in der ersten Therapielinie, also in einer Situation von der in Deutschland überwiegend Männer betroffen sind, überwiegend im jungen Erwachsenenalter und überwiegend organisch – insbesondere an Knochen und Niere – gesund? Und die – um TDF gemäß Label verordnen zu dürfen – zudem eine eGFR von >90 ml/min haben müssen! Für die unter der TDF-Verordnung monatlich die eGFR überprüft werden müsste! Mit Verlaub: Welcher vermeidbare Schaden wäre für die Patienten dabei eingetreten, wenn monatlich bei allen mit Hinweisen auf beginnende Toxizitätssignale auf ein TDF-freies Regime gewechselt worden wäre?

Chance verpasst

Die Kostenträger stellen begreiflicherweise diese Fragen an uns, denn wir müssen mit der Leitlinienentscheidung begründen, warum jährlich ein 8-stelliges Einsparpotenzial10 (in €) selbst im Falle einer nur moderaten Verordnung von generischem TDF gar nicht erst angetastet werden kann, weil nunmehr primär TAF die bevorzugte Option gegenüber TDF ist.

Die S2k-Leitlinie bietet anderseits – besser noch als die mehr deskriptiv analysierende S3-Leitlinie – die besondere Chance der kritischen Bewertung von vorläufigem Wissen sowie der Würdigung kreativer Studiendesigns von Zulassungsstudien innerhalb einer vom Konsens getragenen kritischen Stellungnahme. Diese Chance wurde in der Causa „TAF“ doppelt verpasst, denn zum einen wurde ein echter Konsens nicht erreicht: eher sprach sich nur eine relativ knappe Mehrheit in der Konsensuskonferenz gegen das TDF aus. Zum anderen wurde keine tiefergehende inhaltliche Erklärung in die Leitlinie aufgenommen. Vielleicht geschah das deshalb, weil keiner die Vielschichtigkeit der Kontroverse im Vorfeld so abgesehen hatte.

Auf dem Boden bleiben

Zum Abschluss noch der Ausblick auf ein – im Gegensatz zu den Fallschirmen – reales Szenario von Ressourcenverschwendung aus dem Jahre 2014: Ein 19-Jähriger urinierte in ein 143.000.000 Liter fassendes Trinkwasser-Reservoir – gefilmt von seinem Kumpel mit dessen Handy. Die zuständige Behörde ließ den gesamten Stausee ab – und vernichtete damit immerhin mehr als ein Sechstel der gesamten Trinkwasservorräte des Bundesstaates Oregon. Dank des ins Netz hochgeladenen Videobeweises11 eine durchaus evidenzbasierte und auch trotzig entschlossene Entscheidung. Aber wofür?

Contra-Anwalt


1 Hill A, Hughes SL, Gotham D, Pozniak AL. Tenofovir alafenamide versus tenofovir disoproxil fumarate: is there a true difference in efficacy and safety? J Virus Erad. 2018;4(2):72-79.

2 Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-1-Infektion, Stand November 2017. http://www.daignet.de/site-content/hiv-therapie/leitlinien-1/Deutsch%20Osterreichische%20Leitlinien%20zur%20antiretroviralen%20
Therapie%20der%20HIV%201%20Infektion.pdf, zugegriffen am 15.5.2018

3 Lat.: „für die gute Sache“, steht für: „ohne Honorar anwaltlich tätig werden“.

4 Lat.: „Im Zweifel für den Angeklagten“

5 PLWH = „People living with HIV“

6 Leeansyah E, Cameron PU, Solomon A, et al. Inhibition of telomerase activity by human immunodeficiency virus (HIV) nucleos(t)ide reverse trans-criptase inhibitors: a potential factor contributing to HIV-associated accelerated aging. J Infect Dis. 2013;207(7):1157-65.

7 Lat.: sinngemäß „Vorrangiges Ziel jeder aktiven medizinischen Maßnahme soll es sein, zunächst darauf zu achten, dadurch dem Patienten nicht zu schaden“

8 „PRO – TAF empfohlen TDF die Alternative: Na und?“, Seite 9 ff in dieser Ausgabe von HIV&More

9 Der Autor dieses Beitrags erinnert sich nur allzu gut an Zeiten, wo es Ende der 1990er Jahre in Deutschland beinahe zu einer solchen Empfehlung gekommen wäre.

10 Stoll M, Balkin P, Goldbach J et al. Budget Impact Analysis Highlighting the Cost-Saving Potential of Generic Tenofovir Disoproxil Based Antiretroviral Therapy in Comparison with Tenofovir Alafenamide Based Treatment Regimens in the German Healthcare System. J AIDS Clin Res 2018, 9(1): 754; DOI: 10.4172/2155-6113.1000754

11 Guy Pees In Portland Water Reservoir (16.04.2014) -- https://www.youtube.com/watch?v=SO0EgaDzIE4


Werden wirklich alle Fallschirmspringer TAF wählen?

Konsens
Das Modell geht davon aus, dass alle Fallschirmspringer lebend auf dem Boden ankommen und keiner in der Luft hängen bleibt oder in den Weltraum abdriftet. TAF und TDF zeigen – insgesamt – keine klinisch bedeutsamen Unterschiede im virologischen und immunologischen Erfolg. Dort wo ausgeklügelte „composite endpoints“ in Studien Unter - schiede im Erfolg sehen, so ist dieser durch Unterschiede in nicht (unmittelbar) lebensbedrohenden Toxizitäten, z.B. Surrogatmarkern für Knochendichte und/oder Nierenfunktion zu erklären.
Dissens
Fallschirmspringen geschieht immer freiwillig und auf eigene Verantwortung, entspräche also einem medizinischen Indikations- niveau (weit unterhalb) von IGEL- Leistungen. Die indikationsgerechte ART hinge- gen ist unstrittig eine medizinisch notwendige Maßnahme zur Erhal- tung von Gesundheit und Leben. Einzige Indikation für Fallschirme im zivilen Bereich ist die freiwillige Ausübung der Hochrisikosportart „Fallschirmspringen“. Weder Berufspiloten, noch Hobbypiloten und erst recht nicht Flugpassagiere werden aus Sicherheitsgründen oder zur allgemeinen Gefahrenabwehr mit Fallschirmen ausgestattet, weil sich dies nicht bewährt hat. Insofern hätten Flugreisende – im Falle eines sich abzeichnenden Absturzes – nicht nur keine freie Auswahl zwischen verschiedenen Fallschirmen (mit oder ohne zusätzliche Sicherheit bei Kaninchenlöchern an der Absturzstelle), sondern vielmehr überhaupt keinen Fallschirm zur Verfügung. De facto dürfte nach den bestehenden Sicherheitsrichtlinien im Falle einer Notfall-Evakuierung das Flugzeug nur „ohne Schuhe und Gepäckstücke“ verlassen werden. Würde man dennoch einen Fallschirm – gleich welchen Modells – im Flugzeug mit sich führen, so dürfte man ihn also gar nicht anwenden.
Das Modell suggeriert in unzuläs- siger Weise, dass darin eine freie Leistungswahl ohne Eigenleistung bestehen würde. Kein Freund des Fallschirmspringens würde jemals irgendeinen Fallschirm von der Allgemeinheit gestellt bekommen. Entweder er muss diesen vor dem ersten Sprung erwerben und dann selbst bezahlen oder aber er würde ihn vom aus seinen Mitgliederbeiträgen finanzierten Sportverein gestellt bekommen. In beiden Szenarien dürfte – ohne eine entsprechende Vorschrift dazu – wohl nur selten die Wahl auf ein zehnfach teureres Fallschirm-Modell ohne nachgewiesenen Vorteil fallen, zumal für Menschen mit genug Phantasie für die spezifischen Risiken von Kaninchenlöchern beim sich zu spät öffnenden Fallschirm ohnehin der Verzicht auf den Sprung die nächstliegende und sicherste Lösung wäre.
Für die Verordnung der ART gilt in der GKV das Wirtschaft- lichkeitsgebot (§12, SGB-V) Die GKV ist bekanntlich eine Solidarversicherung. Insofern kann – anders als bei der Fallschirm- wahl beim Fallschirmsport – nicht allein der Wunsch des Patienten die Therapieauswahl bestimmen. Diese muss ärztlich indiziert, für die Indikation zugelassen und wirtschaftlich sein.
Das Fallschirm-Modell unter - schlägt, das es Szenarien gibt, in denen die Wahl des Fallschirms ohne Belang für das Risiko von Langzeitschäden bleiben würde. Nicht überall auf der Welt drohen Kaninchenbauten, denn der größte Teil der Erdoberfläche sind (in absteigender Reihenfolge) große Wasserflächen, ewiges Eis, steile Berge oder aktive Vulkane. Lauter Orte, bei denen es im Falle der „Notfallindikation“ sinnvoller wäre, noch eine SMS an seine Liebsten zu schreiben oder ein kurzes Gebet zu sprechen als seine letzten Minuten mit einer ziemlich müßigen Fallschirmfrage zu vergeuden. Bei elektiver Indikation als Fallschirmspringer könnte man durch Vorauswahl kaninchenlochfreier Zielgebiete die hypothetische Frage des für Kaninchenlöcher geeignetsten Fallschirmsystems gegen- standslos machen. Diese Überlegung gilt übrigens analog auch für den Einsatz von TDF oder TAF.
Es ist bisher nicht wirklich in Studien bewiesen, dass Kaninchenlöcher im Boden den Fallschirmsport gefährlich machen. Das Beispiel bemüht ein Szenario, das mit archetypischen Ängsten besetzt ist, worauf wir irrational reagieren: Wir vermeiden das Baden im Meer in Regionen, wo Haie auftreten, obwohl es pro Jahr kaum 10 Todesfälle durch Haie weltweit gibt. Stattdessen liegen wir aus präventiven Überlegungen lieber am Strand, wo Kokosnüsse mit einer etwa zehnfach höheren Wahrscheinlichkeit unser Leben beenden. Noch verwunderlicher: Ganz besonders die für Ihre Ängste bekannten Deutschen stellen sich diesen Urlaubsrisiken alle Jahre wieder aktiv und ermöglichen diese erst durch Flugreisen, deren weltweites Mortalitätsrisiko wiederum etwa zehnfach höher liegt als das durch Kokosnüsse und Haie zusammen.


Ausgabe 2 - 2018Back

Meldungen

Ältere Meldungen weiter

Diese Website bietet aktuelle Informationen zu HIV/Aids sowie zur HIV/HCV-Koinfektion. Im Mittelpunkt stehen HIV-Test, Symptome und Auswirkungen der HIV-Infektion, Behandlung der HIV-Infektion, HIV-Medikamente mit Nebenwirkungen und Komplikationen, Aids, Hepatitis B und C. Ein Verzeichnis der Ärzte mit Schwerpunkt HIV ergänzt das Angebot.