Siegfried Schwarze, Berlin
Heilung – Versuch einer Einordnung

Die Suche nach Heilung von HIV läuft seit vielen Jahren auf Hochtouren und hat eine Vielfalt von Ansätzen hervorgebracht. Die Fülle von Daten ist mittlerweile so groß, dass eine einzelne Person unmöglich alle Details kennen kann, daher ist die folgende Einschätzung zwangsläufig subjektiv.

Das Problem mit der Heilung beginnt gleich bei der Definition. Wann gilt man als geheilt? HIV liegt zum großen Teil in T-Zellen als latent integriertes Provirus vor. Wenn diese Zellen aktiviert werden, kann sich HIV vermehren. Die T-Zellen werden allerdings nur durch Kontakt mit „ihrem persönlichen“ Antigen aktiviert, d.h. jede T-Zelle erkennt nur ein ganz bestimmtes Antigen.

Was aber, wenn HIV sich gerade in einer T-Zelle versteckt, die nur auf ein ganz selten vorkommendes Antigen reagiert? Sagen wir mal, auf ein Protein des Malaria-Erregers. Der kommt in unseren Breiten nicht allzu häufig vor. Aber in der Theorie reicht nur ein einziges intaktes Provirus, das reaktiviert wird, um die HIV-Infektion von neuem anzufachen. Bei den bislang als geheilt geltenden Patienten gehen wir davon aus, dass selbst dann nichts passieren würde, weil das „neue“ Immunsystem ja wegen des Fehlens des CCR5-Rezeptors nicht mehr infiziert werden kann. Aber was, wenn das integrierte Provirus ein X4-tropes HI-Virus wäre?

Stammzellen

Bislang gelten nur zwei bis drei Menschen als von HIV-geheilt. Diese HIV-Infizierten wurden durch allogene Stammzelltransplantation geheilt. Diese Methode funktioniert, man kann sie aber zum heutigen Zeitpunkt nicht als Möglichkeit für die große Zahl an HIV-Infizierten in Betracht ziehen. Das Verfahren ist zu aufwändig und vor allem mit viel zu vielen Nebenwirkungen und Risiken verbunden.

„Kick&Kill“ – ein totes Pferd?

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Am einfachsten fällt mir die Bewertung von „kick&kill“ (auch „shock&kill“ genannt). Hier sind sich inzwischen die meisten Experten einig, dass dieser Ansatz in der heutigen Form zu nichts führt. Bisher waren die Methoden weder für „kick“ noch für „kill“ besonders erfolgreich. Momentan sieht es so aus, als bräuchte man für die unterschiedlichen Reservoirs des Virus bzw. für die unterschiedlichen Untertypen von T-Zellen jeweils optimierte „kick“-Strategien. Dummerweise sind praktisch alle dafür eingesetzten Substanzen relativ toxisch und haben hässliche Nebenwirkungen. Das „Killing“ muss ja im Endeffekt vom Immunsystem erledigt werden und das scheint aus bisher noch nicht ganz verstandenen Gründen beim Abräumen HIV-infizierter Zellen zu schwächeln. Ob es eine generelle Anergie ist oder ob HIV-spezifische Mechanismen im Spiel sind oder noch etwas ganz anderes (CMV?), ist ebenfalls noch nicht geklärt. Aber klar ist, alle bisher verfolgten Ansätze sind nicht besonders erfolgreich gewesen und haben zudem ein erhebliches Nebenwirkungspotenzial. Wenn das Pferd tot ist, sollte man eigentlich absteigen. Dass das noch nicht erfolgt ist, hat meiner Meinung nach eher etwas damit zu tun, wie die Forschung heute finanziert wird als mit tatsächlicher Aussicht auf Erfolg.

Hoffen auf das Immunsystem

Anders sieht es bei den breit neutralisierenden Antikörpern (bnAbs) aus. Erste Vertreter dieser Klasse werden gerade für die HIV-Therapie erprobt. Die bnAbs sind aber eben nicht nur eine Art „HIV-Therapie deluxe“, sondern sie haben zusätzliche Auswirkungen im Immunsystem. Das sieht man u.a. daran, dass in einigen Studien die Virussuppression durch bnAbs länger anhielt, als die Antikörper im Blut messbar waren (zumindest im Tierexperiment). Antikörper können also zu Veränderungen im Immunsystem führen, die zwar im Detail noch nicht verstanden sind, die aber möglicherweise die Kontrolle von HIV begünstigen können.

Dummerweise ist die Herstellung von bnAbs in Zelllinien teuer und aufwändig. Doch eine Präsentation auf der CROI zeigte dafür neue Lösungsansätze: Es könnte reichen, den genetischen Bauplan für bnAbs in einen Vektor zu verpacken und zu injizieren. Der Körper würde die Antikörper dann (kostengünstig) selbst produzieren. Bisher gibt es dazu nur sehr vorläufige Daten, aber ein solcher Ansatz wäre nicht nur für die Heilungsforschung, sondern auch für die Prävention ein Durchbruch. Doch ähnlich wie bei der antiretroviralen Therapie werden wir auch mehrere bnAbs (bzw. einen Antikörper mit unterschiedlichen Antigenbindungsstellen) benötigen, um HIV langfristig zu unterdrücken und eine Resistenzentwicklung zu vermeiden.

Genschere – Mehr als Spielzeug?

Das neueste Spielzeug der Virologen sind gentechnologische Methoden. Befeuert vor allem durch die Verfügbarkeit von CRISPR/Cas9, das so einfach zu handhaben ist, dass es schon in Biologiekästen für Schulkinder angeboten wird. Leider ist CRISPR aber auch für seine Probleme bekannt: Es schneidet oft, wo es nicht soll („off target effects“) und es führt zu einem Doppelstrangbruch in der DNA, der dann von den zellulären Reparaturenzymen geflickt wird und zu Insertionen/Deletionen führt („Indels“). Im günstigsten Fall kommt es dann zu einem Abbruch der Proteinsynthese und das entsprechende Eiweiß wird einfach nicht gebildet. Es kann allerdings auch zu einer Verschiebung des Leserahmens kommen und es wird ein ganz anderes Eiweiß gebildet – mit unbekannten Auswirkungen.

Fazit: Ich halte CRISPR/Cas9-basierte Geneditiermethoden zum heutigen Zeitpunkt und beim heutigen Wissensstand für einen Einsatz am Menschen ungeeignet.

Es gibt allerdings Enzyme, die deutlich genauer arbeiten, in der Handhabung aber auch deutlich zickiger sind. Vor allem gilt das für Brec-Rekombinasen. Der Ansatz, Brec in Stammzellen einzuschleusen und so zumindest einen Teil des Immunsystems so umzubauen, dass HIV sofort wieder aus dem Erbgut entfernt wird, ist vom Ansatz her schlicht genial. Ob es in der Praxis am Menschen funktioniert, werden Studien zeigen. Aber wie bei allen Verfahren, die Stammzellen modifizieren, muss man sich klar sein, dass einem diese genetischen Veränderungen ein Leben lang erhalten bleiben. Deshalb sind bei diesen Studien extrem hohe Sicherheitsmaßnahmen erforderlich. Aber alle anderen Methoden, bei denen „nur“ somatische Zellen modifiziert werden, haben nur eine zeitlich begrenzte Wirksamkeit und sind deshalb eher als „proof of concept“ zu verstehen. Wenn man es wirklich ernst meint, muss man an die Stammzellen ran.

„Block&Lock“ – HIV einfach wegsperren

Ein weiterer Ansatz ist im Prinzip das genaue Gegenteil von „shock&kill“. Anstatt HIV aufzuwecken und die
virusproduzierende Zelle zu töten, soll die Latenz so verstärkt werden, dass HIV nicht mehr aufgeweckt wird – egal wie stark der aktivierende Stimulus ist.

Dass dieser Ansatz noch nicht so bekannt ist, liegt vielleicht daran, dass die erste, die darüber berichtete, eine Frau war. Ja, auch im Wissenschaftsbetrieb haben Frauen es deutlich schwerer. Susanna Valente vom Scripps-Institut isolierte einen Hemmstoff des tat-Proteins. Dieses ‚tat‘ ist eine Art Wecker, das auch bei latentem, also „schlafenden“ HIV immer in geringer Menge produziert wird. Sobald die Zelle aktiviert wird, erkennt ‚tat‘ dies und aktiviert den Promotor von HIV, was zur Ablesung der genetischen Information und letztendlich zur Produktion von Viren führt. Blockiert man nun ‚tat‘, fehlt der Aktivierungsmechanismus für HIV und selbst wenn die Zelle maximal stimuliert wird, werden keine Viren gebildet.

Gleichzeitig war der tat-Hemmstoff in ersten Untersuchungen (zumindest in Zellkulturen und Mäusen) wenig
toxisch und gut verträglich. Inzwischen sind noch einige weitere Ansätze identifiziert, die zu einer „deep latency“ führen könnten, also zu einer Art Schlaf, aus dem das Virus nicht wieder erwacht. Deshalb gibt es auch Arbeitsgruppen, die ihren Ansatz „soothe&sleep“ (also etwa „beruhigen und schlafen lassen“) nennen – das Prinzip ist aber das gleiche. Noch ist völlig unklar, ob einer dieser Ansätze auch im Menschen funktioniert, aber es klingt zumindest plausibel.

Heilung gleich Prävention

Wenn wir dann irgendwann tatsächlich einmal ein Verfahren haben sollten, das eine massen- und kassentaugliche Heilung von HIV ermöglicht, dann wird entscheidend sein, ob es auch eine Re-Infektion mit HIV verhindert. Wenn dem so sein sollte, hätten wir auch gleich eine Methode für die Prävention. Dann hätte sich die ganze Anstrengung doppelt gelohnt.


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