Deutsche AIDS-Hilfe LogoSTI: Wir testen zu viel!

Nicht nur die Zahl der sexuell übertragbaren Infektionen steigt. Es wird auch immer mehr getestet. Motto: Darf’s ein bisschen mehr sein? Gesund ist das nicht, sagt Armin Schafberger. Ein Debattenbeitrag

Auf den ersten Blick ist es eine merkwürdige Forderung: Wir brauchen weniger STI-Tests, und zwar dringend!

Wir alle wissen: Eine HIV-Spätdiagnose gilt es zu vermeiden, und eine Syphilis sollte kein höheres Stadium erreichen, bevor man sie entdeckt.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Während wir noch – zu Recht! – dafür kämpfen, dass manche Menschen rechtzeitig oder häufiger zum Check gehen, müssen wir an anderer Stelle zur Mäßigung aufrufen. Denn bei manchen STI testen und behandeln wir tatsächlich oft zu viel.

Häufigere Tests durch PrEP

© Foto: DAH/Renata Chueire
© Foto: DAH/Renata Chueire

Was ist geschehen? Bei der Einführung der PrEP wurde zur Kontrolle die vierteljährliche Testung auf HIV damit verknüpft. Schließlich möchten wir keine Resistenzen produzieren, wenn sich jemand unter unzureichend wirksamer oder nicht regelmäßig eingenommener PrEP infiziert hat. Da PrEP-Patient_innen regelmäßig vorstellig werden und als Menschen mit „erhöhtem HIV-Risiko“ auch ein erhöhtes Risiko für andere sexuell übertragbare Infektionen haben, erscheint es zunächst sinnvoll, weitere Checks mit anzubieten.

Infektionen können dann frühzeitig behandelt und weitere Übertragungen verhindert werden. So die Theorie. Ob die vierteljährliche Testung im Zusammenhang mit PrEP die Zahl der Infektionen tatsächlich langfristig reduzieren kann, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Im Moment sieht es eher so aus, dass die STI unterm Strich nicht seltener, sondern häufiger auftreten. Trotz intensivem Screening.

Immer mehr Erreger

Nun haben nicht nur sexuell übertragbare Infektionen in den letzten Jahren zugenommen, sondern auch die Zahl der Erreger, die wir mit einem einzigen Schleimhautabstrich identifizieren können. Neben Chlamydien und Gonokokken bieten die Labore den simultanen Check auf Mykoplasmen (M. genitalium und M. hominis), Ureaplasmen, Herpes simplex 1 und 2, Trichomonaden und andere Erreger an. Neue diagnostische Verfahren ermöglichen Tests auf 10 oder sogar 26 Geschlechtskrankheiten – auf einen Schlag. Wer wollte da nicht zugreifen?

Falsche Diagnose, schädliche Behandlung

Gegenfrage: Wozu ist das gut? Selbst die meisten Ärzt_innen kennen nicht so viele STI. Und mit der Zahl der Tests gehen Risiken einher: falsch positive Ergebnisse und inflationäre Antibiotika-Behandlungen.

Für Abstrichuntersuchungen auf Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen und andere Erreger werden Nukleinsäuretests eingesetzt. Diese sind so empfindlich, dass sie auch bei bedeutungslos wenigen oder sogar schon abgestorbenen Erregern anschlagen. Ärzt_innen können diese Diagnosen jedoch nicht von behandlungsbedürftigen Infektionen unterscheiden. Ergebnis: unnötige Gabe von Antibiotika.

Harmlose Infektionen

Sexkaufverbot verhindern!

In der Politik gibt es zurzeit Bestrebungen, den Erwerb sexueller Dienstleistungen unter Strafe zu stellen. Einige MdB treffen sich in einem interfraktionellen Arbeitskreis, ein Antrag auf dem letzten SPD-Parteitag wurde an den Vorstand delegiert.

Der Vorstoß findet zurzeit zwar keine Mehrheit, bietet aber trotzdem Anlass zur Sorge. Denn auch wenn nach dem Vorbild des „nordischen Modells“ nur die Kund_innen bestraft werden sollen, handelt es sich bei einem „Sexkaufverbot“ um eine faktische Kriminalisierung der Prostitution.

Folge wäre eine Verdrängung in illegale Verhältnisse und damit eine weitere Marginalisierung von Sexarbeiter_innen. Lebens- und Arbeitsbedingungen würden sich drastisch verschlechtern. Sicherheitsmaßnahmen bei der Arbeit würden sabotiert.

Studien zeigen: Ein Sexkaufverbot erhöht das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden oder sich STI zuzuziehen. Der Zugang zu Hilfe, Beratung und Prävention wird erschwert. Auch Kund_innen wären kaum noch erreichbar.

Ein Sexkaufverbot ist zudem kein geeignetes Mittel gegen Zwangsprostitution. Menschen in Zwangslagen oder ökonomischer Not brauchen stattdessen mehr Hilfsangebote.

Die Deutsche Aidshilfe hat gemeinsam mit anderen Verbänden und Beratungsstellen ein Positionspapier mit Informationen zur Studienlage erstellt. Es kann nun auch von weiteren Organisationen unterzeichnet werden.

Mehr Informationen:
http://tinyurl.com/rkv38yk

Wer suchet, der findet. Wenn man zusätzlich zu Gonokokken und Chlamydien auch auf Mykoplasmen testet, wird man bei über 20 Prozent der sexuell aktiven Menschen auch fündig. Nimmt man weitere Erreger dazu, lässt sich die Trefferquote noch deutlich erhöhen. Die Folge eines Treffers ist stets eine Behandlung – obwohl die diagnostizierte Infektion vielleicht gar keine Gefahr für die Gesundheit darstellt. Das Antibiotikum richtet dann womöglich mehr Schaden an als der bekämpfte Erreger.

Und noch etwas hat sich verändert: Früher waren STI noch Geschlechtskrankheiten – und wurden nur an den Geschlechtsorganen gesucht. Erreger lassen sich aber auch im Rachen und im Enddarm finden. Dort sind sie in weit über 90 Prozent der Fälle symptomlos und verschwinden von selbst wieder.

Im Enddarm suchen wir sie noch aus gutem Grund: Eine rektale Entzündung durch eine bakterielle Infektion kann das Risiko für eine HIV-Infektion erhöhen. Im Rachen dagegen wird nur deshalb nach STI gefahndet, damit sie nicht auf andere Personen übertragen werden. Den Schaden (durch das Antibiotikum) hat also die getestete Person, den Nutzen haben die Sexualpartner_innen.

Neuere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Gonokokken im Rachen bereits durch intensive Zungenküsse übertragen werden können. Was ist die Konsequenz aus diesem Wissen? Soll man sich jetzt nach dem Küssen testen und gegebenenfalls behandeln lassen? Oder das Küssen aufgeben?

Immer häufiger, immer alles?

Im Zweifel wird zurzeit getestet. Die Devise lautet: Immer mehr, immer häufiger, immer empfindlicher, immer alles. So kann es nicht weitergehen. Wenn auch klinisch Gesunde und immer mehr falsch positiv Getestete behandelt werden, richtet das nicht nur individuell Schaden an, sondern der Verbrauch von Antibiotika wird immens steigen und damit zur Bildung von Resistenzen beitragen – ganz im Gegensatz zur WHO-Empfehlung, den Einsatz zu reduzieren, und zur Deutschen Antibiotika-Resistenz-Strategie, die ebenfalls eine sparsame Verwendung der noch wirksamen Substanzen nahelegt.

resistente Antibiotika

Die Folgen von Antibiotikaresistenzen sind dabei bereits spürbar: Während die Behandlung von Chlamydien mit dem relativ nebenwirkungsarmen Doxycyclin möglich ist, muss man in der Behandlung von Mykoplasmen aufgrund von Resistenzen oft Moxifloxacin einsetzen – ein Antibiotikum, bei dem schwere und lebensbedrohliche Nebenwirkungen auftreten können. Dabei sind Mykoplasmeninfektionen in den allermeisten Fällen symptomlos und heilen von selbst aus. Mit einer Therapie kann man also einen gesunden Menschen krank machen.

Zudem kann der inflationäre Einsatz von Antibiotika bei sexuell übertragbaren Erkrankungen durch horizontalen Gentransfer zu immer mehr Resistenzen auch bei ganz anderen Erregern führen – und die Medizin vor immense Herausforderungen stellen. Problemkeime beziehungsweise Krankenhauserreger sollten nicht von unseren Schrotschüssen auf Geschlechtskrankheiten profitieren!

Sorgsam abwägen

Was getestet und behandelt wird, gilt es also sorgsamer abzuwägen als bisher. Wir brauchen eine breite Debatte, um hier zu Empfehlungen zu kommen, die Ärzt_innen wie Patient_innen einleuchten und maximalen Nutzen mit minimalen Risiken verbinden.

Die Fragen liegen auf der Hand. Was ist das Ziel? Geht es darum, das Auftreten von Geschlechtskrankheiten in bestimmten Gruppen zu verringern – oder darum, Schaden von Einzelnen abzuwenden? Wann schaden Antibiotika dem Individuum mehr als sie nützen? Welche Kollateralschäden müssen wir Einzelnen und Allgemeinheit zumuten, welche sind nicht legitim?

Allzu viel ist ungesund

Geschlechtskrankheit ist nicht gleich Geschlechtskrankheit. Tests auf Syphilis, Hepatitis C oder HIV stehen hier nicht zur Debatte, denn der Schaden bei unerkannten Infektionen ist groß. Ohne Zweifel sollte hier jede Infektion so früh wie möglich behandelt werden. Bei den Abstrich-Untersuchungen der „Schleimhaut-Infektionen und Schleimhaut-Besiedlungen“ dagegen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Klar ist: Allzu viel ist ungesund. Für Individuen wie für die Allgemeinheit.


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