Matthias Stoll, Hannover
Profit from PROPHET

Die Lehren aus der PROPHET-Studie zu den Auswahloptionen der antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion

Das deutsche Gesundheitswesen hat weltweit sehr spezifische Charakteristika, insbesondere im Bereich der Preisfindung für Arzneimittel und im Hinblick auf die Spielregeln der Erstattungsfähigkeit durch die Kostenträger.

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Sicherlich ist das einer der Gründe, warum sich – im internationalen Vergleich – die deutschsprachigen Leitlinien zur antiretroviralen Therapie (ART) der HIV-Infektion schon immer durch besonders breit gefächerte Empfehlungen geeigneter Behandlungsoptionen auszeichneten. Andernfalls könnte alles, was aus dem reichhaltigen Fundus der Auswahlmöglichkeiten einer geeigneten Kombination zur ART nicht genannt wird, im zuweilen ebenso formalistisch wie erbitterten Streit um die Deutung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§12 SGB V) im Einzelfall gegen die verordnenden Ärzt*innen ausgelegt werden.

Ökonomische ART

Vor diesem Hintergrund wird unmittelbar einsichtig, dass ein gewichtiger und objektiver Bedarf für klinische Beobachtungsstudien besteht, die im Geltungsbereich deutschen Sozialrechts klinische Endpunkte und ökonomischen Ressourcenverbrauch durch spezifische ART-Optionen differenziert untersuchen und darstellen. Diesen Zielen trägt die von der dagnae e.V. initiierte multizentrische, deutschlandweite Studie Rechnung. Ihr Akronym „PROPHET“1 ist keine Blasphemie – jedoch in der englischen Aussprache nicht ganz ohne Hintersinn sehr nahe an der Intonation der Vokabel „profit“, denn es geht um den klinischen Benefit und den pharmakoökonomischen Nutzen der ART durch eine Untersuchung der Effektivität und der Kosten verschiedener Erstlinien-ART-Optionen in Deutschland.

Über zwei Jahre

Der Studienplan umfasste den stratifizierten Einschluss 480 ART-naiver Patient*innen aus 24 bundesdeutschen HIV-Schwerpunktzentren aus dem ambulanten und stationären Sektor. Der Einschluss in die über zwei Jahre beobachtete Kohorte erfolgte prospektiv in drei gleichgroße Subgruppen – gemäß der frei von den behandelnden Ärzt*innen auszuwählenden, leitlinienkonformen ART – anhand der gewählten Klasse der Ankersubstanzen (NNRTI, geboosterter PI oder INSTI). Datenerhebungen erfolgten zu Baseline und zu den Monaten 3, 6, 12, 18 und 24. Neben klinischen Variablen und Arzneimittelverordnungen, die vom behandelnden Zentrum erhoben wurden, erfassten ein Patiententagebuch zusätzliche gesundheitsökonomische Variablen und standardisierte Fragebögen (HADS-D, ASDM, SF-12), Symptome, psychisches Befinden und Lebensqualität.

Die seit 2014 rekrutierende Studie hat mit Zwischenauswertungen und spezifischen Teil-Analysen seither zu zahlreichen Veröffentlichungen und Kongressbeiträgen geführt: National u.a. auf dem DÖAK 2015, K.I.T 2016 und DÖAK 2017, international auf dem EACS 2015 und 2017. Aktuell ist die PROPHET-Studie abschließend mit zwei internationalen Publikationen zu deren klinischen2 und pharmako-ökonomischen3 Fragestellungen veröffentlicht worden.

INSTI sehr beliebt

Abb 1Raschere Rekrutierung des INSTI-basierten Studienarms gegenüber PI- und NNRTI-basierter ART
Abb 1 Raschere Rekrutierung des INSTI-basierten Studienarms gegenüber PI- und NNRTI-basierter ART

Eines der wichtigsten Ergebnisse belegte bereits eine Zwischenauswertung4 sehr klar: Trotz gleichberechtigter Vielfalt in der Auswahl leitlinienkonformer ART zeigten sich im klinischen Alltag klare Präferenzen (Abb. 1). Binnen fünf Monaten musste die Rekrutierung von INSTI-behandelten Fällen (n=171) gestoppt werden, weil das Rekrutierungsziel (n=160 pro Arm) übererfüllt war. Demgegenüber blieben die Zahlen im PI-Arm (n=141) und im NNRTI-Arm (n=122) unter diesem Plansoll. Die tatsächliche Auswahl innerhalb der in den Leitlinien bevorzugten Auswahloptionen ergab wiederum sehr deutliche Präferenzen für spezifische Vertreter aus den Klassen der INSTI (84% Dolutegravir), NNRTI (94% Rilpivirin) und PI (93% Darunavir). Auch die Wahl des Nuc-Backbones (77% Tenofovir) war asymmetrisch.

Die Arme unterschieden sich auch ansonsten beträchtlich: Der PI-Arm hatte zwar die bei weitem kürzeste Latenzzeit (1,7 Jahre) zwischen Diagnose und ART-Beginn, dennoch bei Baseline die meisten Fälle im Vollbild AIDS, die höchste Viruslast und den niedrigsten CD4-Zellwert, bestand also vorwiegend aus Late-Presentern. Der NNRTI-Arm hatte hingegen mit knapp acht Jahren von HIV-Diagnose bis ART-Initiierung die längste Latenzzeit, die niedrigste Viruslast und höchsten Helferzellen und nur in 2/122 Fällen das Vollbild AIDS. Insofern kann man aus dem Vergleich der in den Armen unterschiedlichen Endpunkte zur Woche 48 nur sehr vorsichtige Schlüsse im Hinblick auf den Klassenvergleich ziehen. Dies war allerdings auch nicht das vorrangige Ziel der Studie.

Häufiger Switch

In allen drei Armen kam es zu signifikanten Helferzellanstiegen und zu Monat 24 war die Viruslast bei 99% unterhalb von 200 cp/ml (NNRTI: 100%, INSTI 99%, PI: 98%) in der für eine Kohortenanalyse angemessenen „as treated“-Analyse. Insbesondere symptomatische Patienten profitierten im Verlauf im Hinblick auf Lebensqualität und psychometrische Scores von der ART. Eine Entwicklung von sekundären Resistenzen mit Therapieversagen war selten (n=2, beide im NNRTI-Arm). Ohnehin führte ein Therapieversagen (2,5%) mit (0,5%) oder ohne (2,0%) Resistenzentwicklung nur sehr selten zum Wechsel des initialen ART-Regimes. Dennoch war ein Wechsel bis Monat 24 häufig (INSTI: 36%, NNRTI: 51%, PI: 78%), dabei vergleichsweise deutlich seltener der Wechsel der Ankerklasse (8%, 14% bzw. 26%). Die häufigsten Umstellungsgründe waren Nebenwirkungen, Therapievereinfachungen oder strategischer Wechsel, bspw. bei Interaktionen mit neuen Begleittherapien oder Kinderwunsch.

Ökonomie

Die ökonomische Auswertung zu den Krankheitskosten bestätigte die Daten aus früheren Analysen deutscher
Kohorten unter ART: Jahrestherapiekosten von ca. 20.000 €, die überwiegend durch die Kosten der ART bestimmt sind. Die Kosten sind im ersten Jahr höher und sinken – einhergehend mit einer Besserung von Surrogatmarkern, klinischen Parametern und Lebensqualität.

Was können wir somit aus PROPHET lernen?

  • So wie bekanntlich sehr viele Wege nach Rom führen, aber – faktisch – nur wenige dieser Wege abhängig von den Reiseoptionen entweder zu Fuß, mit dem PKW oder der Eisenbahn spezifisch ausgewählt werden, so ist es wohl auch mit der Auswahl einer geeigneten ART.
  • Die Leitlinien der DAIG erlauben eine vergleichsweise freie Wahl der am besten geeigneten ART und diese Option wird von den infektiologischen Schwerpunktbehandler_innen in Deutschland klug und differenziert genutzt, wie die Ergebnisse der PROPHET-Studie zeigen: Die Anwendung der Leitlinien bei der Initiierung der ART führt zu bemerkenswert guten Ergebnissen im klinischen Alltag.
  • Umstellungen der ART sind dennoch häufig und PROPHET dokumentiert hier eine große Vielfalt von guten und nachvollziehbaren Gründen. Diese Therapiewechsel gehen im Mittel nicht mit Kostensteigerungen einher, sondern im Gegenteil mit einer signifikanten Kostensenkung im Verlauf.

Eine Lehre aus PROPHET könnte es daher sein, dass das traditionell gute und vertrauensvolle Verhältnis zwischen Kostenträgern und MD(K) einerseits und andererseits den Schwerpunktbehandler*innen sich noch weiter positiv verstetigen könnte.


1 PROPHET: Prospective clinical and pharmacoeconomic observational study of different antiretroviral first-line therapies

2 J Bickel M, Hoffmann C, Wolf E, et al. High effectiveness of recommended first-line antiretroviral therapies in Germany: a nationwide, prospective cohort study. Infection. 2020;48(3):453-461

3 Valbert F, Wolf E, Schewe K, et al. Cost of Human Immunodeficiency Virus (HIV) and Determinants of Healthcare Costs in HIV-Infected Treatment-Naive Patients Initiated on Antiretroviral Therapy in Germany: Experiences of the PROPHET Study. Value Health. 2020;23(10):1324-1331

4 Wolf E et al. First-line antiretroviral therapies in HIV-infected patients in Germany: Treatment decisions in the PROPHET study. Poster PE 8/53. 15th European AIDS Conference (EACS), Barcelona, 21.- 24. October 2015

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