Interview mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Stellbrink, Hamburg
Neue Leitlinien – Kontroverse Themen

Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Stellbrink Hamburg Vorsitzender der DAIG und Moderator  der Leitlinien-Arbeitsgruppe Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Stellbrink
Hamburg

Vorsitzender der DAIG und Moderator
der Leitlinien-Arbeitsgruppe

Einschätzung einer Gruppe von Experten wieder. Kontroverse Meinungen gehören da eben dazu.

In den neuen Leitlinien gehört TDF/FTC wieder zu den empfohlenen Backbones. Wie kam das zustande?

Prof. Stellbrink: Der Konsens zugunsten einer vorrangigen Empfehlung von TAF war in den letzten Leitlinien schwach. In der aktuellen Version ist der Konsens zugunsten einer gleichrangigen Empfehlung von TDF ebenfalls schwach und mit einem ablehnenden Minderheitenvotum versehen. Man sieht, wie kontrovers das Thema nach wie vor beurteilt wird. Das Pendel der Meinungen hat sich diesmal etwas in Richtung einer gleichrangigen Empfehlung von TDF verlagert. Möglicherweise hat die Diskussion um die Gewichtszunahme als mögliche Nebenwirkung von TAF eine Rolle gespielt.

Die Gewichtszunahme als mögliche Nebenwirkung von TAF und Dolutegravir wird in den Leitlinien nicht erwähnt…

Prof. Stellbrink: Das ist richtig. Zum einen war das zum Zeitpunkt der Erstellung der Leitlinien kein großes Thema und zum anderen sind die Daten dazu selbst heute noch schwach. Es gibt einige Studien, die eine Assoziation zeigen, doch in diesen Studien gibt es auch viele andere Faktoren, die den Gewichtsverlauf beeinflussen können.

International werden zur Firstline-Therapie nur fast noch Integrasehemmer empfohlen. Hierzulande sind INSTI, NNRTI und PI gleichwertig.

Prof. Stellbrink: Wir gehen da konform mit den Europäischen Leitlinien. Unsere Experten wollen eine Auswahl bei der dritten Substanz bieten. Wenn man die Studien betrachtet, sieht man, dass auch andere Optionen eine vergleichbar gute Effektivität aufweisen und gut verträglich sind. Die Leitlinien wollen keine normative Vorgabe machen, sondern einen „therapeutischen Korridor“ aufzeigen, in dem zwischen empfohlenen, alternativen und nicht akzeptablen Regimen unterschieden wird.

Angesichts der Dominanz der Integrasehemmer im klinischen Alltag und den kommenden dualen Therapien brauchen wir da nicht auch den Test auf INSTI-Mutationen bei primären Resistenztest?

Prof. Stellbrink: Die Empfehlung richtet sich nach der Häufigkeit der Resistenzmutationen. Eine Testung auf Mutationen mit einer Frequenz im niedrig einstelligen Bereich sprich unter 10% ist nicht kosteneffektiv und kann daher auch nicht empfohlen werden. INSTI-Mutationen, insbesondere solche, die eine höhergradige Resistenz vermitteln, liegen weit unter dieser Grenze.

Die duale Therapie hat es nicht in die empfohlenen Regime geschafft. Die 96-Wochen-Daten von GEMINI lagen noch nicht vor. Haben wir damit jetzt schon veraltete Leitlinien?

Prof. Stellbrink: (lacht) So kann man das vielleicht sehen, aber das trifft nicht den Kern. Die Leitlinien spiegeln ja nicht einfach Studienergebnisse wieder, sondern basieren auf der Einschätzung der Studienlage sowie der Erfahrung der Experten. Zum Zeitpunkt der Erstellung der Leitlinien fehlten noch Langzeitdaten. Das Vertrauen in die duale Therapie ist bei vielen Experten noch nicht so groß wie in die Tripletherapie. Diese Einstufung kann sich aber ändern…

Die Leitlinien nehmen auch ausführlich zur Wirtschaftlichkeit Stellung und beziehen eine klare Position…

Prof. Stellbrink: Leider hat das AMNOG nicht gehalten, was versprochen wurde. Wenn ein Präparat den AMNOG-Prozess durchlaufen hat, gilt es nicht automatisch als wirtschaftlich. Gleichzeitig gibt es viele Generika und die Kassen machen Druck und weisen auf Optionen hin. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass wir diese empfehlen können. Grundsätzlich gilt: Eine gut funktionierende Therapie sollte man in der Regel nur antasten, wenn es dafür einen medizinischen Grund gibt, sprich Probleme mit Wirksamkeit, Verträglichkeit, Begleitrisiken, Interaktionen oder Adhärenz. Allein aus Kostengründen auf möglicherweise weniger einfach einzunehmende oder potenziell nebenwirkungsreichere Therapien zu wechseln, soweit sind wir in Deutschland noch nicht.

Wann kommt die nächste Aktualisierung der Leitlinien?

Prof. Stellbrink: Mit der nächsten Aktualisierung wollen wir Ende des Jahres beginnen. Dabei wollen wir aber nicht nur die Inhalte überarbeiten, sondern auch das Format. Die Lesbarkeit soll verbessert werden, indem wir uns mehr an klinischen Fragestellungen orientieren und die ausführlichen Begründungen weglassen. Das wird viel Arbeit erfordern und vermutlich bis Mitte des nächsten Jahres dauern.

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