Interview mit Prof. Christoph Stephan, Frankfurt
Langwirksame Spritzentherapie Welche Fragen sind noch offen?


Prof. Dr. Christoph Stephan   Leiter HIVCENTER Oberarzt am Schwerpunkt  Infektiologie und Therapie  der HIV-Infektion Universitätsklinikum Frankfurt christoph.stephan@hivcenter.deProf. Dr. Christoph Stephan  
Leiter HIVCENTER
Oberarzt am Schwerpunkt
Infektiologie und Therapie
der HIV-Infektion
Universitätsklinikum Frankfurt

Die erste langwirksame Spritzentherapie ist zugelassen. In Studien wurde die Wirksamkeit gezeigt, die Studienteilnehmer*innen waren begeistert. Somit alles klar für den Start ins neue ART-Zeitalter?

Basis für die Zulassung waren die Daten der Studien LATTE, ATLAS und FLAIR an therapienaiven und vorbehandelten Patienten. Sind diese Daten ausreichend?

Stephan: Die Spritzentherapie mit Cabotegravir und Rilpivirin hat eine normale klinische Entwicklung durchlaufen. Sie belegt, dass das Konzept funktioniert. Die Studien begannen mit einer vierwöchigen Gabe, später kam dann das achtwöchige Intervall in ATLAS-2M dazu. Insgesamt sind die Daten solide und überzeugend.

Also keine Wünsche offen?

Stephan: Na ja, ein paar klinische Daten fehlen mir noch. Ein offenes Problem beispielsweise ist die Gewichtszunahme. Cabotegravir ist ein Integraseinhibitor. Unter den INSTI Dolutegravir und Bictegravir wurden – ebenso wie unter TAF – Gewichtszunahmen beobachtet. Natürlich ist es am Ende immer eine Frage der Kalorienbilanz, aber vielleicht machen bestimmte Integrasehemmer ja Heißhunger. In jedem Fall ist das ein heikles Thema, das angesprochen werden muss, insbesondere bei der Zielgruppe junger körperbewusster Männer.

Wie beurteilen Sie die Gefahr der Resistenzentwicklung?

Stephan: Es ist absolut wichtig, dass das Intervall eingehalten wird und daher lautet das Motto: Im Zeitfenster lieber kürzere Intervalle planen als längere. Genauso wichtig ist die richtige Applikation, die leider nicht von den Patient:innen selbst vorgenommen werden kann. Wenn man das einhält, ist das Risiko einer Resistenzentwicklung gering. In den Studien wurden hier keine viralen Durchbrüche beobachtet – zumindest bei dem bei uns dominanten HIV-Subtyp B.

Wie hoch ist denn die Resistenzschwelle bei Cabotegravir?

Stephan: Im Vergleich zu Dolutegravir nicht ganz so hoch. Dolutegravir wird mit „Null Resistenz“ beworben, wobei man sagen muss, bei entsprechend schlechter Adhärenz knickt irgendwann jede Substanz ein. Aber zurück zu Cabotegravir. Beim Subtyp A1, der vor allem in Russland vorkommt, kam es in FLAIR trotz adäquater Spritzenintervalle in einigen Fällen zur Resistenz gegen Cabotegravir und auch in den PrEP-Studien mit Cabotegravir sind Resistenzen beschrieben. Und auch vorbestehende INSTI-Mutationen sind bei Cabotegravir relevanter, als bei Dolutegravir.

Bei lang vorbehandelten Patienten fehlen ja oft die ART-Historie und Resistenztests. Sollte man da bei supprimierten Patienten vor der Umstellung einen proviralen Resistenztest machen?

Stephan: Das kann man durchaus überlegen, doch ich halte das Risiko für moderat und würde das nur in begründeten Fällen veranlassen. Selbst bei der vorbestehenden NNRTI-Mutation K103N hat Rilpivirin ein gutes Ansprechen gezeigt. Bei Integrasehemmer sollte man auf Raltegravir-Versagen in der Anamnese achten. Eine gewisse Sicherheit gibt ja auch das vierwöchige orale Lead in.

Macht es Sinn, den Patienten vorsichtshalber einen Vorrat an Bridging-Medikation zu verschreiben, falls etwas Unvorhergesehenes eintritt? Man denke nur an die Corona-Pandemie.

Stephan: Das ist zwar ein guter Gedanke, doch regelhaft würde ich das nicht machen. Ein solcher Vorrat setzt psychologisch ein falsches Signal und es wäre auch eine Verschwendung von Ressourcen. Medikamente verfallen ja nach einer gewissen Zeit. Allerdings bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel. Im Einzelfall, z.B. bei einem
Patienten, der sehr viel reist, kann es durchaus sinnvoll sein.

Die Spritzentherapie erfordert eine konsequente Terminplanung. Welche Patienten sind dafür geeignet bzw. nicht geeignet?

Stephan: Meiner Erfahrung nach sind insbesondere junge Männer, die keine anderen Medikamente einnehmen müssen, an den Spritzen interessiert. Besonders interessant wird diese Therapieoption für Menschen, die über viele Zeitzonen reisen, mit bedeutend schwankenden Tabletteneinnahme-Zeitintervallen, wie z.B. bei Flugbegleitern. Wichtigste Voraussetzung ist eine gute Adhärenz. Wer aber schon mit der Tabletteneinnahme Probleme hat und/oder nicht zuverlässig zu seinen Terminen erscheint, ist nicht geeignet. Lange Anfahrten können auch ein Hindernis sein, denn man muss alle acht Wochen kommen statt wie bisher alle 12 Wochen. Auch jungen Frauen würde ich das Regime nicht unbedingt empfehlen. An Studien haben nur wenige Frauen teilgenommen, wir haben keine Daten zu Cabotegravir in der Schwangerschaft und wir haben keine Information zu Wechselwirkungen mit der Pille.

Die beiden neuen Präparate sind nicht das Ende der Fahnenstange in der Langzeittherapie, sondern erst der Anfang. Was ist noch in der Pipeline?

Stephan: Da kommen mir gleich zwei interessante Substanzen in den Sinn. Zum einen der neuartige NRTTI
Islatravir. Die Substanz hat eine ultralange Halbwertszeit und Potential für ein sechsmonatiges oder noch längeres Applikationsintervall. Islatravir wird derzeit als Tablette entwickelt, aber andere Applikationsformen, z.B. ein Implantat, sind denkbar. Bislang fehlt einfach noch ein adäquater Kombinationspartner für eine solche Langzeitapplikation. Die zweite Substanz ist der Kapsidinhibitor von Gilead Sciences, der Potential für die subkutane Applikation als Langzeitgabe aufweist.

Prof. Dr. Christoph Stephan
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